Verfahrensgang
LG Bayreuth (Beschluss vom 04.05.2011; Aktenzeichen 1 Qs 64/11) |
AG Bayreuth (Beschluss vom 29.03.2011; Aktenzeichen 1 BüR 28/08) |
AG Bayreuth (Beschluss vom 14.03.2011; Aktenzeichen 1 BüR 36/08) |
AG Bayreuth (Beschluss vom 31.08.2010; Aktenzeichen 1 BüR 36/08) |
Tenor
Die angefochtenen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth vom 4. Mai 2011 – 1 Qs 65/11 – und – 1 Qs 64/11 –, der Beschluss des Amtsgerichts Bayreuth vom 14. März 2011 – 1 BüR 36/08 – und der Beschluss des Amtsgerichts Bayreuth vom 29. März 2011 – 1 BüR 28/08 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Freistaat Bayern hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu erstatten.
Die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juni 2011 wird mit der Entscheidung in der Hauptsache gegenstandslos.
Tatbestand
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung.
A.
I.
1. Er wurde durch Urteil des Amtsgerichts Kronach vom 4. September 2002, rechtskräftig seit dem 4. September 2002, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 37 Fällen, darunter in sieben Fällen jeweils zugleich mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, sowie des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln unter Auflösung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung und unter Einbeziehung der dort verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 9. Juni 2008 setzte das Amtsgericht Kronach die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung aus und die Bewährungszeit auf vier Jahre fest.
Durch Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 23. Mai 2005, rechtskräftig seit dem 23. Mai 2005, wurde der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 17. September 2008 setzte das Amtsgericht Nürnberg die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung aus und die Bewährungszeit auf fünf Jahre fest.
2. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 31. August 2010 ergänzte das Amtsgericht Bayreuth die Bewährungsbeschlüsse des Amtsgerichts Kronach und des Amtsgerichts Nürnberg und erteilte dem Beschwerdeführer jeweils die Auflage, „100 Stunden gemeinnützige Arbeit nach näherer Weisung des Vereins F. e.V. und in Abstimmung mit seinem Bewährungshelfer zu erbringen”. Zur Begründung führte das Amtsgericht in beiden Beschlüssen aus, der bisherige Bewährungsverlauf habe sich als äußerst unzureichend erwiesen. Der Beschwerdeführer komme trotz ständiger Anmahnungen durch das Gericht den ihm erteilten Weisungen nicht nach. Er halte keinen ausreichenden Kontakt zum Bewährungshelfer und komme auch der Weisung, sich Abstinenzkontrollen zu unterziehen, nicht nach. Aus diesem Grund habe das Amtsgericht Bayreuth bereits mit Beschluss vom 19. Januar 2010 die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen, welcher jedoch durch das Landgericht Bayreuth am 20. Juli 2010 aufgehoben worden sei. Um die weitere Durchführung der Bewährung durchzusetzen und den Beschwerdeführer anzuhalten, sich bewährungstreu zu verhalten, sei es erforderlich, weitere Auflagen gegen ihn festzusetzen. Das Gericht erachte dafür die Festsetzung von Arbeitsstunden als probates und erforderliches Mittel.
Die Beschlüsse wurden dem Beschwerdeführer am 21. September 2010 zugestellt.
3. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2010 teilte der Verein F. e.V. dem Amtsgericht „zu BüR 28/08 oder 36/08” mit, dass der Beschwerdeführer vorgesprochen habe und ihm durch den Verein eine geeignete Arbeitsstelle zur Ableistung der „100 gemeinnützigen Arbeitsstunden” zugewiesen werde. Am 26. Oktober teilte der Verein mit, der Beschwerdeführer habe nach der persönlichen Vorsprache mitgeteilt, dass er bis spätestens 18. Oktober 2010 die Stelle benennen werde, bei der er die Arbeitsauflage erfülle. Am 18. Oktober habe man ihn aufgefordert, wieder Kontakt aufzunehmen, was noch nicht erfolgt sei, weshalb der Verein seine Bemühungen einstellen werde, solange der Beschwerdeführer keinen Kontakt aufnehme. Am 21. Dezember 2010 forderte das Amtsgericht Bayreuth den Beschwerdeführer zu den Aktenzeichen „1 BüR 36/08 oder 1 BüR 28/08” auf, unverzüglich die auferlegten 100 gemeinnützigen Arbeitsstunden zu erbringen. Am 28. Januar 2011 teilte der Verein zunächst mit, dass der Beschwerdeführer sich nicht wieder gemeldet habe, ergänzte aber am 3. Februar 2011, dass er um eine nochmalige Vermittlung eines Arbeitsplatzes gebeten habe. Am 15. Februar meldete sich der Verein erneut und teilte mit, dass der Beschwerdeführer am 4. Februar 2011 zwei Arbeitstunden abgeleistet habe, dem Verein am 9. Februar 2011 jedoch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen eines grippalen Infekts für die Zeit vom 3. Februar bis 11. Februar 2011 habe zukommen lassen. Eine aktuelle Krankmeldung liege nicht vor. Anfang März berichtete der Verein, dass der Beschwerdeführer seine Arbeitsstunden ab sofort in einem Altenheim ableisten werde, wobei er sich um diese Stelle selbst gekümmert habe. Der Beschwerdeführer teilte dem Gericht am 3. März 2011 mit, dass er mit der Ableistung der 100 Arbeitsstunden nun definitiv beginnen werde. Aus gesundheitlichen Gründen sei er zunächst nicht in der Lage gewesen, zu arbeiten. Er habe eine erneute Untersuchung durch die Bundesagentur für Arbeit abwarten müssen und seine Tante besucht. Zuletzt, im Februar, habe Arbeitsunfähigkeit bestanden.
4. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 14. bzw. 29. März 2011 widerrief das Amtsgericht Bayreuth beide Strafaussetzungen zur Bewährung. Der Beschwerdeführer habe trotz mehrerer Aufforderungen durch das Gericht, seinen Bewährungshelfer und den Verein F. e.V. bislang nur zwei Arbeitsstunden abgeleistet. Er habe sich dahingehend geäußert, dass er aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht in der Lage gewesen sei, die Arbeitsstunden abzuleisten. Dies sei jedoch nur eine vorgeschobene Entschuldigung gewesen. Aus den vom Beschwerdeführer selbst übersandten Unterlagen ergebe sich, dass er keineswegs gehindert gewesen sei, die Arbeitsstunden abzuleisten. Es habe sich vielmehr gezeigt, dass bei seiner Untersuchung durch die Bundesagentur für Arbeit schon im November 2010 ein „guter Allgemein- und normaler Ernährungszustand” vorgelegen habe und dass seine psychische Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt gewesen seien. Im März 2010 habe die Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers bestanden, so dass es ihm möglich gewesen wäre, die Arbeitsstunden zu leisten.
5. Gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Bayreuth legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. April 2011 form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein. Sein Gesundheitszustand sei beeinträchtigt. Er leide an den Folgen einer Wohnungsexplosion, weswegen eine gesonderte Begutachtung erforderlich gewesen sei. Dies sehe auch die ARGE Bayreuth so, wie sich aus der Eingliederungsvereinbarung vom 2. November 2010 ergebe. Der Beschluss vom 31. August 2010 setze auch keine Frist, innerhalb derer die Arbeitsstunden zu erbringen seien, und sei daher zu unbestimmt. Außerdem halte er sich jetzt an die Weisungen, insbesondere habe er Kontakt zum Bewährungshelfer gehalten und die geforderte Haarprobe abgegeben, die seine Drogenabstinenz belegte. Er werde auch die Arbeitsauflagen erfüllen.
6. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 4. Mai 2011 verwarf das Landgericht Bayreuth die sofortigen Beschwerden jeweils, da die Gründe des angefochtenen Beschlusses zuträfen und durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet würden. Der Widerruf sei erfolgt, weil der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, die ihm auferlegte Arbeitsauflage von 100 Stunden zu erfüllen.
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 2 GG. Die Auflage genüge dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht. Daher sei ein Bewährungsverstoß, der zum Widerruf der Bewährung hätte führen können, nicht gegeben. Die Ausgestaltung von Weisungen und Auflagen obliege alleine dem Gericht und dürfe nicht an Dritte delegiert werden.
III.
Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Fachgerichtliche Entscheidungen seien durch das Bundesverfassungsgericht lediglich auf Willkür und Auslegungsfehler zu überprüfen, die von einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts zeugten. Dass die Gerichte einen beharrlichen und gröblichen Auflagenverstoß in grundsätzlicher Verkennung von Art. 103 Abs. 2 GG oder des Freiheitsgrundrechts angenommen hätten, sei nicht erkennbar.
Der Beschwerdeführer sei durch die Ergänzungsbeschlüsse des Amtsgerichts Bayreuth vom 31. August 2010 im Rahmen der Bewährungsüberwachung zur Ableistung gemeinnütziger Arbeit entsprechend § 56b Abs. 2 Nr. 3 StGB aufgefordert worden. Die Übertragung der näheren Ausgestaltung der Arbeitsauflage auf einen Bewährungshelfer sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies sei praktischen Erwägungen geschuldet. Auch die fehlende Festsetzung der Zeit, innerhalb derer die Arbeitsleistung zu erfüllen sei, stelle keinen Verstoß gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG dar. Zwar forderten einige Oberlandesgerichte die Bestimmung eines feststehenden Zeitraums für die Ableistung der Arbeitsstunden. Bei einer erheblichen Anzahl von Arbeitsstunden sei es dem Gericht in der Praxis jedoch oft nicht möglich, genau abzuschätzen, wann der Verurteilte zur Ableistung durch die entsprechende Institution herangezogen werden könne und wie lange er unter verfassungsrechtlich gebotener Berücksichtigung seiner konkreten Lebensumstände hierfür benötigen werde. Fehle eine konkret in der Auflage benannte Erfüllungsfrist, so gelte die gesamte Dauer der Bewährungszeit als Erfüllungsfrist. Mit dem Erlass des Auflagenbeschlusses beginne die Pflicht zur Ableistung der gemeinnützigen Arbeit. Dem Beschwerdeführer sei mit Blick auf den bisherigen Bewährungsverlauf verdeutlicht worden, dass nunmehr ein positiver Verlauf von ihm erwartet werde, wozu neben dem regelmäßigen Kontakt mit dem Bewährungshelfer auch die sofortige Erbringung der gemeinnützigen Arbeit gehöre. Selbst wenn man die Auflagen als zu unbestimmt betrachtete, so sei der Beschwerdeführer spätestens im Schreiben des Amtsgerichts Bayreuth vom 21. Dezember 2010 unmissverständlich aufgefordert worden, unverzüglich die ihm auferlegten 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit zu erbringen, wodurch eine Konkretisierung der ursprünglichen Arbeitsauflage erfolgt sei. Auch bringe der Beschwerdeführer in seinem Schreiben an das Gericht zum Ausdruck, dass er von einer Pflicht zur sofortigen Ableistung der Arbeitsstunden ausgehe. Da er lediglich zwei Arbeitsstunden absolviert habe, liege ein beharrlicher und gröblicher Verstoß gegen die Arbeitsauflage vor. Die Widerrufsbeschlüsse des Amtsgerichts Bayreuth vom 14. März und 29. März 2011 und die Rechtsmittelentscheidungen des Landgerichts Bayreuth vom 4. Mai 2011 seien vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und das Freiheitsgrundrecht liege nicht vor.
IV.
Das Bundesverfassungsgericht hat auf Antrag des Beschwerdeführers am 3. Juli 2011 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Kronach vom 4. September 2002 und des Amtsgerichts Nürnberg vom 23. Mai 2005 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt. Die Vollstreckungshefte der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth (8 Js 980/02 und 353 Js 4144/05) und der Staatsanwaltschaft Coburg (8 Js 980/02) wurden beigezogen.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG, soweit sie sich gegen die Entscheidungen über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung richtet. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde, soweit sie zulässig ist, zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93 Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
I.
Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die gleichlautenden Beschlüsse des Amtsgerichts Bayreuth vom 31. August 2010 richtet, ist sie unzulässig, denn diese sind nicht innerhalb eines Monats angegriffen worden, § 93 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfGG. Die angegriffenen Entscheidungen wurden dem Beschwerdeführer bereits am 21. September 2010 zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde lief damit am 21. Oktober 2010 ab und ist durch die erst am 26. Mai 2011 beim Bundesverfassungsgericht eingegangene Verfassungsbeschwerde nicht gewahrt.
II.
Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet. Die weiteren angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.
Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus besonders gewichtigen Gründen eingegriffen werden darf (BVerfGE 10, 302 ≪322≫; 29, 312 ≪316≫; 109, 133 ≪157≫). Aufgrund dieser Bedeutung ist das Freiheitsgrundrecht durch Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in besonderer Weise abgesichert. Hiernach darf die Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Form beschränkt werden. Art. 104 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG stehen insoweit in einem unlösbarem Zusammenhang (BVerfGE 10, 302 ≪322≫; 58, 208 ≪220≫). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, also insbesondere für Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit wie Verhaftungen, Festnahmen und ähnliche Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. BVerfGE 10, 302 ≪322≫; 58, 208 ≪220≫), indem er über die Notwendigkeit eines förmlichen Gesetzes hinaus auch die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden freiheitsschützenden Anforderungen zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (BVerfGE 10, 302 ≪323≫; 29, 183 ≪195 f.≫; 58, 208 ≪220≫).
Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorschriften kommt insbesondere dem Bestimmtheitsgebot freiheitsgewährleistende Funktion zu (vgl. BVerfGE 117, 71 ≪111≫, m.w.N.). Auflagen nach § 56b StGB und Weisungen nach § 56c Abs. 1 StGB müssen gemäß Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügen. Danach hat das Gericht und nicht erst der Bewährungshelfer die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass Verstöße einwandfrei festgestellt werden können und der Verurteilte unmissverständlich weiß, wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 1993 – 2 BvR 368/92 –, juris, Rn. 8, und vom 10. August 1993 – 2 BvR 610/91 –, juris, Rn. 36, jeweils m.w.N.). Nur dem Richter hat der Gesetzgeber die Befugnis eingeräumt, dem Verurteilten besondere Pflichten aufzuerlegen (§ 56c StGB). Mangels einer gesetzlichen Ermächtigung dürfen Bewährungshelfer schon nach dem Strafrecht (§ 56d Abs. 3 StGB) dem Verurteilten gegenüber keine selbständigen Anordnungen treffen (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 1993, – 2 BvR 368/92 –, juris, Rn. 8, m.w.N.). Das Bestimmtheitsgebot kann allerdings nicht bedeuten, dass die Weisung bis ins Letzte präzisiert sein muss. Da dem Bewährungshelfer nach § 56d Abs. 3 Satz 2 StGB die Aufgabe zukommt, die Erfüllung der Weisungen zu überwachen, kann es sinnvoll sein, von ihm gewisse Einzelheiten der Mitwirkung des Verurteilten an Kontrollmaßnahmen festlegen zu lassen. Der Gesetzgeber hat aber seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie das nach der Eigenart der zu ordnenden Sachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (BVerfGE 49, 168 ≪181≫). Gleiches muss auch für die Bestimmtheit der vom Richter zu erteilenden Bewährungsweisung gelten. Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 9, m.w.N.). Danach können gewisse Konkretisierungen der Verhaltensmaßgaben eines Bewährungsbeschlusses dem Bewährungshelfer überlassen werden, soweit eine Konkretisierung unmittelbar durch gerichtlichen Bewährungsbeschluss – beispielsweise im Hinblick auf organisatorische oder durch Interessen des Verurteilten bedingte Flexibilitätserfordernisse – nicht sinnvoll praktikabel ist. Dies kann auch Festlegungen zur Bestimmung der Zeitpunkte betreffen, zu denen bestimmte Leistungen zu erbringen sind, ohne dass darin eine Übertragung des gesetzlich dem Gericht vorbehaltenen Weisungsrechts zu sehen wäre (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 8 und Rn. 10). Dies ändert aber nichts daran, dass ein Bewährungswiderruf nur in Betracht kommt, wenn dem Verurteilten zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, was genau von ihm erwartet wird und wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat.
Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist zudem, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 ≪222≫) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪307≫). Dies gilt nicht nur für das strafprozessuale Hauptverfahren, sondern auch für das Vollstreckungsverfahren (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2010 – 2 BvR 1081/10 –, juris, Rn. 17).
2. Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben stehen die angegriffenen Entscheidungen nicht in Einklang.
Es kann offenbleiben, ob die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung der genannten strafrechtlichen Vorschriften hier schon deshalb verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, weil der Bewährungswiderruf auf die Missachtung von – den gerichtlichen Bewährungsbeschluss konkretisierenden – Vorgaben gestützt wurde, die im Bewährungsbeschluss selbst hätten festgelegt werden müssen (vgl. für die Annahme, die Bestimmung des Zeitraums, innerhalb dessen eine nach Stunden bemessene Arbeitsauflage zu erfüllen ist, dürfe nicht dem Bewährungshelfer übertragen werden, OLG Braunschweig, Beschluss vom 9. Januar 2006 – Ws 1/06 –, StV 2007, S. 257; KG, Beschluss vom 13. April 2005 – 5 Ws 157/05 –, juris), oder ob die Festlegung des äußeren zeitlichen Rahmens für die Ableistung einer durch Bewährungsbeschluss auferlegten bestimmten Anzahl von Arbeitsstunden als eine zulässige Präzisierung des gerichtlichen Bewährungsbeschlusses (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 1993 – 2 BvR 368/92 –, juris, Rn. 9 f.) dem Bewährungshelfer übertragen werden kann mit der Folge, dass Verstöße gegen dessen Anordnung dann zugleich als Verstöße gegen die gerichtliche Weisung einzuordnen sind und unter den Voraussetzungen des § 56f Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StGB zum Widerruf der Strafaussetzung führen können.
Auch wenn diese Frage im letzteren Sinne zu beantworten sein sollte, sind die angegriffenen Entscheidungen jedenfalls deshalb zu beanstanden, weil es an den in einem solchen Fall erforderlichen gerichtlichen Feststellungen fehlt. Das Amtsgericht hat den Bewährungswiderruf damit begründet, dass der Beschwerdeführer trotz mehrerer Aufforderungen durch das Gericht und den Bewährungshelfer sowie den Verein F. e.V. von den auferlegten 100 Arbeitsstunden bislang nur zwei Stunden geleistet habe, und dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, mit der er sich zwischendurch entschuldigt habe, auf den Zeitraum vom 3. Februar bis zum 11. Februar 2011 beschränkt gewesen sei. Diese Feststellungen können nach den obigen Maßstäben den Widerruf nicht rechtfertigen. Dass die Ableistung von nur zwei Arbeitsstunden bis zum Zeitpunkt des Bewährungswiderrufs unzureichend war, ergab sich nicht unmittelbar aus den ergänzenden Bewährungsbeschlüssen, mit denen dem Beschwerdeführer die Ableistung von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit auferlegt worden war. Für das Nähere hatten diese Beschlüsse den Beschwerdeführer nicht auf Vorgaben des Bewährungshelfers, sondern auf Weisungen des Vereins F. e.V. in Abstimmung mit dem Bewährungshelfer verwiesen. Die Präzisierung des Verlaufs der „roten Linie”, jenseits derer ein Widerruf der Strafaussetzung drohte, war damit, dem Wortlaut der gerichtlichen Weisung nach, einem privaten Träger überlassen. Die angegriffenen Widerrufsbeschlüsse des Amtsgerichts und der sie bestätigende Beschluss des Landgerichts beziehen sich zudem nicht hierauf, sondern stellen nur fest, dass der Beschwerdeführer Aufforderungen von verschiedenen Seiten nicht befolgt habe. Jegliche Feststellung dazu, wann von wem welche Aufforderung an den Beschwerdeführer erging und inwiefern er diese schuldhaft nicht befolgte, fehlt; erst recht wird nicht erkennbar, ob und warum dem Beschwerdeführer deutlich sein musste, dass es sich um Aufforderungen handelte, die – mit entsprechenden Folgen für die Anwendbarkeit des § 56f Abs. 1 StGB – als verbindliche hoheitliche Präzisierung der gerichtlichen Weisung aufzufassen waren.
C.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2, 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Huber
Fundstellen