Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbfolge in einem Fürstenhaus
Beteiligte
1. Rechtsanwälte Dr. Klaus Zimmermann und Partner |
2. Professor Dr. Dieter Umbach, Universität Potsdam |
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein Erbscheinsverfahren, das die Erbfolge in einem Fürstenhaus zum Gegenstand hat. Der 1939 verstorbene Erblasser, der 5. Fürst, hatte in einem 1925 geschlossenen Erbvertrag in Form der mehrfach hintereinander geschalteten Vor- und Nacherbschaft zu Erben des so genannten Stammgutes des Hauses, das insbesondere umfangreiche Ländereien umfasst, seine männlichen Abkömmlinge nach dem Recht der Erstgeburt und der Linearerbfolge eingesetzt. In den Erbvertrag einbezogen waren die Bestimmungen eines von dem 4. Fürsten im Jahre 1897 erlassenen Hausgesetzes. Hierin ist unter anderem geregelt, dass sich die Familienmitglieder nur mit Einwilligung des jeweiligen Fürsten vermählen können und die Eingehung einer nicht konsentierten Ehe den Verlust des Sukzessionsrechts zur Folge hat. Eine von dem Fürsten verweigerte Einwilligung kann nach dem Hausgesetz durch ein Schiedsgericht ersetzt werden.
Der Beschwerdeführer ist der älteste Sohn des am 30. Oktober 1991 verstorbenen 7. Fürsten, der nach dem Tod des zunächst zum Vorerben berufenen 6. Fürsten weiterer Vorerbe des 5. Fürsten geworden war. Am 24. Mai 1991 schloss der Beschwerdeführer, dessen erste Ehefrau 1989 tödlich verunglückt war, eine zweite Ehe mit Frau Dr. T. Der 7. Fürst stimmte dieser Eheschließung nach ergebnislosen Verhandlungen mit dem Beschwerdeführer nicht zu.
2. Im Ausgangsverfahren beantragte der Beschwerdeführer einen Erbschein, der ihn – nach Eintritt des mit dem Tod seines Vaters erfolgten letzten Nacherbfalls – als Alleinerben des 5. Fürsten ausweisen sollte. Dieser Antrag hatte letztlich keinen Erfolg. Das Landgericht kündigte vielmehr in dem – von dem Bayerischen Obersten Landesgericht mit verfahrensbeendendem Beschluss vom 4. August 1999 bestätigten – Beschluss vom 17. September 1997 einen Erbschein zugunsten des jüngeren Bruders des Beschwerdeführers an. Zur Begründung führten die Gerichte aus, der Beschwerdeführer habe seine Stellung als Nacherbe des 5. Fürsten aufgrund der von dem 7. Fürsten nicht konsentierten Eheschließung verloren. Die in den Erbvertrag von 1925 inkorporierte Heiratsklausel des Hausgesetzes sei wirksam, sie sei insbesondere nicht gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig. Der 7. Fürst habe bei der Nichterteilung seiner Zustimmung zu der Eheschließung weder gegen Treu und Glauben noch gegen die guten Sitten verstoßen. Die Grenzen, die die Wertordnung des Grundgesetzes im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB für rechtsgestaltendes Handeln im Bereich des Privatrechts ziehe, seien nicht überschritten.
3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Hierzu trägt er unter anderem vor, die Fachgerichte hätten grundlegend verkannt, in welchem Umfang die Grundrechte das Privatrecht beeinflussten. Die Berufung auf die Heiratsklausel führe zu einem im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG unerträglichen Ergebnis. Der 7. Fürst habe mittelbar in die grundrechtlich geschützte Eheschließungsfreiheit des Beschwerdeführers eingegriffen. Die Ablehnung der beabsichtigten Eheschließung mit einer bürgerlichen Braut stelle eine mit der freiheitlich republikanischen Grundrechts- und Wertordnung des Grundgesetzes nicht vereinbare Behandlung dar. Der Beschwerdeführer sei seit frühester Kindheit darauf vorbereitet worden, als 8. Fürst in die Hausspitze nachzurücken. Man könne von einem „Lebens- und Tätigkeitsbild Erbprinz” sprechen, dem der Beschwerdeführer seine Ausbildungs- und Vermögensplanung untergeordnet habe. Ihm habe eine von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Anwartschaft auf das „erdiente Erbe” zugestanden. Die fachgerichtliche Bestätigung der Verweigerung des Ehekonsenses durch den 7. Fürsten stelle daher auch einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die Eigentumsfreiheit des Beschwerdeführers dar.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt, denn sie ist ohne hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verkörpert sich in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und der vor allem auch bei der Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln maßgebliche Bedeutung zukommt. Indem § 138 und § 242 BGB ganz allgemein auf die guten Sitten, die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben verweisen, verlangen sie von den Gerichten eine Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪206 f.≫; 89, 214 ≪229≫).
Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Bundesverfassungsgericht die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts grundsätzlich nicht nachzuprüfen hat. Ihm obliegt es lediglich, die Beachtung der grundrechtlichen Normen und Maßstäbe durch die ordentlichen Gerichte sicherzustellen. Daher kann es einer zivilgerichtlichen Entscheidung nicht schon dann entgegentreten, wenn es selbst bei der Beurteilung widerstreitender Grundrechtspositionen die Akzente anders gesetzt und daher anders entschieden hätte (vgl. BVerfGE 89, 214 ≪230≫). Die Schwelle eines Verstoßes gegen objektives Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist vielmehr erst erreicht, wenn die Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 42, 143 ≪148 f.≫; stRspr).
2. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe halten die angegriffenen Entscheidungen einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat sich bei der Beurteilung der erbvertraglichen Heiratsklausel und der Nichtkonsentierung der zweiten Ehe des Beschwerdeführers durch den 7. Fürsten eingehend mit den Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB befasst. Es hat insbesondere die widerstreitenden grundrechtlich geschützten Positionen erkannt und gegeneinander abgewogen. Seine Lösung anhand des konkreten Sachverhalts liegt in den Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen.
a) Ausgangspunkt ist die Testierfreiheit des Erblassers als bestimmendes Element der von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Erbrechtsgarantie. Sie ist als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus eng mit der Garantie des Eigentums verknüpft und genießt wie diese als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit besonders ausgeprägten Schutz (vgl. BVerfGE 67, 329 ≪341≫; 91, 346 ≪358≫). Dem Erblasser ist hierdurch die Möglichkeit eingeräumt, die Erbfolge selbst durch Verfügung von Todes wegen weitgehend nach seinen persönlichen Wünschen und Vorstellungen zu regeln (vgl. BVerfGE 91, 346 ≪359≫; 99, 341 ≪350 f.≫). Insbesondere ist der Erblasser von Verfassungs wegen nicht zu einer Gleichbehandlung seiner Abkömmlinge gezwungen (vgl. BVerfGE 67, 329 ≪345≫). Zutreffend geht das Bayerische Oberste Landesgericht davon aus, dass die Testierfreiheit auch die Freiheit umfasst, die Vermögensnachfolge nicht an den allgemeinen gesellschaftlichen Überzeugungen oder den Anschauungen der Mehrheit ausrichten zu müssen.
b) Der durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Testierfreiheit des Erblassers steht das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 1 GG gegenüber. Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen (vgl. BVerfGE 31, 58 ≪67≫). Die in dem Erbvertrag vom 14. April 1925 enthaltene Heiratsklausel ist geeignet, die Eheschließungsfreiheit des als Nacherben eingesetzten Abkömmlings des Erblassers mittelbar zu beeinflussen. Zwar unterliegt die Verheiratung selbst ausdrücklich nicht der Zustimmung. Aber dadurch, dass an die Eingehung einer nicht konsentierten Ehe der vollständige Ausschluss von der Erbfolge geknüpft wird, sieht der Abkömmling sich dem erheblichen Druck ausgesetzt, eine solche Ehe nicht zu schließen.
Zu beachten ist allerdings, dass nach der einschlägigen Heiratsklausel der Verlust der Nacherbenstellung nicht an die Eheschließung mit einer nicht „ebenbürtigen” Partnerin oder sonstwie an Kriterien ständisch-sozialer Herkunft geknüpft ist, die Folge jedoch dann eintritt, wenn der Fürst als Oberhaupt des Hauses bzw. das nach dem Erbvertrag vorgesehene Schiedsgericht die Zustimmung zu einer konkreten Ehe versagen. Die maßgebliche Beeinträchtigung der Eheschließungsfreiheit liegt somit nicht bereits unmittelbar in dem Erbvertrag aus dem Jahre 1925, sondern realisiert sich erst in der konkreten Verweigerung der Zustimmung durch das Familienoberhaupt (bzw. das Schiedsgericht) zu einer bestimmten Ehe in Ausübung der durch den Erbvertrag in Verbindung mit dem Hausgesetz eingeräumten Befugnis.
c) Mit der Frage, ob die Entscheidung des 7. Fürsten, der Eheschließung des Beschwerdeführers mit Frau Dr. T. nicht zuzustimmen, die von der Wertordnung des Grundgesetzes im Rahmen der §§ 138, 242 BGB gezogenen Grenzen überschreitet, hat sich das Bayerische Oberste Landesgericht in dem Beschluss vom 4. August 1999 eingehend auseinander gesetzt.
In diesem Rahmen hat es zu Recht berücksichtigt, dass eine Entscheidung des 7. Fürsten im Sinne der Familientradition der Verwirklichung des in dem Erbvertrag niedergelegten Willens des Erblassers, des 5. Fürsten, diente und damit Ausfluss der von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Testierfreiheit ist. Es hat die Auswirkungen der Entscheidung auf die unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehende Eheschließungsfreiheit des Beschwerdeführers und die sich daraus ergebende mögliche Begrenzung der Testierfreiheit nicht verkannt, sondern die kollidierenden Grundrechtspositionen im Wege einer umfassenden Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls gegeneinander abgewogen.
Entscheidende Bedeutung hat das Bayerische Oberste Landesgericht dabei dem Umstand beigemessen, dass dem Beschwerdeführer die Stellung als Nacherbe trotz der Eheschließung mit Frau Dr. T. erhalten geblieben wäre, wenn er mit den von dem 7. Fürsten gestellten, ausschließlich auf den Zusammenhalt des Familienvermögens und nicht etwa auf die Herkunft der Ehefrau bezogenen Bedingungen, insbesondere einer Verwaltungsvereinbarung, die auch dem Beschwerdeführer vorab übertragene Teile des Familienvermögens betreffen sollte, einverstanden gewesen wäre. Dass das Gericht aus den von ihm im Einzelnen dargelegten Gründen diese Bedingungen als für den Beschwerdeführer zumutbar erachtet hat, ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ebenso wenig zu beanstanden wie die Feststellung, der Beschwerdeführer habe damit eine Lösungsmöglichkeit abgelehnt, die einerseits die Beeinträchtigung seiner grundrechtlich geschützten Positionen erheblich vermindert und andererseits zu einem der Wahrung der Familientradition und damit dem Willen des Erblassers gerecht werdenden Ergebnis geführt hätte. Das von dem Bayerischen Obersten Landesgericht vor diesem Hintergrund gefundene Ergebnis, der 7. Fürst habe bei der Ausübung seiner Befugnis weder gegen Treu und Glauben noch gegen die guten Sitten verstoßen, lässt eine grundsätzlich unrichtige Auffassung von der Bedeutung der Grundrechte nicht erkennen.
d) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers verletzen ihn die angegriffenen Entscheidungen auch nicht in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG.
Auf die Erbrechtsgarantie kann sich der Beschwerdeführer nicht berufen. Dem Recht des Erblassers zu vererben entspricht zwar das Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben, so dass auch der begünstigte Erbe, jedenfalls vom Eintritt des Erbfalls an, den Schutz des Grundrechts genießt (vgl. BVerfGE 91, 346 ≪360≫; 99, 341 ≪349≫). Dadurch, dass die Fachgerichte im vorliegenden Fall die streitgegenständliche Heiratsklausel als wirksam angesehen haben, haben sie jedoch nicht in eine bereits vorhandene erbrechtliche Position des Beschwerdeführers eingegriffen. Denn seine durch den Erbvertrag erfolgte Erbeinsetzung stand nach dem Inhalt des Vertrages von Anfang an unter einer auflösenden Bedingung, die sich vor Eintritt des Nacherbfalls verwirklicht hat.
Durch die zum Verlust der Sukzessionsberechtigung führende Nichtkonsentierung der Eheschließung mit Frau Dr. T. wurde dem Beschwerdeführer auch keine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsposition entzogen. Das von ihm herangezogene „Lebens- und Tätigkeitsbild Erbprinz” ändert nichts daran, dass seine Aussicht, Nacherbe des 5. Fürsten zu werden, keine unentziehbare Rechtsposition darstellte, sondern von vornherein unter dem Vorbehalt stand, dass im Zeitpunkt des Nacherbfalls die von dem Erblasser angeordneten Sukzessionsvoraussetzungen vorlagen. Eine Anwartschaft darauf, Erbe zu werden, ohne die in dem Erbvertrag vorgesehenen Voraussetzungen zu erfüllen, hatte der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
4. Durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 565149 |
NJW 2000, 2495 |
FamRZ 2000, 945 |
ZErb 2000, 134 |