Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer ist ein eingetragener Verein, der als Trägerverein der Glaubensgemeinschaft U. fungiert. Er wendet sich dagegen, dass es der Gesetzgeber unterlassen habe, eine Regelung zu schaffen, nach der die Körperschaftsrechte der in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV angesprochenen, so genannten altkorporierten Religionsgemeinschaften eingeschränkt oder aberkannt werden können, wenn nicht mehr gewährleistet ist, dass diese sich rechts- und verfassungstreu sowie gemeinwohldienlich verhalten.
Der Beschwerdeführer sieht in diesem Unterlassen unter anderem die Verletzung einer dem Gesetzgeber obliegenden Schutzpflicht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Diese Schutzpflicht betraue den Staat auch mit dem Erhalt der faktischen Funktionsfähigkeit der Religionsfreiheit. Das gelte insbesondere in Fällen krassen Ungleichgewichts. Die Kirchen benützten ihre Meinungsführerschaft dazu, religiöse Minderheiten mundtot zu machen. Die Religionsgemeinschaft U. und der Beschwerdeführer hätten durch die kritischen Stellungnahmen der Kirchen und ihrer Sektenbeauftragten konkrete Beeinträchtigungen der Religionsausübung, der Berufsfreiheit und anderer Grundrechte zu erleiden. Diese Beeinträchtigungen gingen über bloße Rufschädigungen hinaus, gegen die die Bestimmungen des Zivil- und Strafrechts Schutz bieten könnten. Durch die Schärfe und Häufigkeit kirchlicher Warnungen vor gefährlichen Sekten würden die neuen Religionsgemeinschaften zu Feinden der Gesellschaft stigmatisiert, fänden für religiöse Veranstaltungen keine Räumlichkeiten mehr, verlören bei ihrer Berufsausübung auf kirchlichen Wink Kunden und Berufsausübungsmöglichkeiten und würden auch im privaten Bereich ausgegrenzt. Durch eine Summe jeweils zulässiger Meinungsäußerungen gegen so genannte Sekten fänden gesellschaftliche Ausgrenzung, wirtschaftliche Benachteiligung und religiöse Unterdrückung statt, die einer Volksverhetzung gleichkämen. Sie stellte die beruflichen, gesellschaftlichen und religiösen Existenzmöglichkeiten der betroffenen Gemeinschaften fundamental in Frage. Folge sei die systematische Aushöhlung der Grundrechte religiöser Minderheiten. Solange der Gesetzgeber keine Vorkehrungen dagegen treffe, dass die Kirchen ihre öffentlich-rechtliche Stellung in dieser Weise missbrauchten, verletze er seine grundrechtlichen Schutzpflichten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Religionsfreiheit des Beschwerdeführers angezeigt. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 56, 54 ≪81≫; 79, 174 ≪202≫; 93, 1 ≪16≫; 96, 56 ≪64≫; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2000 – 2 BvR 1500/97 –, NJW 2001, S. 429 ff.). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
1. a) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG beschränkt sich nicht auf die klassische Funktion eines Abwehrrechts. Er legt dem Staat auch die Pflicht auf, den Einzelnen und religiöse Gemeinschaften vor Angriffen oder Behinderungen von Anhängern anderer Glaubensrichtungen oder konkurrierender Religionsgruppen zu schützen (BVerfGE 93, 1 ≪16≫; BVerfG, NJW 2001, S. 429, LS 1 b≫ und S. 432). Diese Schutzpflicht trifft den Staat gerade auch im Hinblick auf das Verhalten der als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaften, weil diese Religionsgemeinschaften mit bestimmten hoheitlichen Befugnissen ausgestattet sind und aufgrund ihres Status über einen erhöhten Einfluss in Staat und Gesellschaft verfügen (BVerfG, NJW 2001, S. 429, 432).
Allerdings bleiben das Wirken und der Status der korporierten Religionsgemeinschaften von der grundrechtlichen Freiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geprägt. Soweit diese sich in dem ihnen durch die Gesetze und die Verfassung gezogenen Rahmen halten, können sie ihr Verhältnis zu anderen Religionen und Religionsgemeinschaften nach ihrem eigenen religiösen Selbstverständnis frei gestalten (BVerfG, a. a. O.). Dabei dürfen sie sich auch in der Öffentlichkeit kritisch mit anderen Religionsgemeinschaften auseinander setzen, ohne dass es hierfür einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfte (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juli 1993 – 1 BvR 960/93 –, NVwZ 1994, S. 159). Weitere und über die geforderte Rechtstreue hinausgehende Pflichten der Rücksicht gegenüber anderen Religionsgemeinschaften erwachsen ihnen aus ihrem öffentlich-rechtlichen Status nicht. Insbesondere müssen auch die korporierten Religionsgemeinschaften ihre Haltung gegenüber anderen Religionsgemeinschaften nicht nach den staatskirchenrechtlichen Grundsätzen von Neutralität und Parität gestalten, die nur Strukturvorgaben staatlicher Ordnung sind (BVerfG, NJW 2001, S. 429, 432).
b) Aus grundrechtlichen Schutzpflichten folgen in der Regel keine bestimmten Handlungsvorgaben. Die zuständigen staatlichen Organe haben zunächst in eigener Verantwortung zu entscheiden, wie sie ihre Schutzpflichten erfüllen. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, ein Schutzkonzept aufzustellen und normativ umzusetzen. Dabei kommt ihm ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Einen solchen Spielraum können auch die Gerichte in Anspruch nehmen, wenn sie die Schutzpflicht im Wege der Rechtsfortbildung oder der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe wahrnehmen.
Gestaltungsspielräume eröffnen sich insbesondere dann, wenn widerstreitende Grundrechte zu berücksichtigen sind und der Schutz einer grundrechtlichen Position zwangsläufig die Beeinträchtigung des Grundrechts eines anderen Grundrechtsträgers zur Folge hat. Die dann gebotene Abwägung kommt in erster Linie den zuständigen staatlichen Organen zu und kann durch das Bundesverfassungsgericht nur begrenzt nachgeprüft werden. Das Bundesverfassungsgericht kann eine Verletzung der Schutzpflicht nur feststellen, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind (BVerfGE 56, 54 ≪80 f.≫; 79, 174 ≪202≫; 96, 56 ≪64≫).
2. Nach diesem Maßstab ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber seine grundrechtlichen Schutzpflichten gegenüber dem Beschwerdeführer aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG dadurch verletzt haben könnte, dass er es unterlassen hat, Regelungen zur Einschränkung oder Aberkennung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV zu schaffen.
Gegenüber etwaigen rechtswidrigen Äußerungen korporierter Religionsgemeinschaften bieten die bestehenden Regelungen eine ausreichende Grundlage, um den grundrechtlich gebotenen Schutz zu gewährleisten. Denn soweit – was hier nicht zu beurteilen ist – sich konkurrierende Religionsgemeinschaften tatsächlich in einer Weise über den Beschwerdeführer äussern sollten, die den Staat nach gehöriger Abwägung der betroffenen Grundrechte zu Maßnahmen zum Schutz des Beschwerdeführers verpflichten würde, hat der Beschwerdeführer die Möglichkeit, die betreffende Religionsgemeinschaft vor den Gerichten auf Unterlassung, gegebenenfalls auch auf Widerruf der seine Rechte verletzenden Äußerungen in Anspruch zu nehmen.
Gegenüber Äußerungen von Religionsgemeinschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasst sind und öffentlich-rechtlich handeln, ist nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, wobei ein Anspruch auf Unterlassung angenommen wird, wenn die fraglichen Äußerungen ohne Rechtfertigung in das Grundrecht der Religionsfreiheit eingreifen (vgl. VGH München, NVwZ 1994, S. 787, 789). Soweit die Äußerungen nicht nach öffentlichem Recht zu beurteilen sind, kann der Beschwerdeführer Ansprüche aus § 1004 BGB vor den ordentlichen Gerichten geltend machen (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1998, S. 1479 f.). Dass diese Rechtsschutzmöglichkeiten zum Schutz der Religionsfreiheit des Beschwerdeführers vor rechtswidrigen Äußerungen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien, wird vom Beschwerdeführer nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich.
Dabei bedarf im Rahmen dieser nur gegen das gesetzgeberische Unterlassen gerichteten Verfassungsbeschwerde keiner Entscheidung, wo im Einzelnen bei der Auslegung und Anwendung der bestehenden Rechtsgrundlagen die Grenzen zulässiger Äußerungen zu ziehen sind (vgl. dazu Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juli 1993 – 1 BvR 960/93 –, NVwZ 1994, S. 159). Offen bleiben kann insbesondere, ob bei der gebotenen Abwägung – wie vom Beschwerdeführer gefordert – auch die kumulative Wirkung zu berücksichtigen ist, die eine beanstandete Äußerung im Zusammenwirken mit anderen Äußerungen haben mag. Auch kann hier dahinstehen, ob bei der Bestimmung der Grenzen zulässiger Äußerungen in Rechnung zu stellen ist, dass den korporierten Religionsgemeinschaften die Pflichten des Grundgesetzes zum Schutz der Rechte Dritter näher liegen als anderen Religionsgemeinschaften, weil sie über besondere Machtmittel und einen erhöhten Einfluss in Staat und Gesellschaft verfügen (vgl. BVerfG, NJW 2001, S. 429, 432). Hier ist ausreichend, dass die bestehenden Rechtsgrundlagen schon deswegen nicht völlig unzureichend sind, weil eine Berücksichtigung dieser Umstände bei der Abwägung im Rahmen der bestehenden Regelungen nicht ausgeschlossen ist.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1267293 |
NJW 2002, 53 |
NVwZ 2001, 908 |
ZevKR 2001, 341 |
BayVBl. 2001, 495 |
DVBl. 2001, 984 |