Verfahrensgang
Saarländisches OLG (Beschluss vom 13.09.2007; Aktenzeichen 1 Ws 185/07) |
LG Saarbrücken (Beschluss vom 16.07.2007; Aktenzeichen 4 - 18/07 I) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts M.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Anhalten eines an eine Freundin gerichteten Briefes eines Untersuchungsgefangenen wegen beleidigenden Inhalts.
1. Der Beschwerdeführer befand sich wegen des Verdachts des gemeinschaftlich begangenen Mordes in Untersuchungshaft. Im Juli 2007 schrieb der damals 20 Jahre alte Beschwerdeführer an eine Freundin, Frau R., einen Brief, der unter anderem die folgenden Passagen enthielt:
„Hey Stupsi, Jo die Verhandlung geht mir nur noch auf den Sack, wird immer unterbrochen, dann die Presserichter nichts als Arschgesichter un dann Kotzen sich immer noch die Anwälte und Richter gegenseitig an. Am 06.07. war ich richtig Scheiße drauf das Arschloch von der Kripo „der mich Vernommen hat dahmals” sitzt vor Gericht als Zeuge … Und dann sitzt der Penner noch die ganze Zeit da und ist nur am Grintzen, die ganze Zeit, genau wie die Fotze von der Nebenklage die Schwester vom Sch. + Ohne Scheiß den Nebenkläger geht es nur ums Geld … G. hat mir auch gesagt das sie am 18.06. nicht kommen konnte weil sie ins Krankenhaus musste das ist ja dann verständlich (kannst ja den Brief auch deiner Schwester zeigen damit sie auch bescheid weiß) …”.
Der Brief wurde vom Landgericht, gestützt auf Ziff. 34 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2, 3 UVollzO in Verbindung mit § 119 Abs. 3, Abs. 6 StPO, angehalten und beschlagnahmt. Das Schreiben enthalte mehrere grobe Beleidigungen sowie Passagen, die geeignet seien, die innere Haltung des Angeklagten zu dem mutmaßlichen Opfer und dessen Hinterbliebenen zu charakterisieren; es sei daher als Beweismittel im Sinne des § 94 StPO von Bedeutung und folglich gemäß § 98 Abs. 1 StPO zu beschlagnahmen gewesen.
2. Das Oberlandesgericht verwarf die gegen den Beschluss des Landgerichts erhobene Beschwerde als unbegründet.
Das Anhalten des Briefes sei nach § 119 Abs. 3 StPO gerechtfertigt gewesen. Bei der Auslegung und Anwendung der Vorschrift müsse allerdings den Grundrechten und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen und dabei beachtet werden, dass das in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Einzelnen auch Schutz im Intim- und Privatbereich gewähre.
Nach den hierzu in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäben (wird ausgeführt) sei der Brief des Beschwerdeführers zu Recht von der Beförderung ausgeschlossen worden. Die als grobe Beleidigung zu qualifizierenden Äußerungen des Beschwerdeführers genössen nicht den aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) folgenden Schutz der Vertraulichkeit im Sinne einer beleidigungsfreien Sphäre, da zwischen dem Beschwerdeführer und Frau R. nicht das hierfür erforderliche besonders enge Vertrauensverhältnis bestehe. Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf Ehegatten oder Eltern beschränkt, sondern erstrecke sich auf ähnlich enge Vertrauensverhältnisse. Ein in der Nähebeziehung einer Ehe oder dem Eltern-Kind-Verhältnis vergleichbares enges Vertrauensverhältnis, innerhalb dessen ehrverletzende Äußerungen hinzunehmen seien, könne nur angenommen werden, wenn das Verhältnis für den sich Äußernden „quasi einen Ersatz” für den Ehepartner beziehungsweise enge familiäre Beziehungen darstelle.
Im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung im Februar 2007 habe Frau R. angegeben, dass sie den Beschwerdeführer vor etwa drei Jahren kennengelernt habe, sich mit ihm seit etwa zwei Jahren öfters treffe, ihn recht gut leiden könne und er ein guter Freund von ihr gewesen sei, aber keine feste Beziehung bestanden habe. Sie habe mit dem Beschwerdeführer jetzt Briefkontakt und wolle ihn im nächsten Monat in der Justizvollzugsanstalt besuchen. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen habe sich weiter ergeben, dass Frau R. bis zur Inhaftierung des Beschwerdeführers die Freundin eines anderen Mannes gewesen sei. Ihre Schwester habe zudem ausgesagt, dass Frau R. und der Beschwerdeführer vorher eng befreundet gewesen seien, sie jedoch jetzt einen festen Freund habe und den Beschwerdeführer nur noch selten sehe. Aus alledem folge, dass die Beziehung zwischen Frau R. und dem Beschwerdeführer jedenfalls bis zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung auf eine in beider Alter übliche Cliquenfreundschaft ohne darüber hinausgehende besondere persönliche Bindung beschränkt gewesen sei.
Davon, dass sich nach der Inhaftierung des Beschwerdeführers zwischen ihm und Frau R. ein besonderes enges Nähe- und Vertrauensverhältnis aufgebaut habe, könne ebenfalls nicht ausgegangen werden. Nach den Angaben des Beschwerdeführers habe Frau R. zwar im Rahmen ihrer Vernehmung als Zeugin im Hauptverhandlungstermin vom 4. Juli 2007 bekundet, dass sie mit dem Beschwerdeführer gut befreundet sei und sehr häufig mit ihm privat verkehre. Außerdem finde zwischen beiden seit der Inhaftierung des Beschwerdeführers ein reger Briefverkehr statt, und Frau R. besuche den Beschwerdeführer regelmäßig in der Justizvollzugsanstalt. Diese Umstände belegten jedoch nicht, dass sich trotz der durch die Inhaftierung des Beschwerdeführers bedingten Einschränkung der Kontaktmöglichkeiten gerade während der Zeit seiner bisherigen Inhaftierung durch Besuche und Briefkontakte ein in die Tiefe gehendes Nähe- und Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Frau R. entwickelt habe.
Ein enges Vertrauensverhältnis ergebe sich auch nicht aus dem Inhalt des Briefes vom 13. Juli 2007. Dieser enthalte weder intime Äußerungen noch einen besonders vertraulichen Inhalt. Er beschränke sich vielmehr im Wesentlichen auf die Äußerungen beleidigenden Inhalts, eine kurze Darstellung des Gefängnisalltags sowie auf eine unverfängliche Beschreibung des Verhaltens der Adressatin und anderer Personen zu dem Angeklagten während der Zeit seiner Inhaftierung. Der Brief sei auch nicht in einem vertraulicheren Ton gehalten als er sonst unter jungen Leuten im Alter des Beschwerdeführers üblich sei. Insbesondere belegten weder die Anrede oder die Unterzeichnung des Briefes mit einem Spitznamen noch die unter jungen Menschen übliche Grußformel „Hab dich lieb” eine über eine normale Freundschaft hinausgehende besondere Nähe- und Vertrauensbeziehung.
Genössen demnach die Äußerungen des Beschwerdeführers nicht den im Rahmen eines besonderen Vertrauensverhältnisses aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleitenden Schutz der Vertraulichkeit, habe bei der sodann gebotenen Abwägung sein Recht auf Meinungsfreiheit aufgrund des grob beleidigenden Inhalts der Äußerungen gegenüber dem Schutz der durch die Äußerung in ihrer Ehre Betroffenen zurückzutreten. Zum Schutz der Ordnung in der Vollzugsanstalt sei es erforderlich, das Schreiben grob beleidigenden Inhalts anzuhalten.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde, die er nachträglich mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt M. verbunden hat, rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 Abs. 1 GG durch das Anhalten seines Schreibens. Die Gerichte hätten verkannt, dass Frau R. eine enge Vertrauensperson des Beschwerdeführers im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei und dass der Brief seiner grundrechtlich geschützten Privatsphäre zuzurechnen sei.
2. Soweit der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung auch durch die Beschlagnahme und die Verlesung des Briefes in der Hauptverhandlung rügt, wurde die Verfassungsbeschwerde zuständigkeitshalber abgetrennt; das diesbezügliche Verfahren wird im Ersten Senat geführt.
3. Die Verfassungsbeschwerde wurde im vorliegenden Verfahren dem Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes zugestellt. Das Ministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen.
III.
Die Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), liegen nicht vor. Zwar begegnet die Entscheidung des Oberlandesgerichts in ihrer Begründung verfassungsrechtlichen Bedenken. Dem Beschwerdeführer entsteht jedoch, soweit aus seinem Vortrag ersichtlich, durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde, der keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, kein schwerer Nachteil, weil absehbar ist, dass sein Antrag auch im Fall einer Aufhebung und Zurückverweisung keinen Erfolg haben könnte (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
1. a) Zu den Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung gehört es, dass der Einzelne einen Raum besitzt, in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann (BVerfGE 90, 255 ≪260≫). Ein solcher Kommunikationsraum muss von Verfassungs wegen auch dem Gefangenen erhalten bleiben, der der Überwachung seiner Post unterliegt (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 261). Die Befugnis, nach Maßgabe des § 119 Abs. 3 StPO den Schriftwechsel von Untersuchungsgefangenen zu überwachen und, sofern zur Abwehr der in § 119 Abs. 3 StPO genannten Gefahren erforderlich, Schreiben anzuhalten, ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 35, 35 ≪39 f.≫; 90, 255 ≪261≫); ihre Ausübung kann sogar verfassungsrechtlich geboten sein (vgl. zu entsprechenden Befugnissen nach den Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes BVerfGE 116, 69 ≪95≫). Der grundrechtliche Schutz der Vertrauenssphäre geht jedoch dadurch, dass der Staat sich im Rahmen der Briefkontrolle Kenntnis auch von vertraulich gemachten Äußerungen verschafft, nicht verloren. Vielmehr wirkt sich der Grundrechtsschutz gerade darin aus, dass der vertrauliche Charakter der Mitteilung trotz der staatlichen Überwachung gewahrt bleibt (BVerfGE 90, 255 ≪261 f.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats von 12. September 1994 – 2 BvR 291/94 –, NJW 1995, S. 1477 f.). Dies betrifft auch beleidigende Äußerungen von besonders roher und grober Art, wie sie das angehaltene Schreiben des Beschwerdeführers enthält. Der sonst geltende Grundsatz, dass jedenfalls bei schweren und haltlosen Kränkungen im privaten Bereich der Ehrenschutz regelmäßig den Vorrang vor der Meinungsfreiheit hat, gilt insoweit nicht (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 159 f.). Dieser grundrechtliche Schutz der vertraulichen Kommunikation ist nicht auf familiäre Kontakte beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf andere in der Nähebeziehung vergleichbare – einschließlich rein freundschaftlicher – Vertrauensverhältnisse (vgl. BVerfGE 90, 255 ≪262≫; BVerfGK 9, 442 ≪445 f.≫). Die Feststellung, ob im Einzelfall ein derartiges Vertrauensverhältnis besteht, ist, wie die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts allgemein, in erster Linie Sache der Fachgerichte. Diese unterliegen aber verfassungsgerichtlicher Kontrolle darauf hin, ob die Tragweite der berührten Grundrechte ausreichend berücksicht ist (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪93≫; 85, 248 ≪257 f.≫ – stRspr). Dies betrifft auch die Frage, ob der Sachverhalt in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Weise aufgeklärt wurde (vgl. BVerfGK 9, 390 ≪395≫; 9, 460 ≪464≫).
b) Das Oberlandesgericht hat nicht verkannt, dass die briefliche Kommunikation Gefangener in Vertrauensverhältnissen der bezeichneten Art besonderen grundrechtlichen Schutz genießt, und dass dieser Schutz im Fall des angehaltenen Schreibens des Beschwerdeführers nicht schon wegen der besonderen Grobheit und Rohheit der enthaltenen Beleidigungen entfiel. Verfassungsrechtliche Bedenken weckt allerdings die Begründung, mit der das Gericht das Vorliegen einer geschützten Vertrauensbeziehung verneint hat.
Das Gericht geht davon aus, dass eine Nähebeziehung entsprechend derjenigen zu Ehegatten und Eltern bestehen müsse, und ordnet die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und Frau R. demgegenüber als bloße bei Menschen im Alter des Beschwerdeführers und seiner Freundin übliche „Cliquenfreundschaft” ein. Entscheidend für den grundrechtlichen Schutz der Vertrauensbeziehung ist jedoch nicht, dass die bestehende Nähebeziehung in jeder Hinsicht derjenigen zu Ehegatten oder Eltern oder anderen Familienangehörigen (zur Einbeziehung letzterer in den Vergleichsmaßstab vgl. BVerfGK 9, 442 ≪445≫) entspricht, sondern dass ein Verhältnis besteht, welches für den betroffenen Gefangenen in seiner Funktion, ihm einen Raum zu bieten, in dem er ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann, dem Verhältnis vergleichbar ist, wie es in der Regel zu Ehegatten, Eltern oder auch anderen Familienangehörigen besteht (vgl. BVerfGE 90, 255 ≪260≫; BVerfGK 9, 442 ≪445 f.≫). Ein derartiges besonderes Näheverhältnis kann auch zwischen Menschen bestehen, die als Mitglieder einer Gruppe Gleichgesinnter mit gemeinsamen Freizeitgewohnheiten („Clique”) befreundet sind. Für junge Menschen sind in der – für den vorliegenden Zusammenhang wesentlichen – Funktion als Ort entlasteter und entlastender vertrauensvoller Kommunikation häufig gerade Freundschaften dieser Art besonders wichtig.
Sofern die gerichtliche Feststellung, das Verhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und Frau R. beschränke sich auf eine Cliquenfreundschaft, besagen sollte, dass es sich um eine bloß oberflächliche Beziehung oder eine Beziehung, die sich ihrer Art nach nicht von derjenigen zu vielen oder allen anderen Gruppenmitgliedern unterscheide, und daher nicht um eine gegenüber beliebigen alltäglichen Kontakten herausgehobene Vertrauensbeziehung handele, wird nicht erkennbar, worauf sich diese Einschätzung stützen könnte. Der Umstand, dass zwischen dem Beschwerdeführer und Frau R. keine Liebesbeziehung bestand, belegt weder, dass die bestehende Beziehung oberflächlich war, noch, dass sie sich in ihrem Charakter von beliebigen anderen Beziehungen des Beschwerdeführers innerhalb einer größeren Gruppe nicht unterschied (vgl. dazu, dass es auf das Bestehen eines Verwandtschafts- oder Liebesverhältnisses nicht ankommt, BVerfGK 9, 442 ≪446≫). Zwar mag die Tatsache, dass der angehaltene Brief eine vertrauliche Anrede und den Gruß „Hab dich lieb” enthält, für sich genommen der fachgerichtlichen Einordnung des Verhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer und Frau R. nicht notwendigerweise entgegenstehen. Angesichts des Umstandes, dass Frau R. die freundschaftliche Beziehung nach der Inhaftierung des Beschwerdeführers trotz der damit verbundenen erheblichen Erschwerungen des – nun gerade nicht mehr als Cliquenaktivität möglichen – Kontakts und trotz des der Inhaftierung zugrundeliegenden schweren Tatvorwurfs weitergeführt und nicht nur regen Briefverkehr aufgenommen, sondern ihn auch regelmäßig in der Haft besucht hat, konnte aber jedenfalls nicht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung zu Art und Anzahl vergleichbarer auch in der Haft weiter gepflegter Beziehungen des Beschwerdeführers davon ausgegangen werden, dass es sich um eine aus einer Vielzahl gleichartiger Gruppenkontakte nicht herausgehobene Beziehung ohne besonderes Näheverhältnis handelte.
2. Dem Beschwerdeführer entsteht jedoch durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde kein schwerer Nachteil, weil nach dem von ihm vorgetragenen Sachverhalt absehbar ist, dass sein Antrag auch im Fall einer Aufhebung und Zurückverweisung keinen Erfolg haben könnte (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
Der besondere grundrechtliche Schutz, den die briefliche Kommunikation eines Gefangenen in Vertrauensbeziehungen auch dann genießt, wenn der Schriftwechsel überwacht wird, greift nicht ein, wenn der sich Äußernde selbst die Vertraulichkeit aufhebt (vgl. BVerfGE 90, 255 ≪262≫). Dies ist hier geschehen. Der Beschwerdeführer hat seiner Briefpartnerin ausdrücklich – und im Sinne einer Anregung – gestattet, den Brief ihrer Schwester zu zeigen. In keinem Stadium des Verfahrens hat er geltend gemacht, und es ist auch sonst nichts dafür ersichtlich, dass er zu der Schwester der Adressatin ebenfalls in einer geschützten Vertrauensbeziehung stehe. Darauf, ob eine Kenntnisnahme durch die Schwester tatsächlich erfolgt ist, kann es hier nicht ankommen. Der besondere grundrechtliche Schutz der Vertraulichkeit von Äußerungen in einer besonderen Nähebeziehung entfällt bereits dann, wenn aufgrund eines dem Grundrechtsträger zurechenbaren Verhaltens mit der Weitergabe an Dritte gerechnet werden muss (dazu und zu anderen Fällen der Aufhebung des Vertraulichkeitsschutzes vgl. BVerfG, a.a.O.; BVerfGK 9, 442 ≪445≫, m.w.N.). Dies gilt jedenfalls, soweit es um die Frage geht, ob das Schreiben eines Gefangenen an eine Vertrauensperson angehalten werden darf. Aus der grundrechtlich besonders geschützten Sphäre der Vertraulichkeit, auf die der Beschwerdeführer sich beruft, hat er sich insoweit bereits mit der Anregung, den Brief einer dritten Person zugänglich zu machen, selbst herausbegeben.
3. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt M.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Voßkuhle, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
Fundstellen
NStZ 2010, 258 |
StV 2010, 142 |