Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 09.11.2006; Aktenzeichen II-4 UF 68/06) |
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 30.10.2006; Aktenzeichen II-4 UF 68/06) |
Tenor
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. Oktober 2006 – II-4 UF 68/06 – und das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. November 2006 – II-4 UF 68/06 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Beide Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Beschwerdeführerin rügt insbesondere, dass die von ihr in einem Unterhaltsprozess abgelehnten Richter selbst über die Befangenheitsanträge der Beschwerdeführerin entschieden haben.
1. Die Beschwerdeführerin klagte gegen ihren inzwischen geschiedenen Ehemann auf rückständigen und laufenden Trennungsunterhalt. Das Amtsgericht Krefeld sprach ihr durch Urteil vom 10. Februar 2006 einen laufenden monatlichen Unterhalt beginnend ab Februar 2006 zu und wies die weitergehende Klage ab. Beide Eheleute beantragten Prozesskostenhilfe für eine Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil. Die Beschwerdeführerin erstrebte damit einen höheren Unterhalt und die Zuerkennung von Unterhaltsrückständen. Der geschiedene Ehemann machte mit seiner Berufung geltend, dass die Ehe bereits am 19. Januar 2006 rechtskräftig geschieden worden sei, weshalb kein Trennungsunterhalt für den danach liegenden Zeitraum hätte zugesprochen werden dürfen. Mit Beschluss vom 26. April 2006 wies das Oberlandesgericht Düsseldorf beide Prozesskostenhilfeanträge zurück. Die Rechtsverfolgung des Ehemannes sei mutwillig, da diesem zur Behebung des Rechtsfehlers ein einfacherer Weg zur Verfügung stehe. Er habe zur Korrektur der erstinstanzlichen Entscheidung einen Antrag auf Berichtigung des Tenors stellen können. Der Beschwerdeführerin könne mangels Bedürftigkeit keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Sie sei nach dem Tod ihrer Mutter Miterbin zu einem Drittel eines Hausgrundstücks, welches sie nicht selbst bewohne.
2. In dem sodann beiderseits ohne Prozesskostenhilfe durchgeführten Berufungsverfahren berichtigte das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 17. August 2006 den Tenor des amtsgerichtlichen Urteils dahingehend, dass die Klage der Beschwerdeführerin abgewiesen wurde. Dem Ehemann wurde zur Verteidigung gegen die Berufung der Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe bewilligt. Die Beschwerdeführerin wurde darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, ihre Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Der Tenor des erstinstanzlichen Urteils sei gemäß § 319 ZPO zu berichtigen. Das Amtsgericht habe nur den streitbefangenen Trennungsunterhalt zusprechen wollen, dabei aber übersehen, dass die Ehe bereits geschieden gewesen sei. Dies begründe eine offenbare Unrichtigkeit des Tenors, weshalb der Senat im Berufungsverfahren die Berichtigung vornehmen könne. Dem Ehemann sei Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Berufung zu bewilligen, weil er trotz der Miteigentümerstellung an einem ererbten Grundstück nicht in der Lage sei, die Prozesskosten zu tragen. Das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin habe weder grundsätzliche Bedeutung noch Aussicht auf Erfolg. Ihre Berufung genüge soeben noch den Begründungserfordernissen. Zwar erfülle ihr Rechtsmittelvortrag ebenso wie ihr erstinstanzliches Vorbringen nicht einmal die Mindestanforderungen an eine schlüssige Unterhaltsklage. Da das Amtsgericht sich hierdurch aber nicht an einer Unterhaltsberechnung gehindert gesehen habe, könne die Zulässigkeit der Berufung nicht verneint werden. Dasselbe gelte, soweit sich das Vorbringen der Beschwerdeführerin in einer weitgehenden Wiederholung erstinstanzlichen Prozessvortrags oder Bezugnahme hierauf sowie der Beifügung längst aktenkundiger erstinstanzlicher Schriftsätze erschöpfe, weil die Berufungsbegründung immerhin spurenweise eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen der angegriffenen Entscheidung erkennen lasse. Auf deren Haltlosigkeit komme es nicht an. Der Senat betrachte es allerdings als Zumutung, wenn eine Unterhaltsklage ohne jede nachvollziehbare Darlegung der errechneten Rente unter Berufung auf einen vorgerichtlichen Schriftsatz begründet, sodann mit der Berufung die dort eingestellten Positionen als bloße Schätzung disqualifiziert und abschließend der selbe Schriftsatz dann wieder als Begründung für das unverändert aufrechterhaltene Zahlungsbegehren ins Feld geführt werde. Dies gelte um so mehr, als die Berufungsbegründung nicht einmal eine nachvollziehbare Berechnung der weiter verfolgten Rückstände enthalte und es offenbar dem Rätselraten des Senats überlassen bleiben solle, für welche Monate noch welche offenen Beträge geltend gemacht werden sollten. In der Sache seien die Berufungsangriffe der Beschwerdeführerin ebenso haltlos wie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie zeugten zudem von einem grundsätzlichen Fehlverständnis von Vortragsobliegenheiten und gerichtlichen Aufklärungspflichten im Unterhaltsprozess. Anhaltspunkte für die sachliche Unrichtigkeit der vom Ehemann vorgelegten Gewinnermittlungen seien nicht ersichtlich. Es errechne sich bereits bei kursorischer Ermittlung eine Unterhaltsforderung der Beschwerdeführerin, die deutlich niedriger sei als die vom Ehemann tatsächlich geleisteten Beträge.
Die Beschwerdeführerin wechselte sodann ihren Prozessbevollmächtigten und nahm die Berufung zurück. Der Ehemann erklärte den Rechtsstreit aufgrund der Berichtigung des amtsgerichtlichen Urteils für erledigt und beantragte, der Beschwerdeführerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die Beschwerdeführerin schloss sich der Erledigungserklärung des Ehemannes nicht an und berief sich darauf, das Rechtsmittel der Berufung des Ehemannes sei von vornherein unzulässig gewesen. Mit Beschluss vom 16. Oktober 2006 bewilligte das Oberlandesgericht dem Ehemann Prozesskostenhilfe für einen Antrag auf Feststellung der Erledigung seiner Berufung.
3. Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2006 lehnte die Beschwerdeführerin die erkennenden Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Senat habe ihr Prozesskostenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit versagt, wohingegen die Bedürftigkeit des Ehemannes, welcher über einen ähnlich wertvollen Grundstücksanteil verfügte, bejaht worden sei. Die fehlende Unparteilichkeit der Richter ergebe sich aus der ungewöhnlich emotionalen Art und Weise der Kritik an den Schriftsätzen der früheren Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin. Die Darlegung, dass der Vortrag der Beschwerdeführerin aus Sicht des Senats unsubstantiiert gewesen sei, hätte auch sachlich zum Ausdruck gebracht werden können. Offen zu Tage getreten sei die Befangenheit der Richter dadurch, dass diese ohne einen entsprechenden Antrag des Ehemannes diesem für einen Feststellungsantrag, den dieser noch gar nicht gestellt gehabt habe, in Abänderung der bereits rechtskräftig erfolgten Zurückweisung des Prozesskostenhilfeantrags nunmehr Prozesskostenhilfe für die Berufung bewilligt hätten.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 30. Oktober 2006 verwarf das Oberlandesgericht Düsseldorf den Befangenheitsantrag als unzulässig. Die Beschwerdeführerin habe ihr Ablehnungsgesuch mit der angeblich fehlerhaften Rechtsanwendung im Prozesskostenhilfeverfahren begründet. Die Richterablehnung sei kein geeignetes Mittel, sich gegen für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Gerichts zu wehren. Rechtsmissbräuchliche und nur der Verschleppung dienende Ablehnungsgesuche könne das Gericht in alter Besetzung als unzulässig verwerfen. Darüber hinaus treffe das Vorbringen der Beschwerdeführerin auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht nicht zu. Der Senat habe seine Auffassung zur Zumutbarkeit der Verwertung von Miteigentumsanteilen an einem Grundstück grundsätzlich geändert und deshalb dem Ehemann Prozesskostenhilfe bewilligt. Dies hätte er auch zu Gunsten der Beschwerdeführerin getan, allerdings habe deren Berufung keine hinreichende Erfolgsaussicht gehabt. Dem Ehemann sei auch nicht ohne erneuten Prozesskostenhilfeantrag in vorauseilender Fürsorge Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Der ursprüngliche Prozesskostenhilfeantrag sei nicht wegen fehlender Erfolgsaussicht, sondern wegen Mutwilligkeit zurückgewiesen worden. Dieser Gesichtspunkt sei entfallen, nachdem der Senat den Tenor des angefochtenen Urteils berichtigt hatte. Der Prozesskostenhilfe versagende Beschluss vom 26. April 2006 sei auch nicht in materielle Rechtskraft erwachsen. Der Senat habe die Erledigungserklärung des Ehemannes als Feststellungsantrag bezüglich seiner Berufung ausgelegt, nachdem die Beschwerdeführerin mitgeteilt habe, sich der Erledigung nicht anzuschließen. Einer Wiederholung des Prozesskostenhilfeantrags habe es bei dieser Sachlage nicht bedurft, da die Änderung der Sach- und Rechtslage auf einer Handlung des Senats beruht habe.
4. In der mündlichen Verhandlung über die Berufung des Ehemannes am 2. November 2006 stellte die Beschwerdeführerin einen erneuten Befangenheitsantrag, den sie in erster Linie mit der Verwerfung des ersten Befangenheitsantrags als unzulässig begründete. Der Senat entziehe der Beschwerdeführerin ihren gesetzlichen Richter nach § 45 Abs. 1 ZPO. Der Beschluss enthalte lediglich den allgemein anerkannten Obersatz, dass ein nur der Prozessverschleppung dienendes Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich sei. Ausführungen dazu, inwieweit das Ablehnungsgesuch eine Prozessverschleppung dargestellt habe, suche man vergebens. Das Ablehnungsgesuch hätte daher den zuständigen Richtern vorgelegt werden müssen. Da der Senat dies unterlassen habe, sei in erhöhtem Maße die Besorgnis der Befangenheit begründet. Wenn der Senat auf der einen Seite dem Ehemann nach rechtskräftiger Zurückweisung seines Prozesskostenhilfeantrags Prozesskostenhilfe von Amts wegen bewillige und auf der anderen Seite der Beschwerdeführerin ihren gesetzlichen Richter entziehe, so seien dies derart gravierende Verfahrensverstöße, dass diese Fehler nur noch mit richterlicher Voreingenommenheit erklärbar seien.
Mit dem angegriffenen Urteil vom 9. November 2006 verwarf das Oberlandesgericht Düsseldorf in wiederum gleicher Besetzung das zweite Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführerin als unzulässig. Gleichzeitig stellte das Gericht in der Sache fest, dass sich die Berufung des Ehemannes gegen das Urteil des Amtsgerichts Krefeld in der Hauptsache erledigt habe, und legte die Kosten des zweiten Rechtszuges der Beschwerdeführerin auf. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setze die Darlegung von Gründen voraus, die geeignet seien, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Ein Ablehnungsgesuch, das keine Begründung oder lediglich Ausführungen enthalte, die zur Begründung der Befangenheit ungeeignet seien, sei daher unzulässig und könne unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zusammen mit der Entscheidung zur Hauptsache verworfen werden. Dies gelte auch und insbesondere dann, wenn der Ablehnungsgrund aus früheren Entscheidungen des Richters hergeleitet werde, zu denen er gesetzlich verpflichtet sei und denen er sich deshalb nicht habe entziehen können. So liege der Fall hier. Die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfebewilligung für den Gegner seien auch im Richterablehnungsverfahren einer Überprüfung entzogen. Es handele sich um einen gänzlich ungeeigneten Ablehnungsgrund, weil die Richterablehnung kein geeignetes Mittel sei, sich gegen für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen zu wehren. Von der ihm deshalb eröffneten Möglichkeit, derart unzulässige Ablehnungsgesuche in alter Besetzung als unzulässig zu verwerfen, habe der Senat in seinem Beschluss vom 30. Oktober 2006 Gebrauch gemacht. Das neuerliche Ablehnungsgesuch vom 2. November 2006, das die Beschwerdeführerin damit begründet habe, dass der Senat selbst über das unzulässige Ablehnungsgesuch vom 25. Oktober 2006 entschieden habe, sei daher ebenfalls unzulässig. Die Feststellungsklage habe Erfolg. Der Ehemann habe seine Berufung zu Recht für erledigt erklärt. Seine Berufung sei zulässig und begründet gewesen. Erst durch den Berichtigungsbeschluss des Senats vom 17. August 2006 sei die Rechtsmittelbeschwer des Ehemannes entfallen und seine Berufung unzulässig geworden.
5. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
6. Der Ehemann der Beschwerdeführerin und Gegner des Ausgangsverfahrens und das Land Nordrhein-Westfalen hatten Gelegenheit zur Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde und zum Gegenstandswert. Der Gegner des Ausgangsverfahrens verteidigt die angegriffenen Entscheidungen. Die Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin beantragen die Festsetzung des Gegenstandswerts und regen an, hierfür den Gegenstandswert des Berufungsverfahrens von 4.904,40 € zu übernehmen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin geboten ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
1. Die angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte (vgl. BVerfGE 17, 294 ≪299≫; 48, 246 ≪254≫; 82, 286 ≪296≫; 95, 322 ≪327≫). Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 95, 322 ≪327≫).
Deshalb verpflichtet Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG den Gesetzgeber dazu, eine klare und abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung zu schaffen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist. Jede sachwidrige Einflussnahme auf die rechtsprechende Tätigkeit von innen und von außen soll dadurch verhindert werden. Die Gerichte sind bei der ihnen obliegenden Anwendung der vom Gesetzgeber geschaffenen Zuständigkeitsordnung verpflichtet, dem Gewährleistungsgehalt und der Schutzwirkung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung zu tragen.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darüber hinaus auch einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 10, 200 ≪213 f.≫; 21, 139 ≪145 f.≫; 30, 149 ≪153≫; 40, 268 ≪271≫; 82, 286 ≪298≫; 89, 28 ≪36≫).
Der Gesetzgeber hat deshalb in materieller Hinsicht Vorsorge dafür zu treffen, dass die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen gegenüberstehen. Die materiellen Anforderungen der Verfassungsgarantie verpflichten den Gesetzgeber dazu, Regelungen vorzusehen, die es ermöglichen, einen Richter, der im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amts auszuschließen (BVerfGK 5, 269 ≪279 f.≫).
Die Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern dienen dem durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Ziel, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern. Für den Zivilprozess enthalten die §§ 44 ff. ZPO Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ablehnungsgesuchs und bestimmen, dass das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters berufen ist. Durch die Zuständigkeitsregelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste. In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass abweichend von diesem Grundsatz und vom Wortlaut des § 45 Abs. 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet. Hierzu zählen die Ablehnung eines ganzen Gerichts als solchen, das offenbar grundlose, nur der Verschleppung dienende und damit rechtsmissbräuchliche Gesuch und die Ablehnung als taktisches Mittel für verfahrensfremde Zwecke (vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 45 Rn. 4).
Ähnlich wie der Gesetzgeber im Strafprozessrecht, in welchem § 26a StPO ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren für unzulässige Ablehnungsgesuche unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zur Verfügung stellt, während das Regelverfahren des § 27 StPO die Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters garantiert, trägt die zivilgerichtliche Rechtsprechung mit der differenzierenden Zuständigkeitsregelung in den Fällen der Richterablehnung einerseits dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung: Ein Richter, dessen Unparteilichkeit mit jedenfalls nicht von vorneherein untauglicher Begründung in Zweifel gezogen worden ist, kann und soll nicht an der Entscheidung gegen das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch mitwirken, das sein eigenes richterliches Verhalten und die – ohnehin nicht einfach zu beantwortende – Frage zum Gegenstand hat, ob das beanstandete Verhalten für eine verständige Partei Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Andererseits soll aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens der abgelehnte Richter in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der weiteren Mitwirkung nicht gehindert sein und ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden (vgl. BVerfGK 5, 269 ≪280 f.≫).
Für das Strafprozessrecht hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt gerate, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetze und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache sei (vgl. BVerfGK 5, 269 ≪281 f.≫). Es hat indes klargestellt, dass ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern solle, was eine enge Auslegung der Voraussetzungen gebiete (BVerfGK 5, 269 ≪282≫). Völlige Ungeeignetheit sei anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich sei. Sei hingegen ein – wenn auch nur geringfügiges – Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheide eine Ablehnung als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Ablehnung sei dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus dürfe sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen. Überschreite das Gericht bei der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs die ihm gezogenen Grenzen, könne dies seinerseits die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. BVerfGK 5, 269 ≪283≫).
Für den Zivilprozess sind diese Grundsätze entsprechend heranzuziehen. Da die Voraussetzungen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über den ihn betreffenden Befangenheitsantrag verfassungsrechtlich durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorgegeben sind, ist für eine abweichende Beurteilung im Zivilprozessrecht kein Raum.
Eine “Entziehung” des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß angesehen werden (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 ≪49≫; 82, 159 ≪197≫; 87, 282 ≪286≫) beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (BVerfGK 5, 269 ≪280≫).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Oberlandesgericht in beiden angefochtenen Entscheidungen die ihm von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen überschritten.
aa) Im Beschluss vom 30. Oktober 2006 geht das Gericht davon aus, dass die Beschwerdeführerin ihr Ablehnungsgesuch auf eine für fehlerhaft gehaltene Rechtsauffassung stütze. Die Richterablehnung sei kein Mittel, um sich gegen für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen zu wehren. Ein Befangenheitsgesuch sei unzulässig, wenn es rechtsmissbräuchlich sei oder der Prozessverschleppung diene. Darauf folgen inhaltliche Ausführungen zu den vom Oberlandesgericht getroffenen Sachentscheidungen.
Diese Ausführungen werden der Begründung des Befangenheitsgesuchs ersichtlich nicht gerecht. Auch wenn im Befangenheitsantrag unter anderem eine unrichtige Sachbehandlung gerügt worden ist, folgt hieraus noch nicht die Unzulässigkeit des Antrags. Im Widerspruch zur Annahme einer offensichtlichen Unzulässigkeit steht schon, dass das Gericht zur Begründung der Entscheidung über den Befangenheitsantrag ausführlich auf inhaltliche Erwägungen zurückgreifen musste und dies auch getan hat. Hinzu kommt, dass das Gericht keine Begründung für die Absicht einer Prozessverschleppung oder eines sonstigen Rechtsmissbrauchs angeben konnte. Auf den – nicht völlig fernliegenden – Vorwurf der ungewöhnlich emotionalen Art und Weise der Kritik im Beschluss des Gerichts vom 17. August 2006 ist das Gericht bei der Verwerfung des Befangenheitsantrags mit keinem Wort eingegangen. Nachdem der Senat im Beschluss vom 17. August 2006 über vier Seiten hinweg mit harschen Worten das Prozessverhalten der Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin kritisiert hatte, kann er schwerlich übersehen haben, dass das Befangenheitsgesuch auch auf diese Kritik und deren ungewöhnliche Diktion gestützt war und sich somit nicht in einer Kritik an einer für unrichtig gehaltenen Sachentscheidung erschöpfte. Vor diesem Hintergrund ist seine Unterstellung des Rechtsmissbrauchs fernliegend. Die Annahme einer Kompetenz zur Verwerfung des Antrags durch die abgelehnten Richter stellt sich daher als grobe Verkennung des Rechts auf den gesetzlichen Richter dar.
bb) Auch die Verwerfung des zweiten Befangenheitsgesuchs im Urteil vom 9. November 2006 verstößt gegen das Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Bei der Prüfung, ob ein Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen werden kann, ist das Gericht in besonderem Maße verpflichtet, das Ablehnungsgesuch seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen, da das Gericht andernfalls leicht dem Vorwurf ausgesetzt sein kann, tatsächlich im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten, und sich zu Unrecht zum Richter in eigener Sache zu machen. Überschreitet das Gericht bei dieser Prüfung die ihm gezogenen Grenzen, so kann dies seinerseits die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. BVerfGK 5, 269 ≪283≫).
Obwohl der Vorwurf der Selbstentscheidung durch Beschluss vom 30. Oktober 2006 Gegenstand des zweiten Befangenheitsantrags war, hat das Gericht auch in der Entscheidung vom 9. November 2006 wiederum in eigener Sache entschieden, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorgelegen hätten. Dem Vorwurf der unzulässigen, gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter verstoßenden Verwerfung des ersten Gesuchs als unzulässig im Wege der Selbstentscheidung begegnete das Gericht mit der Begründung, es sei zur Verwerfung berechtigt gewesen, weil es der Beschwerdeführerin nur um die Überprüfung einer unanfechtbaren Sachentscheidung gegangen sei. Damit setzt das Gericht die Verkürzung des Vorbringens auf den Aspekt der Prozesskostenbewilligung fort und nimmt erneut nicht zur Kenntnis, dass die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf mehrere Umstände – darunter auch, aber nicht nur die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Gegner – gestützt hatte, aus denen sich aus ihrer Sicht die Voreingenommenheit der Richter ergeben hatte. Der Verfassungsverstoß setzt sich damit im Urteil vom 9. November 2006 fort.
2. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Der Beschluss vom 30. Oktober 2006 und das Urteil vom 9. November 2006 werden aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG). Die Schutzwirkung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet es dabei, das Urteil vom 9. November 2006 nicht nur hinsichtlich der Verwerfung des Befangenheitsantrags, sondern auch hinsichtlich der getroffenen Sachentscheidungen über die Erledigung der Berufung und der Kosten und damit insgesamt aufzuheben. Zu dem Zeitpunkt, als die Berufung zurückgewiesen wurde, war das Gericht nicht gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, da es nicht befugt war, den Befangenheitsantrag zu verwerfen, welcher von anderen Richtern vor Erlass einer Sachentscheidung hätte beschieden werden müssen. Daher stellt die Entscheidung in der Sache durch die abgelehnten Richter einen eigenständigen Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters dar, was eine Aufhebung der Sachentscheidung rechtfertigt. Andernfalls hätte es ein die Grenzen der Verwerfung eines Befangenheitsgesuchs verkennendes Gericht in der Hand, durch eine gleichzeitig mit der Verwerfung eines Befangenheitsantrags getroffene nicht anfechtbare Sachentscheidung vollendete Tatsachen zu schaffen.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Verfassungsbeschwerde beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für die Verfassungsbeschwerde folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1784643 |
FamRZ 2007, 1953 |
NJW-RR 2008, 72 |