Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Beschluss vom 08.04.2008; Aktenzeichen 2 Ws 783/07) |
OLG Nürnberg (Beschluss vom 25.02.2008; Aktenzeichen 2 Ws 783/07) |
OLG Nürnberg (Beschluss vom 25.01.2008; Aktenzeichen 2 Ws 783/07) |
LG Amberg (Beschluss vom 08.11.2007; Aktenzeichen 2 StVK 437/2007) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht gegeben ist. Ihr kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu, und sie dient auch nicht der Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers.
I.
Die Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
1. Die Vorschriften der Strafprozessordnung über die notwendige Mitwirkung und die Bestellung eines Verteidigers (§§ 140 ff. StPO) stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung dar (vgl. BVerfGE 46, 202 ≪210≫; 70, 297 ≪323≫). Der Beschuldigte darf nicht nur Objekt des Verfahrens sein; ihm muss vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 46, 202 ≪210≫).
2. Nach § 140 Abs. 2 StPO hat der Vorsitzende des Gerichts daher einen Verteidiger zu bestellen, wenn dessen Mitwirkung wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Über die in § 140 Abs. 2 StPO genannten Voraussetzungen hinaus ist die Bestellung eines Verteidigers von Verfassungs wegen stets dann erforderlich, wenn seine Mitwirkung aus sonstigen Gründen rechtsstaatlich geboten ist (vgl. BVerfGE 63, 380 ≪391≫). Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Würdigung aller Umstände das Vorliegen eines “schwerwiegenden Falles” ergibt und der Beschuldigte die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag (vgl. BVerfGE 46, 202 ≪210 f.≫; 63, 380 ≪391≫). Ob es sich um einen schwerwiegenden Fall handelt, ist maßgeblich aus der Interessenlage des Beschuldigten heraus zu beurteilen, dessen Schutz das Gebot fairer Verfahrensführung und seine durch § 140 Abs. 2 StPO erfolgten Konkretisierungen vornehmlich bezwecken (vgl. BVerfGE 46, 202 ≪210 f.≫).
3. Im Vollstreckungsverfahren ist der rechtsstaatlichen Ausgestaltung des Verfahrens durch eine entsprechende Anwendung der dargestellten Grundsätze Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGK 6, 326 ≪331≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Mai 2002 – 2 BvR 613/02 –, NJW 2002, S. 2773). Allerdings sieht das Vollstreckungsverfahren für Entscheidungen über die Frage der Strafrestaussetzung zur Bewährung lediglich ein Beschlussverfahren vor (§ 454 Abs. 1 StPO), das nicht in gleicher Weise kontradiktorisch ausgestaltet ist wie eine strafprozessuale Hauptverhandlung. Die gerichtliche Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung im Freibeweisverfahren. Die Staatsanwaltschaft wird zwar angehört; sie hat aber keine ebenso weit reichenden prozessualen Befugnisse wie in der Hauptverhandlung des Erkenntnisverfahrens. Geht es bei dem Beschluss über die Strafrestaussetzung zur Bewährung um eine Tatsachenentscheidung in Form einer Prognose gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, die namentlich auf die dem Verurteilten bekannten Urteile, auf sein Verhalten im Strafvollzug und auf seine dortige Persönlichkeitsentwicklung gestützt ist, so ist ein Verteidigerbeistand zur Erlangung von Akteneinsicht und zur Beratung über Sach- und Rechtsfragen sowie zur schriftsätzlichen Stellungnahme gegenüber dem Gericht nicht in gleichem Maße erforderlich wie ein Verteidigerbeistand in der Hauptverhandlung des Erkenntnisverfahrens. Dass nicht jedem Verurteilten im Verfahren über die Strafrestaussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ein Verteidiger zu bestellen ist, kann deshalb verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden. Vielmehr ist von Fall zu Fall zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Mai 2002 – 2 BvR 613/02 –, NJW 2002, S. 2773, und vom 6. Juni 2003 – 2 BvR 772/03 –, juris).
4. Zu berücksichtigen sind die bisherige Dauer freiheitsentziehender Maßnahmen (vgl. BVerfGK 6, 326 ≪332≫) sowie die Dauer der noch ausstehenden Restfreiheitsstrafe (vgl. BVerfGE 86, 288 ≪338≫ zur Strafaussetzung bei lebenslanger Freiheitsstrafe). Ein Pflichtverteidiger ist dem Verurteilten ferner dann beizuordnen, wenn es nach der konkreten Fallgestaltung, insbesondere bei Besonderheiten und Schwierigkeiten im Diagnose- und Prognosebereich als evident erscheint, dass dieser sich angesichts einer Erkrankung nicht selbst verteidigen kann (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪323≫; BVerfGK 6, 326 ≪331≫).
5. Nach diesen Vorgaben sind die angegriffenen Beschlüsse verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der im Erkenntnisverfahren für die Pflichtverteidigerbestellung maßgebende Gesichtspunkt der Schwere der Tat und des Gewichts der zu erwartenden Rechtsfolgen gilt im Vollstreckungsverfahren nicht mehr. Tatschwere und Rechtsfolgen stehen bereits fest. Über sie ist keine Entscheidung mehr möglich. Entscheidend ist vielmehr die Schwierigkeit des Vollstreckungsverfahrens. Im vorliegenden Fall erscheint es nicht objektiv sachfremd und willkürlich, dass die Fachgerichte eine hinreichende Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Wahrnehmung seiner Rechte im Hinblick auf das beabsichtigte Reststrafengesuch angenommen hat. Eine besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage beziehungsweise ein “schwerwiegender Fall” ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass der Beschwerdeführer zusätzlich eine Alkoholtherapie anstrebt. Weder die bisherige Strafvollzugsdauer noch die ausstehende Restfreiheitsstrafe sind so lang, dass das Verfassungsrecht die Bestellung eines Pflichtverteidigers gebietet. Der Beschwerdeführer hat auch keine in seiner Person liegenden Umstände vorgetragen, welche Anhaltspunkte dafür bieten würden, dass er sich – entgegen den fachgerichtlichen Feststellungen hierzu – nicht selbst verteidigen könnte.
II.
Die Ablehnung des Befangenheitsantrags vom 11. Februar 2008 gegen die erkennenden Richter des Oberlandesgerichts Nürnberg begegnet ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Er war – wie das Oberlandesgericht Nürnberg zutreffend festgestellt hat – gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO unzulässig, weil er erst nach Erlass der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 25. Januar 2008 gestellt wurde. Insoweit wird auf die Ausführungen im Beschluss vom heutigen Tage im Verfahren 2 BvR 1264/08 verwiesen.
III.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Voßkuhle, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen