Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 13.11.2012; Aktenzeichen III - 1 Vollz (Ws) 492/12) |
LG Düsseldorf (Beschluss vom 23.07.2012; Aktenzeichen 055 StVK 192/12) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 23. Juli 2012 – 055 StVK 192/12 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache wird an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 13. November 2012 – III – 1 Vollz (Ws) 492/12 – gegenstandslos.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Behandlung eines aus dem Maßregelvollzug Beurlaubten mit Psychopharmaka.
I.
1. Gegen den 1950 geborenen Beschwerdeführer wurde im November 2002 durch – nicht angegriffenes – Urteil des Landgerichts Düsseldorf die Unterbringung im Maßregelvollzug angeordnet. Er habe die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung sowie der Sachbeschädigung in Tatmehrheit erfüllt, indem er im Zuge einer Auseinandersetzung mit einer Radfahrerin zunächst deren Fahrrad beschädigt und ihr dann mit einem Knüppel gegen den Kopf geschlagen habe, so dass sie – ohne bleibende Schäden – eine Schädelprellung, eine Rissverletzung und ein Lidhämatom davongetragen habe. Zudem habe er den Tatbestand der Beleidigung erfüllt, indem er (im Oktober 2001) einen Fußgänger, dem er verbotswidrig mit dem Fahrrad entgegengekommen und der ihm ausgewichen sei, mit „Scheißkanacke” beschimpft und ihn bespuckt habe. Der Beschwerdeführer leide mindestens seit Ende der siebziger Jahre an einer inzwischen chronifizierten schizophrenen Psychose; auch an den Tattagen habe er daran gelitten, weshalb seine Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen sei (§ 20 StGB).
Aufgrund des Urteils wurde der Beschwerdeführer in den Rheinischen Kliniken Düsseldorf – Kliniken der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf –, einer Einrichtung des Landschaftsverbands Rheinland, untergebracht. Seit April 2010 ist er bei fortbestehender Maßregel in ein offenes diakonisches Wohnheim in Krefeld beurlaubt.
2. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2011 wandte der Beschwerdeführer sich unter dem Betreff „Beschwerde zur Zwangsmedikation, Vorschaltverfahren” von seinem Wohnheim aus an die Klinik. Er unterliege seit nun bald zehn Jahren der Zwangsmedikation. Im März 2002 sei er durch Androhung physischer Gewalt – wie auf der Station, in der er damals untergebracht gewesen sei, üblich – bewegt worden, die Medikation anzunehmen. Er habe immer beteuert, dass diese Medikation in Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG gegen seinen ausdrücklichen Willen erfolge. Der Medikation sei auch noch das Medikament Seroquel hinzugefügt worden, in der offensichtlich erkennbaren Absicht auf Libido-Unterdrückung – zumindest sei es dies, was er als Wirkung von dem Medikament bemerke. Damit verstoße diese Praxis nicht nur gegen Art. 2 Abs. 1, sondern auch gegen Art. 2 Abs. 2 GG. Die Medikamente nehme er nur, weil bei einer zwischenzeitlichen Rückverbringung in die geschlossene Maßregelstation der Klinik hiervon abhängig gemacht worden sei, dass er in die relative Freiheit des Wohnheims in Krefeld zurückkehren dürfe. Unter dieser Nötigung nehme er bis heute die Medikamente nur unter Protest.
Die Klinik antwortete hierauf, gleichfalls unter dem Betreff „Beschwerde zur Zwangsmedikation, Vorschaltverfahren”, mit Schreiben vom 21. März 2012, die Beurlaubung des Beschwerdeführers im Rahmen der laufenden Maßregel sei voraussichtlich nur unter Einnahme der verordneten Medikation möglich, denn die Medikation stabilisiere seinen Zustand so weit, dass darunter die Voraussetzungen für die Beurlaubung gerade erreicht würden. Bei Nichteinnahme sei mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass der psychische Zustand des Beschwerdeführers sich so weit verschlechtere, dass die Voraussetzungen für die Beurlaubung nicht mehr erfüllt seien und die Beurlaubung zurückgenommen werden müsse.
3. Unter dem 31. März 2012 erhob der Beschwerdeführer „Beschwerde” zum Landgericht. Er werde seit nunmehr zehn Jahren gegen seinen erklärten Willen zur Einnahme näher bezeichneter psychoaktiver Drogen gezwungen; dies verstoße gegen seine Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG. Die Zwangsbehandlung sei unverhältnismäßig, nämlich überflüssig und daher unangemessen; es sei in wiederholten Tests festgestellt worden, dass er weder an akuteren Geisteskrankheiten noch an latenteren Krankheiten, wie Persönlichkeitsstörungen, leide.
Die Direktorin des Landschaftsverbandes Rheinland als untere staatliche Maßregelvollzugsbehörde äußerte sich mit Stellungnahme vom 21. Mai 2012 zum Behandlungsverlauf und zur Frage der Notwendigkeit der Medikation. Im Februar 2006 sei der Beschwerdeführer bei fortbestehender Maßregel in ein fakultativ geschlossenes Wohnheim des Klinikums beurlaubt worden. Im August 2008 sei die Beurlaubung aufgrund nicht erreichter Rehabilitationsziele und wegen Regelverstößen zurückgenommen worden. Nach Rückverlegung auf die gesicherte Station habe der Beschwerdeführer deutlich angepassteres Verhalten aufbauen können. Im April 2010 sei er unter Fortführung der Maßregel in das offene diakonische Wohnheim in Krefeld, in dem er derzeit untergebracht ist, beurlaubt worden und halte sich an die „abgesprochenen Auflagen”. Im Sommer 2011 habe eine psychopathologische Verschlechterung – bizarres und zugleich bedrohlich erscheinendes Verhalten gegenüber einer behandelnden Ärztin – eine Krisenintervention erforderlich gemacht. Der Beschwerdeführer sei eindeutig psychisch krank; er leide an einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, die medikamentös behandelt werden müsse. Ein unmittelbarer Zwang werde bei der Medikamenteneinnahme, die im Wohnheim werktags unter Aufsicht und an den Wochenenden unüberwacht erfolge, nicht ausgeübt. Gravierende Nebenwirkungen seien nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer zeige keine Krankheitseinsicht und dulde die laufende Pharmakotherapie nur unter Beschwerden über die vermeintliche „Zwangsbehandlung”. Die verordnete Medikation stabilisiere seinen psychischen Zustand so weit, dass unter ihr die Voraussetzungen für die Beurlaubung gerade erreicht werden könnten. Bei Nichteinnahme der Medikamente müsse mit hoher Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass sich der Zustand verschlechtere. Ohne Einnahme der verordneten Medikamente seien die Voraussetzungen für die Beurlaubung nicht mehr erfüllt. Die Beurlaubung müsste dann zurückgenommen werden.
Der Beschwerdeführer erwiderte mit Schreiben vom 4. Juni 2012 unter anderem, man ignoriere, dass der Gutachter S. in einem ausführlichen Test das Nichtvorhandensein von Schizophrenie konstatiert habe, und dass in einem nachfolgenden Test durch die Psychologin S.-O. ein Nichtvorhandensein aller Arten von Persönlichkeitsstörungen festgestellt worden sei. Die Ärzte ignorierten soweit wie möglich diese späteren Tests und deren Ergebnisse. Die Herkunft des aktuellen psychopathologischen Befundes werde nicht mitgeteilt.
4. Das Landgericht wies mit angegriffenem Beschluss den Antrag des Beschwerdeführers als unbegründet zurück. Der Antrag sei – nach Durchführung des Vorschaltverfahrens – zulässig, aber sachlich nicht begründet. Eine Zwangsmedikation liege nicht vor. Zwangsmedikation sei nur eine Verabreichung von Medikamenten gegen den erklärten oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen entweder unter Einsatz von Mitteln körperlichen Zwangs oder aber bei Verabreichung an einen körperlich Widerstandsunfähigen. Dies liege nicht vor. Der Beschwerdeführer nehme die Medikation seit Jahren, wenn auch sehr widerwillig, ein. Dass er die bekannten und erfahrungsgemäß in der Behandlung als sinnvoll und wirksam eingesetzten Medikamente ablehne, sei allein Folge seiner weitgehend krankheitsbedingten Uneinsichtigkeit. Dass ihm die Vollzugslockerung in Gestalt der Beurlaubung nach ärztlicher Beurteilung nur unter Beibehaltung der Medikation gewährt werden könne und ohne diese eine Rückführung in den klinischen Rahmen des Maßregelvollzugs drohe, stelle zwar eine Einflussnahme auf seine Motivation, aber keine Zwangsbehandlung dar.
5. Der Beschwerdeführer erhob Rechtsbeschwerde durch einen Rechtsanwalt, der sich ohne weitere eigene Ausführungen einen vom Beschwerdeführer selbst verfassten Rechtsbeschwerdeschriftsatz folgenden Inhalts zu eigen machte: Im März 2002 sei der Beschwerdeführer zunächst mittels Gewaltandrohung zur Medikamenteneinnahme gezwungen worden. Im Laufe der Zeit seien ihm weitere Medikamente aufgedrängt worden, diesmal mit dem nötigenden Hinweis, dass er andernfalls nicht mit der Gewährung an sich fälliger Hafterleichterungen rechnen könne. Ebenso argumentiere man nun, dass seine Beurlaubung nach Krefeld rückgängig gemacht werden würde, sollte er auf dem Rechtswege die Beendigung der Medikamentengabe erreichen; dies habe Nötigungscharakter. Besonders fragwürdig werde die Medikamentengabe auch dadurch, dass in wiederholten Tests festgestellt worden sei, dass er nicht an psychischen Störungen leide (mit Verweis auf einen beigefügten testpsychologischen Untersuchungsbericht). Die Verabreichung von Medikamenten widerspreche daher auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Er fechte den Beschluss des Landgerichts vor allem insofern an, als der Richter einseitig „auf den Erhalt einer Zwangsmedikation” abstelle. So habe er jedoch seine Beschwerde nicht gestellt; diese ziele rein auf den Charakter der Nötigung durch die Ärzte und die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 GG ab.
Der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug Nordrhein-Westfalen machte in seiner Stellungnahme zu dem Verfahren geltend, dass entgegen den Ausführungen des Landgerichts ein Vorverfahren nach dem nordrhein-westfälischen Vorschaltverfahrensgesetz nicht durchlaufen worden sei. Der Betreff in dem Schreiben vom 21. März 2012 („Beschwerde zur Zwangsmedikation, Vorschaltverfahren”) sei im Verfahren vor dem Landgericht offenbar missverstanden worden. Unabhängig davon habe die Direktorin des Landschaftsverbandes Rheinland als untere staatliche Maßregelvollzugsbehörde den Landesbeauftragten darauf hingewiesen, dass gegenüber dem Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt körperlicher Zwang angewandt oder angekündigt worden sei. Auch seien niemals unmittelbare Konsequenzen, wie die Gewährung der Dauerbeurlaubung oder Rücknahme derselben, an die Nichteinnahme der Medikamente gekoppelt worden. Der Antragsgegner habe nur darauf hingewiesen, dass bei Nichteinnahme der Medikamente eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass sich der psychische Zustand des Beschwerdeführers verschlechtern werde, was in der Folge zu einer Rücknahme der Lockerung führen könne. Der Beschwerdeführer nehme seine Medikamente, wie zuvor unter stationären Bedingungen, regelmäßig ein, obwohl er die Möglichkeit hätte, ohne die Konsequenz jeglicher Form von Zwangsmaßnahmen, die Medikation nicht einzunehmen. Zutreffend sei, dass bis heute keine tiefere Einsicht in die psychische Erkrankung und die medikamentöse Behandlungsnotwendigkeit erreicht worden sei; die Akzeptanz sei nicht wesentlich von Einsicht getragen, sondern eher als Anpassungsleistung im Rahmen der Maßregelvollzugsbehandlung zu verstehen, obwohl der Beschwerdeführer gelegentlich eine positiv beruhigende Medikamentenwirkung einräume.
Mit Schreiben vom 23. Oktober 2012 übermittelte das Oberlandesgericht dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers in Kopie die Stellungnahme des Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug Nordrhein-Westfalen und bat um Mitteilung, ob die aussichtslose Sache weiterverfolgt werden solle oder ob die Rechtsbeschwerde – auch im Kosteninteresse des Beschwerdeführers – zurückgenommen werde.
Nach Erwiderung des Beschwerdeführers – er habe sehr wohl ein Vorschaltverfahren durchgeführt – verwarf das Oberlandesgericht mit angegriffenem Beschluss die Rechtsbeschwerde mit Tenorbegründung als unzulässig, da es nicht geboten sei, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs.1, § 119 Abs. 3 StVollzG).
Entscheidungsgründe
II.
1. Die am 7. Dezember 2012 eingegangene Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts vom 23. Juli 2012 und den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 13. November 2012 sowie dagegen, dass das Klinikum den Beschwerdeführer „unter dem Druck direkter und indirekter Nötigung” zur Einnahme von Psychopharmaka zwinge. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG. Er sei anfangs mit der Androhung physischer Gewalt zur Einnahme von Medikamenten gezwungen worden. Nun da er in das Wohnheim in Krefeld beurlaubt sei, winke man damit, dass die Beurlaubung auf unabsehbare Zeit rückgängig gemacht werden müsse, falls er an dem Medikamentenregime etwas ändere. Die Anstaltsärzte unternähmen nicht das Geringste, um sich durch Gespräche ein Bild von seiner Person zu machen; stattdessen beschränke man sich darauf, die Korrektheit der Medikamenteneinnahme durch regelmäßige Blutproben zu verifizieren. Die Gerichte hätten einschlägige Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht beachtet.
2. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
III. …
1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen behauptete zurückliegende Nötigungen zur Medikamenteneinnahme jenseits des aktuellen Beschwerdevorgangs wendet, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie insoweit unzulässig ist. Insoweit fehlt es bereits an einer hinreichend genauen Bezeichnung der angegriffenen Akte öffentlicher Gewalt.
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (s. u. III.2.b)aa)). Danach ist die Verfassungsbeschwerde im Übrigen zulässig und in einem die Kammerzuständigkeit begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) offensichtlich begründet.
a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht insoweit nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht in der nach dem Grundsatz der Subsidiarität gebotenen Weise (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪414≫; 112, 50 ≪60≫) erschöpft hätte.
aa) Auf die Frage, ob der an das Landgericht gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 31. März 2012 mangels Durchführung des gesetzlich vorgesehenen Vorschaltverfahrens unzulässig war, kommt es nicht an. Das Landgericht hat in der Annahme, das Vorschaltverfahren sei durchgeführt worden, in der Sache entschieden. Die Unzulässigkeit eines im fachgerichtlichen Verfahren eingelegten Rechtsbehelfs kann dem Beschwerdeführer nicht als Grund für die Unzulässigkeit seiner Verfassungsbeschwerde entgegengehalten werden, wenn das Fachgericht ungeachtet der Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs in der Sache entschieden hat (vgl. BVerfGE 113, 29 ≪37, 39, 43≫; s. auch BVerfGE 107, 27 ≪45≫; zur Bedeutung einer Einlassung der Widerspruchsbehörde zur Sache für ein ohne vorherige Durchführung des Widerspruchsverfahrens durchgeführtes fachgerichtliches Verfahren vgl. BVerwG, Urteil vom 20. April 1994 – 11 C 2/93 –, juris, Rn. 18; BVerwGE 138, 1 ≪5 ff., 9≫ Rn. 23 ff., 31, m.w.N.). Daher kann auch offenbleiben, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass die Klinik mit der Betreffzeile ihres Antwortschreibens vom 21. März 2012 den Beschwerdeführer in dessen Annahme bestärkt hatte, er befinde sich bereits im Vorschaltverfahren (zur verwandten Frage der Bedeutung von Justizfehlern im Verfahren vgl. BVerfGK 8, 303 ≪304≫; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Februar 2012 – 2 BvR 2911/10 –, juris und vom 10. Oktober 2012 – 2 BvR 1095/12 –, NJW 2013, S. 446 ≪447≫).
bb) Es kann nicht festgestellt werden, dass der Rechtsweg wegen Formwidrigkeit der erhobenen Rechtsbeschwerde nicht in gehöriger Weise erschöpft wäre.
Die fachgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde, wenn der aufnehmende Rechtspfleger oder der Rechtsanwalt, durch den die Rechtsbeschwerde erhoben wird, auf einen Schriftsatz des Beschwerdeführers Bezug nimmt und sich dessen Inhalt zu eigen macht, ist nicht einheitlich; ein erheblicher Teil der Rechtsprechung geht davon aus, dass bereits damit den Anforderungen des § 118 Abs. 3 StVollzG genügt ist oder zumindest in Ausnahmefällen genügt sein kann (vgl. Thür. OLG, Beschluss vom 15. Juni 2010 – 1 Ws 186/10 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 18. April 2005 – 5 Ws 179/05 Vollz –, juris; Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 21. September 1995 – Ws 12/95 –, ZfStrVo 1997, S. 56 ≪56≫; OLG Hamm, Beschlüsse vom 22. März 1988 – 1 Vollz (Ws) 54/88 –, NStE 1988 Nr. 1 zu § 118 StVollzG; vom 8. Juni 1979 – 1 Vollz (Ws) 39/79 –, juris, m.w.N.; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 5. September 1985 – Vollz (Ws) 32/85 –, StV 1986, S. 543; nicht ganz deutlich KG, Beschluss vom 12. Januar 1993 – 5 Ws 385/92 Vollz –, BlStVkunde 1994, Nr. 3, S. 7 f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. Oktober 1993 – 2 Ws 220/93 –, Rpfleger 1994, S. 104; differenzierend OLG Celle, Beschluss vom 14. Mai 1997 – 1 Ws 128/97 (StrVollz) –, juris; a.A. OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – 4 Ws 164/01 –, Justiz 2002, S. 233; ebenso wohl OLG Hamm, Beschluss vom 19. Dezember 1991 – 1 Vollz (Ws) 141/91 –, NStZ 1992, S. 208). Zudem ist nichts dafür ersichtlich, dass das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als bereits mangels Wahrung der Formanforderungen des § 118 Abs. 3 StVollzG unzulässig angesehen hätte. Hiergegen spricht vielmehr, dass das Oberlandesgericht die Stellungnahme des Maßregelvollzugsbeauftragten eingeholt und dem Beschwerdeführer zur Erläuterung der Annahme, dass dessen Rechtsbeschwerde keinen Erfolg haben könne, allein diese Stellungnahme übermittelt hat, die eine Formwidrigkeit der Rechtsbeschwerde nicht geltend machte. Die Frage, ob mit der Annahme einer Formwidrigkeit der Rechtsbeschwerde die prozessualen Anforderungen in einer mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbaren Weise überspannt gewesen wären, wirft der vorliegende Fall daher nicht auf.
b) Der Beschluss des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.
aa) Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten gegen seinen natürlichen Willen (kurz: Zwangsbehandlung) greift in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein (vgl. BVerfGE 128, 282 ≪300≫). Die Eingriffsqualität entfällt nicht bereits dann, wenn der Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt und eine Durchsetzung der Behandlungsmaßnahme mit physischem Zwang sich erübrigt (vgl. BVerfGE 128, 282 ≪300 f.≫; 129, 269 ≪280≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20. Februar 2013 – 2 BvR 228/12 –, NJW 2013, S. 2337 ≪2337≫). Das bloße Unterbleiben einer bestimmten Form des Protests kann nicht ohne Weiteres als Zustimmung gedeutet werden. Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten, die ihrer Art nach das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit berührt, greift in dieses Grundrecht allenfalls dann nicht ein, wenn sie von der frei, auf der Grundlage der gebotenen ärztlichen Aufklärung, erteilten Einwilligung des Untergebrachten gedeckt ist. Dies setzt voraus, dass der Untergebrachte einwilligungsfähig ist (vgl. BGHZ 29, 46 ≪51≫; 154, 205 ≪210≫) und keinem unzulässigen Druck ausgesetzt wurde, etwa durch das Inaussichtstellen von Nachteilen im Falle der Behandlungsverweigerung, die sich nicht als notwendige Konsequenzen aus dem Zustand ergeben, in dem der Betroffene unbehandelt voraussichtlich verbleiben oder in den er aufgrund seiner Weigerung voraussichtlich geraten wird (vgl. BVerfGE 128, 282 ≪300 f.≫; s. auch BVerfGK 19, 140 ≪147≫, m.w.N.).
Ein Grundrechtseingriff verliert seine Eingriffsqualität nicht bereits dadurch, dass es dem Betroffenen freisteht, den Eingriff durch Inkaufnahme anderweitiger grundrechtsrelevanter Einschränkungen abzuwenden, er also vor die Alternative unterschiedlicher Eingriffsvarianten gestellt wird (vgl. BVerfGK 11, 262 ≪267≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juni 2007 – 2 BvR 2395/06 –, juris).
Bei der medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten mit Neuroleptika handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff. Ungeachtet der Schwere des Eingriffs ist es dem Gesetzgeber nicht prinzipiell verwehrt, solche Eingriffe zuzulassen. Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ist jedoch, wie jeder andere Grundrechtseingriff, nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs hinreichend klar bestimmt (vgl. BVerfGE 128, 282 ≪302, 317≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20. Februar 2013 – 2 BvR 228/12 –, NJW 2013, S. 2337 ≪2337 f.≫).
Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet dem Bürger die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪274 f.≫; 54, 94 ≪96 f.≫).
Die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen kann die rechtsstaatlich gebotene Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten materiellen Rechte nur gewährleisten, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht (vgl. BVerfGE 101, 275 ≪294 f.≫). Das gilt auch für die gerichtliche Überprüfung eingreifender Maßnahmen im Strafvollzug. Das Rechtsstaatsprinzip, die materiell berührten Grundrechte und das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG sind verletzt, wenn grundrechtseingreifende Maßnahmen im Strafvollzug von den Gerichten ohne zureichende Sachverhaltsaufklärung als rechtmäßig bestätigt werden (vgl. BVerfGK 9, 460 ≪463 f.≫; 13, 472 ≪476≫; 17, 429 ≪430 f.≫, jew. m.w.N.).
bb) Nach diesen Maßstäben verletzt der Beschluss des Landgerichts den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.
Das Landgericht stützt sich auf die Annahme, um eine Zwangsmedikation handele es sich bei der Verabreichung von Medikamenten gegen den erklärten oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen nur dann, wenn die Verabreichung entweder unter Einsatz von Mitteln körperlichen Zwangs oder an einen körperlich Widerstandsunfähigen erfolge; dies sei bei dem Beschwerdeführer nicht der Fall. Dass es den Begriff der Zwangsbehandlung damit anders verwendet als das Bundesverfassungsgericht – das in seinem Beschluss vom 23. März 2011 als Zwangsbehandlung die „medizinische Behandlung eines Untergebrachten gegen seinen natürlichen Willen” bezeichnet, das Vorliegen einer Zwangsbehandlung also gerade nicht daran geknüpft hat, dass die Behandlung unter Einsatz körperlichen Zwangs oder an einem körperlich Widerstandsunfähigen erfolgt (vgl. BVerfGE 128, 262 ≪300≫) –, stellt dabei für sich genommen noch keinen Verfassungsverstoß dar. Die zu beachtenden grundrechtlichen Anforderungen betreffen nicht den Gebrauch des Wortes „Zwangsbehandlung”, sondern den Umgang mit der Sache. Auf eine bloße Abweichung im Sprachgebrauch beschränkt sich die Fallbehandlung durch das Landgericht jedoch nicht. Nachdem das Gericht das Vorliegen einer Zwangsbehandlung in dem von ihm zugrundegelegten engen Wortsinn verneint hatte, hat es weiteren Prüfungsbedarf nicht gesehen. Damit hat es verkannt, dass ein formell und materiell rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in das Grundrecht eines Untergebrachten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Verabreichung von Medikamenten nicht erst dann vorliegt, wenn die Medikamentengabe entweder unter Einsatz von Mitteln körperlichen Zwangs oder an einen von vornherein Widerstandsunfähigen erfolgt.
Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten, die ihrer Art nach das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit berührt, greift in das Grundrecht allenfalls dann nicht ein, wenn sie von der frei, auf der Grundlage der gebotenen ärztlichen Aufklärung, erteilten Einwilligung des Untergebrachten gedeckt ist. Dies setzt voraus, dass der Untergebrachte einwilligungsfähig ist und keinem unzulässigen Druck ausgesetzt wurde (s.o. III.2.b)aa)).
Ob diese Voraussetzungen für die Annahme einer frei erteilten Zustimmung hinsichtlich der Medikamenteneinnahme des Beschwerdeführers im relevanten Beurteilungszeitpunkt vorlagen, hat das Landgericht nicht geprüft und den insoweit relevanten Sachverhalt nicht aufgeklärt. Es fehlt bereits an der Feststellung der Einwilligungsfähigkeit, die hier angesichts der dem Beschwerdeführer attestierten psychischen Störung nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden konnte, und an der Klärung der Frage, ob der Beschwerdeführer in der für die Annahme einer freiwilligen Zustimmung erforderlichen Weise aufgeklärt wurde. Auch verhält der Beschluss des Landgerichts sich nicht zu der Frage, ob die Vollzugseinrichtung vertretbarerweise den Beschwerdeführer auf die Notwendigkeit einer Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug als hoch wahrscheinliche Folge einer Verweigerung der Medikamenteneinnahme hingewiesen hatte, hierin also keine unzulässige Druckausübung lag. Nachdem der Beschwerdeführer die Annahme einer bei ihm vorliegenden Persönlichkeitsstörung bestritten und hierzu auf sachverständige Äußerungen beziehungsweise Testergebnisse verwiesen hatte, verstand sich auch dies nicht derart von selbst, dass Feststellungen hierzu sich erübrigt hätten.
3. Der Beschluss des Landgerichts beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Er ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG).
4. Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird damit gegenstandslos (vgl. BVerfGE 127, 132 ≪133≫; 129, 37 ≪38≫).
IV.
Dem Beschwerdeführer sind, da er sein Rechtsschutzziel im Wesentlichen erreicht hat, gemäß § 34a Abs. 2, 3 BVerfGG die notwendigen Auslagen für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde zu erstatten (vgl. BVerfGE 32, 1 ≪39≫; 79, 372 ≪378≫; 86, 90 ≪122≫; 88, 366 ≪381≫; 104, 220 ≪238≫; 114, 1 ≪72≫).
Unterschriften
Lübbe-Wolff, Landau, Kessal-Wulf
Fundstellen
Haufe-Index 6330921 |
NPA 2014 |
StV 2015, 245 |
R&P 2014, 85 |