Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 29.05.2002; Aktenzeichen 3 U 26/00) |
Tenor
1. Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. Mai 2002 – 3 U 26/00 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes; das Urteil wird aufgehoben.
Das Verfahren wird an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 60.000 EUR (in Worten: sechzigtausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde eines Zahnarztes richtet sich dagegen, dass seine von der Gebührenordnung für Zahnärzte abweichende Honorarvereinbarung mit einer Patientin für unwirksam erklärt wurde.
1. Die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) ist die Abrechnungsgrundlage für die Vergütung zahnärztlicher Leistungen, die für Privatpatienten erbracht werden. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach den in einem Gebührenverzeichnis für die einzelnen zahnärztlichen Leistungen festgesetzten Gebührensätzen. § 5 Abs. 1 Satz 1 GOZ sieht grundsätzlich einen Gebührenrahmen vom 1 bis 3,5-fachen des Gebührensatzes vor. Durch schriftliche Vereinbarung zwischen Zahnarzt und Patient vor Erbringung der zahnärztlichen Leistung kann aber eine von der Gebührenordnung für Zahnärzte abweichende Höhe der Vergütung festgelegt werden (§ 2 Abs. 1, 2 Satz 1 GOZ). In dem Schriftstück muss nach § 2 Abs. 2 Satz 2 GOZ die Feststellung enthalten sein, dass eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet ist. Weitere Erklärungen darf die Vereinbarung aber nicht enthalten (§ 2 Abs. 2 Satz 3 GOZ).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Gebührenrahmen des § 5 Abs. 1 Satz 1 GOZ nicht in Allgemeinen Geschäftsbedingungen überschritten werden (vgl. BGHZ 115, 391 ≪397, 398≫). § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) vom 9. Dezember 1976 (BGBl I S. 3317 – AGBG) definiert Allgemeine Geschäftsbedingungen als „alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt”. Nach § 9 Abs. 1 AGBG sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine solche Benachteiligung ist nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Nach § 1 Abs. 2 AGBG liegen Allgemeine Geschäftsbedingungen jedoch nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind. Seit dem 1. Januar 2002 sind die Regelungen des AGB-Gesetzes mit gleich bleibendem Regelungsgehalt in die §§ 305 ff. BGB übernommen worden.
2. Der Beschwerdeführer ist als Zahnarzt niedergelassen. In den Jahren 1996 und 1998 erbrachte er für eine Patientin, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, konservative und prothetische zahnärztliche Leistungen. Dazu hatte er mit ihr Vereinbarungen über die Vergütungshöhe getroffen, wonach einzeln bezeichnete Leistungen nach wechselnden Faktoren im Rahmen zwischen dem 3,9 bis 8,2-fachen des Mindestsatzes der Gebührenordnung für Zahnärzte vergütet werden sollten. Die Gesamtrechnung des Beschwerdeführers für die zahnärztliche Behandlung belief sich auf 118.102,21 DM. Mit seiner Klage vor dem Landgericht machte der Beschwerdeführer eine Forderung in Höhe von 16.372,13 DM geltend. Dieser Betrag war ihm selbst für die Anfertigung von Zahnersatz in Rechnung gestellt worden. Mit der Widerklage nahm die Patientin den Beschwerdeführer auf Rückzahlung von 47.090,42 DM bereits gezahlten Honorars in Anspruch mit der Begründung, dass dieser nur zur Abrechnung auf der Basis des 2,3-fachen Satzes der Gebührenordnung für Zahnärzte berechtigt gewesen sei. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.
Das Oberlandesgericht hat mit dem angegriffenen Urteil die Klage abgewiesen und auf die Widerklage den Beschwerdeführer verurteilt, an die Beklagte 8.252,80 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 23. Juli 1999 zu zahlen. Die Klageforderung sei durch Aufrechnung erloschen. Der Beklagten stehe ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB in Höhe von 16.600,73 EUR zu. Der Beschwerdeführer sei zu einer Überschreitung des 3,5-fachen Steigerungssatzes nicht berechtigt gewesen, weil nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung in der Überschreitung des Honorarrahmens der Gebührenordnung für Zahnärzte ein Verstoß gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG gesehen werde. Diese Vorschrift greife nur dann nicht ein, wenn die Vertragsbedingungen zwischen den Parteien gemäß § 1 Abs. 2 AGBG ausgehandelt worden seien. Dies habe der Beschwerdeführer nicht bewiesen. Für ein Aushandeln im Sinne des § 1 Abs. 2 AGBG sei erforderlich, dass der Zahnarzt das Überschreiten des Gebührenrahmens ernsthaft zur Diskussion stelle und dem Vertragspartner eine Gestaltungsfreiheit zur Wahrung der eigenen Interessen mit der realen Möglichkeit einräume, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Ein solches Aushandeln hätten die vernommenen Zeuginnen nicht bestätigt. Auch der Vermerk in den Akten des Beschwerdeführers „Patientin sagt, dass sie kein Typ ist zum Handeln” spreche gegen ein Aushandeln im Sinne des § 1 Abs. 2 AGBG.
Tatbestandsberichtigungsanträge wies das Oberlandesgericht zurück.
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG sowie seines Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG).
a) Bereits die Darstellung des Tatbestandes im Urteil des Oberlandesgerichts trage willkürlichen Charakter und sei mit den Anforderungen an ein faires Verfahren unvereinbar. Nicht erwähnt werde, dass der Gebührenvereinbarung ein auf die Patientin bezogener konkreter Behandlungsplan zugrunde gelegen und damit insgesamt eine Individualabrede im Sinne von § 1 Abs. 2 AGBG vorgelegen habe. Diese Auslassung sei Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Regelung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG.
Die Nichtzulassung der Revision erscheine grob willkürlich. Sie sei hier nach § 543 Abs. 2 ZPO geboten gewesen. Der Beschwerdeführer habe dem Senat des Oberlandesgerichts Entscheidungen eines anderen Oberlandesgerichts vorgelegt, welches bei einem parallelen Sachverhalt in allen Punkten einen anderen Rechtsstandpunkt als der erkennende Senat eingenommen habe.
Das Vorgehen des Gerichts sei auch mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör nicht vereinbar. Der Vorsitzende Richter habe in der nur wenige Stunden vor Urteilserlass beendeten mündlichen Verhandlung eingeräumt, umfangreiche Schriftsätze nicht gelesen zu haben. Weder aus den Urteilsgründen noch aus sonstigen Umständen sei ersichtlich, dass der Vortrag des Beschwerdeführers gewürdigt worden sei.
b) Vor allem aber werde er in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Durch die offensichtlich bewusst rechtsmissbräuchliche Anwendung von § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG werde es ihm praktisch unmöglich gemacht, wirksame Gebührenvereinbarungen zu treffen. Auf eine solche Möglichkeit sei er jedoch angewiesen. Er erbringe weit überdurchschnittliche Qualität mit entsprechendem Praxis- und Zeitaufwand. Außerdem behandle er Patienten mit besonders schwerem Krankheitsbild. Ein Aushandeln in der vom Oberlandesgericht geforderten Form sei im Übrigen nicht erforderlich, wenn schon wegen der Verbindung mit dem konkreten Heil- und Kostenplan eine Individualvereinbarung vorliege.
4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Bundesgerichtshof, die Bundeszahnärztekammer, die Deutsche Krankenversicherung AG in Abstimmung mit dem Verband der privaten Krankenversicherung, der Bundesverband der implantologisch tätigen Zahnärzte in Europa e.V. (BDIZ) sowie die Gegnerin des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
a) Der Bundesgerichtshof weist auf seine einschlägige Rechtsprechung hin. Bislang sei nicht abschließend entschieden, ob ungeachtet der Verwendung eines in Teilen vorformulierten Textes von einer der Inhaltskontrolle nicht unterliegenden Individualvereinbarung auszugehen sei, wenn diese zwischen dem Arzt und dem Patienten „nach persönlicher Absprache im Einzelfall” getroffen worden sei. Soweit diese Frage in einem Berufungsverfahren entscheidungserheblich sei, wäre die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. In einem weiteren, ebenfalls einen Behandlungsfall des Beschwerdeführers betreffenden Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts habe der Bundesgerichtshof die Auffassung der Vorinstanz gebilligt, wonach die dort getroffene Honorarvereinbarung im Hinblick auf die Beschreibung der Leistungen im Zusammenhang mit dem Heil- und Kostenplan als Individualvereinbarung anzusehen sei.
b) Die Bundeszahnärztekammer verweist darauf, dass der Beschwerdeführer mit seinen Kostenvereinbarungen den Gestaltungsspielraum, den die Gebührenordnung einem Zahnarzt eröffne, genutzt habe.
c) Die Deutsche Krankenversicherung AG hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Allein die Tatsache, dass die Vereinbarungen Anhang eines Heil- und Kostenplans seien, mache sie nicht zu Individualabreden. Es handele sich dennoch um für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Texte, die lediglich hinsichtlich der Gebührenziffern und Steigerungssätze voneinander abwichen. Die Auslegung des Oberlandesgerichts verletze den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit. Der Beschwerdeführer rechtfertige den regelmäßigen Abschluss von Honorarvereinbarungen vor allem mit seinen besonderen Ansprüchen an sein Arbeitsergebnis. Nach seinen Schilderungen habe der dafür erforderliche zusätzliche Aufwand ein Maß erreicht, das den Betrieb der Praxis schlichtweg unwirtschaftlich erscheinen lasse. Vom Grundrecht der Berufsfreiheit sei jedoch die Honorierung unwirtschaftlichen Verhaltens nicht mehr gedeckt. Der Betrieb der ganz überwiegenden Zahl von Zahnarztpraxen sei auch heute noch im Rahmen der Gebührenordnung zu wirtschaftlichen Bedingungen möglich.
d) Der BDIZ hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts führe dazu, dass die Chance, eine wirksame Honorarvereinbarung abzuschließen, nahezu systematisch verhindert werde. § 2 GOZ verlange knappe Verträge. Angesichts der gesetzlich vorgegebenen formalen Inhalte beruhten die Verträge notwendigerweise auf Formularen – schon damit nicht der Hinweis nach § 2 Abs. 2 Satz 2 GOZ vergessen oder in falscher Form aufgenommen werde. Als Individualisierungskriterium komme nur der konkrete Behandlungsfall in Betracht. Die Individualvereinbarung liege darin, dass der Patient sich für oder gegen eine konkrete Behandlung entscheide.
e) Die Beklagte des Ausgangsverfahrens ist der Auffassung, dass zwar gute Arbeit einen guten Lohn verdiene, jedoch müsse dies unter klaren Bedingungen geschehen. Die Kosten sollten vorher innerhalb klarer Grenzen festgelegt sein. Das sei in ihrem Fall nicht geschehen. Während der laufenden Behandlung habe sie auch nicht den Arzt wechseln können.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, da dies zur Durchsetzung eines der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG.
1. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine Fragen von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung auf. Die im Rahmen des vorliegenden Falles entscheidungserheblichen Fragen zum Recht auf Berufsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG umfasst auch die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit denen, die an diesen Leistungen interessiert sind, auszuhandeln (vgl. BVerfGE 88, 145 ≪159≫; 101, 331 ≪347≫). Vergütungsregelungen sind daher nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, die durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. Die Grenzen der Zumutbarkeit hat das Bundesverfassungsgericht dort gesehen, wo unangemessen niedrige Einkünfte zugemutet werden und auf der Grundlage der bestehenden Vergütungsregelung eine wirtschaftliche Existenz generell nicht möglich ist (vgl. BVerfGE 101, 331 ≪350 ff.≫).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt.
a) Grundlage der angegriffenen Entscheidung sind Regelungen der Gebührenordnung für Zahnärzte über die an Honorarvereinbarungen zu stellenden Formanforderungen auf der einen sowie Vorschriften über die Inhaltskontrolle von Formularverträgen nach § 1 in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG auf der anderen Seite. Beide Regelwerke sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
aa) Die Einschränkung der freien Honorarvereinbarung nach der Gebührenordnung ist durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt (vgl. dazu BVerfGE 68, 319 ≪327 ff.≫; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 1992, S. 737 für die Gebührenordnung für Ärzte). Zwar ist dem Beschwerdeführer zuzugeben, dass die Gebührenmarge bei Zahnärzten besonders schmal ist. Für überdurchschnittliche Fälle steht nur der Rahmen zwischen 2,4 und 3,5 zur Verfügung, weil ein Absinken unter die Honorierung, die auch die gesetzliche Krankenversicherung zur Verfügung stellt (nämlich den 2,3-fachen Satz), wohl kaum noch als angemessen zu bezeichnen ist. Die im Regelfall nur schmale Marge schadet jedoch nicht, weil der Zahnarzt gemäß § 2 GOZ eine abweichende Vereinbarung treffen kann. Sie ist dem Gesetzeswortlaut nach materiell an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft.
bb) Auch die Statuierung einer Inhaltskontrolle für Formularverträge zum Schutz der anderen Vertragspartei gegenüber den Verwendern von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie ist nötig, weil Allgemeine Geschäftsbedingungen der anderen Partei regelmäßig verwehren, eine abweichende Individualvereinbarung zu treffen. Die Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen kompensiert den Mangel an Verhandlungsmacht. Das ist gerade auch im Verhältnis von Arzt und Patient von Bedeutung.
b) Die Anwendung dieser verfassungsrechtlich unbedenklichen Prinzipien im vorliegenden Fall beachtet jedoch Art. 12 Abs. 1 GG nicht hinreichend.
Auslegung und Anwendung von einfachgesetzlichen Bestimmungen durch die Fachgerichte können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheiten führt (BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 85, 248 ≪257 f.≫; 87, 287 ≪323≫). So liegt es hier.
aa) Ausgangspunkt der angegriffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach eine Überschreitung des Gebührenrahmens des § 5 GOZ in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht möglich ist (vgl. BGHZ 115, 391). Das begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Anwendung des AGB-Gesetzes auf Honorarvereinbarungen ist im Grundsatz von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Dass ein Zahnarzt dadurch eine Honorarvereinbarung nur in Form einer Individualabrede treffen kann, belastet den Berufsstand nicht unverhältnismäßig. Damit wird dem Schutzbedürfnis des Patienten Rechnung getragen. Für den Regelfall weiß der Patient, wie die Marge ist. Er weiß auch, dass innerhalb der Marge die Versicherungen ohne Probleme Leistungen erbringen. Bereits für die Inrechnungstellung eines über dem 2,3-fachen liegenden Steigerungssatzes innerhalb des Gebührenrahmens fordert deshalb § 10 Abs. 3 GOZ nachträglich eine individuelle schriftliche Begründung auf der Rechnung; die Berechtigung der Mehrkosten soll für den Patienten, aber auch für den Krankenversicherer überprüfbar sein. Dieser Gesetzeszweck würde konterkariert, wenn durch Allgemeine Geschäftsbedingungen der Rahmen von vornherein nach oben ausgeweitet werden könnte und der Patient erst nachträglich erführe, warum. Dementsprechend ist es systemgerecht und angemessen, für eine Abrechnung oberhalb des gesetzlich vorgesehenen Gebührenrahmens eine vorher getroffene schriftliche Individualvereinbarung zu fordern. Davon geht auch der Verordnungsgeber als Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus (vgl. BRDrucks 211/94, S. 94).
bb) Jedoch werden die Anforderungen des Oberlandesgerichts an die tatbestandlichen Voraussetzungen einer solchen Individualvereinbarung dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG nicht gerecht.
Unter Berücksichtigung der Vorgaben des Verordnungsgebers, die keinen erläuternden Text und keine ergänzenden Vertragsvereinbarungen zulassen (vgl. § 2 Abs. 2 GOZ), ist der Inhalt der Individualvereinbarung auf die in Betracht kommenden Gebührenziffern und auf die für sie jeweils vereinbarten Gebührensätze beschränkt. Alle anderen Teile müssen für sämtliche Verträge identisch sein. Soweit das Oberlandesgericht aus den individueller Vereinbarung ohnedies nicht zugänglichen Vertragsteilen, die in ein Formular aufgenommen sind, schließt, es handele sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, verengt es den Handlungsspielraum des Arztes ohne Legitimation durch den Regelungszweck, der die Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit rechtfertigt. Die Identität der ausgehandelten Verträge, die ihren Ausdruck im Formular findet, ist Ergebnis der Normbindung und daher kein Indiz für das Vorliegen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
cc) Statt dessen fordert das Oberlandesgericht für das Vorliegen einer Individualabrede zusätzliche Indizien, für die es in den maßgeblichen Regelungen keine Stütze gibt und die auch verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden können. Der Zahnarzt soll das Überschreiten der Gebührenordnung ernsthaft zur Disposition stellen und dem Vertragspartner eine Gestaltungsmöglichkeit zur Wahrung der eigenen Interessen mit der realen Möglichkeit einräumen, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Zudem legt das Gericht dem Arzt einseitig die Beweislast für den Vorgang des Aushandelns auf, obwohl es keine Möglichkeit zu vertraglicher Fixierung des Vorgangs gibt.
Mit diesen Maßstäben ist das Oberlandesgericht dem Sachverhalt nicht in der Weise gerecht geworden, die Art. 12 Abs. 1 GG verlangt.
(1) Das Urteil greift in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers ein.
(a) Der Beschwerdeführer hat als ausschließlich privat tätiger Zahnarzt keine Möglichkeit, Leistungen außerhalb der Gebührenordnung für Zahnärzte anzubieten und abzurechnen. Geht man davon aus, dass der 2,3-fache Steigerungssatz der Gebührenordnung der Vergütung entsprechender Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht, besteht innerhalb des – ursprünglich deutlich weiter bemessenen – gesetzlichen Rahmens wenig Spielraum für die Berücksichtigung qualitativer Besonderheiten. Wo aber wegen des besonderen Aufwandes einer Leistung eine angemessene Vergütung durch den vorgegebenen Gebührenrahmen nicht mehr gewährleistet ist, bedarf es einer Öffnungsklausel, die im Einzelfall ein Abweichen von der Gebührenordnung erlaubt. Damit wird sichergestellt, dass dem Leistungserbringer nicht unangemessen niedrige Vergütungssätze oder von ihm abgelehnte Leistungsstandards zugemutet werden.
Da die Gebührenordnung für Zahnärzte das Abrechnungssystem nach Gebührensätzen als Multiplikator für in einem Katalog definierte zahnärztliche Leistungen vorgibt, kann eine von der Gebührenordnung abweichende Vergütungshöhe nur über die Vereinbarung höherer Gebührensätze erreicht werden. Dem Maßstab des Oberlandesgerichts folgend, kann bei Verwendung vorformulierter Vertragstexte daher nur dann eine Individualvereinbarung bejaht werden, wenn der auf den einzelnen Behandlungsposten zu veranschlagende Gebührensatz ernsthaft zur Disposition des Patienten gestellt, dem Patienten also ein Mitspracherecht zur Angemessenheit der Bezahlung für die noch zu erbringende Leistung eingeräumt würde. Dem Beschwerdeführer wie auch dem BDIZ ist darin Recht zu geben, dass dann – anders formuliert – die Verwendung vorformulierter Schriftsätze, in die einzelne, individuell vereinbarte Leistungspositionen entsprechend der geplanten Behandlung eingetragen werden, nur noch erlaubt ist, wenn um die jeweils zu veranschlagenden Gebührensätze gefeilscht wird. Dabei darf der Vorgang des Feilschens allerdings nicht im Vertrag selbst schriftlich festgehalten werden (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 GOZ sowie die einschlägige, dies restriktiv auslegende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, BGHZ 144, 59). Der Vorgang des Aushandelns müsste vor Zeugen geschehen.
Dies stellt eine gravierende Einschränkung des von der Berufsausübungsfreiheit umfassten Preisbestimmungsrechts dar, höhlt es faktisch aus. Es ist nicht mehr gewährleistet, dass dem Beschwerdeführer überhaupt noch Raum für individuelle Vereinbarungen bleibt (vgl. Hensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 9. Aufl. 2001, Anhang §§ 9 bis 11 Rn. 131).
Der denkbare Einwand, dass eine Individualabrede doch nach wie vor dort geschlossen werden kann, wo der Zahnarzt nicht auf vor der Behandlung abgefasste Formulare zurückgreift, sondern vor den Augen des Patienten ein Schriftstück neu schreibt, führt insoweit nicht weiter. Eine solche Vorgehensweise ist praxisfern. Die Gebührenordnung selbst, die davon spricht, dass dem Patienten ein „Abdruck” des „Schriftstücks” auszuhändigen sei, macht dies deutlich. Es ist auch nicht erkennbar, inwiefern dieser Vorgang Patientenrechte stärken könnte.
Vor allem aber beachtet die Interpretation nicht, dass in dem vorformulierten Text auf der Grundlage eines zuvor individuell erstellten Heil- und Kostenplans die zwei wesentlichen individuellen Parameter eingetragen werden – die individuelle Leistung, gekennzeichnet durch die Gebührenziffer, deren Inhalt sich durch eine Anlage erschließt, und ein vorher nicht abstrakt definierter Gebührensatz (also der Preis), der je nach Gebührenziffer variiert.
(b) Das Oberlandesgericht bürdet dem Beschwerdeführer weiter einseitig die Last dafür auf, eine individuelle Abrede nachzuweisen. Die Tatsache, dass ein vorformulierter Schriftsatz existiert, wird als Indiz für einen Vertragsschluss auf AGB-Grundlage genommen. Selbst wenn es also einem Zahnarzt gelingt, mit seinen Patienten einen Gebührensatz im Einzelnen auszuhandeln, kann nach Auffassung des Oberlandesgerichts nur dann ein Fall des § 1 Abs. 2 AGBG bejaht werden, wenn der Zahnarzt das Stattfinden der Verhandlungen beweist.
Diese Beweislastverteilung hat eine zusätzliche Eingriffsqualität im Hinblick auf das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG. Eine Honorarvereinbarung ist typischerweise – auch wenn sie auf einem Vordruck festgehalten wird – auf den konkreten Behandlungsfall abgestimmt. Nimmt die schriftliche Vereinbarung auf einen Heil- und Kostenplan Bezug, kann schon dies – je nach den Umständen des Einzelfalls – gegen das Vorliegen Allgemeiner Geschäftsbedingungen sprechen. Auch vorliegend hätte sich das Gericht mit den Umständen des Zustandekommens der Vergütungsvereinbarung, insbesondere dem Bezug zum konkreten Behandlungsgeschehen, auseinander setzen müssen. Wenn in der Vereinbarung sogar dieselbe Gebührenziffer in unterschiedlichen Zusammenhängen mit unterschiedlichen Faktoren belegt wird, ist das immerhin ein Indiz gegen allgemeine, also immer gültige Geschäftsbedingungen.
Dem angegriffenen Urteil lässt sich nichts Stichhaltiges entnehmen, das die kaum zu erfüllenden Beweisanforderungen zu begründen vermöchte.
(c) Die Anforderungen, die das Oberlandesgericht im Feld von Vergütungsvereinbarungen an das Vorliegen einer Individualabrede stellt, sind damit insgesamt so hoch, dass es praktisch kaum noch zu beweisbaren Vereinbarungen kommen kann, die einer Überprüfung durch die Gerichte standhalten. Dem Beschwerdeführer wird infolge dieser Rechtsprechung zugemutet, trotz Erbringung überdurchschnittlich qualifizierter und zeitaufwändiger Leistungen unterhalb der Grenze einer angemessenen Vergütung zu arbeiten oder seine Leistung dem vorgegebenen Rahmen 1 bis 3,5 anzupassen.
(2) Dieser Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers lässt sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen.
Einschränkungen des Rechts zur Entgeltforderung sind nur dort gerechtfertigt, wo die Gebührenordnung dem Gemeinwohlbelang eines Ausgleichs der berechtigten Interessen der Leistungserbringer und der Patienten dient. Es sind jedoch keine schutzwürdigen Belange der Patienten erkennbar, die eine Individualvereinbarung nur dann zuließen, wenn der Preis zur Verhandlungssache erklärt wird. Davon geht auch der Bundesgerichtshof aus, wenn er eine oberlandesgerichtliche Entscheidung billigt, die eine von der Gebührenordnung abweichende Honorarvereinbarung im Hinblick auf die Beschreibung der Leistungen im Zusammenhang mit dem Heil- und Kostenplan als Individualvereinbarung qualifiziert.
Den Patienten steht es frei, die Leistung eines anderen Anbieters „einzukaufen”, wenn ihnen der Preis zu hoch erscheint. Die Gebührenordnung geht – wie jede typisierende Regelung – von einem mittleren Standard bei der Leistungsqualität aus. Soweit Leistungen von außergewöhnlicher Qualität in Anspruch genommen werden, besteht kein schützenswertes Interesse daran, diese Leistung nur in dem vom Normgeber vorgegebenen „üblichen” Rahmen zu vergüten.
Es besteht auch nicht etwa dieselbe Interessenlage wie im System der gesetzlichen Krankenversicherung, das im Hinblick auf die soziale Schutzbedürftigkeit der Versicherten und die Sicherstellung ihrer Versorgung Marktmechanismen weitgehend ausschaltet, von dessen Stabilität die Leistungserbringer aber gleichzeitig profitieren, weshalb sie auch in erhöhtem Maße der Einwirkung sozialstaatlicher Gesetzgebung unterliegen (vgl. BVerfGE 103, 172 ≪185, 186≫). Die gesetzliche Krankenversicherung stellt auch nur Standard-Leistungen als notwendig und geschuldet zur Verfügung.
c) Die angegriffene Entscheidung beruht auf der dargelegten Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. Sie ist aufzuheben. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberlandesgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es die Auslegung des § 1 Abs. 2 AGBG und die im Zusammenhang damit stehende tatrichterliche Bewertung unter Berücksichtigung der Reichweite des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG vorgenommen hätte.
3. Ob die angegriffene Entscheidung auch gegen die vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Prozessrechte verstößt, braucht nicht entschieden zu werden. Zwar deutet einiges darauf hin, dass der Beschwerdeführer mit Teilen seines schriftsätzlichen Vorbringens nicht hinreichend rechtliches Gehör gefunden hat (vgl. BVerfGE 86, 133 ≪146≫). Zudem ist im Hinblick darauf, dass das Oberlandesgericht die Revision nicht zugelassen hat, auch eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht ausgeschlossen. Dies legt auch die Stellungnahme des Bundesgerichtshofs nahe. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Im Rahmen seiner neuen Entscheidung kann das Gericht nicht nur die zu Art. 12 Abs. 1 GG entwickelten Maßstäbe berücksichtigen, sondern auch die weiteren Bedenken ausräumen.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG, die Entscheidung über die Festsetzung des Gegenstandswertes aus § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO (vgl. dazu BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 1257077 |
NJW 2005, 1036 |
ArztR 2005, 262 |
MedR 2005, 160 |
GesR 2005, 79 |
www.judicialis.de 2004 |