Der Ausschluss der Eltern aus der Hauptverhandlung gegen ihr Kind ist ein schwerwiegender Eingriff, der die Wahrnehmung von Elternrechten im Jugendstrafverfahren unterbinden und den auf den Beistand seiner Eltern angewiesenen jugendlichen Angeklagten weitgehend schutzlos stellen kann. Er bedarf von Verfassungs wegen einer Grundlage, die die Betroffenen klar und vollständig mit dem in der Norm zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers bekannt macht (vgl. BVerfGE 34, 293 ≪301≫ im Zusammenhang mit dem Ausschluss eines Verteidigers; s. auch BVerfGE 38, 105 ≪119≫ zur Entfernung des Zeugenbeistands). Dieser Anforderung genügt § 51 Abs. 2 JGG nicht. Auch eine Präzisierung mit Hilfe der herkömmlichen Auslegungsmethoden kann diesen Mangel nicht beheben.
Der Wortlaut des § 51 Abs. 2 JGG räumt im Rahmen einer Sollbestimmung die Möglichkeit des Ausschlusses von Eltern ein, soweit “Bedenken gegen ihre Anwesenheit” bestehen. Versteht man unter “Bedenken” wie in der Alltagssprache “eine auf Grund von vorhandenen Zweifeln, Befürchtungen oder Vorbehalten angestellte Überlegung, die ratsam erscheinen lässt, mit der Zustimmung (noch) zu zögern oder den Plan erneut zu durchdenken” (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 3. Aufl. 1999, Bd. 1, Stichwort: “Bedenken”) oder “eine Überlegung, die Zweifel, Sorge, Vorbehalte enthält” (so unter Hinweis auf die Herkunft aus der Kanzleisprache des 15. Jahrhunderts: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 2. Aufl. von Wolfgang Pfeifer, 1993, Stichwort: “bedenken”), so eröffnet die grammatische Auslegung mit dieser umgreifenden Semantik einen umfassenden Eingriff in das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG.
Der Wortlaut enthält keinen Hinweis, worauf sich die Zweifel, Vorbehalte oder Einwände zu beziehen haben. Als Gegenstand von “Bedenken” kommt vielerlei Verschiedenes in Frage: etwa Zweifel an der Bereitschaft oder Fähigkeit der Eltern, ihre Rechte zum Wohl des Kindes geltend zu machen; Sorge vor missbräuchlicher Anwendung von Rechten im Verfahren oder einer Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung; Befürchtung einer außerhalb des Verfahrens eintretenden Erschwerung der Arbeit der Jugendgerichtshilfe; Vorbehalt, in Anwesenheit der Eltern Umstände zu erörtern, die für diese unangenehm sind; Zweifel, ob man in Anwesenheit der Eltern erzieherisch wirksame Maßnahmen ergreifen könne (vgl. die weit auseinander gehenden Ansichten über den Anwendungsbereich des § 51 Abs. 2 JGG etwa bei Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2000, § 51, Rn. 11; Schoreit, in: Diemer/Schoreit/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, 4. Aufl. 2002, § 51, Rn. 12). Der Wortlaut erlaubt es dem Richter, jeglichen Vorbehalt gegen die Anwesenheit der Eltern zum Anlass für einen Ausschluss zu nehmen.
Zudem lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen, welches Maß an Überzeugung der Richter bei der Annahme von Bedenken aufzubringen hat (dazu ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Ausschluss eines Verteidigers BVerfGE 34, 293 ≪301≫). Darüber, ob es für einen Ausschluss schon ausreicht, wenn es aus der Sicht des Richters nur naheliegend, möglich oder wahrscheinlich ist, dass beispielsweise die Eltern zur Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgabe nicht in der Lage sind, oder ob die auf Tatsachen gestützte Überzeugung für das Vorliegen eines konkreten Ausschlussgrundes erforderlich ist, gibt das Gesetz keinen Aufschluss.
Die systematische Betrachtung von § 51 Abs. 2 JGG verengt einerseits den Anwendungsbereich der Vorschrift, macht andererseits aber deutlich, dass die dem allgemeinen Strafverfahrensrecht eigenen Möglichkeiten einer Entfernung von gesetzlichen Vertretern auch im Jugendstrafverfahren anwendbar bleiben.
§ 51 JGG erlaubt nach der amtlichen Überschrift die “Zeitweilige Ausschließung von Beteiligten”. Schon dies spricht für die Auslegung, dass der Richter einen Ausschluss für die gesamte Hauptverhandlung – entgegen der in der Literatur überwiegend vertretenen Ansicht (vgl. nur Eisenberg, a.a.O., § 51, Rn. 13) – nicht auf § 51 Abs. 2 GG stützen kann, sondern nur einen Ausschluss für einen bestimmten Verfahrensteil oder für eine bestimmte Verfahrenssituation. Ein Anhaltspunkt für die Richtigkeit dieses Ergebnisses folgt auch aus § 67 Abs. 4 JGG, der es ermöglicht, dem Erziehungsberechtigten sämtliche ihm zustehenden Rechte – auch das Recht auf Teilnahme an der gesamten Hauptverhandlung – zu entziehen, und dies von gewichtigen Gründen abhängig macht, die grundsätzlich und allgemein die prozessordnungsgemäße Wahrnehmung seiner Rechte in Frage stellen.
Dieses Auslegungsergebnis wird weiter durch die Konsequenzen bestätigt, welche der Gesetzgeber an die Entziehung der Rechte nach § 67 Abs. 4 JGG einerseits und an den Ausschluss aus der Hauptverhandlung gemäß § 51 Abs. 2 JGG andererseits geknüpft hat. Während § 67 Abs. 4 Satz 3 JGG der vollständigen Entziehung der Rechte eine Pflegerbestellung zur Wahrnehmung der Interessen des Beschuldigten im Strafverfahren folgen lässt, Abs. 4 Satz 4 JGG die Aussetzung der Hauptverhandlung bis zu einer Pflegerbestellung anordnet und § 68 Nr. 2 JGG (für den Fall, dass sämtlichen gesetzlichen Vertretern und Erziehungsberechtigten ihre Rechte entzogen sind) gar die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vorschreibt, enthält § 51 Abs. 2 JGG keine vergleichbare Regelung, die den durch den Ausschluss bedingten Nachteil auszugleichen sucht. Hätte der Gesetzgeber § 51 Abs. 2 JGG als Norm verstanden wissen wollen, die auch einen Ausschluss für die gesamte Dauer des Verfahrens erlaubt, hätte es nahegelegen, daran vergleichbare Regelungen wie im Falle des § 67 Abs. 4 JGG zu knüpfen.
Neben § 51 Abs. 2 JGG bleiben grundsätzlich die allgemeinen Möglichkeiten des Ausschlusses von gesetzlichen Vertretern erhalten (vgl. § 2 JGG). Freilich kennt die Strafprozessordnung keine spezifischen Gründe für den Ausschluss gesetzlicher Vertreter. Als allgemeiner Grund, einen gesetzlichen Vertreter aus der Hauptverhandlung zu entfernen, kann aber der Umstand dienen, dass der gesetzliche Vertreter als Zeuge in Betracht kommt; hier erlauben §§ 58 Abs. 1, 243 Abs. 2 Satz 1 StPO eine mündliche Verhandlung ohne den gesetzlichen Vertreter.
Die historische Auslegung des § 51 Abs. 2 JGG trägt zu einer weiteren Präzisierung der Norm nicht bei.
Schon die nahezu wortgleiche Vorgängervorschrift des § 34 Abs. 2 Reichsjugendgerichtsgesetz (RJGG) vom 6. November 1943 (RGBl I S. 635), die später ohne weitere Diskussion als § 51 Abs. 2 JGG übernommen wurde, sollte keine vollständige Ausschließung ermöglichen (vgl. Peters, Reichsjugendgerichtsgesetz, 2. Aufl. 1944, S. 263 f.). Sowohl das damalige Gesetz wie auch die vormaligen Richtlinien zu der Vorschrift sprachen ausdrücklich von einer “zeitweiligen Ausschließung”.
Im Übrigen fehlen Gesetzesmaterialien, die den Willen des historischen Gesetzgebers deutlicher machen könnten. Das im Jahre 1943 entstandene Reichsjugendgerichtsgesetz hatte nicht mehr das übliche Gesetzgebungsverfahren durchlaufen, sondern war letztlich Ergebnis einer von der Exekutive eingesetzten “Expertengruppe”, der Arbeitsgemeinschaft für Jugendstrafrecht der Akademie für deutsches Recht (vgl. dazu Akademie für deutsches Recht 1933-1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. 11: Ausschuss für Jugendrecht, Arbeitsgemeinschaften für Jugendarbeitsrecht und Jugendstrafrecht ≪1934-1941≫; hrsg. von Werner Schubert, 2001, S. 344 f., 386, 400, 514, 530, 618 f.). Der Gesetzgeber, der im Jahre 1953 das Jugendgerichtsgesetz reformierte, hielt am alten Rechtszustand fest, ohne sich mit der Frage einer Änderung – vor allem im Hinblick auf das Gewicht des elterlichen Erziehungsrechts nach dem neu geschaffenen Grundgesetz – auseinander zu setzen.
Einen gewissen Eindruck vom vorgestellten Anwendungsbereich des § 51 Abs. 2 JGG vermitteln die vom Reichsminister der Justiz erlassenen Richtlinien zu § 34 Abs. 2 RJGG, die bestimmte Ausschließungsgründe – freilich nicht abschließend – aufzählen. Danach kam eine Ausschließung insbesondere in Betracht, wenn die Erörterung der persönlichen Verhältnisse des Jugendlichen verletzend gewirkt hätte und es dadurch zu einer Erschwerung der Zusammenarbeit zwischen den Angehörigen und den Stellen gekommen wäre, die den Jugendlichen betreuen. Außerdem rechtfertigte die Befürchtung, der Jugendliche werde in Anwesenheit der Angehörigen mit der Wahrheit zurückhalten, ihre Entfernung aus der Hauptverhandlung (s. Peters, Reichsjugendgerichtsgesetz, a.a.O., S. 263 f.). Klare Vorstellungen zur Reichweite der Ausschließungsbefugnis sind darin jedoch nicht zu erkennen, zu unterschiedlich und ohne verbindendes Fundament sind die Konstellationen, die zur Entfernung berechtigen sollten.
Hinzu kommt, dass angesichts der Betonung eines Erziehungsrechts auch des Staates ab 1933 und einer dadurch bedingten Umbildung des Jugendstraf- und -strafverfahrensrechts eine fixierte Begrenzung des Eingriffs in Elternrechte den Vorstellungen des Normgebers ohnehin nicht entsprochen hätte. Das Reichsjugendgerichtsgesetz, das “dem bis dahin blassen Erziehungsgedanken eine straffe weltanschauliche Orientierung gab” (vgl. Sieverts, ZAkDR 1944, S. 5), räumte dem Erziehungsberechtigten und dem gesetzlichen Vertreter zwar grundsätzlich die gleichen Rechte wie dem Beschuldigten ein (vgl. § 41 RJGG). Eine solche Zuweisung von Verfahrensbefugnissen erschien offenkundig jedoch nur verantwortbar, soweit eine erzieherisch sinnvolle Ausübung dieser Rechte zu erwarten war. Aus diesem Grund schuf das Reichsjugendgerichtsgesetz Regelungen, mit deren Hilfe diese Rechte gegebenenfalls wieder entzogen werden konnten (vgl. § 41 Abs. 5, § 34 Abs. 2 RJGG).
Es liegt auf der Hand, dass der Normgeber bei hinreichend bestimmten Formulierungen mit konkreten Ausschlusstatbeständen Gefahr gelaufen wäre, sein von dem Anspruch umfassender staatlicher Erziehungsbefugnis geprägtes Interventionsziel nicht oder nur unter schwierigeren Bedingungen erreichen zu können.
Auch eine objektiv-teleologische Auslegung vermag der Vorschrift des § 51 Abs. 2 JGG keine schärfere Kontur zu geben.
Soweit die Regelung, nach ihrem Zweck verstanden, im weitesten Sinne dazu dienen soll, den Einfluss von Angehörigen in einer gegen einen Jugendlichen gerichteten Hauptverhandlung auszuschließen und dadurch einen reibungslosen Verlauf dieser Hauptverhandlung zu gewährleisten, liefert diese Einsicht noch keine hinreichende Information zu der Frage, was nach dem Gesetz als eine relevante Störung gelten darf. Dies ließe sich nur beantworten, wenn man feststellen könnte, welchen Zielvorstellungen § 51 Abs. 2 JGG verpflichtet ist: der Wahrheitsfindung, dem Schutz des Jugendlichen oder eines Zeugen, der Förderung der Arbeit der Jugendgerichtshilfe, der Erreichung irgendeines Erziehungsziels oder vielleicht sogar mehreren dieser Ziele in einer bestimmten Hierarchie und Mischung. Daran fehlt es.
Eine an Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Zweck orientierte Auslegung des § 51 Abs. 2 JGG kann also einen Anwendungsbereich nicht hinreichend klar und verbindlich bestimmen. Die in der Literatur angesprochenen Anwendungsfälle, die durchaus unterschiedliche Ziele verfolgen, lassen sich angesichts der offenen Formulierung des Gesetzestextes sämtlich ohne weiteres der Regelung subsumieren. Der Begriff “Bedenken” leistet eine präzise Umgrenzung der Eingriffsvoraussetzungen nicht und steht auch einer möglichen ausdehnenden Auslegung – über die bisher erörterten Fallgestaltungen hinaus – nicht im Wege.
Der Gesetzgeber hat es in § 51 Abs. 2 JGG versäumt, die in diesem Zusammenhang wesentlichen Fragen der Normanwendung – Beschreibung der prozessualen Situation, in der ausgeschlossen werden darf; Grad richterlicher Überzeugung hinsichtlich des Vorliegens der Eingriffsvoraussetzung; Maßnahmen, mit denen der Eingriff kompensiert werden soll – selber zu regeln; er hat die Entscheidung über den Ausschluss dem Jugendrichter überlassen.
Dem Gesetzgeber wäre es – entgegen der von der Bundesregierung vertretenen Ansicht – möglich gewesen, eine hinreichend klare und vollständige Regelung zu treffen. Dies belegt etwa die Vorschrift des § 247 StPO, die die vorübergehende Ausschließung eines Angeklagten aus der Hauptverhandlung regelt. Sie beschreibt die in Betracht kommenden Anwendungsfälle, formuliert Zielvorstellungen und ordnet zudem die nachträgliche Unterrichtung des (wieder anwesenden) Angeklagten an. Ihr gelingt es, einzelne Ausschlussgründe zu regeln und doch aus der Vielzahl der möglichen Fallgestaltungen die wesentlichen zu erfassen. Der Gesetzgeber sollte sich deshalb nicht gehindert sehen, aus einer denkbaren Vielzahl von Möglichkeiten bestimmte Fallgruppen zu bezeichnen, in denen unter Beachtung der sich aus der Verfassung ergebenden Grenzen das elterliche Erziehungsrecht zurückgedrängt werden darf, und so § 51 Abs. 2 JGG – etwa zum Schutz des jugendlichen Angeklagten oder anderer Verfahrensbeteiligter, zur Wahrheitsfindung oder um missbräuchlichem Elternverhalten zu begegnen (vgl. § 67 Abs. 4 JGG) – in Zielrichtung, Anwendungsbedingungen und Folgen zu präzisieren.
Angesichts der Unbestimmtheit des § 51 Abs. 2 JGG kommt auch eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift nicht in Betracht. Führt die Auslegung einer Norm wie bei § 51 Abs. 2 JGG zu dem Ergebnis, dass ihr ein hinreichend bestimmter und vom Gesetzgeber gewollter Regelungsgehalt nicht zu entnehmen ist, ist die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für eine verfassungskonforme Auslegung erforderliche Voraussetzung, dass es jedenfalls eine Deutung der Vorschrift gibt, die der Verfassung entspricht (vgl. BVerfGE 88, 145 ≪166≫; stRspr), nicht erfüllt. Eine mit der Verfassung zu vereinbarende Interpretation einer Norm, die in Elternrechte nach Art. 6 Abs. 2 GG eingreift, erforderte nämlich – um dem Vorbehalt des Gesetzes zu genügen –, dass es einen alle wesentliche Fragen umfassenden Regelungskern gibt, der auf einen erklärten objektivierten Willen des Gesetzgebers zurückgeführt werden kann.
Daran fehlt es aber bei einer Vorschrift wie § 51 Abs. 2 JGG, die weder bestimmte Ausschlusstatbestände enthält noch deutlich den Zweck erkennen lässt, dem die Regelung dienen soll. Ließe man bei einem solchen Befund eine verfassungskonforme Auslegung gleichwohl zu, liefe der Gesetzesvorbehalt leer, der Eingriffe in ein Grundrecht einer gesetzlichen Regelung zuweist und den Gesetzgeber verpflichtet, Art und Umfang des Eingriffs selbst festzulegen.