Verfahrensgang
LG Würzburg (Beschluss vom 10.11.2006; Aktenzeichen 2 AR 67/2006) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und ansonsten unbegründet.
I.
Soweit der Beschwerdeführer die Ordnungsgeldverfügung der Staatsanwaltschaft vom 18. September 2006 angreift, ist die Verfassungsbeschwerde wegen der prozessualen Überholung dieser Verfügung durch die gerichtliche Entscheidung vom 10. November 2006 unzulässig; es fehlt insoweit an einer Beschwer.
II.
Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
1. Die Auferlegung der Zeugnispflicht, deren Nichterfüllung die Anordnung des Ordnungsgelds sanktionieren soll, verstößt nicht gegen Grundrechte des Beschwerdeführers.
a) Die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Vorschriften, aus denen sich ein gesetzlicher Grund für die Verweigerung des Zeugnisses oder der Auskunft ergeben könnte, ist Sache der Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht zu überprüfen, es sei denn, spezifisches Verfassungsrecht sei verletzt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1990 – 2 BvR 761/90 – juris). Dem Bundesverfassungsgericht obliegt dabei insbesondere die Kontrolle, ob die Fachgerichte das Willkürverbot missachtet haben (vgl. BVerfGE 62, 338 ≪343≫). Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt vor, wenn die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 ≪51≫; 83, 82 ≪84≫; 86, 59 ≪63≫; stRspr).
b) Nach diesem Prüfungsmaßstab ist die Feststellung des Landgerichts, der Beschwerdeführer verfüge über kein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Frage, ob ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht gegeben ist, ist für die Fachgerichte nach objektiven Maßstäben zu beurteilen (vgl. BGHSt 1, 39 ≪40≫; 12, 235 ≪239≫; Dahs, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 1999, § 52 Rn. 1, § 55 Rn. 10, jeweils m.w.N.). Solche objektiven Gesichtspunkte lagen hier vor. Die Durchsuchung der Betriebs- und Geschäftsräume des Getränkegroßhandels erfolgte gemäß § 103 StPO als Maßnahme gegenüber Nichtbeschuldigten; das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, in dem der Beschwerdeführer aussagen sollte, richtete sich gegen dritte Personen, die das Unternehmen, bei dem der Beschwerdeführer arbeitet, mit Getränkewaren beliefert hatte. Es lagen für das Fachgericht keine Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdeführer zu diesen dritten Personen in einem ein Zeugnisverweigerungsrecht begründenden Verhältnis stand, noch, dass er sich durch die Beantwortung beweisrelevanter Fragen die Gefahr zuziehen würde, selbst wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Gesichtspunkte, die eine solche Gefahr – auch mittelbar – begründen könnten, hat der Beschwerdeführer gegenüber den Strafverfolgungsbehörden nicht dargetan, sondern sich lediglich pauschal auf die insoweit durch die Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe (vgl. Dahs, a.a.O., § 55 Rn. 11 m.w.N.) berufen. Eine nicht mehr vertretbare Rechtsanwendung kann in der Entscheidung des Landgerichts vor diesem Hintergrund nicht gesehen werden.
2. Die Erzwingung der Zeugnispflicht durch Auferlegung eines Ordnungsgelds ohne vorherige Gewährung anwaltlicher Beratung verstößt nicht gegen Grundrechte des Beschwerdeführers.
a) Ungeachtet seiner prozessualen Funktion als Beweismittel darf der – grundsätzlich der Aussage- und Wahrheitspflicht unterstehende – Zeuge nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht werden und müssen seine Persönlichkeitsrechte angemessen Berücksichtigung finden. Der Anspruch des Zeugen auf Wahrnehmung ihm eingeräumter prozessualer Rechte gebietet es, ihm grundsätzlich auch das Recht zuzubilligen, einen Rechtsbeistand seines Vertrauens zu einer Vernehmung hinzuzuziehen, wenn der Zeuge das für erforderlich hält, um von seinen prozessualen Befugnissen selbständig und seinen Interessen entsprechend sachgerecht Gebrauch zu machen. Dies gilt namentlich für den Zeugen, der sich in Erfüllung seiner allgemeinen staatsbürgerlichen Zeugenpflichten der Gefahr eigener Verfolgung aussetzt und dessen Situation daher enge Bezüge zu der des Beschuldigten aufweist (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪112 ff.≫).
Aus dem Anspruch des Zeugen auf Berücksichtigung seiner schutzwürdigen Belange ergibt sich allerdings kein allgemeines Recht auf Rechtsbeistand bei der Zeugenvernehmung. Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger muss der Zeuge staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit – hier dem Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren – getroffen werden (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪115 f.≫). Bei der insoweit gebotenen Abwägung ist zu berücksichtigen, dass den schutzwürdigen Belangen des Zeugen auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlicher Wirkung für das öffentliche Interesse an der Wahrheitserforschung Rechnung getragen werden kann. Auch die gesetzlichen Vorschriften, die das Verfahren der Zeugenvernehmung regeln, insbesondere die Belehrungspflichten (§ 52 Abs. 3 Satz 1, § 55 Abs. 2, § 57 StPO), dienen dem Schutz des Zeugen (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪112≫).
Darüberhinaus sind bei der gebotenen Abwägung auch die Maßstäbe zu berücksichtigen, die der Gesetzgeber im Hinblick auf die Rolle des Zeugen im Strafverfahren gesetzt hat. Die Strafprozessordnung billigt dem Zeugen kein allgemeines Recht auf Hinzuziehung eines Zeugenbeistands zu. Der Gesetzgeber hat Opferzeugen und nebenklageberechtigte Zeugen hingegen insoweit privilegiert, als er ihnen ein Recht, sich eines Beistands zu bedienen, zuerkannt hat (vgl. § 406 f und § 406 g StPO). Durch diese Regelungen soll den besonderen Bedürfnissen von Verletzten, die als Zeugen zu der Straftat, durch die sie geschädigt wurden, aussagen müssen, Rechnung getragen werden (vgl. BTDrucks 10/5305, S. 8, 18 ff.; BRDrucks 829/03, S. 1, 42); für den Zeugen, der nicht Verletzter ist, gelten sie nicht.
b) Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Fachgerichts, dem Beschwerdeführer habe kein Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand zugestanden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Beschwerdeführer war nicht Verletzter einer Straftat, zu der er als Zeuge vernommen werden sollte; ein einfachgesetzliches Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Vernehmungsbeistand stand ihm nicht zu. Da nach der objektiven Einschätzung des Landgerichts für ihn keine Gefahr der Selbstbelastung bestand, befand er sich auch nicht in einer Situation, die der eines Beschuldigten vergleichbar war. Etwaigen schutzwürdigen Interessen des Beschwerdeführers konnte durch die Beamten der Strafverfolgungsbehörden im Rahmen der Zeugenvernehmung Rechnung getragen werden, was auch geschehen ist. Der Beschwerdeführer wurde mehrfach eingehend von verschiedenen, mit Fragen der Reichweite von Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten vertrauten Beamten der Staatsanwaltschaft über die ihm zustehenden Rechte belehrt. Besondere schutzwürdige Interessen, die weitergehende Maßnahmen des Zeugenschutzes hätten veranlassen müssen (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪117 f.≫), hat er nicht konkret dargetan. Auf der anderen Seite lässt die Tatsache, dass die Vernehmung des Beschwerdeführers und einer weiteren Zeugin unmittelbar im Anschluss an die Durchsuchung staatsanwaltlich angeordnet wurde, erkennen, dass seitens der Strafverfolgungsbehörden ein erhebliches Interesse an einer unverzüglichen Zeugenvernehmung bestand. Für die Strafverfolgungsbehörden war vor diesem Hintergrund kein Anlass gegeben, unter Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Wahrheitserforschung Belangen des Zeugenschutzes in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Daran ändert auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf eine möglicherweise bessere Kenntnis des beanspruchten Rechtsanwalts von selbstbelastenden Umständen nichts. Bei diesem Vortrag handelt es sich um eine durch nichts belegte und nicht näher konkretisierte Behauptung, die auch im Falle ihres Zutreffens kein pauschales Recht zur Verweigerung der Auskunft begründen könnte, sondern grundsätzlich nur das Recht, einzelne Fragen, die auf diese besonderen Umstände zielen, nicht zu beantworten (vgl. Dahs, a.a.O., § 55 Rn. 6 m.w.N.).
3. Die Anordnung des Ordnungsgelds ist unter dem Gesichtspunkt der Schuldangemessenheit der Sanktion verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich, dass die Verhängung einer Strafe, mit der dem Betroffenen ein Rechtsverstoß vorgehalten und zum Vorwurf gemacht wird, die Vorwerfbarkeit des Verstoßes, also strafrechtliche Schuld voraussetzt. Dies gilt auch für die Verhängung von Ordnungsstrafen (vgl. BVerfGE 20, 323 ≪331≫). Danach muss die grundlose Zeugnisverweigerung schuldhaft sein, um die Verhängung eines Ordnungsgelds nach § 70 Abs. 1 Satz 2 StPO zu rechtfertigen (vgl. BGHSt 28, 240 ≪259≫). Daran kann es fehlen, wenn der Zeuge nach sorgfältiger Prüfung durch einen anwaltlichen Beistand auf dessen Rat und mit vertretbarer Begründung das Zeugnis verweigert (vgl. Dahs, a.a.O., § 70 Rn. 6).
b) Dass das Landgericht einen solchen Fall schuldlosen Verhaltens nicht angenomen hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar wurde der Beschwerdeführer vor Beginn der Zeugenvernehmung von dem bei der Durchsuchung anwesenden Rechtsanwalt allgemein darauf hingewiesen, er könne unter Berufung auf sein Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrecht die Aussage verweigern. Von einer sorgfältigen Prüfung der Rechtslage durch den Anwalt und einer vertretbaren Begründung der Zeugnisverweigerung kann aber keine Rede sein. Die Unrichtigkeit der Auskunft des Rechtsanwalts wurde dem Beschwerdeführer anschließend mehrfach von verschiedenen rechtskundigen Personen auseinandergesetzt. Dass dem Beschwerdeführer danach die Einsicht gefehlt haben könnte, Unrecht zu tun, ist fern liegend, zumal nicht die – im Einzelfall schwer zu beurteilende – Berechtigung der Nichtbeantwortung einzelner Fragen in Rede stand, sondern das vermeintliche Recht, jegliche Aussage pauschal zu verweigern.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen