Verfahrensgang
Thüringer OLG (Beschluss vom 09.05.2008; Aktenzeichen 1 Ws 166/08) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Widerruf einer Pflichtverteidigerbestellung.
I.
Am 19. März 2008 erhob die Staatsanwaltschaft Gera gegen den Beschwerdeführer und drei weitere Personen Anklage unter anderem wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln. Der Beschwerdeführer und ein Mitangeklagter befinden sich seit dem 21. November 2007 in Untersuchungshaft.
Mit Schreiben vom 27. März 2008 kündigte der Vorsitzende der zuständigen Strafkammer des Landgerichts Gera für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens Hauptverhandlungstermine für den 13., 15., 20. und 27. Mai 2008 an. Mit Schreiben vom 2. April 2008 teilte Rechtsanwalt T. – der bereits im Ermittlungsverfahren zum Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers bestellt worden war – mit, dass er die Hauptverhandlungstermine am 15. und 20. Mai 2008 wegen eines anderen Gerichtstermins und wegen Urlaubs nicht werde wahrnehmen können.
Mit Beschluss des Landgerichts Gera vom 24. April 2008 wurde Rechtsanwalt T. als notwendiger Verteidiger entpflichtet. Mit Beschluss vom selben Tage bestellte das Gericht Rechtsanwalt B. zum Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers. Die gegen diese Beschlüsse gerichteten Beschwerden des Beschwerdeführers verwarf das Thüringer Oberlandesgericht mit Beschluss vom 9. Mai 2008. Eine anschließende Gegenvorstellung des Beschwerdeführers blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschwerdebeschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 9. Mai 2008. Er rügt einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Er ist der Auffassung, das Oberlandesgericht habe sein verfassungsmäßig abgesichertes Interesse an einer wunschgemäßen Verteidigung nicht, jedenfalls aber nicht angemessen berücksichtigt. Der Vorsitzende der zuständigen Strafkammer habe die Hauptverhandlungstermine einseitig festgelegt, ohne diese mit seinem Verteidiger abzustimmen. Diese Vorgehensweise sei ermessensfehlerhaft gewesen, zumal die zuvor eingetretene Verfahrensverzögerung allein auf die Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden zurückzuführen sei. Angesichts der bereits zuvor eingetretenen beinahe fünfmonatigen Verzögerung sei nicht ersichtlich, dass die Bitte seines Verteidigers um zweimalige Verschiebung eines Termins geeignet sei, eine zügige Verfahrensdurchführung zu gefährden.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫; 96, 245 ≪248≫).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Der angegriffene Beschwerdebeschluss des Thüringer Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinen verfassungsmäßigen Rechten.
Der Widerruf der Bestellung von Rechtsanwalt T. zum Pflichtverteidiger, den das Oberlandesgericht mit dem angegriffenen Beschluss bestätigt hat, verletzt den Beschwerdeführer namentlich nicht in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
Der Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung aus wichtigem Grund ist gesetzlich nicht vorgesehen. Er ist nach ganz herrschender Meinung aber dennoch zulässig, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 143 Rn. 3). Bei der Prüfung, ob ein wichtiger, den Widerruf rechtfertigender Grund vorliegt, ist namentlich der Grundsatz des fairen Verfahrens zu berücksichtigen. Dieser fordert, die Wünsche eines Angeklagten auf Beiordnung eines bestimmten Verteidigers – soweit wie möglich – zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 68, 237 ≪256≫). Ein Angeklagter hat jedoch – wie das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden hat – keinen bindenden Anspruch auf Beiordnung eines von ihm bezeichneten Rechtsbeistands (vgl. BVerfGE 9, 36 ≪38≫; 39, 238 ≪243≫). Vielmehr kann ihm in begründeten Ausnahmefällen die Beiordnung eines bestimmten Verteidigers durchaus versagt oder eine bereits erfolgte Bestellung widerrufen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. März 2006 – 2 BvQ 10/06 –, juris).
Hiervon ausgehend ist der Widerruf der Bestellung von Rechtsanwalt T. zum Pflichtverteidiger verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht hat zutreffend erkannt, dass das Interesse des Beschwerdeführers an einer wunschgemäßen Beibehaltung seines Pflichtverteidigers verfassungsrechtlich geschützt und daher – in Fällen wie dem vorliegenden – im Wege einer Abwägung mit den Erfordernissen des verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebots in Einklang zu bringen ist. Hieran anknüpfend ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass dem Beschleunigungsinteresse hier der Vorrang gegenüber dem Interesse des Beschwerdeführers an der Beibehaltung seines Pflichtverteidigers gebührt. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich außer dem Beschwerdeführer selbst auch ein weiterer Mitangeklagter in Untersuchungshaft befinde. Dieser habe ein gesteigertes Interesse an einer zügigen Durchführung des Verfahrens. Im Übrigen müssten – wenn dem Begehren des Beschwerdeführers stattgegeben werde – aus Gründen der Gleichbehandlung auch die terminlichen Belange der weiteren drei Verteidiger in gleicher Weise beachtet werden, wodurch weitere erhebliche Verfahrensverzögerungen zu besorgen wären.
Diese Abwägung des Oberlandesgerichts lässt verfassungsrechtlich relevante Fehler nicht erkennen. Vielmehr hat das Oberlandesgericht nach den Umständen des Falles dem Beschleunigungsinteresse zu Recht den Vorrang vor dem Interesse des Beschwerdeführers an einer wunschgemäßen Verteidigung zukommen lassen. Gerade im Hinblick auf das Interesse des in Haft befindlichen Mitangeklagten des Beschwerdeführers an einer zügigen Durchführung des Strafverfahrens war die Entpflichtung von Rechtsanwalt T. sachlich gerechtfertigt. Auch der von dem Beschwerdeführer gerügte Umstand, dass das Verfahren zuvor allein aufgrund einer Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden verzögert worden sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn ein etwaiges Fehlverhalten der Strafverfolgungsbehörden ist nicht geeignet, das verfassungsmäßig abgesicherte Interesse des ebenfalls in Haft befindlichen Mitangeklagten des Beschwerdeführers an einer größtmöglichen Beschleunigung des Verfahrens zu entwerten.
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 2148350 |
BayVBl. 2009, 185 |