Verfahrensgang
OLG Naumburg (Beschluss vom 19.06.2014; Aktenzeichen 4 UF 158/13) |
OLG Naumburg (Beschluss vom 02.04.2014; Aktenzeichen 4 UF 158/13) |
AG Wernigerode (Beschluss vom 22.08.2013; Aktenzeichen 11 F 399/13 SO) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung eines Antrags auf Abänderung einer Sorgerechtsentscheidung zwischen getrennt lebenden Eltern.
1. Der Beschwerdeführer ist Vater eines im Jahr 2008 geborenen Sohnes. Nach der Geburt des Kindes lebten der Beschwerdeführer und die Mutter mit dem Sohn und der im Jahr 2000 geborenen Tochter des Beschwerdeführers aus einer vorangegangenen Beziehung zunächst in einem gemeinsamen Haushalt. Nach Trennung der für den Sohn bislang gemeinsam sorgeberechtigten Eltern im Jahr 2011 beantragten diese jeweils die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts. Die Halbschwester verblieb beim Beschwerdeführer. Auch der Sohn hielt sich zunächst überwiegend im Haushalt des Beschwerdeführers auf. Im April 2012 übertrug das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Sohn auf die Mutter. Dagegen erhob der Beschwerdeführer erfolglos Beschwerde. Eine Gehörsrüge wies das Oberlandesgericht im Mai 2013 zurück. Seit Frühjahr 2013 lebt der Junge im Haushalt der Mutter. Der Beschwerdeführer erhob Verfassungsbeschwerde, welche nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Seit April 2013 besucht der sprachlich und motorisch verzögert entwickelte Sohn am Wohnort der Mutter eine integrative Bewegungskindertagesstätte.
Wenige Tage nach der Zurückweisung der Gehörsrüge stellte der Beschwerdeführer einen neuen Antrag auf Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts mit der Begründung, die seit kurzem geänderten Lebensverhältnisse des Kindes liefen dessen Wohl zuwider, da es nicht von dem Beschwerdeführer und seiner Halbschwester getrennt sein wolle. Das Amtsgericht bestellte eine Verfahrensbeiständin für das Kind und holte Stellungnahmen des Jugendamtes ein.
2. Nach Anhörung der Kindeseltern sowie der Verfahrensbeiständin wies das Amtsgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Abänderung der Sorgerechtsentscheidung und Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn mit angegriffenem Beschluss vom 22. August 2013 zurück. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde. Die Verfahrensbeiständin gab eine erneute Stellungnahme ab. Das Jugendamt legte einen aktuellen Bericht über die Entwicklung des Kindes vor.
3. Mit angegriffenem Beschluss vom 2. April 2014 wies das Oberlandesgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers ohne mündliche Verhandlung und nochmalige Anhörung der Beteiligten zurück. In seiner Begründung führte das Oberlandesgericht aus, dass keine triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründe im Sinne von § 1696 Abs. 1 BGB vorliegen würden, welche eine Abänderung der ursprünglichen Entscheidung angezeigt erscheinen ließen. § 1696 BGB verlange eine Steigerung der auch sonst maßgeblichen Kindeswohlerfordernisse, um eine Änderung der zumal erst kurze Zeit vorher getroffenen Regelung zu rechtfertigen.
Das Kind lebe seit Frühjahr 2013 bei der Mutter und werde von dieser versorgt und betreut. Allein diesen tatsächlichen Verhältnissen komme aus der maßgeblichen Sicht und nach dem Zeitempfinden eines fünfeinhalbjährigen Kindes die Qualität einer sehr langfristig verfestigten Kontinuität zu, die bereits nachdrücklich für die Aufrechterhaltung der Betreuungssituation spreche.
Dass der Junge von seiner Halbschwester getrennt sei, führe zu keiner anderen Betrachtung. Der Senat habe dies bereits im Ausgangsverfahren berücksichtigt und festgestellt, dass ein relativ großer Altersunterschied zwischen den Kindern bestehe und großzügige Umgangsregelungen ausreichend Raum für Kontakte lassen würden. Die tatsächlichen Verhältnisse seien insoweit unverändert. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, die Mutter führe die Förderung des Kindes nicht fort, sei durch die im Beschwerdeverfahren getroffenen Feststellungen widerlegt. Dass der Sohn sich nach Aussage der Verfahrensbeiständin in direkten Befragungen nach dem favorisierten Lebensmittelpunkt dahingehend geäußert hatte, eher beim Beschwerdeführer leben zu wollen, führt nach Ansicht des Oberlandesgerichts ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung. Der Kindeswille sei altersbedingt ohnehin nur begrenzt berücksichtigungsfähig und scheide hier auch deshalb als maßgebliches Entscheidungskriterium aus, weil sich ein entsprechender Wille als nicht überprüfungsfähig erwiesen habe. Das Kind sei erst knapp sechs Jahre alt und befinde sich ersichtlich in einem ausgeprägten Loyalitätskonflikt und wolle es sich offenbar mit keinem der beiden Elternteile verderben.
Von einer nochmaligen Anhörung der Beteiligten wurde abgesehen, weil keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten seien.
4. Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge. Mit angegriffenem Beschluss vom 19. Juni 2014 wies das Oberlandesgericht die Gehörsrüge zurück.
5. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG sowie eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe den Änderungsmaßstab des § 1696 Abs. 1 BGB in verfassungswidriger Weise zu Lasten des Beschwerdeführers überspannt. Das Oberlandesgericht habe die Bedeutung des Kindeswillens verkannt und den nachhaltig geäußerten Willen des Jungen, zu dem Beschwerdeführer und zur Halbschwester zurückzukehren, unberücksichtigt gelassen. Das Oberlandesgericht hätte das Kind anhören und den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Es hätte ein Sachverständigengutachten zur Kindeswohldienlichkeit einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Beschwerdeführer einholen müssen. Auch habe das Gericht die enge Bindung des Sohnes an seine Halbschwester nicht hinreichend berücksichtigt und die Auswirkungen einer Trennung von der Halbschwester in verfassungswidriger Weise nicht weiter aufgeklärt. Schließlich habe das Oberlandesgericht bei der Zurückweisung des Antrags des Beschwerdeführers nicht maßgeblich auf den Kontinuitätsgrundsatz abstellen dürfen, da sich das Kind bei der Mutter gerade nicht eingelebt und vor dem Wechsel in den Haushalt der Mutter im Frühjahr 2013 größtenteils beim Beschwerdeführer gelebt habe.
Entscheidungsgründe
II.
Ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer insbesondere nicht in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG.
1. a) Der Schutz des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG, welches Vater und Mutter gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. BVerfGE 84, 168 ≪180≫; 107, 150 ≪173≫). In Fällen, in denen Fachgerichte – wie hier – nach der Trennung der Eltern auf Antrag eines Elternteils über die künftige Wahrnehmung der elterlichen Sorge entschieden haben, beschränkt sich die Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts darauf zu prüfen, ob die Fachgerichte die Tragweite der betroffenen Grundrechte grundlegend verkannt haben. Bei fehlendem Einvernehmen der Eltern bleibt es in erster Linie dem Familiengericht vorbehalten zu beurteilen, inwieweit nach § 1671 Abs. 1 BGB die gemeinsame Sorge aufgehoben und welchem Elternteil die Alleinsorge übertragen werden soll (vgl. dazu im Einzelnen zuletzt BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. April 2014 – 1 BvR 3360/13 –, juris, Rn. 7 f.). Auch die Beurteilung, ob eine nach § 1671 BGB getroffene Sorgerechtsregelung nach § 1696 Abs. 1 BGB abgeändert werden soll, obliegt in erster Linie dem Familiengericht. Nach § 1696 Abs. 1 BGB müssen triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe vorliegen, welche eine Änderung der ursprünglichen Regelung angezeigt erscheinen lassen. Diese Regelung ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 – 1 BvR 1248/09 –, juris, Rn. 17; stRspr). Sie stellt im Interesse des Kindes aus Kontinuitätsgründen sicher, dass eine einmal getroffene Sorgerechtsentscheidung, obgleich sie nicht in materielle Rechtskraft erwächst, nicht beliebig und jederzeit, sondern erst nach Erreichen der genannten Änderungsschwelle modifizierbar ist.
b) Wie in sonstigen Sorgerechtsverfahren ist auch im Abänderungsverfahren nach § 1696 Abs. 1 BGB der Wille des Kindes zu berücksichtigen, soweit dies mit seinem Wohl vereinbar ist. Indessen bleibt es grundsätzlich dem erkennenden Gericht überlassen, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet hält, um eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfGE 55, 171 ≪182≫). Insbesondere müssen die Gerichte nicht immer ein Sachverständigengutachten einholen, es kann ausreichen, dass sie anderweitig über eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen (vgl. BVerfGK 9, 274 ≪279≫).
2. Die angegriffenen Entscheidungen sind den genannten Maßstäben gerecht geworden.
a) Das Oberlandesgericht hat sich mit den widerstreitenden Positionen ausführlich und sorgfältig auseinandergesetzt und seine Entscheidung in erster Linie auf den Kontinuitätsgedanken gestützt. Dem Interesse des Kindes an der Stabilität seiner Lebensverhältnisse besondere Bedeutung beizumessen, ist einfachrechtlich durch den strengen Abänderungsmaßstab des § 1696 Abs. 1 BGB geboten und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Selbst eine strenge Handhabung dieses Maßstabs begegnet, jedenfalls soweit es um einen Obhutswechsel geht, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bedürfnis nach Kontinuität hat das Oberlandesgericht hier nicht deshalb fehlerhaft gewertet, weil der Sohn vor dem Umzug in den mütterlichen Haushalt im Frühjahr 2013 überwiegend beim Beschwerdeführer gelebt hat. Der dem § 1696 Abs. 1 BGB zugrunde liegende Kontinuitätsgedanke bezieht sich auf den Zeitraum nach der sorgerechtlichen Ausgangsentscheidung, in dem das Kind hier bei der Mutter lebte.
b) Dass das Oberlandesgericht keine durchgreifenden Gründe gesehen hat, die für einen erneuten Wechsel des Kindes in den Haushalt des Beschwerdeführers und damit für eine Durchbrechung des Kontinuitätsgrundsatzes sprechen würden, ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Der Gedanke der Geschwisterbindung gebietet von Verfassungs wegen keine andere Entscheidung. Das Oberlandesgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass dies bereits im Ausgangsverfahren berücksichtigt und nicht für durchschlagend erachtet wurde und dass eine zwischenzeitliche Änderung der für die ursprüngliche Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse hinsichtlich der Trennungssituation der Halbgeschwister offensichtlich nicht vorliege.
Auch die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur Förderungsbereitschaft und -eignung der Mutter lassen nicht auf eine Verkennung der Grundrechte des Beschwerdeführers schließen.
Dass das Gericht den Willensbekundungen des Kindes, beim Vater leben zu wollen, keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat, bewegt sich ebenfalls im verfassungsrechtlich vertretbaren Rahmen. Das Oberlandesgericht hat nachvollziehbar ausgeführt, dass das Kind erst knapp sechs Jahre alt ist und sich in einem gravierenden Loyalitätskonflikt befindet, so dass dem aktuell gegenüber der Verfahrensbeiständin geäußerten Kindeswillen, wonach der Junge derzeit lieber beim Beschwerdeführer leben möchte, nur eine abgeschwächte Bedeutung zukommt. Dass das Oberlandesgericht den Kontinuitätsinteressen hier im Verhältnis zu den Willensbekundungen des Kindes einen besonderen Stellenwert eingeräumt hat, lässt nicht auf eine Verkennung von Grundrechten schließen. Ihm ist auch nicht vorzuwerfen, den Willen des Kindes nicht hinreichend erforscht und insofern keine ausreichende Sachverhaltsaufklärung betrieben zu haben. Das Oberlandesgericht hat sich mit den vorliegenden Erkenntnisquellen auseinandergesetzt und dabei sowohl die zahlreichen Berichte der Verfahrensbeiständin als auch die Stellungnahmen des Jugendamts und die Erziehungsberichte der Kindertagesstätte in seine Prüfung miteinbezogen. Auf eine Anhörung des Kindes hat das Oberlandesgericht zwar verzichtet, weil es insoweit keine weiteren Erkenntnisse erwartete. Dies ist jedoch vor der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Annahme, angesichts der Umstände des Falles komme der Willensbekundung des Kindes gegenüber dem Kontinuitätsinteresse ohnehin nur begrenzte Bedeutung zu, konsequent. Vor diesem Hintergrund war auch die Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens von Verfassungs wegen nicht angezeigt.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Eichberger, Britz
Fundstellen
FamRZ 2015, 210 |
NJW-Spezial 2014, 741 |
ZKJ 2015, 111 |
JAmt 2015, 322 |
NZFam 2014, 1109 |