Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 13.11.2008; Aktenzeichen 3 Ws 1035/08) |
LG Kassel (Beschluss vom 02.10.2008; Aktenzeichen 4 StVK 56/08) |
Tenor
1. Die Beschlüsse des Landgerichts Kassel vom 2. Oktober 2008 – 4 StVK 56/08 – und des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. November 2008 – 3 Ws 1035/08 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Kassel zurückverwiesen.
2. Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zur erstatten.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung einer Strafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit (§ 57 Abs. 1 StGB).
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Limburg vom 15. November 2006 wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in acht Fällen, davon in sieben Fällen in nicht geringen Mengen, sowie wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zwei Drittel der Strafe waren am 5. Juni 2008 verbüßt; als Endstrafentermin ist der 7. Oktober 2010 vermerkt.
2. a) Am 8. Januar 2008 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe.
b) Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Kassel trat diesem Antrag mit Schreiben vom 9. Januar 2008 unter Übersendung des Protokolls der letzten Vollzugsplankonferenz entgegen. In seiner ablehnenden Stellungnahme hob er hervor, dass der Beschwerdeführer die Straftaten als Mitglied einer mafiös organisierten subkulturellen Gruppe von Aussiedlern und Russen begangen habe, die Geschäfte mit Drogen bis in hessische Justizvollzugsanstalten hinein organisiert hätten. Es habe sich hierbei um eine organisierte Gruppierung mit streng hierarchischer Gliederung, der strikten ethnischen Abschottung nach außen, der Einschüchterung und Disziplinierung von Abweichlern sowie Ablehnung jeglicher staatlicher Autorität gehandelt. In den abgeurteilten Gewalttätigkeiten sowie in einer egozentrisch motivierten Ausrichtung der Lebensführung des Beschwerdeführers erkannte der Leiter der Justizvollzugsanstalt eine dissoziale Lebensausrichtung, weswegen dem Beschwerdeführer empfohlen worden sei, sich um Aufnahme in eine sozialtherapeutische Anstalt zu bemühen. Das Interesse des Beschwerdeführers hieran sei jedoch verlorengegangen, weil er aufgrund der Länge der Behandlung auf eine bedingte Entlassung zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt hätte verzichten müssen. Zusammenfassend stellte er dem Beschwerdeführer trotz seines nunmehr angepassten Vollzugsverhaltens, seiner Mitarbeit im Leistungsbereich und seiner familiären Bindungen nicht die für eine bedingte Entlassung erforderliche positive Legalprognose.
c) Auch die Staatsanwaltschaft trat einer bedingten Entlassung entgegen. An eine Prognose, ob der Beschwerdeführer sich künftig straffrei führen werde, seien mit Blick auf die Anlasstaten erhöhte Anforderungen zu stellen. Das Verhalten des Beschwerdeführers und seine Persönlichkeitsstruktur (egozentrische Ausrichtung seiner Lebensführung) seien nicht in der Lage, eine positive Sozialprognose zu begründen.
d) Im Anschluss an die mündliche Anhörung des Beschwerdeführers am 10. April 2008 beschloss die Strafvollstreckungskammer einen Tag später die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob von dem Beschwerdeführer noch die Gefahr der Begehung von Straftaten ausgehe. Mit Schreiben vom 28. Juli 2008 übersandte der Sachverständige sein Gutachten. Dabei kam er zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass er das Risiko schwerwiegender Straftaten bei dem Beschwerdeführer aus heutiger Sicht, relativ zu früher, als nicht wesentlich geringer einschätze. Das Risiko erneuter Straffälligkeit resultiere aus einer nicht auszuschließenden Bereitschaft zur erneuten Integration in eine kriminelle Subkultur sowie aus seiner dissozialen Kompetenz, die allerdings keinen Krankheitswert aufweise. Wenn der Beschwerdeführer auf sich gestellt sei, werde seine Gefährlichkeit als gering eingeschätzt. Bei ihm ließen sich Auffälligkeiten der Persönlichkeit und Akzentuierungen von Persönlichkeitszügen, nicht aber psychische Störungen oder Krankheiten feststellen; spezielle psycho- oder sozialtherapeutische Maßnahmen seien deshalb nicht angezeigt. Inwieweit das familiäre/soziale Umfeld in der Lage sei, eine psychisch stabilisierende Wirkung auf den Probanden auszuüben, lasse sich nicht mit Sicherheit einschätzen, werde insgesamt aber eher skeptisch gesehen. Der soziale Empfangsraum werde zum Teil auch durch die Gruppe der russischen Aussiedler bestimmt. Berücksichtige man die vom Gericht festgestellte besondere Bindung an subkulturelle Strukturen und die innerhalb der Strukturen beschriebene Einvernahme der Individuen, so falle auf, dass der Beschwerdeführer keine Angaben bezüglich eventueller Probleme bei der Trennung von dieser Gemeinschaft mache. Für eine Sozialprognose wären Lockerungsbewährungen über einen längeren Zeitraum förderlich. Insgesamt sei fraglich, ob der Beschwerdeführer in der Lage sei, die mit einem normalen täglichen Erwerbsleben verbundenen narzisstischen Kränkungen und Frustrationen zu ertragen und nicht den Verlockungen des schnellen illegalen Gelderwerbs zu erliegen. Wenn der Beschwerdeführer seine positive Entwicklung am Beispiel der Abkehr von einer materialistischen Lebensweise schildere, möge das unter den Bedingungen des Vollzuges zutreffen, sei aber nicht zu vergleichen mit Situationen außerhalb der Haft.
e) Mit der Ladung zur mündlichen Anhörung des Gutachters fragte die Strafvollstreckungskammer am 4. September 2008 bei der Justizvollzugsanstalt nach der Anschrift des bei ihr tätig gewesenen Diplom-Psychologen an, dessen zeugenschaftliche Einvernahme der Verteidiger des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 17. September 2008 beantragte. Hintergrund für dessen Benennung als Zeuge waren 12 therapeutische Gespräche, die der Beschwerdeführer in der Zeit von Juli 2007 bis Anfang 2008 mit dem Anstaltspsychologen geführt hatte. Im Anschluss an diese Gespräche habe dieser erhebliche und relevante Veränderungsprozesse bei dem Beschwerdeführer konstatiert, die Risikofaktoren deutlich abgeschwächt beziehungsweise beseitigt hätten. Mit ihm seien die künftigen Lebensperspektiven, differenziert nach subjektiven und objektiven Zukunftsperspektiven, ausführlich besprochen worden. Im Verlauf des therapeutischen Gesprächs habe der Beschwerdeführer auch den Beschluss gefasst, zur beruflichen Weiterbildung an einem Schweißerlehrgang teilzunehmen, der seine Chancen auf dem freien Arbeitsmarkt und damit die Möglichkeit des legalen Gelderwerbs deutlich erhöhe. Der Anstaltpsychologe sei zu der Feststellung gekommen, dass der Beschwerdeführer sich aus der Subkultur gelöst habe. Unter Hinweis auf weitere Einzelheiten, die in das Wissen des Anstaltspsychologen gestellt wurden, wies der Verteidiger des Beschwerdeführers auf die Erheblichkeit dieses Beweisantrages hin, der im Zusammenhang mit der Feststellung des Sachverständigen von der nicht auszuschließenden Bereitschaft des Beschwerdeführers zur erneuten Integration in eine kriminelle Subkultur und der dissozialen Kompetenz zu sehen sei.
f) Bei der mündlichen Anhörung des Sachverständigen am 1. Oktober 2008 erläuterte dieser sein Gutachten. Dabei wies er eingangs darauf hin, dass das Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers sich – trotz dissozialer Züge und narzisstischer Charaktereigenschaften – im normalpsychologischen Bereich bewege, in dem die normale persönlichkeitsbeurteilende Kompetenz eines Richters für die Prüfung der Legalprognose eines Verurteilten ausreichend sei und er als Psychiater eigentlich auch nur Hinweise auf Regeln der allgemeinen Lebenserfahrungen, vertieft durch kriminologische Zusatzerkenntnisse, geben könne.
Hinsichtlich der Stellungnahme des Verteidigers des Beschwerdeführers in seinem Schreiben vom 17. September 2008 ging der Sachverständige davon aus, dass man die dort angeführten Tatsachen als zutreffend unterstellen könne, ohne dass sich dies entscheidend auf die angestellten prognostischen Erwägungen auswirke. Der Beschwerdeführer sei imstande, sich taktisch auf Situationen einzurichten in dem Sinne, dass er sich durchaus auch bewusst dafür entscheiden könne, legal zu leben und sich an Normen zu halten, genauso wie er sich zu Zeiten seiner Straffälligkeit frei für den Weg der Kriminalität entschieden habe. Der Beschwerdeführer könne straffrei leben, wenn er sich hierzu entschließe. Er sehe den Beschwerdeführer so, dass er zwar nicht erneut als Einzeltäter straffällig werde, aber sich aus seiner Vergangenheit heraus die Möglichkeit aufzeige, dass er im Zusammenhang mit anderen delinquent werden könne. Im Übrigen sei der unmittelbare zwingende Rückschluss von dem Verhalten des Beschwerdeführers in der Haftsituation auf sein künftiges Leben in Freiheit nicht möglich. Es gebe nämlich kriminalitätsförderliche Neigungen bei dem Beschwerdeführer, bei denen es letztlich in seinem Willen liege, ob er ihnen nachgebe oder nicht. Dissoziale Züge wie bei dem Beschwerdeführer könne man aber durchaus auch bei strafrechtlich nicht auffällig gewordenen Personen etwa aus der Unterhaltungsbranche oder dem Wirtschaftsleben beobachten. Soweit vorgetragen werde, der Beschwerdeführer habe in den Gesprächen mit dem Anstaltspsychologen Einsicht gezeigt, wolle er nicht ausschließen, dass er eine solche Einsicht gewonnen habe. Das Wissen um das Unrecht seines Tuns und die Einsicht, ein ungeregelter Lebenswandel könne für ihn schädlich sein, würden aber nicht zwingend ausschließen, dass er bei geeigneter Konstellation, das heißt beim Zusammenwirken mit entsprechend geneigten Mittätern, in Freiheit erneut straffällig werden könnte.
Eine Vernehmung des Anstaltspsychologen, dessen Anschrift dem Gericht mit Schreiben vom 17. September 2008 mitgeteilt worden war, erfolgte nicht.
3. Mit Beschluss vom 2. Oktober 2008 lehnte die Strafvollstreckungskammer eine Strafaussetzung zur Bewährung ab. Sie war der Ansicht, die Aussetzung der Reststrafe könne derzeit unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden. Schon vor den Anlassdelikten der vorliegenden Vollstreckung sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, sich gänzlich straffrei zu führen. Die der Vollstreckung der jetzigen Strafe zugrunde liegenden Straftaten selbst zeugten von erheblicher krimineller Energie. Der Beschwerdeführer habe sich an einem in Justizvollzugsanstalten hineinreichenden und mafiös organisierten Ring von Drogenschmugglern beteiligt. Für den Weg in die Kriminalität habe sich der Beschwerdeführer seinerzeit frei und ohne Druck innerpsychischer Zwänge entschlossen; die Bindungen zu seiner Ehefrau hätten ihn davon nicht abhalten können.
Zwar habe sich der Beschwerdeführer während des Strafvollzuges beanstandungsfrei geführt. Auch habe er durch berufsbildende Maßnahmen in der Haft die Bereitschaft gezeigt, sich eine legale Lebensperspektive für die Zeit nach seiner Haftentlassung aufzubauen. Er sei nach seinen Darlegungen auch bemüht gewesen, Einsicht in die Ursachen seiner Straffälligkeit durch Gespräche mit einem Anstaltspsychologen zu gewinnen.
Gleichwohl habe sich das Gericht nicht die erforderliche Überzeugung zu verschaffen gemocht, dass der Beschwerdeführer sich mit der für eine bedingte Entlassung erforderlichen Gewissheit straffrei führen werde. Er sei nach den plausiblen Darlegungen des Sachverständigen zwar nicht aus Gründen einer bei ihm bestehenden psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert rückfallgefährdet, weise aber Charakterzüge auf, die ihn als in besonderer Weise rückfallgefährdet erscheinen ließen. Der Sachverständige habe für das Gericht überzeugend und nachvollziehbar auf narzisstische Persönlichkeitszüge und einzelne dissoziale Charaktereigenschaften, insbesondere mangelnde Empathie, hingewiesen, die hier die Gefahr einer erneuten Straffälligkeit begründeten.
Das Gericht könne insoweit die Darlegungen aus dem Schreiben des Verteidigers des Beschwerdeführers vom 17. September 2008 als zutreffend unterstellen, ohne dass sich hieraus durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit der Einschätzung des Sachverständigen oder ein Anlass zu weiteren Maßnahmen der Sachaufklärung ergeben würden. Es werde durchaus als glaubhaft angesehen, dass sich der Beschwerdeführer derzeit unter der besonderen Situation einer längeren Strafhaft und einer von ihm angestrebten Entlassung von subkulturellen Kreisen der Haftanstalt distanziert habe und derzeit eine auf eine legale Lebensperspektive ausgerichtete Lebensplanung verfolge. Dem Gericht sei nicht die Glaubwürdigkeit dieser gegenwärtigen Einstellung, sondern ihre künftige Stabilität unter den besonderen Bedingungen und Anforderungen des Lebens in Freiheit zweifelhaft. Der Beschwerdeführer habe sich bereits einmal angesichts der materiellen Einschränkungen des Lebens in Freiheit für den Weg der Kriminalität entschieden und könne eine solche Entscheidung jederzeit erneut treffen, falls seine derzeit bekundete Einstellung zu einer legalen Lebensführung wieder in sich zusammenbreche. Die Stabilität des derzeit bekundeten Einstellungswandels sei dem Gericht auch deshalb zweifelhaft geblieben, weil der Beschwerdeführer die ihm angetragene Behandlung in der Sozialtherapie abgelehnt habe. Obwohl dem Sachverständigen darin zu folgen sein möge, dass solche Maßnahmen nicht indiziert gewesen seien, sei dies doch weder dem Beschwerdeführer noch der Justizvollzugsanstalt damals bekannt gewesen. Dass der Beschwerdeführer nicht auf die Chance einer Zwei-Drittel-Entlassung verzichten wollte, um durch ein Durchlaufen des ihm angetragenen Therapieprogramms bis zur Endstrafenverbüßung sodann seine längerfristige Chance auf ein legales Leben in Freiheit zusätzlich abzusichern, lasse es als durchgreifend zweifelhaft erscheinen, ob der derzeitige Entschluss längere Zeit über eine Haftentlassung hinaus andauern könne. Die Gefahr erneuter Straffälligkeit rühre im Kern aus der vom Sachverständigen aufgezeigten dissozialen Handlungskompetenz zusammen mit seinen narzisstischen (selbstbezogenen, auf materielle Bedürfnisbefriedigung ausgerichteten) Persönlichkeitsanteilen her.
Zu durchgreifenden Zweifeln an der Richtigkeit der Einschätzung des Sachverständigen sehe das Gericht keinen Anlass; dieser habe sein Gutachten in der mündlichen Erläuterung überzeugend gegen die Einwendungen des Beschwerdeführers verteidigt. Der Sachverständige habe dabei klargestellt, dass der Beschwerdeführer durchaus infolge seiner hinter den Delikten stehenden Persönlichkeitszüge erhöht rückfallgefährdet erscheine.
Schließlich sei auch nicht zu erkennen, dass die erforderliche Stabilität einer Entscheidung des Beschwerdeführers für den Weg des legalen Lebens hier durch geeignete Bewährungsauflagen abgestützt werden könne. Er weise keine Beeinträchtigung seiner Impulskontrolle oder einer Aggressionsneigung auf, der wirksam mit der Weisung zur Teilnahme an einem Fußfesselprojekt entgegengetreten werden könne.
4. Hiergegen legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde ein. Die Entscheidung des Landgerichts sei in sich widersprüchlich. Die Kammer stütze ihre Prognose auf vom Sachverständigen festgestellte narzissistische Persönlichkeitszüge sowie einzelne dissoziale Charaktereigenschaften. Dies sei mit den als zutreffend unterstellten Darlegungen im Schriftsatz vom 17. September 2008 nicht zu vereinbaren. Darin sei dargelegt, dass der Anstaltspsychologe der Justizvollzugsanstalt Kassel im Verlauf von 12 therapeutischen Einzelgesprächen bei diesem erhebliche und relevante Veränderungsprozesse konstatiert habe, welche die ehemals vorhandenen Risikofaktoren deutlich abgeschwächt beziehungsweise beseitigt hätten. Das Gericht sei seiner von Verfassungs wegen bestehenden Aufklärungspflicht nicht nachgekommen, indem es sich nicht um zusätzliche Erkenntnisse durch die Anhörung des – inzwischen ausgeschiedenen – Anstaltspsychologen bemüht habe. Das Gericht habe sich zudem mit einigen wesentlichen Gesichtspunkten nicht auseinandergesetzt. Nicht berücksichtigt sei, dass er schon seit dem 8. Oktober 2003 ununterbrochen in Haft sei und die Taten zum Zeitpunkt der Verurteilung bereits mehr als drei beziehungsweise vier Jahre zurücklägen. Auch fehle die Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass er erstmals eine Freiheitsstrafe verbüße. Ferner berücksichtige das Gericht nicht, dass sich sein sozialer Empfangsraum grundlegend geändert habe. Für den Fall weiterer Verfehlungen habe seine Ehefrau einen Scheidungsantrag angekündigt. Zudem verhalte sich die Entscheidung nicht dazu, ob das durch die angenommenen Defizite begründete Rückfallrisiko nicht durch Auflagen und Weisungen ausgeräumt werden könne. Schließlich lasse die Entscheidung unberücksichtigt, dass die Klausel von der Verantwortbarkeit der Reststrafenaussetzung ein vertretbares Restrisiko einschließe. Zu guter Letzt habe das Gericht nicht vermocht, das angenommene unvertretbar hohe Risiko erneuter Straffälligkeit zu begründen. Es fehle an konkreten Tatsachen für diese Risikoeinschätzung. Anhaltspunkte dafür, dass die gegenwärtige Entscheidung für eine legale Lebensführung wieder in sich zusammenbräche, lägen nicht vor. Das Landgericht habe sich bei seiner Abwägung nicht an die „Wahrunterstellung” der im Schreiben vom 17. September 2008 dargelegten Tatsachen gehalten und zudem nicht die vom Sachverständigen anhand von Tests festgestellte statistische Rückfallwahrscheinlichkeit, die ein geringes Rückfallrisiko belege, berücksichtigt.
5. Das Oberlandesgericht verwarf das Rechtsmittel mit Beschluss vom 13. November 2008 unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung. Das Beschwerdevorbringen rechtfertige keine abweichende Entscheidung. Nach der gebotenen prognostischen Gesamtwürdigung bestehe noch keine ausreichend belegbare Chance dafür, dass sich der Beschwerdeführer in Freiheit bewähren werde. Auf den Grundsatz, dass bei einem Erstverbüßer im allgemeinen erwartet werden könne, der Strafvollzug übe auf ihn eine deutliche Wirkung aus und halte ihn von der Begehung weiterer Straftaten ab, könne sich der Beschwerdeführer vorliegend nicht berufen. Jener Grundsatz gelte nicht ausnahmslos. Es sei insbesondere das vom Gesetzgeber in den Vordergrund gestellte Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Aufgrund der begangenen, besonders schwerwiegenden und gefährlichen Straftaten seien erhöhte Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung zu stellen. Gegen eine günstige Sozialprognose sprächen die Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 28. Juli 2008, wonach es sehr fraglich sei, ob der Beschwerdeführer in der Lage sei, die mit einem normalen Erwerbsleben verbundenen Frustrationen zu ertragen und nicht den Verlockungen des schnellen illegalen Gelderwerbs zu erliegen. Das Risiko der Begehung schwerwiegender Straftaten schätze der Sachverständige im Verhältnis zu früher als nicht wesentlich geringer ein. Zwar seien die gefestigten sozialen Bindungen zu seiner Familie grundsätzlich positiv zu bewerten; sie hätten ihn jedoch in der Vergangenheit nicht von der Begehung von Straftaten abhalten können. Soweit der Beschwerdeführer vortragen lasse, er habe nach seiner Ablehnung einer Aufnahme in die sozialtherapeutische Anstalt ab Juli 2007 12 therapeutische Einzelgespräche mit dem Anstaltspsychologen geführt, ergebe sich hierzu aus dem Vollzugsplan, dass diese keinen therapeutischen Hintergrund gehabt hätten und keinen Ersatz zu einer Behandlungsmaßnahme in der sozialtherapeutischen Anstalt darstellen könnten. Die Kammer sei deshalb auch nicht gehalten gewesen, eine zusätzliche Stellungnahme des Anstaltspsychologen einzuholen.
II.
1. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG sowie aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Die angegriffenen Beschlüsse würden die besondere Bedeutung und Tragweite des verfassungsrechtlich verbürgten Freiheitsrechts verkennen, weil sie Umstände, die für eine günstige Sozialprognose sprächen, nicht hinreichend würdigten beziehungsweise nicht in ihre Abwägung einbezogen hätten. So hätten die Gerichte zwar gesehen, dass er Erstverbüßer sei; gleichwohl hätten sie, obwohl er sich im Strafvollzug einwandfrei geführt habe, von der Regelvermutung, dass bei Erstverbüßern eine positive Prognose zu vermuten sei, abgesehen. Auch hätten sie seine gefestigten sozialen Bindungen zu seiner Familie und sein Bemühen, Einsicht in die Ursachen der Straffälligkeit zu gewinnen, ebenso zur Kenntnis genommen wie den Umstand, dass er eine Schweißerlehre aufgenommen und dadurch Bereitschaft gezeigt habe, sich eine legale Lebensperspektive für die Zeit nach der Haft aufzubauen. Gleichwohl sei Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt worden, gestützt vor allem auf die negative Prognose des Sachverständigen, der sich die Gerichte ohne eigene substantielle Prüfung angeschlossen hätten. Dabei seien einige wichtige Aspekte nicht erörtert worden, zum Beispiel das anhand standardisierter Testverfahren ermittelte geringe Risiko künftiger Gewalttaten sowie vor allem seine biografische Entwicklung, an deren Ende er alles ihm Mögliche unternommen habe, schon während der Strafhaft seine Lebensbedingungen so zu gestalten, dass ein Rückfall in das kriminelle Milieu nach Entlassung ganz unwahrscheinlich werde.
Darüber hinaus hätten die Vollstreckungsgerichte den verfahrensrechtlichen Anforderungen des Freiheitsrechts nicht genügt, indem sie auf eine Anhörung des Anstaltspsychologen verzichtet und so das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung verletzt hätten. Er habe mit dem Psychologen im Zeitraum zwischen Juli 2007 und Anfang 2008 12 therapeutische Einzelgespräche geführt, bei denen für diesen erhebliche und relevante Veränderungsprozesse seiner Person erkennbar geworden wären. Erkenntnisse aus diesen Gesprächen wären in die Prognoseentscheidung einzustellen gewesen. Dagegen spreche auch nicht die Erwägung des Oberlandesgerichts, aus dem Vollzugsplan vom 13. Dezember 2007 ergebe sich, dass die Gespräche keinen therapeutischen Hintergrund gehabt hätten und keinen Ersatz für eine Behandlungsmaßnahme in der sozialtherapeutischen Anstalt darstellen könnten. Denn eine solche Behandlungsmaßnahme sei auch nach Einschätzung des Sachverständigen zu keinem Zeitpunkt indiziert gewesen.
2. Die Hessische Staatskanzlei hat Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main und der Strafrechtsabteilung des Hessischen Ministeriums der Justiz, für Integration und Europa übersandt. Diese halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Von einer eigenen Stellungnahme hat die Staatskanzlei abgesehen.
a) Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main ist der Ansicht, dass eine fehlerhafte Anwendung des § 57 Abs. 1 StGB, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen könnte, nicht erkennbar sei. Die getroffene Prognoseentscheidung, die nach Einholung eines Prognosegutachtens eines externen psychiatrischen Sachverständigen erfolgt sei, liege im fachgerichtlichen Wertungsrahmen. Die Gerichte hätten eine eigene prognostische Gesamtwürdigung vorgenommen und dabei angesichts der von dem Beschwerdeführer begangenen Straftaten erhöhte Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung gestellt. Auch ein Verstoß gegen das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung liege nicht vor. Es sei unbedenklich, dass auf die Einholung einer Stellungnahme des Anstaltspsychologen verzichtet worden sei. Diese Gespräche hätten keinen therapeutischen Hintergrund gehabt. Zudem sei nicht ersichtlich, weshalb nach einem externen Gutachten noch weitere Erkenntnisquellen hinzugezogen werden sollten. Zweifel an der Sachkompetenz des Sachverständigen hätten nicht bestanden.
b) Die Strafrechtsabteilung des Hessischen Ministeriums der Justiz, für Integration und Europa geht davon aus, dass die Gerichte eine eigenständige Bewertung unter Würdigung aller Umstände vorgenommen haben. Sämtliche für den Beschwerdeführer sprechende Umstände seien einbezogen worden, auch dessen Bemühungen, Voraussetzungen für ein künftig straffreies Leben zu schaffen. Der vom Beschwerdeführer herausgehobene Umstand seiner familiären Bindung sei hinreichend berücksichtigt worden. Die gegen ihn sprechenden Gesichtspunkte (Schwere der Straftat, Vollzugsverhalten vor Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Kassel, mangelnde Bereitschaft zur Teilnahme an einer aus damaliger Sicht empfehlenswerten Behandlung in der sozialtherapeutischen Anstalt) seien zurückhaltend und damit eher wohlwollend in die Abwägung eingeflossen. Gerade die Gefährlichkeit der vorausgegangenen Taten sei jedoch ein wesentlicher Aspekt. Schließlich sei nicht zu beanstanden, dass der Anstaltspsychologe der Justizvollzugsanstalt nicht ergänzend gehört worden sei. Die Gespräche mit ihm hätten keinen therapeutischen Charakter gehabt; außerdem sei die Thematik in der mündlichen Anhörung unter Beteiligung des Sachverständigen, des Beschwerdeführers und seines Verteidigers umfassend erörtert worden.
3. Das Vollstreckungsheft des Beschwerdeführers hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben; die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
I.
1. Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 104 Abs. 1 und 2 GG) darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪307≫). Daraus ergeben sich für die Strafgerichte Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung, die nicht nur im strafprozessualen Hauptverfahren, sondern auch bei den im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen zu beachten sind. Sie setzen unter anderem Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage richterlicher Entscheidungen. Denn es ist unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪307≫).
Um eine diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegende Entscheidung im strafprozessualen Vollstreckungsverfahren handelt es sich, wenn darüber zu befinden ist, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird.
a) Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn zwei Drittel der verhängten Strafe verbüßt sind, der Verurteilte einwilligt und dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB sind bei der danach anstehenden Prüfung, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, namentlich seine Persönlichkeit, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sein Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Damit ist den Vollstreckungsrichtern eine prognostische Gesamtwürdigung abverlangt, die keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraussetzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Dezember 2003 – 2 BvR 1661/03 –, juris), es also miteinschließt, dass ein vertretbares Restrisiko eingegangen wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 1998 – 2 BvR 77/97 –, NJW 1998, S. 2202 ≪2203≫ im Rahmen einer Entscheidung nach § 57a StGB), dabei jedoch dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit in angemessener Weise Rechnung zu tragen hat (vgl. BVerfGE 117, 71 ≪101 f.≫).
b) Bei der nach § 57 Abs. 1 StGB zu treffenden Entscheidung handelt es sich um die Auslegung und Anwendung von Gesetzesrecht, die Sache der Strafgerichte sind. Sie werden vom Bundesverfassungsgericht nur daraufhin nachgeprüft, ob das Strafvollstreckungsgericht in objektiv unvertretbarer Weise vorgegangen ist oder die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts – hier insbesondere des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 und 2 GG verbürgten Freiheitsrechts – verkannt hat (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 72, 105 ≪113 ff.≫).
Die aus dem Freiheitsrecht abzuleitenden Anforderungen richten sich insbesondere an die Prognoseentscheidung. Für deren tatsächlichen Grundlagen gilt von Verfassungs wegen das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309≫). Es verlangt, dass der Richter die Grundlagen seiner Prognose selbständig bewertet, verbietet mithin, dass er die Bewertung einer anderen Stelle überlässt. Darüber hinaus fordert es vom Richter, dass er sich um eine möglichst breite Tatsachenbasis bemüht und sich so ein möglichst umfassendes Bild über die zu beurteilende Person verschafft (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪310 f.≫; ferner jüngst BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. März 2009 – 2 BvR 2543/08 –, juris; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2009 – 2 BvR 2009/08 –, NJW 2009, S. 1941 ≪1942≫).
2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen das verfassungsrechtliche Gebot bestmöglicher Sachaufklärung.
a) Das Landgericht hat das verfassungsrechtliche Gebot bestmöglicher Sachaufklärung verletzt, indem es davon abgesehen hat, den früheren Anstaltspsychologen, mit dem der Beschwerdeführer über ein halbes Jahr lang regelmäßig Gespräche zur Tat- und Deliktsaufarbeitung geführt hat, anzuhören.
Es ist schon für sich genommen naheliegend, dass ein Bericht des früheren Anstaltspsychologen wichtige Anhaltspunkte für die Legalprognose ergeben und damit zu einem umfassenderen Bild des Verurteilten beitragen kann. Jedenfalls unter den Besonderheiten des vorliegenden Falls konnte das Landgericht nicht ausschließen, dass eine Vernehmung des Anstaltspsychologen zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können.
Maßgebend für die Sozialprognose des Beschwerdeführers war die Frage, ob es ihm gelingen werde, sich in Freiheit aus seiner bisherigen Verstrickung aus dem – vom Leiter der Justizvollzugsanstalt als mafiös organisierte Gruppe mit strenger Hierarchie und strikter Sanktionierung jedes Abweichlertums beschriebenen – subkulturellen, kriminellen Milieu zu lösen. Seinen diesbezüglichen Befund hatte der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung mit den Worten zusammengefasst, dass er dem Beschwerdeführer trotz der diagnostizierten dissozial-narzisstischen Persönlichkeitsanteile zutraue, ein legales Leben zu führen, sofern er sich dazu entschließen wolle, und er im Übrigen vor dem Hintergrund der Vergangenheit des Beschwerdeführers eine Gefahr straffälligen Verhaltens nur im Zusammenwirken mit anderen – das heißt namentlich mit Angehörigen des bisherigen Milieus – sehe. Der Beschwerdeführer hatte aber nennenswerte Bemühungen unternommen, um sich einerseits schon im Vollzug von diesem – nach den Worten des Leiters der Justizvollzugsanstalt auch dort wirkungsvoll agierenden, weil gewaltbereiten, dichten und abgeschotteten – subkulturellen Milieu zu distanzieren und um sich andererseits die Möglichkeit eines legalen Gelderwerbs nach Haftentlassung aufzubauen mit dem Ziel, die im Vollzug begonnene Distanzierung in Freiheit fortzusetzen und vor allem durchzuhalten. So hat der Beschwerdeführer zum einen sein Vollzugsverhalten in auffälliger Weise geändert. Nachdem er während seines anfänglichen Aufenthalts in der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt noch in vielfacher Weise milieutypische Auffälligkeiten im Vollzugsverhalten – wie Besitz von Haschisch, Bedrohung von Mitgefangenen und Besitz unerlaubter Gegenstände – gezeigt hatte, verhielt er sich nach seiner Verlegung Anfang April 2007 in die Justizvollzugsanstalt Kassel nach der im Prognosegutachten des Sachverständigen wiedergegebenen Stellungnahme der Anstalt vom 9. Januar 2008 hausordnungsgemäß. Damit war es dem Beschwerdeführer immerhin gelungen, über einen Zeitraum von über acht Monaten milieutypische Verhaltensweisen zu vermeiden. Hinzukommt, dass der Beschwerdeführer seine Verlegung innerhalb der Justizvollzugsanstalt initiierte, die zu einer räumlichen Trennung von dem bisherigen Milieu führte. Auch dies konnte als weiterer Nachweis für ein ernsthaftes Bemühen um Distanzierung von dieser – nach der Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt gerade gegenüber Abweichlern rigorosen und gewaltbereiten – Gruppe verstanden werden. Weiter hat der Beschwerdeführer – offenbar von sich aus – den Weg zum Anstaltspsychologen gesucht und mit diesem über einen nicht unerheblichen Zeitraum von sechs Monaten 12 Gespräche geführt. Diese Gespräche dienten auch nach den Angaben des Protokolls der Vollzugsplankonferenz der psychologischen Beratung und führten – unterstellt man wie das Landgericht die Angaben im Schreiben vom 17. September 2008 als zutreffend – im Rahmen einer Delikts- und Tataufbereitung zu Veränderungsprozessen beim Beschwerdeführer, die die Risikofaktoren deutlich abschwächen. Schließlich hat der Beschwerdeführer mit dem Schweißerlehrgang, für den er finanzielle Einbußen bei seinem Hausgeld durch geringeren Verdienst in Kauf genommen hat, seine Chancen auf einen legalen Gelderwerb in Freiheit zumindest erhöht.
Bei diesen beträchtlichen – und angesichts der in der Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt geschilderten Funktionsweise des subkulturellen Milieus nicht gering zu schätzenden – Anhaltspunkten für eine Veränderung der Persönlichkeit im Sinne einer Emanzipation von dieser Gruppe war es für die Sozialprognose ersichtlich von Bedeutung, wie ernsthaft es dem Beschwerdeführer um seine Loslösung aus den bisherigen, massiven Verstrickungen zu tun ist und als wie tragfähig sich seine Bemühungen um Distanzierung im Vollzug unter den besonderen Belastungen in Freiheit erweisen.
Dass die Vernehmung des Anstaltspsychologen geeignet sein konnte, gerade dazu Erkenntnisse zu liefern, musste sich dem Landgericht jedenfalls nach dem Schreiben des Verteidigers des Beschwerdeführers vom 17. September 2008 aufdrängen. Das Schreiben enthielt zahlreiche konkrete Hinweise darauf, dass der Anstaltspsychologe weitere Details über die konkrete Lebensplanung des Beschwerdeführers bekunden sowie Einschätzungen über die Ernsthaftigkeit und Tragfähigkeit der bisherigen Distanzierungsbemühungen treffen kann. Angesichts der in das Wissen des Anstaltspsychologen gestellten erheblichen Veränderungsprozesse beim Beschwerdeführer ist es jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Vernehmung des Psychologen zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte kommen können. Dies gilt umso mehr, als das Landgericht das Fehlen einer hinreichend positiven Sozialprognose weniger mit Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der – aus Sicht des Landgerichts von ernstzunehmender Distanzierung gegenüber dem bisherigen kriminellen Umfeld getragenen – Einstellung des Beschwerdeführers begründet als vielmehr mit Zweifeln an deren Belastbarkeit. Diese Zweifel werden aber in der Sache ausschließlich auf das Versagen des Beschwerdeführers in der Vergangenheit gestützt. Dagegen wird die Aussagekraft seines Vollzugsverhaltens unter dem Gesichtspunkt der Emanzipation von dem subkulturellen Milieu nicht angemessen in den Blick genommen. Bei solchermaßen begründeten Zweifeln an einer günstigen Sozialprognose, die sich maßgeblich auf die zur Tat führenden Umstände und die strafrechtliche Vergangenheit des Beschwerdeführers stützen, war die Vernehmung des Anstaltspsychologen zur Verbreiterung der Tatsachenbasis für die Prognoseentscheidung verfassungsrechtlich unverzichtbar. Sie konnte zusätzliche wie aktuelle Erkenntnisse für die Belastbarkeit der unter dem Eindruck der Haft eingetretenen Veränderung der Einstellung des Beschwerdeführers versprechen.
Die mündliche Anhörung des Anstaltspsychologen war nicht deshalb entbehrlich, weil das Landgericht die Darlegungen aus dem Schreiben des Verteidigers des Beschwerdeführers vom 17. September 2008 im Rahmen seiner Gefahreneinschätzung (pauschal) als zutreffend unterstellt hat. Dabei kann dahinstehen, ob die Kammer sich – wie der Beschwerdeführer meint – in der Begründung ihrer Entscheidung zu dieser „Wahrunterstellung” in Widerspruch gesetzt hat. Denn sie war unter den besonderen Umständen des Falles und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Einschätzung des Anstaltspsychologen offenbar nicht – wie sonst üblich – Eingang in die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt gefunden hatte, in jedem Fall zur Anhörung des Psychologen verpflichtet: Von ihm waren – über die in sein Wissen gestellten Umstände hinaus – durchaus weitere Angaben zu erwarten, die auch zu weiteren Erkenntnissen über die von der Kammer in Zweifel gezogene Stabilität der Einstellung des Beschwerdeführers führen konnten. So wie die Kammer sich auf die Angaben des Gutachters gestützt hat, der nach eigener Einschätzung lediglich durch kriminologische Zusatzerkenntnisse vertiefte „Hinweise auf Regeln der allgemeinen Lebenserfahrung” gegeben hat, war sie zur bestmöglichen Beurteilung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers gehalten, auch die tatsächlichen Erkenntnisse des Anstaltspsychologen zu berücksichtigen, der den Beschwerdeführer über einen längeren Zeitraum und wohl auch intensiver als der Gutachter kennengelernt hatte. Aus diesem Grund konnte auch die mündliche Anhörung, die sich mit den im Schreiben der Verteidigung vom 17. September 2008 dargelegten Umständen befasst hat, einen Verzicht auf die Anhörung des früheren Anstaltspsychologen nicht rechtfertigen. Dem Landgericht, das zuvor selbst dessen Ladung zum Termin in Betracht gezogen hatte, musste sich aufdrängen, dass eine solche Erörterung, mag sie auch in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten erfolgen, die verfassungsrechtlich gebotene Anhörung des Anstaltspsychologen nicht ersetzen konnte.
b) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, die auf die Gründe der Ausgangsentscheidung Bezug nimmt, leidet unter den gleichen verfassungsrechtlichen Mängeln. Diese werden auch durch die weiteren Erwägungen des Senats nicht ausgeräumt. Insbesondere entfällt die Verletzung des Gebots bestmöglicher Sachaufklärung nicht mit Blick auf das Argument des Senats, die Gespräche mit dem Sachverständigen hätten keinen therapeutischen Hintergrund gehabt, weshalb seine zusätzliche Anhörung nicht erforderlich gewesen sei. Unabhängig von der Frage, ob die Gespräche mit dem Anstaltspsychologen eine therapeutische Zielrichtung (im engeren Sinne) hatten, steht doch nach dem Protokoll der Vollzugsplankonferenz vom 13. Dezember 2007 fest, dass der Beschwerdeführer jedenfalls psychologische Beratung in Anspruch genommen hat. Damit war – wie oben dargelegt – gerade nicht auszuschließen, dass die Vernehmung des Psychologen eine verlässlichere Beurteilung der entscheidenden Frage ermöglicht hätte, ob die Bemühungen des Beschwerdeführers um Loslösung von dem kriminellen Milieu so tragfähig und belastbar sind, dass sie das mit der bedingten Entlassung verbundene Restrisiko als vertretbar erscheinen lassen.
II.
Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG.
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34 Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Voßkuhle, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
Fundstellen
AnwBl 2010, 111 |
BewHi 2010, 244 |