Verfahrensgang
Tenor
1. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22. August 2013 – 5 StR 310/13 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Das Verfahren wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
3. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
1. Mit Urteil vom 23. Januar 2013 verurteilte das Landgericht Braunschweig den Beschwerdeführer wegen mehrerer Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten.
2. Gegen das Urteil legte der Beschwerdeführer Revision ein und rügte unter anderem einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, weil es der Vorsitzende unterlassen habe, in öffentlicher Sitzung mitzuteilen, ob (und ggf. welche) Vorgespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten geführt worden seien.
Im Termin vom 21. August 2012, mit dem die Hauptverhandlung vor dem Landgericht begonnen habe, habe der Vorsitzende nach Aufruf der Sache und Verlesung der Anklageschrift und vor Belehrung des Beschwerdeführers über sein Schweigerecht der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden hätten, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen sei, und ob es bislang in dem Verfahren zu Verständigungsgesprächen gekommen sei. Diese Mitteilung zu dem nichtöffentlichen Hintergrundgeschehen sei auch nicht im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung in öffentlicher Sitzung nachgeholt worden. Ausweislich eines Aktenvermerks habe es jedoch im Vorfeld der Hauptverhandlung ein Telefonat zwischen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft gegeben, bei dem die zuständige Staatsanwältin darauf hingewirkt habe, dass der Verteidiger mit dem Beschwerdeführer eruieren möge, ob bei der derzeitigen Aktenlage nicht doch eine geständige Einlassung abgegeben werden könne. Ob konkret über Rechtsfolgen gesprochen worden sei, könne dem Vermerk zwar nicht entnommen werden. Nach Erinnerung des erstinstanzlichen Verteidigers habe die Staatsanwältin jedoch bei einem umfassenden Geständnis in Aussicht gestellt, eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren zu beantragen.
3. Durch Beschluss vom 22. August 2013 verwarf der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Revision des Beschwerdeführers nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet und verwies „ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts” zur Zulässigkeit der Rüge, es sei gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verstoßen worden, und zum Anwendungsbereich dieser Verfahrensvorschrift auf ein Urteil des 2. Strafsenats vom 10. Juli 2013 – 2 StR 47/13 –. Soweit die Revision vortrage, eine mit dem Verfahren befasste Staatsanwältin habe in einem mit dem „Pflichtverteidiger” am 10. April 2012 geführten Telefonat auf die Prüfung hingewirkt, „ob … nicht doch eine geständige Einlassung abgegeben werden könne”, handele es sich um ein Geschehen vor der Erhebung der Anklage, das vom Anwendungsbereich des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht erfasst werde; dieser betreffe lediglich Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO.
Das in Bezug genommene Urteil des 2. Strafsenats enthält die Schlussfolgerung, dass eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht bestehe, wenn keine auf eine Verständigung hinzielenden Gespräche stattgefunden haben. Dies zeige bereits ein Umkehrschluss aus dem Wortlaut der Vorschrift, nach dem der Vorsitzende mitteile, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt, und erkläre sich auch aus dem Sinn und Zweck der Mitteilungs- und Dokumentationspflichten. Die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten dienten der „Einhegung” der den zulässigen Inhalt von Verständigungen beschränkenden Vorschriften. Wenn aber überhaupt keine auf eine Verständigung abzielenden Gespräche stattgefunden hätten, sei das Regelungskonzept des § 257c StPO nicht tangiert. Soweit die Gesetzesmaterialien zur Änderung des § 78 Abs. 2 OWiG darauf hindeuteten, § 243 Abs. 4 StPO habe die Pflicht statuieren sollen, auch eine Nichterörterung mitzuteilen, habe dies im Gesetzestext letztlich keinen Ausdruck gefunden.
Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 (BVerfGE 133, 168 ff.). Zwar führe das Bundesverfassungsgericht – ohne auf den entgegenstehenden Wortlaut des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO einzugehen – aus, wenn zweifelsfrei feststehe, dass überhaupt keine Verständigungsgespräche stattgefunden haben, könne ausnahmsweise (lediglich) ein Beruhen des Urteils auf dem Unterbleiben einer Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ausgeschlossen werden (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪223, Rn. 98≫). Gleichzeitig betone das Bundesverfassungsgericht jedoch, dass die Mitteilungspflicht nur dann eingreife, wenn bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum gestanden hätten (BVerfGE 133, 168 ≪216, Rn. 85≫). Die Annahme des Bundesverfassungsgerichts, beim Fehlen von Vorgesprächen entfalle das Beruhen des Urteils auf dem Fehlen einer Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, sei daher einfachrechtlich nicht schlüssig, da nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift in diesem Fall bereits kein Rechtsfehler vorliege.
Nach alledem bedürfe es einer Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht, wenn überhaupt keine oder nur solche Gespräche stattgefunden hätten, die dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und von ihm nicht betroffen seien; das „Ob” der Handlung stehe unter dem Vorbehalt des „Wenn”. Soweit das Bundesverfassungsgericht den Begriff „Negativmitteilung” verwendet habe, beziehe sich dieser nur auf gescheiterte Gespräche (BVerfGE 133, 168 ≪223, Rn. 98≫ unter Bezugnahme auf BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10).
Vor diesem Hintergrund müsse ein Revisionsführer, der eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO rügen wolle, – gegebenenfalls nach Einholung von Erkundigungen beim Instanzverteidiger – bestimmt behaupten und konkret darlegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt Gespräche stattgefunden hätten, die auf eine Verständigung abgezielt hätten. Denn das bloße Fehlen einer Mitteilung reiche nach dem zuvor Ausgeführten nicht aus, um einen – vom Revisionsführer darzulegenden – Rechtsfehler zu begründen.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig und die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs und rügt eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) und des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG).
Auf Basis der vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Auslegungsleitlinien sei ein Verständnis des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht haltbar, wonach die Vorschrift keine allgemeine Pflicht zum „Farbebekennen” am Anfang der Hauptverhandlung (also auch dahin, dass keine Verständigungserörterungen stattgefunden haben) beinhalte. Sowohl der eindeutige gesetzgeberische Wille als auch der systematische Zusammenhang und erst recht die klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, durch die die Tatgerichte zur Offenheit und Transparenz gezwungen werden sollten, damit für informelle Gespräche im Hintergrund fortan kein Raum mehr bleibe, legten ein anderes Verständnis der Norm zwingend nahe.
Es sei bezeichnend, wenn sich der 2. Strafsenat (und ihm folgend der 5. Strafsenat) des Bundesgerichtshofs in einen offenen Konflikt zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts begebe. Die von ihm für seine Auffassung herangezogene Passage im Urteil vom 19. März 2013 (BVerfGE 133, 168 ≪216 f., Rn. 83 ff.≫) betreffe den Kontext „des Inhalts möglicher Erörterungen des Gerichts”. Das Bundesverfassungsgericht wolle an dieser Stelle präzisieren, wann Erörterungen vorliegen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach mitgeteilt werden müssen. Mit anderen Worten: Es gehe allein darum, wann das Gericht auf die in § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vorgelagerte Frage: „Hat es Erörterungen gegeben?” mit: „Ja, und zwar folgende…” antworten müsse. In den Fällen, in denen lediglich Gespräche stattfinden, die „dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und von ihm nicht betroffen” sind, müsse das Gericht deren Inhalt selbstverständlich nicht mitteilen und könne die Frage, ob Erörterungen stattgefunden haben, verneinen. Aber dieses „Nein” müsse es dann auch im Rahmen einer Negativmitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung kennzeichnen. Darum treffe auch der Vorhalt des 2. Strafsenats an das Bundesverfassungsgericht nicht zu, dessen Auffassung sei „einfachrechtlich nicht schlüssig”. Das Bundesverfassungsgericht gehe – wie es auch der einfachen Rechtslage entspreche – von einer umfassenden, auch die Nichtexistenz von Verständigungsgesprächen beinhaltenden Mitteilungspflicht aus.
Das vom 5. und 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs favorisierte Verständnis der Norm missachte auch das vom Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung verfolgte Anliegen, „informelle” (besser: illegale) Verständigungen durch den Zwang zur Dokumentation und Transparenz auszumerzen. Dies werde deutlich, wenn man sich in Erinnerung rufe, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die Möglichkeit einer Strafbarkeit nach § 348 StGB im Falle einer falschen Protokollierung in den Raum gestellt habe. Verstehe man aber § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO in der Weise, wie dies der Bundesgerichtshof tue, und entnehme der Norm nicht die Verpflichtung, am Anfang zu sagen, ob es Gespräche gegeben habe, so schwäche man den Sanktionsdruck ab. Wer informelle Gespräche führe und diese auch vor der Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht verbergen wolle, könne am Anfang einfach schweigen und müsse nicht lügen (was er tun müsste, wenn die Pflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO stets gelten würde, und was für jeden Richter eine gänzlich andere Hemmschwelle wäre). Der Bundesgerichtshof habe stattdessen jenen Tatgerichten und jenen Verfahrensbeteiligten, die das Gesetz umgehen wollen, eine Lücke eröffnet, die informelle Absprachen sanktionslos lasse.
III.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Generalbundesanwalt und der Vorsitzende des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs Stellung genommen. Der Beschwerdeführer hat auf die Stellungnahmen erwidert. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs richtet, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind insoweit gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt. Danach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Sinn offensichtlich begründet. Das der Revisionsentscheidung zugrunde liegende Verständnis des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verstößt gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG).
1. Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Willkürlich ist ein Richterspruch nicht bereits dann, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler aufweisen. Hinzukommen muss vielmehr, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht. Dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf. Willkür ist vielmehr in einem objektiven Sinne zu verstehen (vgl. BVerfGE 62, 189 ≪192≫; 80, 48 ≪51≫; 86, 59 ≪62 f.≫; stRspr).
2. Zur Gesetzesauslegung hat das Bundesverfassungsgericht Folgendes ausgeführt (BVerfGE 133, 168 ≪205 f., Rn. 66≫):
Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 1, 299 ≪312≫; 11, 126 ≪130 f.≫; 105, 135 ≪157≫; stRspr). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE 11, 126 ≪130≫; 105, 135 ≪157≫). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfGE 122, 248 ≪283≫ – abw. M.). Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall – auch unter gewandelten Bedingungen – möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 ≪394 f.≫). In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 ≪24≫ m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen (vgl. BVerfGE 122, 248 ≪284≫ – abw. M.).
3. Nach diesen Maßstäben ist die Auslegung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, wie sie der Revisionsentscheidung zugrunde liegt, wonach eine Mitteilungspflicht gemäß dieser Vorschrift nicht bestehe, wenn keine auf eine Verständigung hinzielenden Gespräche stattgefunden haben, unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich haltbar. Sie verstößt in unvertretbarer und damit objektiv willkürlicher Weise gegen den eindeutigen objektivierten Willen des Gesetzgebers, wie er auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 (BVerfGE 133, 168 ff.) herausgearbeitet wurde.
a) § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO lautet:
Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt.
Der Wortlaut der sprachlich wenig geglückten Norm erscheint zwar auf den ersten Blick mehrdeutig (einerseits „ob”, andererseits „wenn”), lässt aber durch die weitere Formulierung „und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt” auf das Bestehen einer Mitteilungspflicht auch für den Fall schließen, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden haben (sog. Negativmitteilungspflicht), weil es des Zusatzes „und wenn ja” ansonsten nicht bedurft hätte. Da der Gesetzeswortlaut selbst bei einer Ersetzung des „ob” durch ein „dass” wegen der nachfolgenden konditionalen Doppelung („wenn”, „und wenn ja”) unverständlich bliebe, ist nicht das „ob”, sondern das „wenn” als Redaktionsversehen einzuordnen und die Vorschrift dahingehend zu verstehen, dass der Vorsitzende mitteilt, ob Erörterungen stattgefunden haben, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (so zu Recht Frister, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2011, § 243 Rn. 43).
b) Die Gesetzessystematik spricht ebenfalls für eine Negativmitteilungspflicht. Wenn in § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO von „Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung” die Rede ist, so lässt dies allein den Schluss zu, dass zu Beginn der Hauptverhandlung in jedem Fall eine Mitteilung – sei es positiv oder negativ – zu erfolgen hat. Eine klare Bestätigung dieser Sichtweise findet sich in § 78 Abs. 2 OWiG, der für die Hauptverhandlung nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid folgende Sonderregelung trifft:
§ 243 Absatz 4 der Strafprozessordnung gilt nur, wenn eine Erörterung stattgefunden hat; § 273 Absatz 1a Satz 3 und Absatz 2 der Strafprozessordnung ist nicht anzuwenden.
Daraus ergibt sich im Umkehrschluss eindeutig, dass im „normalen” Strafprozess eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auch dann besteht, wenn keine Erörterung stattgefunden hat. Anderenfalls wäre § 78 Abs. 2 Halbsatz 1 OWiG sinnlos.
c) Auch die Materialien zum Verständigungsgesetz belegen eindeutig, dass der Gesetzgeber für den „normalen” Strafprozess eine Negativmitteilungspflicht einführen wollte. In der Begründung zum Regierungsentwurf eines Verständigungsgesetzes (BTDrucks 16/12310, S. 16) heißt es bezüglich § 78 Abs. 2 OWiG:
Für diese wenigen „geeigneten” Fälle ist es auch grundsätzlich gerechtfertigt, die im Strafverfahren aufgestellten prozessualen Anforderungen und Bedingungen auch im Bußgeldverfahren greifen zu lassen. Als eine nicht gerechtfertigte Anforderung erschiene es jedoch, auch den Regelfall, also das Unterlassen einer solchen Verständigung, protokollieren zu müssen; das gleiche gilt für die in § 243 Absatz 4 StPO-E enthaltene Pflicht, auch eine Nichterörterung mitzuteilen. In § 78 Absatz 2 OWiG-E wird daher die Protokollierungspflicht nach § 273 Absatz 1a Satz 3 StPO-E für nicht anwendbar erklärt und die Mitteilungspflicht nach § 243 Absatz 4 StPO-E auf die Fälle beschränkt, in denen eine Erörterung im Sinne dieser Vorschrift stattgefunden hat.
Der Bundesrat ist in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf der Einführung einer Negativmitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mit folgenden Erwägungen entgegengetreten (BTDrucks 16/12310, S. 18):
Eine Mitteilung des Vorsitzenden, dass keine Erörterungen nach den §§ 202a, 212 zum Zwecke einer möglichen Verständigung stattgefunden haben, ist weder erforderlich noch zweckmäßig.
Nur für den Fall, dass Gespräche mit dem Ziel einer einvernehmlichen Absprache tatsächlich stattgefunden haben, besteht ein Bedürfnis, dies in der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung mitzuteilen und hierdurch transparent zu machen.
Über Negativtatsachen braucht hingegen nicht berichtet zu werden, da diese nicht Gegenstand der Hauptverhandlung sind. Dies entspricht auch dem Grundsatz der negativen Beweislast [sic!] des Protokolls über die Hauptverhandlung. Eine anderweitige Regelung stünde daher nicht im Einklang mit der Systematik des Strafverfahrens.
Dementsprechend hat der Bundesrat folgende abweichende Fassung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vorgeschlagen:
Haben Erörterungen nach den §§ 202a, 212 zum Zwecke einer möglichen Verständigung (§ 257c) stattgefunden, so teilt der Vorsitzende dies und deren wesentlichen Inhalt mit.
Dieser Vorschlag ist jedoch nicht Gesetz geworden. Es blieb vielmehr bei der im Regierungsentwurf vorgesehenen Fassung.
d) Sinn und Zweck des dem Verständigungsgesetz zugrunde liegenden Regelungskonzepts, das die Schaffung umfassender Transparenz in Bezug auf Verständigungen im Strafprozess vorsieht (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪214 ff., Rn. 80 ff.≫), sprechen ebenfalls für eine Negativmitteilungspflicht. Wie sich aus § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO ergibt, geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Verpflichtung zu expliziter „Fehlanzeige” einer Verständigung der Transparenz und der Beachtung der gesetzlichen Vorschriften über die Verständigung dienlich ist (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 15).
e) Auch der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts legt die Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO dahingehend aus, dass sie eine Negativmitteilungspflicht beinhaltet (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪223 f., Rn. 98≫):
Kommt eine Verständigung nicht zustande und fehlt es an der gebotenen Negativmitteilung nach § 243 Absatz 4 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10 –, wistra 2011, S. 72 f. = StV 2011, S. 72 f.) oder dem vorgeschriebenen Negativattest nach § 273 Absatz 1a Satz 3 StPO, wird nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO grundsätzlich ebenfalls nicht auszuschließen sein […], sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 – 32 Ss 87/11 –, juris, Rn. 11, 13). Bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten wird sich nämlich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige „informelle” Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht.
Der vom Bundesverfassungsgericht hier verwendete Begriff der „Negativmitteilung” bezieht sich – entgegen der Annahme des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 47/13 – nicht nur auf die Mitteilung über gescheiterte Verständigungsgespräche, sondern umfasst auch die Mitteilung darüber, dass es keine Verständigungsgespräche gegeben hat. Anderenfalls ergäbe der Rest des Satzes keinen Sinn, weil es ausgeschlossen ist, dass einerseits eine Mitteilung über gescheiterte Verständigungsgespräche geboten gewesen wäre, andererseits jedoch „zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand”. Zwar ging es in dem zunächst in Bezug genommenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10 – tatsächlich um die Pflicht zur Mitteilung gescheiterter Verständigungsgespräche. Der nachfolgende Hinweis auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 30. August 2011 – 32 Ss 87/11 – zeigt jedoch deutlich, dass der Senat gerade auch diejenigen Fälle gemeint hat, bei denen eine Mitteilung darüber unterblieben ist, dass keine Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben.
Soweit das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, dass Gespräche, die ausschließlich der Organisation sowie der verfahrenstechnischen Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, nicht der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO unterliegen (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪216, Rn. 84≫), ist damit nach dem Kontext der Gründe (vgl. insb. a.a.O., Rn. 83) die Pflicht zur (Positiv-)Mitteilung des wesentlichen Inhalts von Gesprächen gemeint (vgl. § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO: „und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt”). Diese Aussage lässt daher nicht den Schluss zu, dass es bei lediglich organisatorischen Vorgesprächen keinerlei Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO bedarf, auch keiner Negativmitteilung.
4. Die Annahme, im vorliegenden Fall sei trotz Fehlens einer Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO jedenfalls ein Beruhen des erstinstanzlichen Urteils auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 337 Abs. 1 StPO) auszuschließen, weil zweifelsfrei feststehe, dass es keinerlei Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung gegeben habe (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪223 f., Rn. 98≫), kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine Aufklärung der entsprechenden Verfahrenstatsachen nicht stattgefunden hat. Zwar trägt der Beschwerdeführer lediglich zu einem Gespräch zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung vor, welches vom Bundesgerichtshof zu Recht als nicht vom Anwendungsbereich der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO erfasst angesehen wurde. Dass es darüber hinaus im Vorfeld keinerlei Verständigungsgespräche gegeben hat, deren Inhalt nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mitzuteilen gewesen wäre, kann dem Vorbringen des Beschwerdeführers aber nicht zweifelsfrei entnommen werden.
5. Ebenso wenig scheidet ein Beruhen der Revisionsentscheidung auf dem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG deshalb aus, weil der Bundesgerichtshof die auf eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Verfahrensrüge möglicherweise auch bei Bejahung einer aus dieser Vorschrift folgenden Negativmitteilungspflicht als unzulässig angesehen hätte. Von einem Beruhen der angegriffenen Entscheidung auf einer Grundrechtsverletzung ist bereits dann auszugehen, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass das Gericht bei hinreichender Berücksichtigung des verletzten Grundrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Welche Darlegungsanforderungen der Bundesgerichtshof bei Bejahung einer Negativmitteilungspflicht an den Vortrag des Revisionsführers gestellt hätte und ob er hiernach die auf eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Verfahrensrüge für zulässig erachtet hätte, kann durch das Bundesverfassungsgericht nicht beurteilt werden. Denkbar wäre es gewesen, keine über den – bereits im Fehlen jeglicher Mitteilung liegenden – Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hinausreichenden Anforderungen an die Darstellung des Verfahrensablaufs zu stellen und im Freibeweisverfahren aufzuklären, ob Gespräche stattgefunden haben, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (so im Ergebnis BGH, Beschluss vom 3. September 2013 – 1 StR 237/13 –, juris, Rn. 4 ff.). Ebenso hätte, einem Vorschlag des Generalbundesanwalts in der Stellungnahme zur vorliegenden Verfassungsbeschwerde folgend, verlangt werden können, dass die Revisionsbegründung mitteilt, über welche Kenntnisse und Hinweise bezüglich etwaiger Verständigungsgespräche der Revisionsverteidiger und der Angeklagte – gegebenenfalls nach zumutbarer Einholung entsprechender Auskünfte beim Instanzverteidiger (vgl. BVerfGK 6, 235 ≪237 f.≫) – verfügen. Auch wenn es sich dabei um eine Ausnahme von dem revisionsrechtlichen Grundsatz handeln mag, dass der Revisionsführer zur Beruhensfrage nicht vorzutragen braucht, geht es hierbei doch letztlich um eine Frage des einfachen Rechts, über die das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden hat.
V.
Soweit die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird, wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.
Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Landau, Kessal-Wulf, König
Fundstellen