Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Beschluss vom 23.12.2003; Aktenzeichen 1 Ss 141/03) |
LG Karlsruhe (Urteil vom 26.06.2003; Aktenzeichen 10 Ns 57 Js 24168/02) |
AG Karlsruhe (Urteil vom 21.02.2003; Aktenzeichen 4 Cs 57 Js 24168/02) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Festsetzung einer Geldbuße wegen Nichtbeachtung einer auf § 15 VersG gestützten Auflage.
I.
1. Am 15. Juni 2002 fand in Karlsruhe eine Demonstration der rechtsradikalen “Karlsruher Kameradschaft” statt, auf die eine Gegendemonstration reagierte. Im Hinblick auf diese Demonstration und unter Berufung auf Vorfälle während einer im Juni 2001 durchgeführten, maßgebend von der “Karlsruher Kameradschaft” vorbereiteten und organisierten Demonstration, hatte das Amt für öffentliche Ordnung der Stadt Karlsruhe unter Anordnung der sofortigen Vollziehung folgende als Auflage bezeichnete Verfügung erlassen:
9. Den bei der Kundgebung auftretenden Rednern sind Äußerungen untersagt, die eine aggressive Ausländerfeindlichkeit beinhalten und geeignet sind, Teile der ansässigen Bevölkerung einzuschüchtern und zu beängstigen. Weiterhin sind Äußerungen untersagt, die gegen einschlägige Strafbestimmungen verstoßen. In Versammlungsreden und Sprechchören sowie auf Transparenten haben Aussagen zur verbotenen “Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP)” zu unterbleiben.
Während der Demonstration kam es zu einer Gegendemonstration politischer Gegner und wechselseitigen Pöbeleien. Der Beschwerdeführer hielt über Megaphon eine aufpeitschende Rede, in deren Verlauf er Gegendemonstranten mit beleidigenden Ausdrücken beschimpfte, so unter anderem als “Flachwichser”, “Schwachsinnige” (“im tiefsten dritten Stadium des Schwachsinns”), “Roter Pöbel”, “Gesocks”, “Pöbelhaufen” und “Masturbantinnen”. Unter anderem rief er: “Wir kriegen Euch alle” und sprach von einem “ausländischen Nichtbürger da drüben”. Strafantrag durch Mitglieder der Gruppe der Gegendemonstranten wurde nicht gestellt.
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Geldbuße von 300 EUR. Der Beschwerdeführer sei als Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs einer vollziehbaren Auflage nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) nicht nachgekommen. Dies sei ordnungswidrig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG. Die Äußerungen stellten Beleidigungen im Sinne des § 185 StGB dar, die lediglich mangels Strafantrags nicht verfolgt werden könnten. Sie verstießen somit gegen einschlägige Strafbestimmungen im Sinne der Auflage Nr. 9 Satz 2 der Verfügung des Amtes für öffentliche Ordnung.
Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet. Der Beschwerdeführer habe den Tatbestand der Beleidigung sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht erfüllt. Da keine Strafanträge gestellt worden seien und die Straftat daher nicht verfolgt werden könne, trete die Ordnungswidrigkeit im vorliegenden Fall nicht gemäß § 21 Abs. 1 OWiG hinter der Straftat zurück.
Die Revision verwarf das Oberlandesgericht als unbegründet.
2. Mit seiner rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 sowie Art. 8 GG.
Die in Rede stehende Auflage verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, da die Gegendemonstranten von der Auflage nicht erfasst seien.
Ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit liege aus mehreren Gründen vor. Es sei zweifelhaft, ob eine Verfolgung wegen Verstoßes gegen Strafbestimmungen, die Antragsdelikte seien, zulässig sei, obgleich kein Antrag gestellt worden sei. Im Übrigen habe eine Verurteilung nicht erfolgen dürfen, weil ein wechselseitiger Austausch von Beleidigungen vorgelegen habe. Er – der Beschwerdeführer – hätte die Gegendemonstranten nie beleidigt, wenn sie nicht vorher die Teilnehmer der Demonstration und auch ihn persönlich beleidigt hätten.
Die Verurteilung sei auch ein Eingriff in seine Demonstrationsfreiheit nach Art. 8 GG. Nicht nur der Veranstalter habe ein Selbstbestimmungsrecht über den Ablauf seiner Veranstaltung, sondern für die Dauer eines Redebeitrags auch der Redner.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Es kann dahinstehen, ob die Rüge der Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG den Begründungsanforderungen aus § 23 Abs. 1, § 92 BVerfGG genügt. Jedenfalls ist sie unbegründet. Der Gleichbehandlungsgrundsatz wird durch unterschiedliche Reaktionen der Versammlungsbehörde auf Gefahren, die einerseits von Teilnehmern einer angemeldeten Versammlung und andererseits von Gegendemonstranten ausgehen, nicht verletzt.
2. Die Verhängung der Geldbuße gegen den Beschwerdeführer verstößt nicht gegen Art. 8 Abs. 1 GG.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beurteilt sich die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen, die den Inhalt von Meinungsäußerungen beschränken, nach dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, grundsätzlich nicht nach dem der Versammlungsfreiheit (vgl. BVerfGE 90, 241 ≪246≫; 111, 147 ≪154≫). Der Verfassungsbeschwerde geht es allerdings nicht um die Klärung, ob die Äußerungen des Beschwerdeführers beleidigend waren. Das war unstreitig der Fall. Der Beschwerdeführer wendet sich vielmehr gegen die Verurteilung, die nicht – wie es für eine Bestrafung wegen Verletzung des § 185 StGB Voraussetzung wäre – unmittelbar wegen der Äußerung, sondern wegen der in der Äußerung gesehenen Verletzung der Auflage erfolgt ist.
Die an den Leiter der Versammlung gerichtete, aber auch auf die Versammlungsredner bezogene Auflage zielte auf die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung. Eine Sanktion für die Verletzung einer Auflage gilt der Bestärkung ihrer Maßgeblichkeit. Maßstab der verfassungsrechtlichen Beurteilung der an das versammlungsbezogene Verhalten geknüpften Sanktion ist daher allein Art. 8 Abs. 1 GG.
b) Die negative Sanktionierung eines den Versammlungsverlauf prägenden Verhaltens eines Versammlungsteilnehmers, hier eines Versammlungsredners, ist ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Der hier zu beurteilende Eingriff durch Festsetzung einer Geldbuße ist verfassungsrechtlich allerdings nicht zu beanstanden.
§ 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG ist ein beschränkendes Gesetz im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG. Die Festsetzung einer Geldbuße auf dieser Grundlage setzt voraus, dass der Betroffene als Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs einer vollziehbaren Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nicht nachgekommen ist. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Gerichte von einem Verstoß gegen Nr. 9 Satz 2 der Verfügung ausgegangen sind.
aa) Es ist inzwischen bei vielen Versammlungen, insbesondere solchen mit rechtsradikalen Teilnehmern, üblich, dass die Versammlungsbehörde einen meist als “Auflage” bezeichneten längeren Katalog von Verhaltensregeln aufstellt und Vorkehrungen trifft, dass diese den Versammlungsteilnehmern mitgeteilt werden. Inhaltlich handelt es sich zum Teil um die Auferlegung von Verhaltenspflichten als Reaktion auf konkrete, mit der jeweiligen Versammlung verbundene Gefahren, zum Teil um davon abgelöste, häufig routinemäßig formulierte Vorgaben, etwa die Formulierung allgemeiner versammlungsrechtlicher Pflichten. Ungeachtet der häufig üblichen Bezeichnung aller Vorgaben als Auflagen ist bei der Klärung ihrer Rechtmäßigkeit und bei der Festsetzung von Rechtsfolgen eines Verstoßes zu prüfen, ob es sich um Auflagen im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG und § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG handelt oder um bloße Hinweise auf allgemein geltende Regeln. Denn die Möglichkeit der Sanktionierung eines Verhaltens als Ordnungswidrigkeit ist auf Auflagen im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG begrenzt, also auf solche beschränkenden Verfügungen, die speziell an unmittelbare Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung anknüpfen und unter Beachtung des Art. 8 GG mithelfen sollen, die konkret bevorstehende Verletzung von Rechtsgütern zu verhindern.
bb) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Gerichte die auf die Durchführung der Versammlung gerichtete Verfügung so gedeutet haben, dass sie nicht nur vom Veranstalter oder Leiter der Versammlung, sondern auch von den Rednern zu befolgen war.
cc) Die Gerichte haben die in Nr. 9 Satz 2 der vom Amt für öffentliche Ordnung erlassenen Verfügung enthaltene Anordnung als Auflage im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG bewertet und in der Folge in deren Verletzung die Ordnungswidrigkeit gesehen. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
(1) Die in § 15 Abs. 1 VersG als Auflagen bezeichneten beschränkenden Verfügungen sind keine Nebenbestimmungen zu einem begünstigenden Verwaltungsakt. An diesem fehlt es im Versammlungsrecht angesichts der Erlaubnisfreiheit von Versammlungen (Art. 8 Abs. 1 GG). Sie enthalten vielmehr einen eigenständigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Zu ihm ermächtigt § 15 Abs. 1 VersG, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung gefährdet ist. Die in einer derartigen Auflage aufgeführten Verhaltenspflichten sollen zur Abwehr dieser Gefahr beitragen. Solche Auflagen sind darauf gerichtet, unmittelbare Rechtswirkung zu erzeugen. § 25 Nr. 2 und § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG bestätigen durch die Straf- und Ordnungswidrigkeitensanktionen, dass § 15 VersG Auflagen mit einem eigenständig verpflichtenden Inhalt betrifft, nicht etwa bloße Hinweise auf die allgemeine Rechtslage.
(2) Wäre Satz 2 der Auflage Nr. 9 (“Weiterhin sind Äußerungen untersagt, die gegen einschlägige Strafbestimmungen verstoßen”) isoliert zu betrachten und so zu verstehen, dass alle Strafnormen über Äußerungsdelikte in Bezug genommen werden, handelte es sich um einen allgemeinen Hinweis auf die Maßgeblichkeit von Strafrechtsnormen, nicht um eine auf eine im konkreten Versammlungsfall unmittelbar bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bezogene und begrenzte Auflage. Eine derartige isolierte Betrachtung aber wird dem Sinn der Verfügung nicht gerecht. Die Verfügung war eine Reaktion auf Vorkommnisse bei einer ein Jahr davor durchgeführten Demonstration, darunter auch auf die dort erfolgten Provokationen. Satz 2 von Auflage Nr. 9 schließt sich an deren Satz 1 an. Auflage Nr. 9 befasst sich mit der Abwehr versammlungsspezifischer Gefahren, hier einer mit aggressiver Ausländerfeindlichkeit verbundenen Einschüchterung und Beängstigung von Teilen der im Demonstrationsgebiet ansässigen Bevölkerung; eine solche Gefahr ging nach Auffassung der Versammlungsbehörde von der hier zu beurteilenden rechtsextremistischen Demonstration aus. Ihr sollte die Auflage entgegenwirken.
Ein Verbot des Inhalts von Meinungsäußerungen ist von § 15 Abs. 1 VersG allerdings nicht allgemein unter Berufung auf eine Gefahr für die öffentliche Ordnung verfassungsgemäß, wohl aber, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch Verletzung von Strafgesetzen besteht (vgl. BVerfGE 111, 147 ≪156≫). Insofern bedarf die Auflage Nr. 9 einer einengenden Auslegung. Wie sich insbesondere aus der Begründung zu dieser Auflage ergibt, kann der Hinweis auf Äußerungsdelikte als Konkretisierung des in Satz 1 allgemein ausgesprochenen Verbots verstanden werden. In der Begründung der Verfügung, die auf die Auflage Nr. 9 insgesamt bezogen ist, wird ausgeführt, zu unterlassen seien gemeinsam absolvierte Parolen und Sprüche, die geeignet seien, die Menschenwürde anderer zu verletzen und eine besonders militante, aggressive und fremdenfeindliche Stimmung zu erzeugen. Daran anschließend heißt es: “Wegen der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung war es auch erforderlich, den Rednern zu untersagen, solche Äußerungen zu tätigen, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören, die zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstacheln und die Menschenwürde anderer verletzen.” Durch die Bezugnahme auf die Strafgesetze wurde das Verbot bestimmter Äußerungsinhalte und -formen in Satz 1 konkretisiert und dadurch eine tatbestandliche Eingrenzung des untersagten Verhaltens vorgenommen; nur dieses konnte gegebenenfalls mit einer Geldbuße geahndet werden.
dd) Der Beschwerdeführer hat die Rechtswidrigkeit der Verfügung weder hinsichtlich der materiellrechtlichen noch der formellrechtlichen Voraussetzungen ihres Erlasses gerügt. Daher bedarf es vorliegend keiner Prüfung, ob die Auflage Nr. 9 insgesamt oder in ihren Einzelsätzen rechtsstaatlichen Anforderungen genügte und ob die ihr zugrunde liegenden Gefährdungsannahmen eine Auflage dieses Inhalts rechtfertigten. Der Beschwerdeführer rügt lediglich, dass die Geldbuße festgesetzt wurde, obwohl eine Bestrafung nach § 185 StGB am fehlenden Strafantrag scheitern würde oder gemäß § 199 StGB Straffreiheit möglich gewesen wäre. Diese Rüge geht fehl.
Für die versammlungsrechtliche Beurteilung eines Verhaltens, das zugleich einen Straftatbestand – hier den des § 185 StGB – verwirklicht, ist unbeachtlich, ob eine möglicherweise beleidigte Privatperson ein persönliches Interesse hat, den Beleidiger bestraft zu sehen und deshalb einen Strafantrag stellt. Ebenso ist unbeachtlich, ob ein Strafgericht die Beleidigung mit Rücksicht auf die Wechselseitigkeit von Beleidigungen gemäß § 199 StGB für straffrei erklären würde. Versammlungsrechtlich zielt die Auflage auf die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung für alle dabei Gefährdeten, hier speziell auf die Abwehr von Gefahren, deren Verwirklichung zugleich eine Straftat darstellt, einerlei unter welchen Voraussetzungen anschließend eine Bestrafung erfolgen kann oder wird. Wird die versammlungsrechtliche Gefahr mittels einer ein konkretes Verhaltensgebot oder Verbot festlegenden Auflage im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG bekämpft und verstößt ein Versammlungsteilnehmer gegen die Auflage, dann sind die Voraussetzungen für die spezifische versammlungsrechtliche Sanktion des § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG erfüllt. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass vorliegend nicht berücksichtigt wurde, wie die durch die Gefahrenverwirklichung beeinträchtigte Einzelperson darauf reagiert hat oder wie ein Strafgericht strafrechtlich mit dem Geschehen umgehen würde. Maßgebend ist allein, dass die Sanktion unter Beachtung des Art. 8 Abs. 1 GG an eine Verletzung einer versammlungsrechtlich begründeten Auflage anknüpft. So lag es hier.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen