Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 12.02.2009; Aktenzeichen 4 Ws 46/09) |
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. Februar 2009 – 4 Ws 46/09 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.
Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Hamm zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung einer Beschwerde gegen die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
I.
Der 75jährige Beschwerdeführer ist seit dem 8. Februar 1994 gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.
Die Unterbringung war bereits 1984 angeordnet worden, weil der Beschwerdeführer aufgrund einer paranoiden Schizophrenie mit Wahnvorstellungen eine gefährliche Körperverletzung begangen hatte. Die Maßregel wurde 1986 zur Bewährung ausgesetzt, jedoch wenig später widerrufen. 1990 wurde die Maßregel erneut zur Bewährung ausgesetzt. 1992 wurde der Beschwerdeführer wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Geldstrafe verurteilt. Eine 1993 wegen Diebstahls und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung wurde 1996 erlassen. 1993 wurde der Beschwerdeführer wegen Diebstahls in drei Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt. Wegen dieser Taten wurde die Aussetzung der Maßregel zur Bewährung widerrufen, die daraufhin vom 8. Februar 1994 bis Ende Januar 1999 vollstreckt wurde.
Mit Urteil vom 9. Februar 1995 wurde erneut die Unterbringung des Beschwerdeführers im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Anlasstaten waren insbesondere eine gefährliche und eine versuchte gefährliche Körperverletzung sowie der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (fünf Tatkomplexe im Zeitraum August 1992 bis Juli 1993). Der Gutachter hatte dem Beschwerdeführer eine paranoide Persönlichkeitsstörung mit Übergängen zur psychogenen Wahnbildung im Sinne eines Verfolgungswahns attestiert. Das Bundeszentralregister wies zu diesem Zeitpunkt bereits 38 Eintragungen aus (im Wesentlichen gefährliche und einfache Körperverletzungen, Diebstahl, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte). Die 1995 angeordnete Unterbringung wird im unmittelbaren Anschluss an die vorangegangene Unterbringung seit Februar 1999 vollstreckt.
Im Jahre 2000 entwich der Beschwerdeführer und konnte etwa einen Monat später nach einem Ladendiebstahl gefasst werden. 2005 floh er ein weiteres Mal für zwei Wochen, wobei er nicht auffällig wurde.
Gegen eine Fortdauerentscheidung im Jahre 2005 legte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde ein, die mit Kammerbeschluss vom 25. November 2005 nicht zur Entscheidung angenommen wurde (2 BvR 1142/05).
Eine anstaltsfremde Sachverständige diagnostizierte beim Beschwerdeführer am 5. Mai 2006 eine wahnhafte Störung auf dem Boden einer paranoiden Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen. Es könne nicht erwartet werden, dass er außerhalb des Maßregelvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde, wobei es sich um mögliche Diebstahlsdelikte handele, aber auch Körperverletzungsdelikte im Rahmen spezifischer Konfliktsituationen mit einer situativen Zuspitzung nicht auszuschließen seien. Aus humanitären Gründen solle dem Beschwerdeführer allerdings eine Entlassung auf mittelfristige Sicht ermöglicht werden. Er sei kein ausgesprochener Risikopatient. Denkbar seien eine durch Betreuung gesicherte Medikation und eine Verlegung in ein intensiv betreutes Heim oder eine allgemein-psychiatrische Klinik.
In einer Stellungnahme vom 31. Oktober 2008 geht die Anstalt davon aus, dass der Beschwerdeführer weiterhin an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und dissozialen Zügen leide. Da es häufig zu Konflikten mit Mitpatienten gekommen sei, sei er im Juni 2008 auf eine andere Station verlegt worden. Die Erwartungen der Anstalt hätten sich mit der Verlegung in vollem Umfang erfüllt. Auf der neuen Station sei der Beschwerdeführer gut integriert. Die Behandlungsprognose sei eher ungünstig, wenn es darum gehe, ihn auf ein Leben außerhalb jeglicher beschützender Rahmenbedingungen vorzubereiten. Auch die Sozialprognose sei ungünstig. Der Auffassung der externen Sachverständigen, der Beschwerdeführer könne in einer allgemein-psychiatrischen Klinik oder in einem Heim leben, stehe entgegen, dass er den Wunsch nach einem selbständigen Leben in der Familie hege. Seine geschiedene Ehefrau habe aber jeden Kontakt zu ihm abgebrochen. Die vollkommen fehlende Krankheitseinsicht sei ein negativer prognostischer Faktor. Wegen mangelnder Konfliktfähigkeit und der handlungssteuernden Wirkung des Wahns sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Entlassung den Anlasstaten vergleichbare Straftaten begehen werde. Der Zweck der Maßregel sei nicht erreicht und es gebe keine Hinweise darauf, dass er in absehbarer Zeit erreicht werden könne.
Die Strafvollstreckungskammer ordnete nach Anhörung des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 5. Dezember 2008 die Fortdauer der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus an. Bei dem von der Anstalt dargelegten Behandlungsstand könne noch nicht erwartet werden, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten begehen werde. Die Legalprognose sei im Grundsatz unverändert. Zwar habe sich die alltägliche Situation durch die Stationsverlegung entspannt. Die weiterhin unbehandelte paranoide Persönlichkeitsstörung mache den Beschwerdeführer für seine Umwelt aber weiterhin gefährlich. Die Fortdauer der Unterbringung sei aus den Gründen eines Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 2. Januar 2007 auch weiterhin nicht unverhältnismäßig. In diesem Beschluss wurde auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. November 2005 (2 BvR 1142/05) verwiesen, dessen Gründe unverändert gälten.
Der Beschwerdeführer erhob sofortige Beschwerde. Die weitere Unterbringung sei unverhältnismäßig. Die Anlasstaten seien zwar keine Bagatelldelikte, aber auch nicht der schweren Kriminalität zuzuordnen. Er sei über 74 Jahre alt und seit mehr als 15 Jahren im Maßregelvollzug. Er sei nicht gefährlich, sondern lediglich wenig konfliktfähig.
Das Oberlandesgericht verwarf die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 12. Februar 2009 unter Verweis auf die Gründe des Beschlusses des Landgerichts. Ergänzend führte es aus: Die vom Beschwerdeführer nach wie vor ausgehende Gefährlichkeit, die durch die Art und Anzahl der Anlasstaten belegt werde, rechtfertige die Fortdauer der Unterbringung. Zur Frage der Verhältnismäßigkeit werde auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. November 2005 (2 BvR 1142/05) verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG durch den Beschluss des Oberlandesgerichts.
Die Fortdauer der Unterbringung sei unverhältnismäßig. Der Maßregel lägen nur geringfügige Anlasstaten zugrunde. Er sei seit 15 Jahren untergebracht. Sein Freiheitsanspruch überwiege nunmehr das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit. Er habe mit 74 Jahren ein Alter erreicht, in dem keine Gefahr mehr von ihm ausgehe. Während seiner Entweichung im Jahre 2005 sei er unter schwierigen Bedingungen weder straffällig noch verhaltensauffällig geworden. Zwar bestehe die Diagnose unverändert fort. Die Gerichte hätten sich aber nicht mit dem Fortbestehen auch einer konkreten Gefahr befasst. Die anstaltsfremde Sachverständige habe darauf verwiesen, dass er kein ausgesprochener Risikopatient sei. In einer Stellungnahme der Anstalt vom 20. Juli 2006 sei ausgeführt worden, dass zu prüfen sei, ob aus Verhältnismäßigkeitsgründen auf eine Entlassung hingewirkt werden könne. Die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer könne nicht mehr auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. November 2005 gestützt werden, weil seither drei Jahre vergangen seien.
III.
Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Strafverfahrens und das Vollstreckungsheft vorgelegen.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Zu dieser Entscheidung ist sie berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93b Satz 1 i.V.m. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Er genügt nicht den aus dem zunehmenden Gewicht des Freiheitsanspruchs bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung folgenden Begründungsanforderungen.
Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG). Bei der Entscheidung darüber, ob die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung auszusetzen ist (§ 67d Abs. 2 StGB), ist insbesondere die Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung zu prüfen. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch von Verfassungs wegen geboten; sie muss bestimmten Mindesterfordernissen genügen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪311≫).
aa) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. Er beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das sich daraus ergebende Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Hält das Gericht ein Risiko bei einem nach § 63 StGB Untergebrachten für gegeben, hat es die mögliche Gefährdung der Allgemeinheit zur Dauer des erlittenen Freiheitsentzuges in Beziehung zu setzen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪311 f.≫).
bb) Der Gesetzgeber hat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Maßregeln der Besserung und Sicherung in § 62 StGB auch gesetzlich festgelegt: Eine solche Maßregel darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zum Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Damit hat er von Verfassungs wegen geltendes Recht nochmals im sachlichen Kodifikationszusammenhang hervorgehoben, um dem Grundsatz besonderen Nachdruck zu verleihen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪312≫).
cc) Überdies ist das Verhältnismäßigkeitserfordernis in den Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus konkretisiert. Diese erfordern einen Zustand des Täters, der in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten erwarten lässt. Hierzu zählen nicht lediglich Fälle der schweren Kriminalität; ausgeschieden werden allerdings geringfügige Taten (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪312 f.≫; BVerfGK 2, 55 ≪59≫). Der Gesetzgeber wollte mit der Vorschrift des § 62 StGB nicht nur die Geltung des Gesichtspunktes der Verhältnismäßigkeit für die Anordnung der Maßregeln betonen, sondern auch seine besondere Bedeutung für die notwendigen Folgeentscheidungen verdeutlichen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪312≫).
dd) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in die Prüfung der Aussetzungsreife der Maßregel nach § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (integrative Betrachtung). Die Beurteilung hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren; der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bei allem ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist vor allem aber auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪314 f.≫).
ee) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nur solange zu vollstrecken, wie der Zweck dieser Maßregel es unabweisbar erfordert und zu seiner Erreichung den Untergebrachten weniger belastende Maßnahmen – im Rahmen der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung (vgl. § 67d Abs. 2, § 68a, § 68b StGB) – nicht genügen. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges. Der im Einzelfall unter Umständen nachhaltige Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs wird jedoch dort an Grenzen stoßen, wo es im Blick auf die Art der von dem Untergebrachten drohenden Taten, deren Bedeutung und deren Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den Untergebrachten in die Freiheit zu entlassen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪315≫).
ff) Das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung wirkt sich bei langdauernden Unterbringungen auch auf die an die Begründung einer Entscheidung nach § 67d Abs. 2 StGB zu stellenden Anforderungen aus. In diesen Fällen engt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsrichters ein; mit dem stärker werdenden Freiheitseingriff wächst die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Dies erfordert angesichts der besonderen Wertungsabhängigkeit der Entscheidung, ob die Erprobung des Untergebrachten in Freiheit verantwortet werden kann, dass der Richter seine Entscheidung eingehend begründet, sich also nicht mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfachrechtlichen Maßstäbe substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag. Zu verlangen ist mithin vor allem die Konkretisierung der Art und der Wahrscheinlichkeit der drohenden weiteren rechtswidrigen Taten (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪315 f.≫).
Genügen die Gründe einer Entscheidung über die Fortdauer einer bereits außergewöhnlich lange währenden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63, § 67d Abs. 2 StGB) diesen Maßstäben nicht, so führt das dazu, dass die Freiheit der Person des Untergebrachten auf solcher Grundlage nicht rechtmäßig eingeschränkt werden kann; sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist verletzt, weil es an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Grundlage für die Unterbringung fehlt (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪316 f.≫).
Gemessen hieran verstößt der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 12. Februar 2009 gegen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Er genügt nicht den aus dem zunehmenden Gewicht des Freiheitsanspruchs hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung folgenden Begründungsanforderungen.
Aufgrund der im Entscheidungszeitpunkt bereits mehr als 15 Jahre andauernden Unterbringung sind an die Begründung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung erhöhte Anforderungen zu stellen.
Weder das Oberlandesgericht noch die Strafvollstreckungskammer haben indes Ausführungen zu den insoweit maßgeblichen Umständen gemacht, welche Art erheblicher rechtswidriger Taten vom Beschwerdeführer drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Der vom Oberlandesgericht in Bezug genommene Beschluss der Strafvollstreckungskammer erschöpft sich in der pauschalen Feststellung, „bei dem dargelegten Behandlungsstand” – damit wird auf die Stellungnahme der Anstalt vom 31. Oktober 2008 verwiesen – könne noch nicht erwartet werden, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde.
Das Oberlandesgericht verweist für die Frage der Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung schlicht auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. November 2005 (2 BvR 1142/05). Diese formelhafte Bezugnahme vermag die Einschränkung des Freiheitsrechts des Beschwerdeführers nicht zu tragen. Denn der genannte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich auf die Feststellung, dass die seinerzeitige Dauer der Maßregelvollstreckung nicht außer Verhältnis zu dem Strafrahmen der vom Beschwerdeführer drohenden Delikte stehe. Schon einfachgesetzlich ist nach § 67d Abs. 2, § 67e StGB jährlich eine erneute Gesamtwürdigung aller bisherigen und geänderten Umstände vorzunehmen.
Zwischen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und der Entscheidung des Oberlandesgerichts liegen mehr als drei Jahre. Die in der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigenden Umstände haben sich in dieser Zeit geändert. Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts 75 Jahre alt. Da es sich bei den Anlasstaten insbesondere um eine vollendete und eine versuchte gefährliche Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte handelte, hätte sich das Oberlandesgericht mit der Frage befassen müssen, ob die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht inzwischen schon aus Altersgründen in einem solchen Ausmaß reduziert ist, dass körperliche Angriffe im Sinne der Anlasstaten von ihm nicht mehr zu erwarten sind. Dies gilt umso mehr, als die Anlasstaten im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts bereits 16 Jahre zurücklagen und der Beschwerdeführer sich seit mehr als 15 Jahren im Maßregelvollzug befindet. Während der Entweichungen in den Jahren 2000 und 2005 hatte er keine Taten im Sinne der Anlasstaten begangen. Die Stellungnahme der Anstalt vom 31. Oktober 2008, auf die die Strafvollstreckungskammer und, auf deren Entscheidung Bezug nehmend, das Oberlandesgericht die Fortdauerentscheidung hauptsächlich gestützt haben, erwähnt keine physischen Auffälligkeiten des Beschwerdeführers. Vielmehr wird darin festgestellt, dass es seit der Verlegung auf eine andere Station im Juni 2008 nicht einmal mehr – wie früher – zu Konflikten mit Mitpatienten gekommen ist.
In Anbetracht dieser Umstände hätte das Oberlandesgericht begründen müssen, dass und welche erheblichen rechtswidrigen Taten vom Beschwerdeführer im Falle einer Entlassung zu erwarten sind und wie hoch der Grad der Wahrscheinlichkeit solcher Taten ist. Erst dann ist eine Abwägung der Sicherungsbelange der Allgemeinheit und des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers überhaupt möglich.
Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Voßkuhle, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
Fundstellen