Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich gleichzeitig der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein Erbscheinsverfahren. In der Sache geht es um die Auslegung und die Verfassungsmäßigkeit des Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl I S. 1243; im Folgenden: Nichtehelichengesetz).
I.
1. Die am 28. Januar 1948 als nichteheliches Kind geborene Beschwerdeführerin beantragte nach dem Tode ihres Vaters im Juli 1998 beim Amtsgericht Neunkirchen/Saarland die Erteilung eines Teilerbscheins des Inhalts, dass sie gesetzliche Erbin zu mindestens 1/2 geworden sei. Eine letztwillige Verfügung war nicht vorhanden. Die Ermittlungen ergaben, dass der Erblasser gesetzliche Erben der dritten Ordnung hatte (§ 1926 BGB). Das Nachlassgericht wies den Erbscheinsantrag mit der Begründung zurück, die Beschwerdeführerin könne nach Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 Nichtehelichengesetz nicht Erbin sein. In der dagegen gerichteten Beschwerde und der weiteren Beschwerde rügte die Beschwerdeführerin die Verfassungswidrigkeit des Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 Nichtehelichengesetz.
2. Die Rechtsmittel blieben letztlich erfolglos. Das Landgericht Saarbrücken und das Oberlandesgericht Saarbrücken hielten den Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 Nichtehelichengesetz für vereinbar mit Art. 6 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG. Sie begründeten dies im Wesentlichen damit, dass das Vertrauen des Erblassers auf den Fortbestand der durch Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 Nichtehelichengesetz geschaffenen Rechtslage schutzwürdig sei. Kein Erblasser habe in der Zeit seit In-Kraft-Treten des Nichtehelichengesetzes am 1. Juli 1970 und seit dem Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Dezember 1976 (vgl. BVerfGE 44, 1) ernsthaft damit rechnen müssen, dass sich die erbrechtliche Lage in Bezug auf seine vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder noch einmal ändern werde; kein Erblasser habe folglich Anlass gehabt, sich über eine abweichende privatautonome Regelung Gedanken zu machen.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin unmittelbar gegen die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts und mittelbar gegen Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 Nichtehelichengesetz. Sie rügt unter anderem eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 6 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 Nichtehelichengesetz verstoße gegen Art. 6 Abs. 5 GG, weil Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB für alle nichtehelichen Kinder ein gesetzliches Erbrecht vorsehe, deren Vater am 3. Oktober 1990 seinen Wohnsitz im Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gehabt habe. Eine volle Gleichbehandlung der verschiedenen Fallgruppen der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder sei erforderlich, um die Rechtseinheit zwischen dem alten Bundesgebiet und den neuen Bundesländern herzustellen.
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sich die aufgeworfenen Fragen ohne weiteres aus dem Grundgesetz und der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung beantworten lassen (vgl. BVerfGE 44, 1 ≪20 f., 34 f.≫; BVerfG, FamRZ 1995, S. 411). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechte angezeigt, weil eine Verletzung solcher Rechte nicht erkennbar ist.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der in erster Linie an den Gesetzgeber gerichtete Auftrag aus Art. 6 Abs. 5 GG auch von der Rechtsprechung bei der Anwendung des geltenden Rechts zu berücksichtigen. Die praktische Bedeutung der Bindung der Gerichte an Art. 6 Abs. 5 GG liegt darin, dass die in der Verfassungsnorm ausgeprägte Wertauffassung bei der den Gerichten anvertrauten Interessenabwägung und vor allem bei der Interpretation der einfachen Gesetze zu Grunde zu legen ist. Die Gerichte haben dabei einen weiten Spielraum (vgl. BVerfGE 8, 210 ≪217≫; 96, 56 ≪63, 65≫). Eine ungleiche Behandlung nichtehelicher Kinder, die sich als Benachteiligung gegenüber ehelichen Kindern auswirkt, bedarf stets einer überzeugenden Begründung. Abweichungen gegenüber dem Recht der ehelichen Kinder sind deshalb grundsätzlich nur in eingeschränktem Umfang zulässig, etwa wenn eine förmliche Gleichstellung in ebenso geschützte Rechtspositionen Dritter eingriffe (vgl. BVerfGE 74, 33 ≪39≫; 84, 168 ≪185≫; 85, 80 ≪88≫).
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seinem Beschluss vom 8. Dezember 1976 – 1 BvR 810/70, 1 BvR 57/73 und 1 BvR 147/76 – (vgl. BVerfGE 44, 1) dem Gesetzgeber bei den Übergangs- und Stichtagsregelungen des Nichtehelichengesetzes einen Spielraum eingeräumt, der vom Bundesverfassungsgericht lediglich darauf überprüft werden kann, ob der Gesetzgeber ihn in sachgerechter Weise genutzt hat (vgl. BVerfGE 44, 1 ≪20 f.≫). Unter anderem sah das Bundesverfassungsgericht einen sachlichen Grund für die Benachteiligung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder darin, dass das Vertrauen auf die Weitergeltung des alten Rechtszustandes aus der Sicht des nichtehelichen Vaters und seiner Familie umso eher verständlich erschien, je älter die nichtehelichen Kinder und demgemäß die Väter und andere präsumtive Erblasser aus der väterlichen Familie waren (vgl. BVerfGE 44, 1 ≪34 f.≫).
2. a) Die beiden angegriffenen Entscheidungen gingen zutreffend davon aus, dass Art. 6 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG durch Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 Nichtehelichengesetz beeinträchtigt wird. Sie haben sodann in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die einzelnen in der Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Dezember 1976 für die Ungleichbehandlung genannten Rechtfertigungsgründe erörtert und dabei geprüft, ob zwischenzeitlich eine tatsächliche oder rechtliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, die eine neue verfassungsrechtliche Bewertung der Regelung rechtfertigen würde. Eine solche Rechtfertigung wurde in dem Vertrauen des Erblassers auf die Fortgeltung des bisherigen Rechtszustandes gesehen.
Diese Schlussfolgerung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Aspekt des Vertrauensschutzes des Erblassers hat im Anschluss an den Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Dezember 1976 noch an Bedeutung gewonnen, da auf Grund dieser Entscheidung die Erblasser davon ausgehen konnten, dass die verfassungsrechtliche Rechtslage im Hinblick auf die erbrechtliche Stellung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder für die Zukunft geklärt ist.
b) Ohne gegen die Grundrechte der Beschwerdeführerin aus Art. 6 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen, konnten die Gerichte auch davon ausgehen, dass die durch Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB geschaffene unterschiedliche erbrechtliche Stellung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder (vgl. hierzu: Leipold, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl., 1999, Art. 235 § 1 EGBGB Rn. 48-60a; Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl., 2003, Art. 235 § 1 EGBGB Rn. 1-4) von Verfassungs wegen nicht dazu führen muss, dass nunmehr auch die von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 Nichtehelichengesetz erfassten nichtehelichen Kinder ein gesetzliches Erbrecht nach ihrem Vater haben müssen. Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 Nichtehelichengesetz hat seine sachliche Berechtigung nicht dadurch verloren, dass diejenigen nichtehelichen Abkömmlinge, für die das Erbrecht der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gegolten hätte, aus Gründen des Bestandsschutzes auch nach der Wiedervereinigung erbrechtlich wie eheliche Abkömmlinge behandelt werden. Die Vertragspartner des Einigungsvertrages hatten für eine andere Rechtssituation eine Übergangsregelung zu treffen als der Gesetzgeber des Nichtehelichengesetzes im Jahre 1969 (vgl. BVerfG, FamRZ 1995, S. 411 ≪412≫). Dieser Unterschied in der vom Gesetzgeber jeweils vorgefundenen Ausgangslage war so wesentlich, dass er insbesondere mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit und den Vertrauensschutz eine von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 Nichtehelichengesetz abweichende Regelung rechtfertigte. Die mit Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB bezweckte Vermeidung von beitrittsbedingten Nachteilen ist nach wie vor ein hinreichender Grund für die unterschiedliche Behandlung der beiden Gruppen nichtehelicher Abkömmlinge.
III.
Damit war gleichzeitig der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückzuweisen.
Mit dieser Entscheidung erledigt sich auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 16, 211 ≪213≫).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
pier, Steiner, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1082724 |
FamRZ 2004, 433 |
ZEV 2004, 114 |
DNotZ 2004, 471 |
FPR 2004, 140 |