Leitsatz (amtlich)
Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung der Nachwahl im Bundeswahlgesetz.
Tenor
Die Wahlprüfungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A.
Die Wahlprüfungsbeschwerde betrifft die Frage, ob das vorläufige Ergebnis der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag am 19. September 2005 und damit vor der Nachwahl im Wahlkreis 160 (Dresden I) am 2. Oktober 2005 bekanntgegeben werden durfte.
I.
Die Vorbereitungen der Bundestagswahl bis zur Stimmabgabe sind in den §§ 16 ff. BWG, der Ablauf der Stimmenauszählung und das Verfahren bei Nach- und Wiederholungswahlen in den §§ 37 ff. BWG geregelt. Für die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag galt das Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl I S. 1288, ber. S. 1594), zuletzt geändert durch das Siebzehnte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 11. März 2005 (BGBl S. 674).
Nach § 16 BWG bestimmt der Bundespräsident den „Tag der Hauptwahl (Wahltag)”, der ein Sonntag oder gesetzlicher Feiertag sein muss. Die Festlegung des Wahltages erfolgt in der Regel mehrere Monate vor der Wahl unter Berücksichtigung der Fristen des Art. 39 Abs. 1 Sätze 3 und 4 GG und setzt die amtlichen Wahlvorbereitungen in Gang (vgl. Schreiber, BWahlG, 8. Aufl. 2009, § 16 Rn. 2).
Nach § 18 Abs. 2 Satz 1 BWG müssen Parteien, die nicht im Bundestag oder in einem Landtag vertreten sind, ihre Absicht, an der Wahl teilzunehmen, spätestens am neunzigsten Tage vor der Wahl dem Bundeswahlleiter anzeigen (Beteiligungsanzeige). Landeslisten sind dem Landeswahlleiter, Kreiswahlvorschläge dem Kreiswahlleiter gemäß § 19 BWG spätestens am sechsundsechzigsten Tage vor dem Wahltag einzureichen. Den Wahlvorschlägen müssen die nach § 20 Abs. 2 Satz 2 BWG oder § 27 Abs. 1 Satz 2 BWG erforderlichen Unterschriften beigefügt sein. Kreiswahlvorschläge können nach § 24 Satz 1 BWG auch nach Ablauf der Einreichungsfrist ohne Einhaltung der Aufstellungsvorschriften geändert werden, wenn der zunächst benannte Bewerber stirbt oder die Wählbarkeit verliert. Nach § 24 Satz 3 BWG sind solche Änderungen aber nur möglich, solange die Wahlbehörden über die Zulassung des Wahlvorschlages noch nicht entschieden haben. Über die Zulassung der Wahlvorschläge entscheiden die jeweiligen Kreis- und Landeswahlausschüsse spätestens am achtundfünfzigsten Tage vor dem Wahltag, über etwaige Beschwerden spätestens am zweiundfünfzigsten Tage vor dem Wahltag (§ 26 Abs. 1, Abs. 2 Satz 5 BWG für Kreiswahlvorschläge, § 28 Abs. 1, Abs. 2 Satz 5 BWG für Landeslisten). Die zugelassenen Wahlvorschläge sind nach § 26 Abs. 3, § 28 Abs. 3 BWG spätestens am achtundvierzigsten Tage vor der Wahl öffentlich bekanntzumachen.
Die Feststellung und die Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist in §§ 37 ff. BWG geregelt. § 37 BWG hat folgenden Wortlaut:
§ 37
Feststellung des Wahlergebnisses im Wahlbezirk
Nach Beendigung der Wahlhandlung stellt der Wahlvorstand fest, wieviel Stimmen im Wahlbezirk auf die einzelnen Kreiswahlvorschläge und Landeslisten abgegeben worden sind.
Der Kreiswahlausschuss stellt gemäß § 41 Abs. 1 BWG das Wahlergebnis im Wahlkreis für den Wahlkreisabgeordneten fest. Die Ergebnisse der Landeslistenwahl und die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden gemäß § 42 Abs. 1 und 2 BWG durch den Landeswahlausschuss und den Bundeswahlausschuss festgestellt.
Den genauen Ablauf der Auszählung und der Feststellung des Wahlergebnisses regeln die §§ 67 ff. der Bundeswahlordnung (BWO), die für die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 2002 (BGBl I S. 1376), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 30. Juni 2005 (BGBl I S. 1951), galt.
§ 67 BWO regelt, dass „im Anschluss an die Wahlhandlung” der Wahlvorstand „ohne Unterbrechung das Wahlergebnis im Wahlbezirk” ermittelt und die Zahl der Wahlberechtigten, die Zahl der Wähler, die Zahlen der gültigen und ungültigen Erst- und Zweitstimmen, die Zahlen der für die einzelnen Bewerber abgegebenen gültigen Erststimmen sowie die Zahlen der für die einzelnen Landeslisten abgegebenen gültigen Zweitstimmen feststellt.
Im Anschluss daran gibt der Wahlvorsteher nach § 70 Satz 1 BWO das Ergebnis im Wahlbezirk mündlich bekannt. Sobald das Wahlergebnis festgestellt ist, wird es „auf schnellstem Wege (z.B. telefonisch oder auf sonstigem elektronischem Wege)” (§ 71 Abs. 2 BWO) über die zuständige Gemeindebehörde dem Kreiswahlleiter gemeldet (§ 71 Abs. 1 BWO), der das vorläufige Wahlkreisergebnis ermittelt (§ 71 Abs. 3 BWO) und es dem Landeswahlleiter mitteilt. Dieser wiederum meldet das Wahlergebnis im Land dem Bundeswahlleiter (§ 71 Abs. 4 BWO), der nach den Schnellmeldungen das vorläufige Ergebnis für das gesamte Wahlgebiet ermittelt. § 71 Abs. 6 BWO ordnet an:
Die Wahlleiter geben nach Durchführung der ohne Vorliegen der Wahlniederschriften möglichen Überprüfungen die vorläufigen Wahlergebnisse mündlich oder in geeigneter anderer Form bekannt.
Die Wahlausschüsse überprüfen in der Folgezeit die Wahlergebnisse und stellen das endgültige Wahlergebnis fest (§§ 76 bis 78 BWO). „Sobald die Feststellungen abgeschlossen sind”, machen die jeweiligen Wahlleiter das Wahlergebnis öffentlich bekannt (§ 79 Abs. 1 BWO). Das endgültige Ergebnis kann, außer in den Fällen des § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BWG, vom Bundeswahlleiter nicht mehr abgeändert werden.
Der Bundestag tritt gemäß Art. 39 Abs. 2 GG spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.
Das Bundeswahlgesetz enthält einen eigenen Abschnitt mit besonderen Vorschriften für Nachwahlen und Wiederholungswahlen. Für die Durchführung von Nachwahlen bestimmte § 43 BWG in der für die Bundestagswahl 2005 geltenden Fassung (im Folgenden: BWG a.F.):
§ 43
Nachwahl
(1) Eine Nachwahl findet statt
- wenn in einem Wahlkreis oder in einem Wahlbezirk die Wahl nicht durchgeführt worden ist,
- wenn ein Wahlkreisbewerber nach der Zulassung des Kreiswahlvorschlages, aber noch vor der Wahl stirbt.
(2) Die Nachwahl soll im Falle des Absatzes 1 Nr. 1 spätestens drei Wochen, im Falle des Absatzes 1 Nr. 2 spätestens sechs Wochen nach dem Tage der Hauptwahl stattfinden. Den Tag der Nachwahl bestimmt der Landeswahlleiter.
(3) Die Nachwahl findet nach denselben Vorschriften und auf denselben Grundlagen wie die Hauptwahl statt.
Nach § 43 Abs. 3 BWG a.F. finden für die Nachwahl die für die Hauptwahl geltenden Vorschriften Anwendung. Insbesondere die Aufstellung des neuen Wahlkreisbewerbers richtet sich daher grundsätzlich nach den Vorschriften der §§ 19 ff. BWG. Nach § 82 Abs. 2 BWO muss der neue Kandidat allerdings nicht von der Mitglieder- oder Vertreterversammlung der Partei gewählt werden; eine Benennung durch die Vertrauenspersonen (§ 22 Abs. 1 BWG) reicht aus. Es gilt also das gleiche wie in den Fällen einer Änderung eines Kreiswahlvorschlages wegen des Todes des Bewerbers vor der Zulassung nach § 24 BWG. Außerdem kann der Landeswahlleiter nach § 82 Abs. 6 BWO abweichende Regelungen zur Anpassung an besondere Verhältnisse treffen. Das betrifft in Fällen einer Nachwahl wegen des Todes eines Wahlkreisbewerbers insbesondere die Anpassung der Fristen und Termine an die Erfordernisse der Nachwahl (vgl. Schreiber, BWahlG, 8. Aufl. 2009, § 43 Rn. 7).
Im Anschluss an die Nachwahl ist das Wahlergebnis nach den allgemeinen Vorschriften endgültig festzustellen; das Ergebnis der Hauptwahl ist insoweit vorläufig (vgl. Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, § 43 BWG Rn. 6: „unvollständiges Gesamtwahlergebnis”; Schreiber, BWahlG, 8. Aufl. 2009, § 43 Rn. 10 f.; Ipsen, DVBl 2005, S. 1465 ≪1468≫). Die Neufeststellung des Wahlergebnisses aufgrund der Nachwahl ist auch nach dem Zusammentritt des Bundestages möglich und kann unter Umständen zum Verlust der Mitgliedschaft einzelner Abgeordneter im Deutschen Bundestag führen, wenn sich dies aus der Neuberechnung ergibt; die Regelung des § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BWG über den Verlust der Mitgliedschaft erfasst auch diesen Fall (vgl. Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, § 46 BWG Rn. 5; Schreiber, BWahlG, 8. Aufl. 2009, § 46 Rn. 21).
Ausgelöst durch die Nachwahl in Dresden wurde mit dem Gesetz zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts vom 17. März 2008 (BGBl I S. 394) § 43 Abs. 2 BWG dahingehend geändert, dass in den Fällen des § 43 Abs. 1 Nr. 2 BWG die Durchführung der Nachwahl am Tag der Hauptwahl ausdrücklich erlaubt ist. Der Gesetzgeber regelte in Abs. 4 auch den Zeitpunkt der Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses der Hauptwahl. Das vorläufige Ergebnis ist danach am Tag der Hauptwahl festzustellen und bekanntzugeben. § 43 BWG hat nunmehr folgenden Wortlaut:
§ 43
Nachwahl
(1) Eine Nachwahl findet statt,
- wenn in einem Wahlkreis oder in einem Wahlbezirk die Wahl nicht durchgeführt worden ist,
- wenn ein Wahlkreisbewerber nach der Zulassung des Kreiswahlvorschlages, aber noch vor der Wahl stirbt.
(2) Die Nachwahl soll im Fall des Absatzes 1 Nr. 1 spätestens drei Wochen nach dem Tag der Hauptwahl stattfinden. Im Fall des Absatzes 1 Nr. 2 kann sie am Tag der Hauptwahl stattfinden; sie soll spätestens sechs Wochen nach dem Tag der Hauptwahl stattfinden. Den Tag der Nachwahl bestimmt der Landeswahlleiter.
(3) Die Nachwahl findet nach denselben Vorschriften und auf denselben Grundlagen wie die Hauptwahl statt.
(4) Im Fall einer Nachwahl ist das vorläufige Ergebnis der Hauptwahl unmittelbar im Anschluss an die Wahlhandlung der Hauptwahl auf der Grundlage der erfolgten Stimmabgaben zu ermitteln, festzustellen und bekannt zu geben.
Durch Anordnung vom 21. Juli 2005 (BGBl I S. 2170) setzte der Bundespräsident den Termin der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag auf den 18. September 2005 fest. Die Fristen und Termine für die Wahlvorbereitung wurden durch die Verordnung über die Abkürzung von Fristen im Bundeswahlgesetz für die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag vom 21. Juli 2005 (BGBl I S. 2179) verkürzt.
Nach der Entscheidung über die Zulassung der Wahlvorschläge verstarb am 7. September 2005 die Wahlkreisbewerberin der NPD im Wahlkreis 160 (Dresden I). Am 8. September 2005 sagte der Kreiswahlleiter die Wahl im betroffenen Wahlkreis ab; die Landeswahlleiterin legte den Termin für die Nachwahl auf den 2. Oktober 2005 fest (Bekanntmachung der Landeswahlleiterin über den Tag der Nachwahl im Wahlkreis 160 – Dresden I – für die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag vom 9. September 2005, Sächsisches Amtsblatt 2005 S. 930).
Das erste vorläufige amtliche Ergebnis der Hauptwahl am 18. September 2005 wurde am frühen Morgen des 19. September 2005 vom Bundeswahlleiter verkündet. Die Zweitstimmenanteile für die einzelnen Parteien und die jeweiligen Mandatszahlen der Landeslisten, einschließlich der Überhangmandate, wurden zunächst ohne die Ergebnisse des Wahlkreises 160 errechnet (Pressemitteilung des Bundeswahlleiters vom 19. September 2005). Dieses vorläufige Wahlergebnis enthielt nur das Ergebnis für 298 Wahlkreise, verteilte aber alle 598 Mandate.
In dieser Situation konnten vergleichsweise präzise Berechnungen dazu angestellt werden, welches Zweitstimmenergebnis in dem Wahlkreis 160 zum Gewinn oder Verlust eines Überhangmandats oder zu Mandatsverschiebungen führen würde. In den Medien wurden in den Tagen bis zur Wahl entsprechende Berechnungen publiziert. Dabei wurde erläutert, dass aufgrund des Effekts des negativen Stimmgewichts die CDU bei einer Zweitstimmenanzahl von mehr als 41.225 Stimmen ein Mandat verlieren, bei einer niedrigeren Zweitstimmenzahl jedoch ein Mandat gewinnen könnte. Bei mehr als 41.225 Zweitstimmen würde sie zwar ein Listenmandat hinzugewinnen; da jedoch bereits nach dem vorläufigen Ergebnis vom Tag der Hauptwahl in Sachsen drei Überhangmandate gewonnen waren, würde ein zusätzliches Listenmandat für Sachsen nicht zum Tragen kommen. In Sachsen würde sich somit nichts am Landeswahlergebnis ändern. Jedoch verlöre die CDU dann ein Mandat in Nordrhein-Westfalen. Der Gewinn des Direktmandats war für die CDU wichtig, da dies zu einem weiteren Überhangmandat führen konnte. Das von den Wählern der CDU in Dresden vor diesem Hintergrund anzustrebende Zweitstimmenergebnis war insbesondere deshalb von Bedeutung, weil die CDU im Wahlkreis 160 bei der Bundestagswahl im Jahr 2002 etwa 50.000 Stimmen auf sich vereinigen konnte (vgl. z. B. Wittrock/Todt, „Warum die Union in Dresden nicht gewinnen darf”, Spiegel-Online vom 19. September 2005). Ausgehend von einer in etwa ähnlichen Wählerstruktur mussten danach viele CDU-Wähler ihre Zweitstimme einer anderen Partei geben, um zu verhindern, dass die CDU bundesweit ein Mandat verliert. Gleichzeitig bestand für die Wähler anderer Parteien die Möglichkeit, ihre Zweitstimme der CDU zu geben, gerade damit diese ein Mandat verliere. Die Parteien in Dresden stellten ihren Wahlkampf jedenfalls teilweise auf diese Vorhersagen ein (vgl. Sattar, „Symbolik einer Nachwahl”, FAZ vom 1. Oktober 2005).
Am Abend der Nachwahl, am 2. Oktober 2005, gab der Bundeswahlleiter unter Einbeziehung der Wahlergebnisse im Wahlkreis 160 (Dresden I) ein „zweites vorläufiges amtliches Ergebnis der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag” bekannt. Gegenüber dem am Tag der Hauptwahl bekannt gegebenen vorläufigen amtlichen Ergebnis ergab sich nicht nur der Gewinn des Direktmandats für die CDU im Wahlkreis 160; vielmehr hatte die Nachwahl auch Verschiebungen in der Zuordnung der Sitze im Deutschen Bundestag zur Folge. Durch den Gewinn des Direktmandates durch die CDU erhöhte sich die Gesamtzahl der Sitze des Bundestages um einen Sitz auf 614 Sitze, weil eine Anrechnung des von der CDU im Wahlkreis 160 gewonnenen Direktmandates auf die Landesliste der CDU in Sachsen nicht möglich war. Ein Listenmandat verschob sich von der Landesliste Nordrhein-Westfalen zur Landesliste Saarland. Schließlich verschob sich bei der FDP ein Sitz von der Landesliste Nordrhein-Westfalen zur Landesliste Sachsen.
Das Wahlergebnis in Dresden lässt darauf schließen, dass sich jedenfalls ein Teil der Wähler in seinem Stimmverhalten von den Presseberichten leiten ließ (vgl. Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses, Anlage 2, BTDrucks 16/1800, S. 22).
Der 16. Deutsche Bundestag trat am 18. Oktober 2005 zusammen.
II.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anwendung und Auslegung der Vorschriften des Bundeswahlgesetzes, soweit diese insbesondere die Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisses vor Durchführung der Nachwahl ermöglichen, und gegen die Regelung der Nachwahl in § 43 BWG a.F.
Mit seinem mit Schreiben vom 16. November 2005 eingelegten Einspruch rügte der Beschwerdeführer die Verletzung des § 43 Abs. 3 BWG a.F. und des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl.
Die Stimmen der Wähler im Wahlkreis Dresden I hätten einen anderen „Wert” gehabt als die der Wähler im übrigen Bundesgebiet, da jene auf einer anderen Informationsgrundlage abgestimmt hätten. Sie hätten strategisch wählen können und dies auch getan. Dies zeige sich konkret im Wahlverhalten, im Ablauf des Wahlkampfes und im Ergebnis der Nachwahl selbst.
Durch die Bekanntgabe des Ergebnisses der Hauptwahl vor der Nachwahl im Wahlkreis Dresden I sei auch der Grundsatz der geheimen und der allgemeinen Wahl verletzt worden. Es sei nicht mehr geheim gewesen, was die Gruppe der Hauptwahl-Wähler vorher gewählt habe.
§ 43 Abs. 3 BWG a.F. setze Art. 38 GG zutreffend um, wenn er anordne, dass die Nachwahl „auf gleicher Grundlage” wie die Hauptwahl stattfinden solle. Die Auslegung dieser Vorschrift durch die Wahlorgane sei aber fehlerhaft gewesen, da die Nachwahl wegen der vorzeitigen Bekanntgabe des Ergebnisses der Hauptwahl gerade nicht mehr „auf gleicher Grundlage” stattgefunden habe. § 79 Abs. 1 Nr. 3 BWO müsse so verstanden werden, dass er die Bekanntgabe des endgültigen Endergebnisses der gesamten Wahl meine; dieses liege aber erst nach Abschluss der Nachwahl vor.
Die Beeinträchtigung der Wahlgleichheit durch die sofortige Bekanntgabe des Ergebnisses der Hauptwahl sei nicht durch zwingende Gründe gerechtfertigt, da es praktikable Alternativen gebe. Beispielsweise sei eine Versiegelung der Wahlurnen und spätere Auszählung nach der Nachwahl möglich. Die zwischenzeitliche Aufbewahrung und Sicherung der Wahlzettel sei lediglich ein technisches und logistisches Problem. Der Presse könne verboten werden, in der Zwischenzeit Umfragen zum Wahlverhalten zu veröffentlichen.
Der Deutsche Bundestag wies mit Beschluss vom 29. Juni 2006 den Wahleinspruch zurück, weil er offensichtlich unbegründet sei (BTDrucks 16/1800, Anlage 2).
§ 43 Abs. 1 Nr. 2 BWG a.F., § 82 BWO seien nicht verletzt. Angesichts der zeitlichen Gegebenheiten sei es nicht möglich gewesen, die Nachwahl auf den Tag der Hauptwahl zu legen, um mögliche Auswirkungen auf das Stimmverhalten bei der Nachwahl zu vermeiden. Die Beibehaltung der Hauptwahl am 18. September 2005 im Wahlkreis 160 allein bezüglich der Zweitstimme wäre nicht zulässig gewesen; das Gesetz sehe die Stimmabgabe mit einem einzigen Stimmzettel für die Erst- und Zweitstimme vor.
Es sei nicht zu beanstanden, dass die Wahlergebnisse sofort im Anschluss an die Hauptwahl ermittelt und auch bekannt gemacht worden seien. § 37 BWG, konkretisiert durch § 67 BWO, ordne an, dass die Ergebnisermittlung ohne Unterbrechung an die Wahlhandlung anschließen müsse. Die Nachwahl sei ein gesonderter Vorgang und stelle sich nicht als späterer Teil der Hauptwahl dar, dessen Abschluss erst den Weg für die Ermittlung des Wahlergebnisses insgesamt eröffnen würde. Auch die unmittelbare Bekanntgabe des Wahlergebnisses nach der Wahl sei verpflichtend, ohne dass für den Fall einer Nachwahl eine Ausnahme vorgesehen sei (§ 71 Abs. 6 BWO).
Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die sofortige Bekanntgabe des Wahlergebnisses würden nicht geteilt. Zwar sei es richtig, dass aufgrund der besonderen Konstellation nach der Hauptwahl ein taktisches Wahlverhalten möglich gewesen sei; es sei auch davon auszugehen, dass Wähler davon Gebrauch gemacht hätten. Es könne offen bleiben, ob darin ein Eingriff in die Gleichheit des Erfolgswertes der Stimmen zu sehen sei, denn ein solcher Eingriff sei jedenfalls gerechtfertigt. Der Verzicht auf eine Bekanntgabe der vorläufigen Ergebnisse der Hauptwahl widerspräche dem Grundsatz, die Auszählung der Stimmen so transparent wie möglich zu gestalten, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die korrekte Feststellung des Wahlergebnisses zu gewährleisten. Die alternativ zu erwägende Verschiebung der Auszählung der Hauptwahl insgesamt bis zum Abschluss der Nachwahl würde die enge Verbindung zwischen der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung aufheben. Dies könnte im Hinblick auf den aus dem Demokratieprinzip abzuleitenden Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl Bedenken aufwerfen. Auch organisatorisch wäre es außerordentlich schwierig, die Wahlvorstände für rund 80.000 Wahllokale und 10.000 Briefwahlvorstände erneut einzuberufen und in der Zwischenzeit die Vollständigkeit und Unversehrtheit der Wahlurnen zu sichern.
Die Grundsätze der allgemeinen, freien und geheimen Wahl seien nicht verletzt, weil ein Zwang oder eine sonstige unzulässige Einflussnahme auf die Wahlentscheidung nicht ausgeübt worden und diese auch vor Dritten verborgen geblieben sei.
Gegen die Zurückweisung des Wahleinspruchs hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 23. August 2006 das Bundesverfassungsgericht angerufen.
Mit seiner Wahlprüfungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens zunächst gegen die Auslegung der wahlrechtlichen Normen durch die Wahlorgane. Die Anwendung von § 67 BWO (Ermittlung des Wahlergebnisses im Anschluss an die Wahlhandlung) auf den Fall einer Nachwahl sei problematisch, weil er den Normalfall einer Wahl voraussetze, bei dem die gesamte Wahlhandlung einheitlich durchgeführt werde. Werde später noch eine Nachwahl durchgeführt, sei das Ergebnis der Hauptwahl nicht mehr „vorläufig” in dem sonst gemeinten Sinne. Man könne daher die Regeln über die Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisses nicht anwenden. Die bestehenden Regelungen seien für eine Gesamtwahl gedacht und könnten nicht einfach auf einen in Haupt- und Nachwahl getrennten Vorgang übertragen werden. Das Hauptwahlergebnis sei richtigerweise nur ein Zwischenergebnis, dessen Bekanntgabe nicht geregelt sei.
Die bisherige Lösung des Gesetzes und ihre Ausgestaltung und Anwendung führe dazu, dass unterschiedliche Wahlgruppen unterschiedliche Erfolgschancen und dadurch einen unterschiedlichen Stimmwert hätten. Es sei unbestritten, dass es auch eine tatsächliche Erfolgswertgleichheit geben müsse. In Dresden seien die Stimmen taktisch und damit höherwertig abgegeben worden. Gerechtfertigt sei der Verstoß gegen die Gleichheit nur, wenn es keine weniger einschneidenden Mittel gäbe, um die Problematik zu lösen. Denkbar wäre aber beispielsweise eine Nachrücklösung.
Die Wahlprüfungsbeschwerde wurde dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, allen Länderregierungen, dem Bundeswahlleiter und den im Bundestag vertretenen Parteien zugestellt. Der Bundeswahlleiter und die Bundesregierung haben jeweils eine Stellungnahme abgegeben.
Der Bundeswahlleiter weist zunächst darauf hin, dass aufgrund der fortgeschrittenen Zeit – zehn Tage vor dem Wahltag – und weil im Wahlkreis Dresden I die Briefwahlunterlagen bereits versandt worden waren, der Termin der Nachwahl nicht mehr auf den Tag der Hauptwahl habe gelegt werden können. Es habe zunächst von den Vertrauenspersonen des Kreiswahlvorschlages der NPD ein neuer Wahlkreisbewerber benannt und dieser vom Kreiswahlausschuss zugelassen werden müssen; sodann hätten die neuen Stimmzettel gedruckt und versandt werden müssen.
Die Wahlprüfungsbeschwerde sei unbegründet. Die Regelungen des § 43 BWG hätten den Zweck, die Grundsätze der allgemeinen und gleichen Wahl für die Wähler des betroffenen Wahlkreises und für den Träger des Wahlvorschlages, dessen Bewerber verstorben ist, zu gewährleisten. Der Gesetzgeber habe gesehen, dass es sich aus der Natur der Sache heraus um eine Wahl zu einem späteren Zeitpunkt handele und habe in Ansehung des Ausnahmecharakters bewusst Besonderheiten in Kauf genommen. Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl sei möglicherweise in seiner Ausprägung als Erfolgswertgleichheit berührt. Die Differenzierung sei aber jedenfalls gerechtfertigt, weil nur mit Hilfe der Nachwahl die Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl für die Betroffenen gewährleistet werden könne. Man könne auch – wenn überhaupt – nur von einem begrenzten Eingriff in die Erfolgswertgleichheit ausgehen. Zwar hätten die Wähler des Wahlkreises Dresden I durch die Bekanntgabe des Hauptwahlergebnisses die Möglichkeit zu reaktivem Wahlverhalten gehabt. Allein die Möglichkeit einer taktischen Wahl vergrößere aber nicht den tatsächlichen Erfolgswert einer Stimme; taktisches Wahlverhalten sei auch im Rahmen des üblichen und zulässigen Stimmensplittings zulässig.
Für die Bundesregierung hat das Bundesministerium des Innern Stellung genommen. Es hält die Wahlprüfungsbeschwerde für unbegründet.
Nur durch die Gewährleistung einer Nachwahl könnten die Wähler im betroffenen Wahlkreis alle durch das Bundeswahlgesetz eröffneten Stimmabgabealternativen wahrnehmen. Einschränkungen für die betroffenen Wähler, Parteien und Bewerber wögen bedeutend schwerer als die durch strategisches Stimmverhalten geschaffenen Einflussmöglichkeiten. Eine auf die Zweitstimmenwahl begrenzte Wahl im Wahlkreis 160 am Tag der Hauptwahl hätte dem System der personalisierten Verhältniswahl widersprochen. Aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten müsse die Nachwahl im Wesentlichen unter den gleichen Bedingungen wie die Hauptwahl erfolgen, so dass genügend Zeit für die organisatorisch und rechtlich notwendigen Vorbereitungen verbleibe; die Sechswochenfrist des § 43 Abs. 2 Satz 1 BWG a.F. sei daher notwendig und rechtmäßig.
Die sofortige Ermittlung und Feststellung des vorläufigen Wahlergebnisses unmittelbar im Anschluss an die Hauptwahl sei rechtmäßig und erforderlich. Aus der Stellung von § 43 BWG a.F. im Gesetzeskontext sowie aus der Formulierung „Hauptwahl”, insbesondere auch in § 16 BWG, ergebe sich, dass Hauptwahl und Nachwahl als getrennte Wahlgänge zu betrachten seien. Die Nachwahl sei begrifflich kein Teil der Wahlhandlung der Hauptwahl. Die Vorschriften, die die sofortige Ermittlung des Wahlergebnisses anordneten, bezögen sich daher allein auf die Hauptwahl. § 82 Abs. 6 BWO ermächtige die Wahlleiter nicht, Änderungen am Ablauf der Hauptwahl anzuordnen, etwa durch Aufschieben der Stimmenauszählung. Auch die Bekanntgabe des Ergebnisses der Hauptwahl habe unmittelbar im Anschluss an die Hauptwahl erfolgen müssen. Das Gesetz sehe für den Fall einer Nachwahl keine Ausnahme vor.
Die Bekanntgabe des Wahlergebnisses im Anschluss an das Ende der Hauptwahl verletze nicht den Grundsatz der Wahlgleichheit. Der Einfluss der Wähler im Wahlkreis 160 auf das Wahlergebnis sei rein tatsächlich nicht größer gewesen als das jedes anderen Wählers bei der Hauptwahl. Im Übrigen sei dem Bundeswahlgesetz auch in den Fällen einer Ersatz- oder einer Wiederholungswahl eine Stimmabgabe in Kenntnis der Ergebnisse der Hauptwahl nicht unbekannt.
Selbst wenn man die Erfolgswertgleichheit als verletzt ansehe, stünden dem hinreichende Rechtfertigungsgründe gegenüber. Ein möglicher Eingriff durch die Bekanntgabe des Hauptwahlergebnisses werde durch den Öffentlichkeitsgrundsatz, die Bewahrung des Vertrauens der Wähler in das Wahlergebnis, die Pressefreiheit und durch organisatorische Zwänge gerechtfertigt. Denkbare Alternativen würden eine Beeinträchtigung dieser Rechte und der Wahlorganisation nach sich ziehen.
Entscheidungsgründe
B.
Die zulässige Wahlprüfungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Die Auslegung und die Anwendung der Vorschriften des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung anlässlich der Nachwahl in dem Wahlkreis 160 (Dresden I) bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag sind nicht zu beanstanden. Die Regelung der Nachwahl in § 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 3 des Bundeswahlgesetzes in der Fassung vom 23. Juli 1993 und in § 82 BWO ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
Weder die Anordnung und die Durchführung der Nachwahl noch die Ermittlung und die Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Wahlergebnisses am Tage der Hauptwahl verletzten Vorschriften des Bundeswahlgesetzes oder der Bundeswahlordnung.
1. Die Wahlprüfungsbeschwerde stellt nicht in Frage, dass die Voraussetzungen, die § 43 BWG a.F. für die Absage der Wahl in einem Teil des Wahlgebietes und die Ansetzung einer Nachwahl aufstellt, erfüllt waren. Die Wahlkreisbewerberin der NPD im Wahlkreis Dresden war nach Zulassung der Wahlvorschläge, aber vor dem Wahltag verstorben, so dass die Voraussetzungen für eine Nachwahl gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 2 BWG a.F. vorlagen. Die Nachwahl selbst wurde korrekt unter Einhaltung der Vorschriften des § 43 Abs. 2 und Abs. 3 BWG a.F. in Verbindung mit § 82 BWO durchgeführt.
2. Die Entscheidung der Landeswahlleiterin, im Wahlkreis 160 (Dresden I) die gesamte Wahl, nicht nur die Erststimmenwahl, zu verschieben, entsprach den Vorgaben des Bundeswahlgesetzes. § 43 BWG a.F. und alle anderen die Stimmabgabe betreffenden Vorschriften des Bundeswahlgesetzes unterscheiden nicht zwischen den beiden Stimmen, sondern gehen von einer einheitlichen Wahlhandlung und einem einheitlichen Stimmzettel aus (§ 30 Abs. 2, § 34 Abs. 2, § 36 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe b, § 37 BWG). § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG setzt voraus, dass Erst- und Zweitstimme desselben Wählers einander zugeordnet werden können. Würde man die Nachwahl auf die Erststimme beschränken, müsste für die Nachwahl von den genannten Vorschriften abgewichen werden. Da § 43 Abs. 3 BWG a.F. dazu nicht ermächtigt, sondern umgekehrt die prinzipielle Geltung der für die Hauptwahl geltenden Vorschriften anordnet, sieht das Gesetz keine Aufspaltung der Wahl vor (vgl. Sodan/Kluckert, NJW 2005, S. 3241 ≪3242≫; Schreiber, ZRP 2005, S. 252 ≪254≫).
3. Das Bundeswahlgesetz ordnet in § 37 an, dass das Wahlergebnis „nach Beendigung der Wahlhandlung” festzustellen ist. Die Bekanntgabe der Wahlergebnisse ist ausschließlich in der Bundeswahlordnung geregelt. Eine ausdrückliche Abweichung von den allgemeinen Regelungen zur Ermittlung, Feststellung und Bekanntgabe der vorläufigen Wahlergebnisse wird in § 43 BWG a.F. weder für die Hauptwahl noch für die Nachwahl angeordnet. Das Bundeswahlgesetz sieht vor, dass auch im Fall einer Nachwahl die bei der Hauptwahl abgegebenen Stimmen unmittelbar im Anschluss an die Hauptwahl ausgezählt werden und das Ergebnis bekanntgegeben wird.
a) Dem Wortlaut des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung lassen sich keine Hinweise darauf entnehmen, dass die Bekanntgabe oder die Ermittlung und Bekanntgabe der vorläufigen Ergebnisse für das gesamte Wahlgebiet erst im Anschluss an die Nachwahl stattfinden dürfen.
Der Wortlaut von § 37 BWG würde für sich gesehen zwar eine Auszählung der Stimmen sowohl unmittelbar im Anschluss an die Hauptwahl als auch zu einem späteren Zeitpunkt, also etwa erst nach Ende der Nachwahl, ermöglichen. Beides läge zeitlich „nach Beendigung der Wahlhandlung”. Für eine Auslegung dahingehend, dass die „Wahlhandlung” am Abend der Hauptwahl beendet ist und bei der Nachwahl eine neue „Wahlhandlung” beginnt, spricht aber § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BWG, der den Verlust des Abgeordnetenmandats für den Fall der „Neufeststellung” des Wahlergebnisses vorsieht. Diese Regelung gilt nicht nur für Fälle, in denen die partielle Ungültigerklärung einer Wahl im Wahlprüfungsverfahren mittelbar Auswirkungen auf weitere Mandate hat, sondern auch für Nachwahlen, die nach Feststellung des Wahlergebnisses stattfinden (vgl. Ausschussbericht zum Entwurf des Bundeswahlgesetzes 1956, BTDrucks 2/2206, S. 3; Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, § 46 BWG Rn. 5; Schreiber, BWahlG, 8. Aufl. 2009, § 46 Rn. 21). Der Begriff „Neufeststellung” setzt voraus, dass bereits zuvor eine Feststellung stattgefunden hat. Dass diese teilweise „vorläufig” ist (vgl. Schreiber, BWahlG, 8. Aufl. 2009, § 43 Rn. 9), ändert hieran nichts.
b) Es entspricht auch Sinn und Zweck von § 37 BWG, das in einem doppelten Sinn vorläufige Wahlergebnis am Tage der Hauptwahl festzustellen und bekannt zu geben. Die Regelungen zur Ermittlung und Feststellung des vorläufigen Wahlergebnisses zielen darauf, möglichst zügig zu einem vorläufigen Wahlergebnis zu gelangen. Dieses unmittelbar auf das Ende der Wahlhandlung folgende Verfahren soll nicht nur unverzüglich zu Feststellungen über die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages führen (vgl. BTDrucks 16/7461, S. 19; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. März 2009 – 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 –, DVBl 2009, S. 511 ≪514≫), sondern auch Manipulationen verhindern (vgl. Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, § 63 BWO Nr. 2; Schreiber, BWahlG, 8. Aufl. 2009, § 37 Rn. 1). Die Öffentlichkeit des Gesamtvorgangs von der Wahlhandlung bis zur Ergebnisfeststellung und damit die Kontrolle der Wahl sollen dadurch gewährleistet werden (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. März 2009 – 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 –, DVBl 2009, S. 511; Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, § 63 BWO Nr. 2). Die Aussetzung der Wahlergebnisermittlung wird hingegen als schwerer Verfahrensverstoß angesehen (vgl. Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, § 63 BWO Nr. 2). Diese Vorgaben gelten auch bei der zeitlich getrennten Haupt- und Nachwahl, um in jedem Wahlabschnitt diesen hinter den Regelungen stehenden Grundsätzen zu genügen.
Soweit der Beschwerdeführer fordert, das vorläufige Ergebnis der Hauptwahl erst nach der Nachwahl bekanntzugeben, findet dies im geltenden Wahlrecht keine Grundlage. Nach § 70 Satz 1 BWO gibt der Wahlvorsteher das Ergebnis im Wahlbezirk „im Anschluss an die Feststellungen” bekannt und übermittelt es „auf schnellstem Wege” an den nächsthöheren Wahlausschuss. Nach § 71 Abs. 6 BWO geben die Wahlleiter nach Durchführung der ohne Vorliegen der Wahlniederschriften möglichen Überprüfungen die vorläufigen Wahlergebnisse bekannt. Das endgültige Wahlergebnis ist nach § 79 Abs. 1 BWO bekanntzugeben, „sobald die Feststellungen abgeschlossen sind”. Diese Vorschriften lassen keinen Zweifel daran, dass die Bekanntgabe der Ergebnisse so schnell wie möglich nach der Feststellung der Ergebnisse erfolgen soll.
Auch § 82 Abs. 6 BWO erlaubt nicht, die Ermittlung, Feststellung und Bekanntgabe der vorläufigen Wahlergebnisse erst im Anschluss an die Nachwahl vorzunehmen. Diese Norm ermächtigt den Landeswahlleiter zu abweichenden Regelungen bei der Organisation und Durchführung der Nachwahl (vgl. Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, § 79 BWO Nr. 6; Schreiber, BWahlG, 8. Aufl. 2009, § 43 Rn. 7), nicht aber die Wahlorgane auf der Wahlbezirks-, der Wahlkreis- und der Bundesebene zu Abweichungen von den Regelungen der §§ 37 ff. BWG und §§ 67 ff. BWO.
c) Diese Auslegung wird nicht durch die Änderung von § 43 BWG durch das Gesetz zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts vom 17. März 2008 (BGBl I S. 394) in Frage gestellt. Der neue Absatz 4 des § 43 BWG regelt nun, dass im Fall der Nachwahl das vorläufige Ergebnis der Hauptwahl unmittelbar im Anschluss an die Wahlhandlung der Hauptwahl zu ermitteln, festzustellen und bekanntzugeben ist. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass es sich nach Auffassung des Gesetzgebers um die Klarstellung der bisherigen Rechtslage und nicht um eine konstitutive Neuregelung handelt (vgl. BTDrucks 16/7461, S. 19). Die Regelung diene dem Interesse des Wählers und der Politik an einem zeitnahen Wahlergebnis und trage praktischen Zwängen der Wahlorganisation Rechnung (vgl. BTDrucks 16/7461, S. 19).
d) Auch den früheren Gesetzgebungsverfahren sind keine Hinweise zu entnehmen, dass im Fall von Nachwahlen von den allgemeinen Regeln zur Ermittlung, Feststellung und Bekanntgabe der Wahlergebnisse abgewichen werden soll. Bei der einzigen erheblichen Veränderung des § 43 BWG durch das Achte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2422), mit dem die Frist des § 43 Abs. 2 Satz 1 BWG auf sechs Wochen verlängert wurde, spielte die Regelung des § 43 Abs. 3 BWG und ihre bisherige Anwendung in der Wahlpraxis keine Rolle.
II.
§ 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 3 BWG a.F. ist mit dem Grundgesetz, insbesondere mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG, vereinbar. Die Ermittlung, Feststellung und Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisses nach der Hauptwahl sind aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG sichert die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Gleichberechtigung der Staatsbürger (vgl. BVerfGE 82, 322 ≪337≫; 99, 1 ≪13≫; 121, 266 ≪295≫). Er verlangt, dass alle Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben können, und ist eine der wesentlichen Grundlagen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie sie das Grundgesetz verfasst (vgl. BVerfGE 79, 169 ≪170≫; 85, 148 ≪157≫; 121, 266 ≪295≫).
aa) Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl ist im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen. Dies bedeutet, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss (vgl. BVerfGE 95, 335 ≪353 f.≫; 121, 266 ≪295≫). Alle Wähler sollen mit der Stimme, die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben. Dieser Maßstab wirkt sich im Rahmen des jeweiligen Wahlsystems unterschiedlich aus (vgl. BVerfGE 1, 208 ≪244≫; 95, 335 ≪353 f.≫; 121, 266 ≪295 f.≫). Bei der Mehrheitswahl fordert der Grundsatz der Gleichheit der Wahl über den gleichen Zählwert aller Stimmen hinaus nur, dass bei der Wahl alle Wähler auf der Grundlage möglichst gleichgroßer Wahlkreise und daher mit annähernd gleichem Stimmgewicht am Kreationsvorgang teilnehmen können (vgl. BVerfGE 95, 335 ≪353≫; 121, 266 ≪295 f.≫). Hingegen bedeutet Wahlgleichheit bei der Verhältniswahl, dass jeder Wähler mit seiner Stimme den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung der Volksvertretung haben muss (Erfolgswertgleichheit, vgl. BVerfGE 1, 208 ≪246≫; 121, 266 ≪296≫). Alle Parteien sollen in einem möglichst den Stimmenzahlen angenäherten Verhältnis in dem zu wählenden Organ vertreten sein (vgl. BVerfGE 121, 266 ≪296≫).
Das Grundgesetz regelt in Art. 38 Abs. 1 und Abs. 2 GG lediglich Wahlgrundsätze zur Wahl des Deutschen Bundestages. Der Verfassungsgeber hat die konkrete Ausgestaltung des Wahlsystems bewusst offen gelassen. Der Gesetzgeber hat von dieser Ermächtigung gemäß Art. 38 Abs. 3 GG Gebrauch gemacht und mit dem Bundeswahlgesetz Regelungen für die Wahlen getroffen. Er ist dabei aufgerufen, ein Stück materiellen Verfassungsrechts auszufüllen (vgl. BVerfGE 1, 208 ≪246≫; 121, 266 ≪296≫).
Bei der Ausführung dieses Regelungsauftrags sind Differenzierungen hinsichtlich des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl nicht ausgeschlossen. Allerdings folgt aus dem formalen Charakter des Grundsatzes der Wahlgleichheit, dass dem Gesetzgeber bei der Ordnung des Wahlrechts nur ein eng bemessener Spielraum für Differenzierungen verbleibt (BVerfGE 121, 266 ≪297≫). Diese Differenzierungen bedürfen zu ihrer Rechtfertigung eines besonderen, sachlich legitimierten, bislang als „zwingend” bezeichneten Grundes (vgl. BVerfGE 1, 208 ≪248 f.≫; 82, 322 ≪338≫; 95, 408 ≪418≫; 121, 266 ≪297≫; stRspr). Dabei wird nicht verlangt, dass sich die Differenzierungen als zwangsläufig oder notwendig darstellen (vgl. BVerfGE 95, 408 ≪418≫; 121, 266 ≪297≫). Sie können auch durch legitime verfassungsrechtliche Gründe gerechtfertigt werden, die von einem Gewicht sind, das der Wahlrechtsgleichheit die Waage halten kann. Als solche Gründe gelten beispielsweise die Verwirklichung der mit der Parlamentswahl verfolgten Ziele, die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorganges oder die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung (vgl. BVerfGE 82, 322 ≪338≫; 95, 408 ≪418≫; 121, 266 ≪297 f.≫).
Die differenzierenden Regelungen müssen zur Verfolgung der legitimen Zwecke geeignet und erforderlich sein (vgl. BVerfGE 95, 408 ≪418≫; 121, 266 ≪298≫). Ihr erlaubtes Ausmaß richtet sich auch danach, mit welcher Intensität in das – gleiche – Wahlrecht eingegriffen wird. Der Gesetzgeber muss sich bei der Einschätzung und Bewertung an der politischen Realität, nicht aber an abstrakt konstruierten Fallgestaltungen orientieren (vgl. BVerfGE 95, 408 ≪418 f.≫; 121, 266 ≪298≫). Dabei können auch gefestigte Rechtsüberzeugung und Rechtspraxis Beachtung finden (vgl. BVerfGE 121, 266 ≪298≫).
Das Bundesverfassungsgericht prüft insgesamt nur nach, ob der Gesetzgeber sich in den Grenzen des ihm vom Grundgesetz eingeräumten Gestaltungsspielraums gehalten oder ob er durch Überschreitung dieser Grenzen gegen einen verfassungskräftigen Wahlgrundsatz verstoßen hat. Dagegen ist es nicht Aufgabe des Gerichts, zu prüfen, ob der Gesetzgeber innerhalb seines Ermessensbereichs zweckmäßige oder rechtspolitisch erwünschte Lösungen gefunden hat (vgl. BVerfGE 59, 119 ≪124 f.≫; 121, 266 ≪303 f.≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. März 2009 – 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 –, DVBl 2009, S. 511 ≪512≫).
bb) Ein enger Zusammenhang des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl besteht mit dem Recht auf Chancengleichheit von Parteien und Wahlbewerbern bei Wahlen (vgl. BVerfGE 82, 322 ≪337≫). Dieses Recht folgt aus ihrem in Art. 21 Abs. 1 GG und Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG umschriebenen verfassungsrechtlichen Status und aus der Bedeutung, die der daraus verbürgten Freiheit der Parteigründung und dem Mehrparteienprinzip für die freiheitliche Demokratie zukommt (vgl. BVerfGE 82, 322 ≪337≫). Hier ist verfassungsrechtlich gefordert, dass die Rechtsordnung jeder Partei und jedem Wahlbewerber grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten in Wahlkampf und Wahlverfahren und damit eine gleiche Chance im Wettbewerb um die Wählerstimmen gewährleistet (vgl. BVerfGE 21, 196 ≪200≫; 44, 125 ≪145≫). Eine unterschiedliche Behandlung ist nur in engen Grenzen und bei dem Vorliegen von Gründen mit hinreichend zwingendem Charakter zulässig (vgl. BVerfGE 82, 322 ≪337 f.≫). Eine unzulässige Wahlbeeinflussung liegt vor, wenn staatliche Stellen im Vorfeld der Wahl in mehr als nur unerheblichem Maße parteiergreifend auf die Bildung des Wählerwillens eingewirkt haben, wenn private Dritte, einschließlich Parteien und einzelne Kandidaten, mit Mitteln des Zwangs oder Drucks die Wahlentscheidung beeinflusst haben oder wenn in ähnlich schwerwiegender Art und Weise auf die Wählerwillensbildung eingewirkt worden ist, ohne dass eine hinreichende Möglichkeit zur Abwehr – zum Beispiel mit Hilfe der Gerichte oder der Polizei – oder des Ausgleichs, etwa mit Mitteln des Wahlwettbewerbs, bestanden hätte (BVerfGE 103, 111 ≪132 f.≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 – 2 BvC 4/04 –, DVBl 2009, S. 307 ≪310≫).
cc) Bei der Prüfung, ob der Grundsatz der Gleichheit der Wahl oder die Chancengleichheit der Parteien beeinträchtigt worden ist, können rechtliche und außerrechtliche Einwirkungen unterschieden werden.
Eine rechtlich angeordnete unterschiedliche Gewichtung von Stimmen besteht beispielsweise im Fall der Grundmandatsklausel (vgl. BVerfGE 95, 408 ≪419 f.≫) oder der 5 %-Sperrklausel (vgl. BVerfGE 82, 322 ≪338 f.≫; 120, 82 ff.). Faktische Auswirkungen auf die Stimmabgabe können beispielsweise von der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung (vgl. BVerfGE 44, 125 ff.), von der Wahlwerbung (vgl. BVerfGE 21, 196 ff.; 48, 271 ff.) und dem werbenden Auftreten der freien Presse (vgl. BVerfGE 37, 84 ≪91≫) oder von Privatpersonen und Unternehmen (vgl. BVerfGE 66, 369 ff.) ausgehen. Solche Einwirkungen auf den Wähler können unter Umständen die Freiheit der Wahl (vgl. BVerfGE 21, 196 ≪198≫; 44, 125 ≪139 f.≫; 48, 271 ≪276≫; 66, 369 ≪380≫), aber auch die Erfolgschancen von Wählerstimmen und damit die Gleichheit der Wahl oder die Chancengleichheit der Wahlbewerber berühren.
Das bestehende Regelwerk des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung führt bei einer Nachwahl, sofern sie nicht am Tag der Hauptwahl stattfinden kann, dazu, dass die zur Nachwahl berechtigten Bürger das vorläufige und unvollständige Wahlergebnis der Hauptwahl kennen. Damit können diese Wähler in Kenntnis des Wahlausgangs ihre Wahlentscheidung auch unter taktischen Gesichtspunkten treffen. Die Wahlergebnisse bei der Nachwahl im Wahlkreis 160 (Dresden I) zeigen, dass von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht wurde. Taktische Wahlentscheidungen stellen grundsätzlich eine legitime Beteiligung des mündigen Bürgers an der Willensbildung in einem demokratisch verfassten Staat dar. Ob demgegenüber der ein solches Wahlverhalten leitende Informationsvorsprung der Wahlberechtigten einer Nachwahl im Verhältnis zu den übrigen Wählern die Gewährleistungsgehalte der Wahlrechtsgleichheit beeinträchtigt, kann offen bleiben, denn jedenfalls wäre eine derartige Beeinträchtigung gerechtfertigt. Dementsprechend ist die Nachwahl – auch außerhalb des deutschen Wahlsystems – ein anerkanntes und herkömmliches Institut des Wahlrechts.
c) Die im Grundgesetz verankerten Grundsätze der Allgemeinheit der Wahl, der Chancengleichheit von Parteien und Wahlbewerbern und der Öffentlichkeit der Wahl stehen mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl auf einer verfassungsrechtlichen Stufe und können Differenzierungen bei der Wahlrechtsgleichheit rechtfertigen.
Die Nachwahl ermöglicht den Wählern in den betroffenen Wahlkreisen überhaupt erst die Teilnahme an der Wahl und verwirklicht damit den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG). Das Grundgesetz gestattet es dem Gesetzgeber, dafür zu sorgen, dass nach Möglichkeit alle Wahlberechtigten ihr Wahlrecht ausüben und erlaubt es insoweit auch, andere Wahlgrundsätze einzuschränken, so etwa durch die Zulassung der Briefwahl (vgl. BVerfGE 21, 200 ≪206≫). Der Fall der Briefwahl zeigt auch, dass unterschiedliche Kenntnisstände der Wähler hinnehmbar sein können: Der Wissensstand der Briefwähler ist geringer, da sie ihre Stimme häufig deutlich vor dem Wahltermin abgeben. Diese Stimmabgabe kann auch unter dem Eindruck von zwischen der Stimmabgabe und dem Wahltermin stattfindenden Ereignissen nicht mehr revidiert werden. Briefwähler unterliegen damit einem Wissensdefizit, das im Interesse der Allgemeinheit der Wahl hingenommen wird (vgl. BVerfGE 21, 200 ≪206≫; 59, 119 ≪125≫). Der Anteil der von einer Nachwahl betroffenen Wahlberechtigten ist regelmäßig sogar wesentlich geringer als bei der Briefwahl (2005: 0,35 %).
Dieser gewichtige Wahlgrundsatz wird flankiert von dem Grundsatz der Chancengleichheit von Parteien und Wahlbewerbern (Art. 21 Abs. 1 GG und Art. 38 Abs. 1 GG). Die Nachwahl stellt sicher, dass die betroffene Partei für ihren verstorbenen Wahlkreisbewerber einen anderen Bewerber benennen und an dem Wettbewerb um das Wahlkreismandat teilnehmen kann.
Schließlich ist der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl (Art. 38 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. März 2009 – 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 –, DVBl 2009, S. 511). Dieser Grundsatz verpflichtet den Gesetzgeber, das Wahlverfahren in einer Weise zu gestalten, die die öffentliche Kontrolle der Wahlen durch den Bürger erlaubt. Der Öffentlichkeit der Wahl unterliegt auch die Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. März 2009 – 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 –, DVBl 2009, S. 511). Diese Kontrolle wäre zumindest erheblich erschwert, wenn die Ergebnisse der Hauptwahl erst nach Abschluss der Nachwahl ermittelt würden. Die ordnungsgemäße Aufbewahrung der Wahlurnen über einen längeren Zeitraum hin in einer für die Öffentlichkeit effektiv nachvollziehbaren Weise zu überwachen, stieße auf kaum überwindliche Schwierigkeiten.
Dem Gesetzgeber ist es auch nicht verwehrt, organisatorische Gesichtspunkte, die der Durchführung und Sicherung eines ordnungsgemäßen Wahlverfahrens dienen, das seinerseits zur Verwirklichung der Wahlgrundsätze beiträgt, in die gesetzlichen Regelungen einfließen zu lassen (vgl. BVerfGE 30, 227 ≪249≫). Dabei ist zu vergegenwärtigen, dass eine Wahl eines der größten Massenverfahren darstellt, das das Recht kennt (vgl. H. Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 45 Rn. 17). Die Organisation und Durchführung dieses Verfahrens stehen unter hohem Zeitdruck. Es kann nur bewältigt werden, wenn es einerseits in hohem Maße formalisiert und stabil (vgl. H. Meyer, a.a.O.), andererseits auch praktikabel ist. Dass eine Zäsur zwischen Beendigung der Wahlhandlung und Feststellung des Wahlergebnisses bereits im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Wahlorgane in allen Wahlbezirken erneut einzuberufen, gewichtige praktische Probleme aufwürfe, liegt auf der Hand.
Der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber und Parteien ist nicht verletzt. Diese haben zwischen der Haupt- und der Nachwahl ausreichend Gelegenheit, um auf das Ergebnis der Hauptwahl zu reagieren und auf dieser Grundlage bei den Nachwählern um deren Stimmen zu werben. Diese Möglichkeit des Ausgleichs durch den Wahlwettbewerb steht allen Parteien gleichermaßen offen. Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien verlangt nicht, dass die sich aus der Größe, Leistungsfähigkeit und politischen Zielsetzung ergebenden Unterschiede durch staatliche Maßnahmen ausgeglichen oder von vornherein ausgeschlossen werden müssen (vgl. BVerfGE 21, 196 ≪199 f.≫).
Die Freiheit der Wahl ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Wahl dem Gewählten die demokratische Legitimation vermittelt. Eine Beeinträchtigung dieses Wahlrechtsgrundsatzes kann nicht festgestellt werden.
Jeder Wähler muss sein Wahlrecht ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen ausüben können (BVerfGE 7, 63 ≪69≫; 15, 165 ≪166≫; 47, 253 ≪282≫; 66, 369 ≪380≫). Er soll sein Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen können (BVerfGE 44, 125 ≪139≫; 66, 369 ≪380≫). Der sachliche Geltungsbereich der Wahlfreiheit erstreckt sich über die Freiheit der Wahlbetätigung und der Stimmabgabe hinaus auf das gesamte Wahlvorbereitungsverfahren einschließlich des Wahlkampfes (vgl. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 38 Abs. 1 Rn. 126). Damit der Wähler seine Entscheidung in einem freien und offenen Prozess bilden kann, ist jede amtliche Wahlbeeinflussung grundsätzlich verboten, aber auch der nichtamtlichen Wahlbeeinflussung sind von Verfassungs wegen Grenzen gesetzt (vgl. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 109 ≪März 2007≫; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 38 Abs. 1 Rn. 127). Da jeder Wähler in der einen oder anderen Weise Einflüssen und Beeinflussungsversuchen unterliegt oder Abhängigkeiten ausgesetzt ist und die Beeinflussung der Wähler durch die am öffentlichen Meinungsbildungsprozess Beteiligten notwendiger Bestandteil einer freien Wahl ist, wird die Freiheit der Wahl nur durch solche Maßnahmen beeinträchtigt, die objektiv tauglich und konkret wirksam sind, um den Wähler zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen und die geeignet sind, seine Entscheidungsfreiheit trotz bestehenden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 66, 369 ≪380≫; Badura, in: Bonner Kommentar, Bd. 7, Anh. z. Art. 38: BWahlG, Rn. 29 ≪September 2007≫).
Die Feststellung eines (vorläufigen) Ergebnisses nach der Hauptwahl und dessen Bekanntgabe durch den Bundeswahlleiter vor Durchführung der Nachwahl stellen keine Beeinträchtigung der Freiheit der Wahl dar. Es fehlt schon an dem Willen, auf die Wahlhandlung der Wähler Einfluss auszuüben. Kein Wähler wird durch die vorläufige Bekanntgabe des Wahlergebnisses zu einem bestimmten Verhalten genötigt oder in seiner Entscheidungsfreiheit ernstlich beeinträchtigt.
Der Grundsatz der geheimen Wahl ist ebenfalls nicht verletzt.
Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in geheimer Wahl gewählt. Die geheime Wahl stellt den wichtigsten institutionellen Schutz der Wahlfreiheit dar, die wiederum unabdingbare Voraussetzung für die Legitimation der Gewählten ist (vgl. BVerfGE 99, 1 ≪13≫). Der Einzelne wird insoweit davor geschützt, dass seine Wahlabsicht oder Wahlentscheidung, also wie er wählen will, wählt oder gewählt hat, Dritten bekannt wird.
Es besteht jedoch kein Schutz davor, dass nach Abschluss des Wahlvorgangs ein Ergebnis ermittelt und bekannt gegeben wird. Damit wird keine Wahlentscheidung des Einzelnen individualisierbar offenbart. Vielmehr unterliegt dieser Teil der Wahl dem Grundsatz der Öffentlichkeit, der der Kontrolle des Wahlverfahrens und dem Schutz vor Manipulationen dient (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. März 2009 – 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 –, DVBl 2009, S. 511 f.≫; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 113 ≪März 2007≫).
Unterschriften
Voßkuhle, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau
Fundstellen
BVerfGE 2010, 1 |
DÖV 2009, 769 |
JuS 2009, 953 |