Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts durch Herausgabe einer Münzserie
Beteiligte
Rechtsanwälte Dr. Albrecht Pünder und Koll. |
Verfahrensgang
BGH (Urteil vom 14.11.1995; Aktenzeichen VI ZR 410/94) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde wirft die Frage auf, ob das postmortale Persönlichkeitsrecht Willy Brandts durch die Edition einer Münzserie mit seinem Bild verletzt worden ist.
I.
Die Beschwerdeführerin ist die Witwe des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt. Im Ausgangsverfahren nahm sie die Beklagte darauf in Anspruch, den Vertrieb einer Münzedition mit dem Bild Willy Brandts zu unterlassen. Die Beklagte hatte nach dessen Tod eine Medaille hergestellt und vertrieben, auf der, umrundet von der Aufschrift „In Memoriam Willy Brandt” und den Jahreszahlen „1913” und „1992”, ein Bild des Verstorbenen zu sehen war. Auf der Rückseite fanden sich stilisierte Abbildungen des Bundesadlers, des Brandenburger Tors und einer Friedenstaube sowie am Münzrand die Angaben „Kanzler der Bundesrepublik Deutschland”, „Präsident der Sozialistischen Internationale”, „Regierender Bürgermeister von Berlin” und „Friedensnobelpreisträger”. Die Beklagte hatte für den Vertrieb der Münzen weder eine Einwilligung Willy Brandts noch der Beschwerdeführerin.
Das Land- und Oberlandesgericht gaben der Unterlassungsklage statt. Sie führten zur Begründung im Wesentlichen aus, die Verbreitung der „Abschiedsmedaille” verstoße gegen das durch § 22 Satz 1 KUG geschützte Recht am eigenen Bild. Die Beklagte könne sich nicht auf § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG berufen. Zwar sei Willy Brandt eine absolute Person der Zeitgeschichte. Der Persönlichkeitsschutz habe aber Vorrang, wenn – wie hier – der Zweck der Informationsvermittlung nach den gesamten Umständen hinter sonstige Beweggründe völlig zurücktrete. Der Bundesgerichtshof hat dagegen mit dem angegriffenen Urteil die oberlandesgerichtliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen, da die Beklagte mit der Münzedition zwar ein kommerzielles Interesse verfolgt, zugleich aber auch ein schutzwürdiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit befriedigt habe (vgl. im Einzelnen: BGH, NJW 1996, S. 593).
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des postmortalen allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 1 Abs. 1 GG. Sie macht geltend, das Urteil des Bundesgerichtshofs verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht Willy Brandts in Ausprägung des Rechts am eigenen Bild. Der Bundesgerichtshof sei zu Unrecht davon ausgegangen, der „Abschiedsmedaille” komme ein schutzwürdiger Informationswert zu. Vielmehr stehe der Sammler- und Anlagewert der Münze gegenüber dem Informationsgehalt eindeutig im Vordergrund. Die Erwägungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht müssten ungeschmälert auch für das postmortale allgemeine Persönlichkeitsrecht, das verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 GG garantiert sei, gelten. Auch beim Verstorbenen sei eine Abbildung unzulässig, wenn diese nicht durch ein Informationsinteresse der Allgemeinheit gedeckt sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die von ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen betreffen das Verhältnis von (postmortalen) Persönlichkeitsrechten auf der einen und Informations- und Publikationsinteressen im Zusammenhang mit Abbildungen von Prominenten auf der anderen Seite. Diese Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. BVerfGE 30, 173; 101, 361).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von Verfassungsrechten angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs verletzt keine Verfassungsrechte von Willy Brandt.
a) Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist das Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG. Die mit Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, endet nicht mit dem Tod. Dagegen besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein Grundrechtsschutz des Verstorbenen aus Art. 2 Abs. 1 GG, weil Träger dieses Grundrechts nur die lebende Person ist (vgl. BVerfGE 30, 173 ≪194≫). Das gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht scheidet damit als unmittelbarer Prüfungsmaßstab des angegriffenen Urteils aus. Der Beschwerdeführerin ist auch nicht darin zuzustimmen, dass die Schutzwirkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG resultierenden Schutz identisch seien. Eine solche Annahme liefe im Ergebnis auf eine Gleichsetzung der Menschenwürde mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hinaus, welche weder der normativen Bedeutung von Art. 1 Abs. 1 GG gerecht würde noch in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Stütze fände. Das Bundesverfassungsgericht betont vielmehr in ständiger Rechtsprechung die Differenz zwischen Menschenwürde und allgemeinem Persönlichkeitsrecht, wie sich etwa daraus ergibt, dass die Menschenwürde im Konflikt mit der Meinungsfreiheit nicht abwägungsfähig ist, während es bei einem Konflikt der Meinungsfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht regelmäßig zu einer Abwägung kommt (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293 f.≫). Angesichts der größeren Reichweite des Persönlichkeitsschutzes lebender Personen gegenüber dem Verstorbener scheidet eine Annahme der Verfassungsbeschwerde jedenfalls dann aus, wenn sie nicht einmal am Maßstab des Persönlichkeitsschutzes Lebender Erfolg haben könnte.
b) Wäre das angegriffene Urteil zum Persönlichkeitsschutz Lebender ergangen, wäre von einer Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auszugehen gewesen. Zu den Schutzaspekten, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt, gehört das „Recht am eigenen Bild” (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪380 ff.≫; stRspr). Dieses Recht gewährleistet dem Einzelnen Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten, soweit es um die Verwendung seines Bildes durch Dritte geht. Auch die stilisierte Abbildung einer Person auf einer Münze fällt in den Schutzbereich des Grundrechts, wenn die Person – wie hier – eindeutig zu identifizieren ist.
Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gilt allerdings nicht schrankenlos. Die Persönlichkeitsentfaltung ist gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in die Grenzen der verfassungsmäßigen Ordnung verwiesen. Darunter sind alle Rechtsnormen zu verstehen, die sich formell und materiell mit dem Grundgesetz im Einklang befinden. Das ist bei § 23 KUG, auf welchen der Bundesgerichtshof sein Urteil gestützt hat, der Fall (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪386 f.≫).
c) Die Auslegung und Anwendung verfassungsmäßiger Vorschriften des Zivilrechts ist Sache der Zivilgerichte. Sie müssen dabei aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Bedeutung und Tragweite der von ihren Entscheidungen berührten Grundrechte beachten, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪205 ff.≫). Da der Rechtsstreit ungeachtet des grundrechtlichen Einflusses ein privatrechtlicher bleibt und seine Lösung in dem – grundrechtsgeleitet interpretierten – Privatrecht findet, ist das Bundesverfassungsgericht darauf beschränkt, nachzuprüfen, ob die Zivilgerichte den Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫). Dagegen ist es nicht seine Sache, den Zivilgerichten vorzugeben, wie sie den Streitfall im Ergebnis zu entscheiden haben (vgl. BVerfGE 94, 1 ≪9 f.≫). Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt nur dann vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der verfassungsmäßigen Vorschriften des Privatrechts Grundrechte zu beachten waren, wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist, so dass darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet und die Entscheidung auf diesem Fehler beruht (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪388≫).
d) Unter Beachtung dieses Prüfungsumfangs ist das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Das ist unproblematisch mit Blick auf die rechtlichen Maßstäbe, von denen der Bundesgerichtshof und das Oberlandesgericht ungeachtet des entgegengesetzten Ergebnisses übereinstimmend ausgegangen sind. Nach Ansicht beider Gerichte müssen es sich „absolute” Personen der Zeitgeschichte gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG grundsätzlich gefallen lassen, der Öffentlichkeit auch ohne Einwilligung im Bild vorgestellt zu werden. Diese Duldungspflicht sei aber nicht schrankenlos. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG wolle dem Interesse der Allgemeinheit an einer Unterrichtung über Persönlichkeiten der Zeitgeschichte dienen, weil und soweit die Öffentlichkeit sie als der Beachtung besonders wert empfinde. Der Schutzzweck der Regelung erfasse daher keine Veröffentlichungen, an denen ein schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit nicht anzuerkennen sei. Da auch Personen der Zeitgeschichte Anspruch darauf hätten, dass die Allgemeinheit Rücksicht auf ihre Persönlichkeit nehme, dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass das in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG geschützte allgemeine Publikationsinteresse in einem Spannungsverhältnis zum Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten stehe. Daher könne sich auf § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG nicht berufen, wer nicht einem schutzwürdigen Informationsinteresse der Allgemeinheit nachkomme, sondern durch Verwertung des Bildnisses eines anderen zu Werbezwecken allein sein Geschäftsinteresse befördern wolle.
Mit diesen Erwägungen hat der Bundesgerichtshof ebenso wie zuvor bereits das Oberlandesgericht den Grundrechtsbelangen hinreichend Rechnung getragen. Der Bundesgerichtshof hat die Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG nach dem Maßstab des Informationsinteresses der Allgemeinheit bestimmt. Dieser Ansatz ist – wie das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 15. Dezember 1999 ausdrücklich festgestellt hat – verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪391≫). Ebenso wenig begegnet es verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Bundesgerichtshof § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG für unanwendbar hält, wenn das Bild einer Person ausschließlich zu Werbezwecken für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Marke eingesetzt wird.
bb) Auch die Ausführungen des Bundesgerichtshofs auf der Rechtsanwendungsebene lassen keine verfassungsrechtlichen Fehler erkennen. Im Bereich der Rechtsanwendung liegt die Differenz zwischen Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof. Die Gerichte haben die Frage, ob die Beklagte des Ausgangsverfahrens mit der Herstellung und dem Vertrieb der „Abschiedsmedaille” ausschließlich eigene kommerzielle Interessen verfolgt oder zugleich ein schutzwürdiges Publikationsinteresse wahrgenommen hat, unterschiedlich beantwortet. Dass der Bundesgerichtshof dabei im Gegensatz zum Oberlandesgericht den Münzen einen gewissen Informationsgehalt beigemessen hat und davon ausgegangen ist, dass hinter dem Vertrieb der „Abschiedsmedaille” neben dem kommerziellen Interesse der Beklagten auch ein schutzwürdiges Informationsinteresse der Allgemeinheit stehe, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
Der Bundesgerichtshof hat sich mit der im Zentrum des Rechtsstreits stehenden Frage nach dem Informationsgehalt der Münze intensiv auseinander gesetzt und ist davon ausgegangen, dass ein zu berücksichtigendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit umso näher liegt, je stärker sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf eine Person richtet. Bei einer Persönlichkeit wie Willy Brandt sei das im besonderen Maße der Fall. Bei ihm liege bei der Veröffentlichung seines Bildes jedenfalls dann ein schutzwürdiges Publikationsinteresse vor, wenn sein Bild in einen für den Betrachter deutlichen Zusammenhang mit seinen Leistungen als Politiker und Staatsmann gestellt werde. Dies sei hier durch die aussagekräftigen Symbole und durch schlagwortartige verbale Umschreibungen seiner Leistungen und Ämter geschehen. Der Bundesgerichtshof hat sich auch mit dem Argument der Beschwerdeführerin, der Beklagte habe gerade das Sammler- und Anlageinteresse ansprechen wollen, auseinander gesetzt. Er ist davon ausgegangen, dass sich das Sammlerinteresse und die Bedeutung der Münze als Informationsträger nicht ausschlössen, sondern ohne weiteres nebeneinander stehen könnten.
Mit diesen Erwägungen hat der Bundesgerichtshof sein Verständnis der umstrittenen Bildveröffentlichung Willy Brandts unter Beachtung aller maßgeblichen Aspekte schlüssig begründet. Mehr fordert die Verfassung nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit nur die Beachtung der Anforderungen, welche die Verfassung an das Verständnis von Äußerungen richtet (vgl. BVerfGE 94, 1 ≪9≫) und die sinngemäß auf das Verständnis von Abbildungen zu übertragen sind (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2000, S. 1026), sicherzustellen. Dagegen ist es nicht seine Sache, den Rechtsstreit selbst zu entscheiden. Dementsprechend hat es auch den Informationscharakter der umstrittenen Münzedition nicht selbst abschließend zu beurteilen oder das Verständnis der Münzen, welches der Bundesgerichtshof zugrunde gelegt hat, durch ein anderes zu ersetzen, das es für treffender hält.
Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Verfassungsbeschwerde auch keine Aspekte darzulegen vermocht, welche vom Bundesgerichtshof nicht berücksichtigt worden wären. Letztlich will sie mit ihrer Verfassungsbeschwerde erreichen, dass das Bundesverfassungsgericht auf der Rechtsanwendungsebene die entscheidende Frage nach dem Informationsgehalt der Münze anders als der Bundesgerichtshof und wieder so wie das Oberlandesgericht beantwortet. Dass dies zum Persönlichkeitsschutz notwendig wäre, hat sie allerdings nicht aufzeigen können.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 565281 |
NJW 2001, 594 |
ZUM 2001, 232 |
www.judicialis.de 2000 |