Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG zugunsten des mitsorgeberechtigten nichtehelichen Vaters eines deutschen Kindes
Beteiligte
Rechtsanwältin Gudrun Weckmann-Lautsch und Koll. |
Verfahrensgang
VG Kassel (Beschluss vom 01.02.2000; Aktenzeichen 4 G 64/00.A (1)) |
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 1. Februar 2000 – 4 G 64/00.A (1) – verletzt Artikel 6 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Kassel zurückverwiesen.
Das Land Hessen hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren und das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage aufenthaltsrechtlicher Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG zugunsten des mitsorgeberechtigten nichtehelichen Vaters eines deutschen Kindes.
I.
1. Der 1970 geborene Beschwerdeführer zu 1. ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er ist der nichteheliche Vater der im Januar 1997 geborenen Beschwerdeführerin zu 2., die ebenso wie ihre Mutter deutsche Staatsangehörige ist. Der Beschwerdeführer zu 1. reiste erstmals im Februar 1989 in die Bundesrepublik Deutschland ein und betrieb erfolglos ein Asylverfahren und ein Asylfolgeverfahren. Nach mehreren vergeblichen Abschiebungsversuchen wurde er im November 1996 festgenommen und in die Türkei abgeschoben.
2. Im April und Juli 1997 erhielt die Ausländerbehörde mehrere – teilweise anonyme – Hinweise darauf, dass sich der Beschwerdeführer zu 1. wieder in der Bundesrepublik Deutschland befinde und bei seiner deutschen Freundin und der mittlerweile geborenen gemeinsamen Tochter, der Beschwerdeführerin zu 2., aufhalte. Verschiedene Kontrollbesuche verliefen jedoch ergebnislos. Nachdem der Beschwerdeführer zu 1. im November 1997 einen Asylfolgeantrag gestellt hatte, der nach Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bestandskräftig abgelehnt wurde, tauchte er erneut unter und wurde zur Fahndung ausgeschrieben.
3. Im Mai 1999 stellte der Beschwerdeführer zu 1. einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zum Zwecke der Mitbetreuung seiner Tochter. Im Juli 1999 gaben er und die Mutter der Beschwerdeführerin zu 2. vor dem Notar eine gemeinsame Sorgerechtserklärung für die Beschwerdeführerin zu 2. ab. Während des ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahrens stellten die Beschwerdeführer beim Verwaltungsgericht mehrfach Anträge auf Gewährung vorläufigen Abschiebungsschutzes für den Beschwerdeführer zu 1., die das Gericht im Wesentlichen mit der Begründung ablehnte, dem untergetauchten Beschwerdeführer zu 1. drohten keine konkreten aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Eine dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nahm die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung an (Beschluss vom 31. August 1999 – 2 BvR 1523/99 –, InfAuslR 2000, S. 67 = NVwZ 2000, S. 59).
4. Mit Bescheid vom 19. August 1999 lehnte die Ausländerbehörde die Anträge des Beschwerdeführers zu 1. auf Befristung der Wirkungen der Abschiebung sowie auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsbefugnis oder Duldung ab und verwies darauf, dem Beschwerdeführer zu 1. könne eine vorübergehende, wenn auch nicht kurzfristige Trennung von seinem Kind zugemutet werden. Über den dagegen erhobenen Widerspruch sowie eine auf Erteilung einer Duldung gerichtete Klage ist bislang nicht entschieden worden.
5. Im Oktober 1999 sprach der Beschwerdeführer zu 1. erneut bei der Ausländerbehörde vor, die ihm eine Ausreisefrist bis zum 30. November 1999 gewährte. Nachdem er weiteren Vorladungen der Ausländerbehörde nicht nachgekommen und auch nicht ausgereist war, wurde der Beschwerdeführer zu 1. erneut zur Fahndung ausgeschrieben. Nach Stellung eines Asylfolgeantrages im Dezember 1999 wurde er festgenommen und in Abschiebehaft genommen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab, über die dagegen erhobene Klage ist noch nicht entschieden worden.
6. Im Januar 2000 beantragte der Beschwerdeführer zu 1. beim Verwaltungsgericht erneut einstweiligen Rechtsschutz zur Verhinderung der drohenden Abschiebung und berief sich zur Begründung darauf, ihm drohe in der Türkei politische Verfolgung. Zudem wäre er im Falle einer zwangsweisen Rückführung in die Türkei längerfristig oder sogar endgültig gehindert, seine Tochter wieder zu sehen.
7. Mit dem von der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 1. Februar 2000 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab, weil ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden sei. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK stünden einer Abschiebung nicht entgegen, weil bereits nicht davon auszugehen sei, dass zwischen den Beschwerdeführern überhaupt eine aufenthaltsrechtlich schützenswerte Bindung bestehe. Der Beschwerdeführer zu 1. habe nicht hinreichend dargetan, dass er für das Kind tatsächlich wesentliche elterliche Betreuungsleistungen erbringe. Die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Mutter der Beschwerdeführerin zu 2. und einer Bekannten seien zu pauschal gehalten. Die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sei zu Recht abgelehnt worden.
II.
1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen der Beschwerdeführer zu 1. eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 sowie Art. 6, 16a Abs. 1 und 19 Abs. 4 GG, die Beschwerdeführerin zu 2. eine Verletzung von Art. 6 GG.
a) Beide Beschwerdeführer seien in ihrem aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG folgenden Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie verletzt. Wenn der Beschwerdeführer zu 1. Probleme gehabt habe, seinen sorgerechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, dann beruhe das darauf, dass sein Aufenthalt nicht abgesichert gewesen sei. Gerade diese Absicherung habe herbeigeführt werden sollen, um endlich die Wiederherstellung der familiären Lebensgemeinschaft zu ermöglichen. In welchem Umfang er seiner Vaterpflicht nachgekommen sei, sei ausreichend substantiiert dargetan. Der Beschwerdeführer zu 1. sei zur elterlichen Sorge nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. Damit korrespondiere das Recht der Beschwerdeführerin zu 2. auf Ausübung der elterlichen Sorge durch ihren Vater. Um den Weg für die Geltendmachung dieses Rechts frei zu machen, seien die ausländerrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, was zumindest zur Erteilung einer Duldung nach § 55 AuslG führen müsse. Welche überwiegenden ausländerrechtlichen Belange der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung oder einer Duldung entgegenstünden, habe das Gericht nicht dargetan. Es mute dem Beschwerdeführer zu 1. zudem zu, seinen Militärdienst in der Türkei anzutreten, ohne in Betracht zu ziehen, dass hierdurch eine weitere mehr als kurzfristige Trennung von der Beschwerdeführerin zu 2. bewirkt werde. Durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts werde die beabsichtigte Wiederherstellung der familiären Lebensgemeinschaft zwischen den Beschwerdeführern in grundrechtswidriger Weise vereitelt.
b) Die zu Unrecht erfolgte Ablehnung eines weiteren Asylverfahrens und die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes verletze den Beschwerdeführer zu 1. zudem in seinen Grundrechten auf Asyl und körperliche Unversehrtheit nach Art. 16a Abs. 1 sowie Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; zugleich liege eine Verletzung der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vor.
2. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich das Bundesministerium des Innern für die Bundesregierung, die Landesregierungen aller Bundesländer mit Ausnahme des Landes Schleswig-Holstein und die Präsidenten der 16 Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe sowie die Thüringer Landesanwaltschaft geäußert. Ferner wurden Stellungnahmen des Verbandes allein erziehender Mütter und Väter, Bundesverband e.V. sowie des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften iaf e.V. eingeholt.
Entscheidungsgründe
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und – in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) – auch offensichtlich begründet; denn die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. zu den aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG: BVerfGE 76, 1 ≪41 ff.≫; 80, 81 ≪90 ff.≫; zur Einbeziehung des nichtehelichen Vaters in den Schutzbereich des Art. 6 GG: BVerfGE 92, 158 ≪176 ff.≫; zum verfassungsrechtlichen Schutz des Umgangsrechts: BVerfGE 64, 180 ≪187 f.≫; zur Beschwerdebefugnis von Familienangehörigen eines von Ausweisung und Abschiebung bedrohten Ausländers: BVerfGE 51, 386 ≪395≫; 76, 1 ≪37≫).
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
1. Für die Beschwerdeführerin zu 2. ist die Verfassungsbeschwerde in zulässiger Weise von ihren sorgeberechtigten Eltern als gesetzlichen Vertretern erhoben worden (vgl. BVerfGE 72, 122 ≪133≫). Die Beschwerdeführerin zu 2. ist von der angegriffenen Entscheidung auch selbst unmittelbar in ihrem von der Verfassung geschützten Recht auf familiäres Zusammenleben mit ihren Eltern betroffen, weil ihr als Folge der Entscheidung eine jedenfalls zeitweilige Trennung von ihrem Vater zugemutet wird. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass die Ausreiseverpflichtung eines Ausländers auch dessen bleibeberechtigte Familienangehörige unmittelbar betrifft und von ihnen mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann (vgl. BVerfGE 51, 386 ≪395≫; 76, 1 ≪37≫).
2. Die Beschwerdeführer haben auch den Rechtsweg im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft.
a) Der Beschwerdeführer zu 1. konnte unmittelbar gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts Verfassungsbeschwerde erheben, weil Beschlüsse, die Abschiebemaßnahmen auf der Grundlage einer asylverfahrensgesetzlichen Abschiebungsandrohung betreffen, nach der ständigen Rechtsprechung der hessischen Verwaltungsgerichte nach § 80 AsylVfG unanfechtbar sind. Vor diesem Hintergrund war es dem Beschwerdeführer zu 1. nicht zuzumuten, zunächst – entgegen dem ihm im angegriffenen Beschluss erteilten Hinweis auf dessen Unanfechtbarkeit – die Zulassung der Beschwerde gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zu beantragen.
b) Die Beschreitung und Erschöpfung des Rechtswegs durch den Beschwerdeführer zu 1. wirkt auch gegenüber der Beschwerdeführerin zu 2., weil die von ihr geltend gemachten familiären Rechte und Interessen untrennbar mit den vom Beschwerdeführer zu 1. geltend gemachten Schutzwirkungen des Art. 6 GG verbunden sind und daher im Rahmen der fachgerichtlichen Prüfung und Beurteilung des vom Beschwerdeführer zu 1. angestrengten Rechtsschutzverfahrens zu berücksichtigen waren, so dass dem Erfordernis einer umfassenden Prüfung durch die Fachgerichte Genüge getan worden ist (vgl. auch BVerfGE 51, 386 ≪395≫; 76, 1 ≪39≫).
c) Die Beschwerdeführer können auch nicht auf die noch ausstehenden Entscheidungen in den Widerspruchs- und Klageverfahren verwiesen werden. Denn der geltend gemachte Grundrechtsverstoß beruht gerade auf der Versagung von Eilrechtsschutz (vgl. dazu BVerfGE 35, 382 ≪397 f.≫). Bereits die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes hat die Möglichkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers zu 1. und damit die Vereitelung des von den Beschwerdeführern beanspruchten Rechtes aus Art. 6 GG auf ein ununterbrochenes familiäres Zusammenleben im Inland zur Folge.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet. Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel verletzt den Beschwerdeführer zu 1. in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und die Beschwerdeführerin zu 2. in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG.
1. Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 ≪49 ff.≫, 80, 81 ≪93≫). Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfGE 76, 1 ≪42 f.≫), wobei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1999 – 2 BvR 1523/99 –, InfAuslR 2000, S. 67).
Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG gilt zunächst und zuvörderst der Familie als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft; in der Familie und der elterlichen Erziehung findet die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes eine wesentliche Grundlage (vgl. BVerfGE 80, 81 ≪90≫). Besteht eine solche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Oktober 1992 – 2 BvR 1365/92 –, InfAuslR 1993, S. 10 ≪11≫ und vom 10. August 1994 – 2 BvR 1542/94 –, InfAuslR 1994, S. 394 ≪395≫; vgl. auch BVerfGE 80, 81 ≪95≫ zur Erwachsenenadoption). Dies kann selbst dann gelten, wenn der Ausländer vor Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. August 1994 – 2 BvR 1542/94 –, InfAuslR 1994, S. 394 ≪395≫; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1999 – 2 BvR 1523/99 –, InfAuslR 2000, S. 67 ≪68 f.≫). Dem gegenüber kann die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis und die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen jedenfalls dann unbedenklich sein, wenn keine Lebensverhältnisse bestehen, die einen über die Aufrechterhaltung einer Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden familienrechtlichen Schutz angezeigt erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 80, 81 ≪94 f.≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. August 1989 – 2 BvR 67/85 –, NVwZ 1990, S. 455 ≪456≫; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Oktober 1997 – 2 BvQ 34/97 –, veröffentlicht in JURIS). Solche besonderen Lebensverhältnisse liegen etwa vor, wenn ein Kind auf die dauernde Anwesenheit eines nicht sorgeberechtigten Elternteils in seiner unmittelbaren Nähe angewiesen ist, wobei es in diesem Zusammenhang nicht darauf ankommt, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt. Ebenso unerheblich ist, ob die Betreuung auch von anderen Personen, beispielsweise der Mutter des Kindes, erbracht werden kann, weil der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht schon durch Betreuungsleistungen der Mutter entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 1996 – 2 BvR 1119/96 –, FamRZ 1996, S. 1266; vom 20. März 1997, – 2 BvR 260/97 –, veröffentlicht in JURIS; vom 31. August 1999 – 2 BvR 1523/99 –, InfAuslR 2000, S. 67 ≪68≫). Bei der vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung und Qualifizierung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 1996 – 2 BvR 1119/96 –, FamRZ 1996, S. 1266), zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht (vgl. BVerfGE 64, 180 ≪187 f.≫).
Die Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ist nicht auf offensichtliche Verletzungen der aus Art. 6 GG folgenden Schutzpflicht beschränkt. Die Dichte der verfassungsgerichtlichen Kontrolle entspricht vielmehr dem Rang und der Bedeutung, die das Grundgesetz der Familie in ihren verschiedenen Gestaltungsformen und Funktionen als einem gegen den Staat abgeschirmten und die Vielfalt rechtsstaatlicher Freiheit stützenden Autonomiebereich beimisst (vgl. BVerfGE 76, 1 ≪51 f.≫; 80, 81 ≪93 f.≫).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen halten die Erwägungen des Verwaltungsgerichts, mit denen eine aufenthaltsrechtlich schützenswerte Bindung zwischen den Beschwerdeführern verneint worden ist, einer verfassungsgerichtlichen Prüfung nicht Stand.
a) Die familiäre Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer zu 1. und der Beschwerdeführerin zu 2. unterfällt dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG, wobei sich beide Beschwerdeführer als Angehörige derselben Einheit „Familie” darauf berufen können. Ferner ist auch der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 GG eröffnet. In den persönlichen Schutzbereich dieser die Elternautonomie im Interesse des Kindeswohls schützenden Vorschrift sind auch Väter nichtehelicher Kinder einbezogen, wenn sie nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften als Väter feststehen, ohne dass es insoweit auf die Qualität der Beziehung des Vaters zum Kind oder der Mutter ankommt (vgl. BVerfGE 92, 158 ≪176 ff.≫). Auch der Beschwerdeführer zu 1. ist mithin Träger dieses Elternrechts.
Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, es bestünden keine aufenthaltsrechtlich schützenswerten Bindungen zwischen den Beschwerdeführern, beruht auf der Annahme von Darlegungserfordernissen zur Qualität und insbesondere Quantität der familiären Kontakte, die mit den staatlichen Schutzpflichten aus Art. 6 GG nicht vereinbar und im vorliegenden Fall auch nicht durch besondere Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt sind. Die Anforderungen an die Darlegungslast des Beschwerdeführers zu 1. werden insbesondere der als emotional gebunden bezeichneten Beziehung der Beschwerdeführerin zu 2. zu ihrem Vater nicht hinreichend gerecht.
b) Das Verwaltungsgericht hat aufenthaltsrechtlich schützenswerte Bindungen zwischen den Beschwerdeführern verneint, weil der Beschwerdeführer zu 1. nicht hinreichend dargetan habe, dass er für seine Tochter auch tatsächlich wesentliche elterliche Betreuungsleistungen erbracht habe. Die Begründung des Verwaltungsgerichts hierfür wird Inhalt und Bedeutung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG nicht gerecht.
Das Verwaltungsgericht stützt sich im Wesentlichen darauf, die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Mutter der Beschwerdeführerin zu 2. vom Mai 1999 und Januar 2000 sowie einer Bekannten vom Januar 2000 seien zu vage und pauschal gehalten und ließen das Maß der vom Beschwerdeführer zu 1. tatsächlich erbrachten Betreuungsleistungen nicht hinreichend erkennen. In ihrer eidesstattlichen Versicherung vom Mai 1999 hat die Mutter der Beschwerdeführerin zu 2. im Wesentlichen erklärt, der Beschwerdeführer zu 1. habe bis zum Januar 1999 mit ihnen zusammen gewohnt, die Vaterrolle gegenüber seiner Tochter in vollem Umfang wahrgenommen, häufig mit ihr gespielt, sie gebadet und sei mit ihr spazieren gegangen. Die Tochter liebe ihren Vater und brauche ihn dringend. Nachdem der Beschwerdeführer zu 1. sie im Januar 1999 aus Furcht vor einer Abschiebung verlassen habe, leide die Tochter in starkem Maße und weine regelmäßig bei den häufigen Telefonaten.
Soweit das Verwaltungsgericht diese Angaben als zu pauschal bewertet und konkretere Angaben zu Art und Umfang der väterlichen Betreuungsleistungen für erforderlich gehalten hat, wird dies dem von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten Schutz der Familie nicht gerecht. Eine verantwortungsvoll gelebte und dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft lässt sich nicht nur quantitativ etwa nach Datum und Uhrzeit des persönlichen Kontakts oder genauem Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen. Die Forderung nach Erfüllung objektiv messbarer und bestimmbarer Mindestkriterien für die Annahme aufenthaltsrechtlich schützenswerter Betreuungsleistungen lässt die in Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistete und vom Staat zu respektierende Autonomie der Eltern bei der konkreten Umsetzung ihrer elterlichen Pflichten und Rechte und der Ausgestaltung der gemeinsam getragenen Elternverantwortung außer Acht. Hinzu kommt, dass die Entwicklung eines Kindes nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt wird.
Soweit das Verwaltungsgericht eine besondere Darlegung des Umfangs der väterlichen Betreuung deshalb für erforderlich gehalten hat, weil der Beschwerdeführer zu 1. während des Jahres 1997 weitgehend unbekannten Aufenthalts gewesen sei, sind die dem Bundesverfassungsgericht vorliegenden Verwaltungsvorgänge der Ausländerbehörde, auf die das Gericht seine Erwägungen stützt, nicht vollständig ausgewertet worden. So ist zwar zutreffend, dass die Mutter der Beschwerdeführerin zu 2. und deren Schwägerin bei einem Kontrollbesuch im April 1997 einen Aufenthalt des Beschwerdeführers zu 1. bei ihnen bestritten haben und der Beschwerdeführer zu 1. auch bei weiteren Versuchen dort nicht angetroffen werden konnte. Dabei unberücksichtigt geblieben ist jedoch, dass diese Überprüfungen gerade dadurch veranlasst worden waren, dass die Ausländerbehörde im Frühjahr 1997 von verschiedenen Seiten Hinweise auf einen Aufenthalt des Beschwerdeführers zu 1. bei Mutter und Kind erhalten hatte. Dass dies auf Befragen gegenüber der Polizei bestritten wurde, ist angesichts der dem Beschwerdeführer zu 1. drohenden Abschiebung nachvollziehbar und spricht nicht von vornherein gegen einen Kontakt des Beschwerdeführers zu 1. zu seinem Kind.
Bedenken unterliegen auch die Ausführungen des Gerichts zum Verhalten des Beschwerdeführers zu 1. seit seinem „Untertauchen” im Januar 1999. Hierzu hat die Mutter der Beschwerdeführerin zu 2. in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom Januar 2000 im Einzelnen ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer zu 1. trotz einer kurzzeitigen Aufenthaltsbescheinigung aus Angst vor einer drohenden Abschiebung immer nur kurz bei ihnen aufgehalten habe. Sie habe der Ausländerbehörde nicht getraut und den Beschwerdeführer zu 1. deshalb veranlasst, nur hin und wieder abends zu erscheinen und dann morgens wieder zu gehen. Sie und ihre Tochter wünschten dringend, dass der Beschwerdeführer zu 1. endlich bei ihnen bleiben könne, was jedoch zu gefährlich scheine, solange er keinen festen Aufenthaltsstatus habe. Bei ihrer Vernehmung durch die Ausländerbehörde habe sie sich stark unter Druck gesetzt gefühlt und deswegen nicht zugeben wollen, dass ihr Verlobter häufiger die Nächte bei ihnen verbracht habe. Eine Freundin der Familie hat hierzu ergänzend eidesstattlich versichert, der Beschwerdeführer zu 1. habe sich in der Vergangenheit ständig um seine Tochter und seine Verlobte durch Besuche und Telefonate gekümmert, habe aber Angst, sich über einen längeren Zeitraum dort aufzuhalten, weil es Nachbarn oder angebliche Freunde gebe, die die Polizei gerufen hätten. Die Tochter hänge sehr an ihrem Vater und liebe ihn abgöttisch. Soweit das Verwaltungsgericht auch diese eidesstattlichen Versicherungen als nicht hinreichend konkret angesehen hat, hat es nicht die geschilderten emotionalen Bindungen zwischen den Beschwerdeführern gewürdigt.
Der Hinweis, dass der Beschwerdeführer zu 1. es während der ihm von der Ausländerbehörde zugebilligten Ausreisefrist von fünf Wochen im Oktober/November 1999 unterlassen habe, sich bei der Mutter der Beschwerdeführerin zu 2. anzumelden, vermag den Schluss des Verwaltungsgerichts auf das Fehlen schützenswerter familiärer Bindungen ebenfalls nicht zu tragen. Die Mutter der Beschwerdeführerin zu 2. hat insoweit auf die Furcht vor einer drohenden Abschiebung des Beschwerdeführers zu 1. nachdrücklich hingewiesen. Dies ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nachvollziehbar.
Soweit das Verwaltungsgericht schließlich auf einen Vermerk in der Ausländerakte zu einem Gespräch mit der Tante der Beschwerdeführerin zu 2. – der Schwester der Mutter – Bezug nimmt, ist auch diese Erwägung wegen unvollständiger Auswertung des Gesprächsvermerks nicht tragfähig. Zwar ist es zutreffend, dass die Tante von nur einem Besuch des Beschwerdeführers zu 1. berichtet hat, sie hat aber weiter angegeben, die Beschwerdeführerin zu 2. würde nach ihrem Vater jammern, weshalb die Eltern der Beschwerdeführerin zu 2. auch unbedingt heiraten wollten. Auch insoweit werden wiederum weder die besondere aufenthaltsrechtliche Situation des Beschwerdeführers zu 1. noch die Interessen der Beschwerdeführerin zu 2. vom Verwaltungsgericht in den Blick genommen.
c) Es kann offen bleiben, inwieweit die durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (Kindschaftsrechtsreformgesetz – KindRG) vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2942) bewirkten Veränderungen der familienrechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die Einführung einer gemeinsamen elterlichen Sorge getrennt lebender Eltern, die gewachsene Bedeutung des Umgangsrechts sowie grundsätzlich die Stärkung der Rechtsposition des Kindes (vgl. §§ 1626, 1626a, 1684 BGB n.F.) möglicherweise mit einer auch verfassungsrechtlich erheblichen Modifikation des Leitbilds der Familie in Art. 6 GG korrespondieren (so zum Familienbegriff der Berliner Verfassung BerlVerfGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 – VerfGH 103 A/00, 103/00 –, NVwZ-RR 2001, S. 687 ≪688≫) und welche Auswirkungen dies auf den Inhalt der staatlichen Schutzpflichten des Art. 6 GG im Zusammenhang mit aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen hat (vgl. dazu etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 28. April 1999 – 4 Bs 92/99 –, NVwZ 2000, S. 105 ff.; OVG Niedersachsen, Beschlüsse vom 19. April 2000 – 11 M 1343/00 –, InfAuslR 2000, S. 392 ff. und vom 18. September 2000 – 11 M 2929/00 –, InfAuslR 2001, S. 75 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10. April 2000 – 10 B 10369/00.OVG –, InfAuslR 2000, S. 388 ff.). Insbesondere kann dahinstehen, ob der gemeinsamen Sorgeerklärung – auch im Hinblick auf die grundsätzlich von Behörden und Gerichten zu respektierende Elternautonomie – eine eigenständige Bedeutung etwa im Sinne einer Vermutung für die Begründung schützenswerter familiärer Beziehungen beider Eltern zu ihrem Kind zuzumessen ist (vgl. die im Verfahren abgegebene Stellungnahme des Innenministeriums von Baden-Württemberg vom 28. Juni 2000, S. 2 f., wonach das Vorliegen einer solchen Erklärung auch bei getrennt lebenden Partnern zu einer Vermutung dafür führe, dass die ≪gemeinsame≫ Personensorge einerseits dem Wohl des Kindes diene und andererseits auch tatsächlich ausgeübt werde; in diesem Sinne auch OVG Sachsen, Beschluss vom 31. August 2000 – 3 BS 713/99 –, NVwZ-RR 2001, S. 689 ≪690≫; Laskowski/Albrecht, ZAR 1999, S. 100 ≪102≫).
3. Soweit das Verwaltungsgericht einstweiligen Rechtsschutz im Hinblick auf den Asylfolgeantrag des Beschwerdeführers zu 1. versagt hat, weil die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen, sind die Ausführungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde deshalb nicht erfüllt. Von einer weiteren Begründung wird insoweit gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
III.
1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel ist somit aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht Kassel zurückzuverweisen (§§ 93c Abs. 2 i.V.m. 95 Abs. 2 BVerfGG). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG ist damit erledigt (vgl. BVerfGE 7, 99 ≪109≫).
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2, 3 BVerfGG. Die Erstattung der Auslagen auch für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entspricht der Billigkeit, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf die dem Beschwerdeführer zu 1. damals konkret drohende Abschiebung zunächst erforderlich war und die begehrte einstweilige Anordnung (nur) deswegen nicht erlassen wurde, weil die Ausländerbehörde später zugesagt hat, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vorläufig abzusehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Sommer, Osterloh, Di, Fabio
Fundstellen
Haufe-Index 707097 |
FamRZ 2002, 601 |
FuR 2002, 415 |
NVwZ 2002, 849 |
FPR 2002, 452 |
FPR 2005, 114 |
FPR 2006, 313 |
ZAR 2002, 154 |
ZfJ 2002, 223 |
DVBl. 2002, 693 |
ZFE 2002, 163 |
Kind-Prax 2002, 92 |