Leitsatz (amtlich)
1. Das Grundgesetz ermächtigt mit Art. 23 GG zur Beteiligung und Entwicklung einer als Staatenverbund konzipierten Europäischen Union. Der Begriff des Verbundes erfasst eine enge, auf Dauer angelegte Verbindung souverän bleibender Staaten, die auf vertraglicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt und in der die Völker – das heißt die staatsangehörigen Bürger – der Mitgliedstaaten die Subjekte demokratischer Legitimation bleiben.
2.
- Sofern die Mitgliedstaaten das Vertragsrecht so ausgestalten, dass unter grundsätzlicher Fortgeltung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung eine Veränderung des Vertragsrechts ohne Ratifikationsverfahren herbeigeführt werden kann, obliegt neben der Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften eine besondere Verantwortung im Rahmen der Mitwirkung, die in Deutschland innerstaatlich den Anforderungen des Art. 23 Abs. 1 GG genügen muss (Integrationsverantwortung) und gegebenenfalls in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren eingefordert werden kann.
- Ein Gesetz im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht erforderlich, soweit spezielle Brückenklauseln sich auf Sachbereiche beschränken, die durch den Vertrag von Lissabon bereits hinreichend bestimmt sind. Auch in diesen Fällen obliegt es allerdings dem Bundestag und – soweit die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, dem Bundesrat – seine Integrationsverantwortung in anderer geeigneter Weise wahrzunehmen.
3. Die europäische Vereinigung auf der Grundlage einer Vertragsunion souveräner Staaten darf nicht so verwirklicht werden, dass in den Mitgliedstaaten kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse mehr bleibt. Dies gilt insbesondere für Sachbereiche, die die Lebensumstände der Bürger, vor allem ihren von den Grundrechten geschützten privaten Raum der Eigenverantwortung und der persönlichen und sozialen Sicherheit prägen, sowie für solche politischen Entscheidungen, die in besonderer Weise auf kulturelle, historische und sprachliche Vorverständnisse angewiesen sind, und die sich im parteipolitisch und parlamentarisch organisierten Raum einer politischen Öffentlichkeit diskursiv entfalten.
4. Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob Rechtsakte der europäischen Organe und Einrichtungen sich unter Wahrung des gemeinschafts- und unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 2 EGV; Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon ≪EUV-Lissabon≫) in den Grenzen der ihnen im Wege der begrenzten Einzelermächtigung eingeräumten Hoheitsrechte halten (vgl. BVerfGE 58, 1 ≪30 f.≫; 75, 223 ≪235, 242≫; 89, 155 ≪188≫: dort zum ausbrechenden Rechtsakt). Darüber hinaus prüft das Bundesverfassungsgericht, ob der unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG gewahrt ist (vgl. BVerfGE 113, 273 ≪296≫). Die Ausübung dieser verfassungsrechtlich radizierten Prüfungskompetenz folgt dem Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, und sie widerspricht deshalb auch nicht dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon); anders können die von Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV-Lissabon anerkannten grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen souveräner Mitgliedstaaten bei fortschreitender Integration nicht gewahrt werden. Insoweit gehen die verfassungs- und die unionsrechtliche Gewährleistung der nationalen Verfassungsidentität im europäischen Rechtsraum Hand in Hand.
Tenor
1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Der Antrag im Organstreitverfahren des Antragstellers zu I. wird verworfen.
3. Der Antrag im Organstreitverfahren der Antragstellerin zu II. wird zurückgewiesen.
4.
- Das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (Bundestagsdrucksache 16/8489) verstößt insoweit gegen Artikel 38 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 23 Absatz 1 des Grundgesetzes, als Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages und des Bundesrates nicht in dem nach Maßgabe der unter C. II. 3. genannten Gründe erforderlichen Umfang ausgestaltet worden sind.
- Vor Inkrafttreten der von Verfassungs wegen erforderlichen gesetzlichen Ausgestaltung der Beteiligungsrechte darf die Ratifikationsurkunde der Bundesrepublik Deutschland zum Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 13. Dezember 2007 (Bundesgesetzblatt 2008 II Seite 1039) nicht hinterlegt werden.
5. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
6. Die Bundesrepublik Deutschland hat die notwendigen Auslagen dieser Verfahren dem Beschwerdeführer zu III. zur Hälfte, den Beschwerdeführern zu IV. und VI. jeweils zu einem Viertel sowie den Beschwerdeführern zu V. und der Antragstellerin zu II. jeweils zu einem Drittel zu erstatten.
Tatbestand
A.
Gegenstand der zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Organstreitverfahren und Verfassungsbeschwerden ist die Ratifikation des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 13. Dezember 2007 (ABl Nr. C 306/1). Die Verfahren betreffen das deutsche Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon und – teilweise – die deutschen Begleitgesetze: Das bereits verkündete, aber noch nicht in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93) sowie das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union, das zustandegekommen, aber noch nicht ausgefertigt und verkündet ist.
I.
1. Der Vertrag von Lissabon ist – wie die Einheitliche Europäische Akte sowie die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza – ein völkerrechtlicher Änderungsvertrag. Er ist wie die Verträge von Amsterdam und Nizza auf Art. 48 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) vom 7. Februar 1992 (ABl Nr. C 191/1; vgl. für die aktuelle, konsolidierte Fassung ABl 2002 Nr. C 325/5) gestützt; das heißt, er ist nach dem seit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht vorgesehenen Änderungsverfahren entstanden. Im Unterschied zur Einheitlichen Europäischen Akte und den Verträgen von Amsterdam und Nizza sieht der Vertrag von Lissabon eine grundlegende Änderung des bestehenden Vertragssystems vor. Er löst die Säulenstruktur der Europäischen Union auf und verleiht der Union formell Rechtspersönlichkeit. In seiner Bedeutung für die Entwicklung der Europäischen Union ähnelt er deshalb dem Vertrag von Maastricht.
2. Der Vertrag von Lissabon ersetzt den nicht von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Vertrag über eine Verfassung für Europa (Verfassungsvertrag) vom 29. Oktober 2004 (ABl Nr. C 310/1). Zwar übernimmt der Vertrag von Lissabon dessen Inhalte zu weiten Teilen; gleichwohl bestehen Unterschiede.
a) aa) Mit dem Inkrafttreten des in Paris geschlossenen Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl aus dem Jahr 1951 (BGBl 1952 II S. 445) wurde der Prozess der europäischen Integration eingeleitet.
Die europäische Idee einer politischen Vereinigung Europas war nach 1945 deutlich erstarkt (vgl. Loth, Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939-1957, 1990; Niess, Die europäische Idee – aus dem Geist des Widerstands, 2001; Wirsching, Europa als Wille und Vorstellung, Die Geschichte der europäischen Integration zwischen nationalem Interesse und großer Erzählung, ZSE 2006, S. 488 ff.; Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 48 ff.). Bestrebungen richteten sich auf die Gründung Vereinigter Staaten von Europa und die Bildung einer europäischen Nation. Man wollte mit einer Verfassung den europäischen Bundesstaat begründen. Dies machten bereits der Europa-Kongress in Den Haag von 1948 mit seinem Appell zur Föderierung Europas, die sich daraus entwickelnde Bildung der europäischen Bewegung und schließlich das von Jean Monnet gegründete „Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa” deutlich, dem einflussreiche Politiker wie Fanfani, Mollet, Wehner, Kiesinger und später Heath, Brandt, Tindemans angehörten (vgl. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 1 Rn. 14). Aus dem Europarat heraus unter dem Vorsitz des Führers der bereits in den 1920er Jahren aktiven paneuropäischen Bewegung, Graf Coudenhove-Kalergi, wurde der aus 18 Artikeln bestehende „Entwurf einer europäischen Bundesverfassung” vom 6. Mai 1951 vorgelegt. Den Entwurf erarbeiteten 70 Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarats zur Gründung des „Verfassungskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa”. Er orientierte sich an der Verfassungsorganstruktur der Schweiz, mit einem Zweikammerparlament und einem regierenden Bundesrat. Die Völker des Bundes sollten im Abgeordnetenhaus im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl mit einem Abgeordneten je einer Million oder für den Bruchteil einer Million vertreten sein (Art. 9 Abs. 3 des Entwurfs einer europäischen Bundesverfassung, abgedruckt in: Mayer-Tasch/Contiades, Die Verfassungen Europas: mit einem Essay, verfassungsrechtlichen Abrissen und einem vergleichenden Sachregister, 1966, S. 631 ff.).
bb) Der Idee einer Verfassung für die Vereinigten Staaten von Europa standen von vornherein kräftige nationalstaatliche Orientierungen gegenüber, die vornehmlich den Blick auf den notwendigen Wiederaufbau und damit nach innen richteten. Wirkmächtig in entgegengesetzter Richtung waren die politischen Zwänge einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik angesichts der Bedrohungslage im Kalten Krieg. Vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika als Schutzmacht Westeuropas drängten auf einen substantiellen europäischen Verteidigungsbeitrag, der es angeraten erscheinen ließ, auch nach Wegen zu einer integriert-kontrollierten deutschen Wiederbewaffnung zu suchen. Am Anfang standen deshalb die Europäisierung der damals wirtschafts- und rüstungsbedeutsamen Kohle- und Stahlindustrie mittels der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, also die Schaffung europäischer Streitkräfte mit maßgeblicher französischer und deutscher Beteiligung. Der zur gleichen Zeit wie der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl verhandelte Vertrag über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft, der eine sicherheitspolitische Integration vorsah, scheiterte allerdings an der Ablehnung der französischen Nationalversammlung (vgl. von Puttkamer, Vorgeschichte und Zustandekommen der Pariser Verträge vom 23. Oktober 1954, ZaöRV 1956/1957, S. 448 ff.). Die ursprünglich bereits mitverhandelte politische Union war bereits im Verhandlungsstadium gescheitert und auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Mit der Ablehnung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und dem Scheitern der Europäischen Politischen Gemeinschaft wurde deutlich, dass sich der europäische Bundesstaat nicht direkt verwirklichen ließ.
cc) Die gleichwohl eingeleitete Wirtschaftsintegration der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl war insofern zunächst der einzige konkrete Schritt, die europäische Vision praktisch zu verwirklichen. Der wegen nationalstaatlicher Beharrungskräfte erforderliche Umweg zur politischen Integration über eine Verschränkung und Vergemeinschaftung wirtschaftlicher Sachverhalte bestimmte in den folgenden Jahrzehnten den Charakter der europäischen Entwicklung. Über eine möglichst weitgehende wirtschaftliche Verflechtung, über einen Gemeinsamen Markt, sollte die praktische Notwendigkeit politischer Vergemeinschaftung herbeigeführt werden, und es sollten Handels- und Wirtschaftsbedingungen entstehen, die eine politische, auch außen- und sicherheitspolitische Einheit dann als allein folgerichtig erscheinen lassen würden (vgl. Stikker, The Functional Approach to European Integration, Foreign Affairs 1951, S. 436 ff.; Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1982, S. 55 ff. und 79 ff.). Dieser funktionale Ansatz lag den 1957 geschlossenen „Römischen Verträgen” – dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (BGBl 1957 II S. 753) und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV); (BGBl 1957 II S. 766; vgl. für die aktuelle, konsolidierte Fassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ≪EGV≫ ABl 2002 Nr. C 325/1) – zugrunde. In den folgenden Jahrzehnten wurden diese Verträge schrittweise fortentwickelt und in der Organgestaltung zum Teil staatlichen Strukturen angeglichen. Der sogenannte Direktwahlakt ermöglichte 1979 die erste unmittelbare Wahl des Europäischen Parlaments (Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Beschluss des Rates vom 20. September 1976 ≪BGBl 1977 II S. 733≫; zuletzt geändert durch Beschluss des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 ≪BGBl 2003 II S. 810≫).
dd) Die Einheitliche Europäische Akte vom 28. Februar 1986 (ABl 1987 Nr. L 169/1) war nach dem organisatorisch-technisch angelegten Fusionsvertrag aus dem Jahr 1965 (ABl 1967 Nr. L 152/1) und den Änderungen der Finanzvorschriften der Verträge aus den 1970er Jahren (ABl 1971 Nr. L 2/1 und ABl 1977 Nr. L 359/1) die erste große Reform der Verträge. Mit diesem Vertrag trat deutlich der Wille zutage, das ursprüngliche Ziel einer politischen Union Europas wiederaufzunehmen. Er bewirkte eine Ausweitung der Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat, die Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments durch die Einführung des Verfahrens der Zusammenarbeit, die Einführung der auf einem intergouvernementalen Verfahren beruhenden Europäischen Politischen Zusammenarbeit und die formelle Institutionalisierung des Europäischen Rates als Steuerungsgremium für große politische Linien („Impulse” im Sinne des Art. 4 EUV; vgl. Bulmer/Wessels, The European Council: Decisionmaking in European Politics, 1987).
Grundlegend fortentwickelt wurden die Gemeinschaftsverträge durch den Vertrag über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) vom 7. Februar 1992 (ABl Nr. C 191/1). Mit ihm sollte eine „neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas” erreicht werden (Art. 1 Abs. 2 EUV; vgl. auch BVerfGE 89, 155 ≪158 ff.≫). Die Europäische Union (EU) wurde gegründet. Deren Grundlage bilden die vormals drei, seit dem Auslaufen des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl nunmehr zwei Gemeinschaften. Sie werden durch zwei Formen der intergouvernementalen Zusammenarbeit ergänzt: die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (sogenanntes Drei-Säulen-Konzept). Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wurde in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt. Darüber hinaus führte der Vertrag von Maastricht das Subsidiaritätsprinzip, die Unionsbürgerschaft und die Wirtschafts- und Währungsunion ein, schuf neue Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft (Bildung, Kultur, Gesundheit, Verbraucherschutz, transeuropäische Netze) und erweiterte die Befugnisse des Europäischen Parlaments, indem er für die Rechtssetzung in einigen Bereichen das Verfahren der Mitentscheidung einführte. In diesem Verfahren kann ohne die Zustimmung des Europäischen Parlaments der sekundäre Rechtsakt nicht mehr zustandekommen. Der Vertrag von Maastricht sah auch für die Organarchitektur eine Revision der Verträge vor (Art. N Abs. 2 des Vertrags von Maastricht), die durch eine sich politisch abzeichnende Erweiterung der Europäischen Union zunehmend dringlicher erschien. Die Zusammensetzung und Funktionsweise der europäischen Organe war seit den 1950er Jahren kaum verändert worden, obwohl sich die Zahl der Mitgliedstaaten von ursprünglich sechs auf mittlerweile zwölf erhöht hatte und die Europäische Union deutlich mehr Aufgaben wahrnahm als die Europäischen Gemeinschaften zu Beginn der europäischen Integration.
Der Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (Vertrag von Amsterdam) vom 2. Oktober 1997 (ABl Nr. C 340/1) erweiterte wiederum die Zuständigkeiten der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft, wie etwa für die gemeinsame Beschäftigungspolitik. Er überführte Sachbereiche wie Asyl, Einwanderung und Visafragen sowie Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, die bis dahin Gegenstand der intergouvernementalen Zusammenarbeit gewesen waren, in den Anwendungsbereich des supranationalen Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und schuf die Möglichkeit einer verstärkten Zusammenarbeit bestimmter Mitgliedstaaten. Außerdem führte der Vertrag von Amsterdam einen Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein, straffte das Mitentscheidungsverfahren und stärkte die Kontrollrechte des Europäischen Parlaments gegenüber der Kommission. Der Vertrag ließ jedoch die mit der Erweiterung der Europäischen Union verbundenen institutionellen Fragen, vor allem die der Organgröße, der Sitzverteilung und des Umfangs der Mehrheitsentscheidung, offen.
Bereits mit Abschluss und Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam wurde deshalb ein weiterer Änderungsvertrag für notwendig erachtet. Dieser kam zustande als Vertrag von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (Vertrag von Nizza) vom 26. Februar 2001 (ABl Nr. C 80/1). Mit ihm wurde die Zahl der Materien, die der Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat unterliegen, weiter ausgeweitet und die Zusammensetzung der Kommission, die Zahl der Abgeordneten im Europäischen Parlament und die Stimmengewichte im Rat an die nunmehr politisch beschlossene Erweiterung der Europäischen Union um bis zu zehn Staaten aus Ost- und Südosteuropa angepasst. Zusätzlich einigten sich die Regierungsvertreter darauf, dass die Mitgliedstaaten, die eine Entscheidung im Rat annehmen, mindestens 62 Prozent der gesamten Bevölkerung der Europäischen Union repräsentieren müssen. Auf der Regierungskonferenz von Nizza wurde außerdem die durch einen Konvent ausgearbeitete Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta – GRCh, ABl 2000 Nr. C 364/1) als politische Erklärung von dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission feierlich proklamiert, ohne Bestandteil des Vertrags von Nizza zu werden.
b) aa) Nachdem sich abzeichnete, dass der Vertrag von Nizza nur die für notwendig gehaltenen Anpassungen der institutionellen Struktur der Europäischen Union vornehmen würde, wurde erwogen, wieder an das Anfang der 1950er Jahre gescheiterte Verfassungsprojekt anzuknüpfen. So schlug der deutsche Außenminister Fischer eine europäische Verfassung vor (vgl. Fischer, Vom Staatenverbund zur Föderation – Gedanken über die Finalität der europäischen Integration, integration 2000, S. 149 ff.) und löste damit eine weitreichende Verfassungsdebatte aus (vgl. hierzu Laffan, Der schwierige Weg zur Europäischen Verfassung: Von der Humboldt-Rede Außenministers Fischer bis zum Abschluss der Regierungskonferenz, in: Jopp/Matl, Der Vertrag über eine Verfassung für Europa, Analysen zur Konstitutionalisierung der EU, 2005, S. 473 ff.). Die Regierungskonferenz von Nizza nahm das Projekt einer europäischen Verfassung in die Erklärung Nr. 23 zur Zukunft der Union (ABl 2001 Nr. C 80/85) zwar auf, wollte aber ausdrücklich nur die institutionelle Reform der Union fortsetzen. In der Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union vom 15. Dezember 2001 (Bulletin EU 12-2001, I.27 ≪Anlage I≫) wurden vier Ziele der Reform vorgegeben:
- Erstens: „Eine bessere Aufteilung und Festlegung der Zuständigkeiten in der Europäischen Union” – dabei sollte es vor allem um mehr Transparenz in der Kompetenzabgrenzung der Union zu den Mitgliedstaaten und um eine mögliche Verdeutlichung des Subsidiaritätsprinzips gehen, und es sollte geprüft werden, welche Zuständigkeiten einerseits wiederum neu für die Union zu begründen seien, aber auch andererseits, welche bisher gemeinschaftlich ausgeübten Zuständigkeiten zurück auf die Mitgliedstaaten übertragen werden können.
- Zweitens: „Vereinfachung der Instrumente der Union” – hierzu sollte insbesondere die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungs- und Durchführungsmaßnahmen sowie eine Verringerung der Anzahl der Gesetzgebungsinstrumente erworgen werden.
- Drittens: „Mehr Demokratie, Transparenz und Effizienz in der Europäischen Union” – zu diesem Ziel sollten umfassend Organisations- und Verfahrensfragen des unionalen Organsystems wie auch die Rolle der nationalen Parlamente überdacht werden.
- Viertens: „Der Weg zu einer Verfassung für die europäischen Bürger” – mit dieser Perspektive sollten die Verträge neu geordnet, die Aufnahme der Grundrechtecharta in den Basisvertrag und die Annahme eines Verfassungstextes in der Europäischen Union erwogen werden.
Im Rahmen des dritten Zieles ging es vor allem um die Frage, wie die demokratische Legitimation und die Transparenz der vorhandenen Organe gestärkt werden könne, und wie der Präsident der Kommission bestimmt werden solle: vom Europäischen Rat, vom Europäischen Parlament oder – im Wege direkter Wahl – vom Bürger. Die Erklärung von Laeken fragte, ob und wie Besetzung und Funktionsweise des Europäischen Parlaments sowie die Tätigkeit des Rates verändert werden sollten.
bb) Der Europäische Rat setzte mit der Erklärung von Laeken einen Konvent zur Ausarbeitung eines Verfassungstextes ein (vgl. allgemein zum Konvent Wessels, Der Konvent: Modelle für eine innovative Integrationsmethode, integration 2002, S. 83 ff.). Das Gremium sollte unter Beteiligung der damaligen Beitrittskandidaten die vier genannten Reformziele untersuchen. Der vom Konvent entworfene und von der Regierungskonferenz überarbeitete Verfassungsvertrag beinhaltete weitreichende Änderungen, wenn auch keine Totalrevision der Verträge. Der Verfassungsvertrag sah vor, den Vertrag über die Europäische Union und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in einen einheitlichen Vertrag zusammenzufassen, die Säulenstruktur aufzulösen und die Europäische Union mit eigener Rechtspersönlichkeit auszustatten. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht, der bislang auf der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften beruht, sollte ausdrücklich festgeschrieben und die Symbole der Europäischen Union Flagge, Hymne, Leitspruch, Währung und Europatag sollten erstmals normiert werden. Als weitere wesentliche Änderungen waren vorgesehen:
- die Einbeziehung der Grundrechtecharta in den Verfassungsvertrag,
- die Kategorisierung und Klassifizierung der Zuständigkeiten der Union,
- der Ausbau der Institutionen der Union, insbesondere durch die Schaffung der Ämter eines Präsidenten des Europäischen Rates und eines Außenministers der Europäischen Union,
- die Einführung des Prinzips der doppelten Mehrheit bei Abstimmungen im Rat,
- eine neue Typologie der Handlungsformen der Union mit Begriffen wie „Gesetz” und „Rahmengesetz”,
- die Einführung einer Europäischen Bürgerinitiative,
- die Schaffung einer Nachbarschaftspolitik,
- die Schaffung eines Austrittsrechts für die Mitgliedstaaten,
- unterschiedliche und erleichterte Änderungsverfahren für einzelne Teile und Aspekte des Verfassungsvertrags sowie
- die Beteiligung der nationalen Parlamente im Gesetzgebungsverfahren zur Kontrolle der Subsidiarität in Form eines Frühwarnsystems und einer Subsidiaritätsklage.
Nach dem negativen Ausgang der Volksabstimmungen, die in Frankreich und in den Niederlanden zum Verfassungsvertrag am 29. Mai und am 1. Juni 2005 abgehalten worden waren, vereinbarte der Europäische Rat eine „Reflexionsphase”. Den Mitgliedstaaten, die den Verfassungsvertrag noch nicht ratifiziert hatten, sollte Gelegenheit gegeben werden, den Verfassungsvertrag nach umfassendem öffentlichem Diskurs ohne Zeitdruck zu ratifizieren oder dessen Ratifizierung aufzuschieben (Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa ≪Tagung des Europäischen Rates am 16. und 17. Juni 2005≫, Bulletin EU 6-2005, I.30). Der Ratifizierungsprozess konnte jedoch nicht wieder in Gang gesetzt werden.
c) In der Berliner Erklärung vom 25. März 2007 anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens der Römischen Verträge (Bulletin EU 3-2007, II.1) einigten sich die Mitgliedstaaten auf einen neuen Anlauf zu einem Reformvertrag (vgl. Maurer, Nach der Referendenzäsur: Deutsche Europapolitik in und nach der Denkpause über den Verfassungsvertrag, in: Müller-Graff, Deutschlands Rolle in der Europäischen Union, 2008, S. 11 ff.). Der Europäische Rat von Brüssel erteilte am 22. Juni 2007 einer Regierungskonferenz das Mandat, einen sogenannten Reformvertrag zur Änderung der bestehenden Verträge auszuarbeiten (Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates vom 21. und 22. Juni 2007 in Brüssel, Bulletin EU 6-2007, I.37 ≪Anlage I≫).
Das Mandat für die Regierungskonferenz unterschied sich von früheren Aufträgen dadurch, dass der Europäische Rat die Gestalt und den Inhalt des neuen Vertragstextes nahezu durchgehend, teilweise sogar im Wortlaut vorgab (vgl. die sprachlich überarbeitete Fassung des Mandats im Ratsdokument 11218/07, Anlage). Dabei stützte er sich auf den Verfassungsvertrag, von dessen inhaltlicher Substanz so viel wie möglich in den neuen Reformvertrag übernommen werden sollte. Am 13. Dezember 2007 wurde dieser Reformvertrag als Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Vertrag von Lissabon) unterzeichnet.
3. a) Die Präambel des Vertrags von Lissabon geht nicht auf den gescheiterten Verfassungsvertrag ein, sondern stellt den Vertrag von Lissabon in eine direkte Reihe mit den Verträgen von Amsterdam und Nizza. Sie wiederholt das Ziel des Mandats der Regierungskonferenz – die Erhöhung der Effizienz und der demokratischen Legitimität der Union sowie die Verbesserung der Kohärenz ihres Handelns –, betont aber nicht mehr speziell die Kohärenz des auswärtigen Handelns der Union. Während alle bisherigen Änderungsverträge der Effizienz- und Kohärenzsteigerung der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union dienten, wird mit dem Vertrag von Lissabon zum ersten Mal ausdrücklich das Ziel verfolgt, die demokratische Legitimität der Union zu erhöhen (vgl. auch Fischer, Der Vertrag von Lissabon, 2008, S. 91 f.).
Im Unterschied zu dem Verfassungsvertrag verzichtet der Vertrag von Lissabon nach dem Mandat für die Regierungskonferenz ausdrücklich auf das Verfassungskonzept, „das darin bestand, alle bestehenden Verträge aufzuheben und durch einen einheitlichen Text mit der Bezeichnung ‚Verfassung’ zu ersetzen” (Ratsdokument 11218/07, Anlage, Rn. 1). Die Verträge werden lediglich geändert, und die den geänderten Verträgen zugrundeliegende Begrifflichkeit spiegelt den Verzicht auf das Verfassungskonzept wider. Die auf staatlicher Ebene gebräuchliche Terminologie wird aufgegeben. Der Ausdruck „Verfassung” wird nicht benutzt (anders aber Pernice, Der Vertrag von Lissabon – Das Ende des Verfassungsprozesses der EU?, EuZW 2008, S. 65; Schiffauer, Zum Verfassungszustand der Europäischen Union nach Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon, EuGRZ 2008, S. 1 ff.), der „Außenminister” wird „Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik” genannt, und die Bezeichnungen „Gesetz” und „Rahmengesetz” werden im Gegensatz zu der weniger symbolträchtigen Bezeichnung „Beschluss” ebenfalls nicht beibehalten. Das Verfahren der Mitentscheidung wird allerdings in „ordentliches Gesetzgebungsverfahren” umbenannt und von einem „besonderen Gesetzgebungsverfahren” unterschieden. Die in einem Gesetzgebungsverfahren angenommenen Rechtsakte werden als „Gesetzgebungsakte” bezeichnet. Die Symbole der Europäischen Union Flagge, Hymne, Leitspruch, Währung und Europatag werden nicht erwähnt. Allerdings betonen in der Erklärung Nr. 52 zu den Symbolen der Europäischen Union, die der Schlussakte des Vertrags von Lissabon beigefügt ist, 16 der 27 Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, dass diese Symbole „für sie auch künftig als Symbole die Zusammengehörigkeit der Menschen in der Europäischen Union und ihre Verbundenheit mit dieser zum Ausdruck bringen”. Der Vorrang von Unions- und Gemeinschaftsrecht vor nationalem Recht wird nach wie vor nicht ausdrücklich geregelt (zu der diesbezüglichen Erklärung unten A. I. 3. i). Davon abgesehen überführt der Vertrag von Lissabon jedoch wesentliche inhaltliche Elemente des Verfassungsvertrags in das bestehende Vertragssystem und enthält zusätzliche, spezifisch auf einzelne Mitgliedstaaten zugeschnittene Bestimmungen (vgl. Mayer, Die Rückkehr der Europäischen Verfassung? Ein Leitfaden zum Vertrag von Lissabon, ZaöRV 2007, S. 1141 ff.; speziell zu den Regelungen über die nationalen Parlamente Barrett, „The king is dead, long live the king”: The Recasting by the Treaty of Lisbon of the Provisions of the Constitutional Treaty Concerning National Parliaments, E.L.Rev. 2008, S. 66 ff.).
b) Der Vertrag von Lissabon löst das bisherige „Drei-Säulen-Konzept” der Europäischen Union auf (Art. 1 Abs. 3 Satz 1 EUV). Der Vertrag über die Europäische Union behält seine Bezeichnung (vgl. für eine konsolidierte Fassung ≪EUV-Lissabon≫ ABl 2008 Nr. C 115/13); der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft wird in Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) umbenannt (vgl. für eine konsolidierte Fassung ABl 2008 Nr. C 115/47). Die Europäische Union tritt an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft, deren Rechtsnachfolgerin sie ist (Art. 1 Abs. 3 Satz 3 EUV-Lissabon), und erlangt Rechtspersönlichkeit (Art. 47 EUV-Lissabon). Die Europäische Atomgemeinschaft wird aus dem ehemaligen Dachverband der Europäischen Union ausgegliedert und besteht – abgesehen von einer institutionellen Verbundenheit mit der Europäischen Union – als unabhängige internationale Organisation fort.
c) Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union beruht nach dem Vertrag von Lissabon auf zwei Grundlagen: der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in der überarbeiteten Fassung vom 12. Dezember 2007 (ABl Nr. C 303/1; BGBl 2008 II S. 1165 ff.), die den Verträgen rechtlich gleichgestellt wird (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon) und dadurch Rechtsverbindlichkeit erlangt, sowie den ungeschriebenen Unionsgrundrechten, die daneben als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts fortgelten (Art. 6 Abs. 3 EUV-Lissabon). Diese beiden Grundlagen des europäischen Grundrechtsschutzes werden durch Art. 6 Abs. 2 EUV-Lissabon ergänzt, der die Europäische Union ermächtigt und verpflichtet, der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 2002 II S. 1054) beizutreten.
d) Titel II der neuen Fassung des Vertrags über die Europäische Union enthält „Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze”. Danach beruht die Arbeitsweise der Europäischen Union auf der repräsentativen Demokratie (Art. 10 Abs. 1 EUV-Lissabon), die durch Elemente der partizipativen, assoziativen und direkten Demokratie, insbesondere eine Bürgerinitiative, ergänzt wird (Art. 11 EUV-Lissabon). Der Grundsatz der repräsentativen Demokratie verweist auf zwei Legitimationsstränge: Das Europäische Parlament als „unmittelbare” Vertretung der Unionsbürger sowie die im Europäischen Rat vertretenen Staats- und Regierungschefs und die im Rat vertretenen Regierungsmitglieder der Mitgliedstaaten, „die ihrerseits in demokratischer Weise gegenüber ihrem nationalen Parlament oder gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern Rechenschaft ablegen müssen” (Art. 10 Abs. 2 EUV-Lissabon).
Die nationalen Parlamente „tragen aktiv zur guten Arbeitsweise der Union bei” (Art. 12 EUV-Lissabon). Die Entwürfe von Gesetzgebungsakten der Europäischen Union müssen den nationalen Parlamenten acht Wochen, bevor sie auf die Tagesordnung des Rates gesetzt werden, zugeleitet werden (Art. 4 des Protokolls Nr. 1 über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union). Im Rahmen des durch das Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (Subsidiaritätsprotokoll) vorgesehenen sogenannten Frühwarnsystems sind die nationalen Parlamente oder die Kammern eines dieser Parlamente berechtigt, innerhalb dieser acht Wochen in einer begründeten Stellungnahme darzulegen, weshalb die Entwürfe ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sind (Art. 6 des Subsidiaritätsprotokolls). Begründete Stellungnahmen verpflichten jedoch nur dann zu einer Überprüfung der Entwürfe, wenn die Anzahl der begründeten Stellungnahmen einen bestimmten Anteil der Gesamtzahl der den nationalen Parlamenten zugewiesenen Stimmen erreicht (Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 des Subsidiaritätsprotokolls). Ferner können die nationalen Parlamente oder die Kammern eines dieser Parlamente über ihre Mitgliedstaaten eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV erheben, wenn sie einen Gesetzgebungsakt für unvereinbar mit dem Subsidiaritätsprinzip halten (Art. 8 des Subsidiaritätsprotokolls).
Darüber hinaus sind die nationalen Parlamente in die politische Kontrolle von Europol und Eurojust eingebunden (Art. 12 Buchstabe c EUV-Lissabon; Art. 88 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 85 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV) und im sogenannten Brückenverfahren, einem durch den Vertrag von Lissabon allgemein eingeführten Vertragsänderungsverfahren, berechtigt, die von der Kommission vorgeschlagene Vertragsänderung innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Übermittlung abzulehnen (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon; Art. 81 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV). Die Ablehnung durch ein nationales Parlament genügt, um die vorgeschlagene Vertragsänderung scheitern zu lassen.
e) Durch den Vertrag von Lissabon werden auch die Institutionen und Verfahren reformiert.
aa) Die Befugnisse des Europäischen Parlaments im Bereich der Rechtssetzung werden weiter ausgebaut. Das Verfahren der Mitentscheidung, in dem das Europäische Parlament mit dem Rat gleichberechtigt tätig wird, wird vereinfacht, in „ordentliches Gesetzgebungsverfahren” umbenannt und zum Regelfall erklärt (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon; Art. 289 Abs. 1 AEUV). Das Verfahren der Zusammenarbeit wird abgeschafft. Die Verfahren der Anhörung und der Zustimmung werden unter dem Begriff „besonderes Gesetzgebungsverfahren” zusammengefasst und finden nur noch in bestimmten, in den Verträgen vorgesehenen Fällen Anwendung (Art. 289 Abs. 2 AEUV). Die stärkere Rolle des Europäischen Parlaments bei der Rechtssetzung wirkt sich auch beim Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen der Europäischen Union aus. Der Rat kann den Beschluss über den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags in Bereichen, für die entweder das ordentliche Gesetzgebungsverfahren oder, wenn die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich ist, das besondere Gesetzgebungsverfahren gilt, erst nach Zustimmung des Europäischen Parlaments erlassen (Art. 218 Abs. 6 UAbs. 2 Buchstabe a Nr. v AEUV).
Daneben entscheidet das Europäische Parlament mit dem Rat gleichberechtigt über den Haushaltsentwurf (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon; Art. 314 AEUV) und verfügt über politische Kontrollrechte. Es wählt den Kommissionspräsidenten nach Vorschlag des Europäischen Rates mit der Mehrheit seiner Mitglieder (Art. 14 Abs. 1 Satz 3, Art. 17 Abs. 7 EUV-Lissabon). Der Vorschlag muss das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament berücksichtigen (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon). Erhält der vorgeschlagene Kandidat nicht die erforderliche Mehrheit, muss der Europäische Rat dem Europäischen Parlament innerhalb eines Monats einen neuen Kandidaten vorschlagen (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 3 EUV-Lissabon). Weiter kontrolliert das Europäische Parlament – ebenso wie die nationalen Parlamente – die Tätigkeiten von Europol und ist an der Bewertung der Tätigkeit von Eurojust beteiligt (Art. 88 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 85 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV).
Der Vertrag von Lissabon verändert die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments, das „in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl” gewählt wird (Art. 14 Abs. 3 EUV-Lissabon). Es besteht nicht mehr aus Vertretern „der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten” (Art. 189 Abs. 1 EGV), sondern der „Unionsbürgerinnen und Unionsbürger” (Art. 14 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon). Dabei soll die Sitzverteilung im Europäischen Parlament erstmals sekundärrechtlich festgelegt werden (Art. 14 Abs. 2 UAbs. 2 EUV-Lissabon). Nach dem vorgesehenen Verfahren erlässt der Europäische Rat einstimmig auf Initiative des Europäischen Parlaments und mit dessen Zustimmung einen Beschluss über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments. Dieser muss die in Art. 14 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 bis Satz 4 EUV-Lissabon enthaltenen inhaltlichen Vorgaben wahren, das heißt eine Gesamtzahl von Abgeordneten, die 750 „zuzüglich des Präsidenten”, das heißt 751, nicht überschreitet, wobei die Unionsbürger degressiv proportional, mindestens jedoch mit sechs Mitgliedern je Mitgliedstaat vertreten sind und kein Mitgliedstaat mehr als 96 Sitze erhält.
bb) Der Europäische Rat wird durch den Vertrag von Lissabon zu einem Organ der nunmehr einheitlichen, mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Europäischen Union aufgewertet (Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 EUV-Lissabon). Dementsprechend werden die Handlungen des Europäischen Rates der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union unterstellt, allerdings nur soweit der Europäische Rat mit Rechtswirkung gegenüber Dritten tätig wird (Art. 263 Abs. 1, Art. 265 Abs. 1 AEUV), und im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, soweit der Gerichtshof ausnahmsweise zuständig ist (Art. 275 Abs. 2 AEUV).
Darüber hinaus führt der Vertrag von Lissabon das Amt des (ständigen) Präsidenten des Europäischen Rates ein. Er wird vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit für zweieinhalb Jahre gewählt (Art. 15 Abs. 5 EUV-Lissabon). Der Präsident des Europäischen Rates übernimmt die mit der Vorbereitung und der Leitung der Tagungen des Europäischen Rates anfallenden Arbeiten, einschließlich der Impulsvermittlung, sowie die Außenvertretung der Europäischen Union in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik „auf seiner Ebene” und „unbeschadet” der Befugnisse des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (Art. 15 Abs. 6 UAbs. 1 und UAbs. 2 EUV-Lissabon). Das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates ist mit anderen europäischen Ämtern, nicht aber mit nationalen Ämtern vereinbar (Art. 15 Abs. 6 UAbs. 3 EUV-Lissabon).
cc) Die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Rat erklärt der Vertrag von Lissabon ebenso zur Regel (Art. 16 Abs. 3 EUV-Lissabon) wie das ordentliche Gesetzgebungsverfahren (Art. 16 Abs. 1 EUV-Lissabon; Art. 289 Abs. 1 AEUV), in dem der Rat ebenfalls grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit beschließt (Art. 294 Abs. 8 und Abs. 13 AEUV). Das bisherige System der gewogenen Stimmen soll langfristig durch das System der „doppelten Mehrheit” ersetzt werden, wonach für eine qualifizierte Mehrheit grundsätzlich eine „doppelte Mehrheit” aus 55 % der Mitgliedstaaten und 65 % der Bevölkerung der Europäischen Union erforderlich ist (Art. 16 Abs. 4 EUV-Lissabon; Art. 3 des Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen). Beschließt der Rat nicht auf Vorschlag der Kommission oder des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik, sollen für eine qualifizierte Mehrheit langfristig eine „doppelte Mehrheit” von 72 % der Mitgliedstaaten und 65 % der Bevölkerung der Europäischen Union notwendig sein (Art. 238 Abs. 2 AEUV; Art. 3 des Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen). Einschränkungen erfolgen durch den sogenannten Ioannina-Mechanismus (Erklärung Nr. 7 zu Artikel 16 Absatz 4 des Vertrags über die Europäische Union und zu Artikel 238 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Beratungen und Abstimmungen über Entwürfe von Gesetzgebungsakten im Rat sind erstmals öffentlich (Art. 16 Abs. 8 EUV-Lissabon).
dd) Die Kommission soll sich ab dem 1. November 2014 aus einer Anzahl von Kommissaren zusammensetzen, die zwei Dritteln der Zahl der Mitgliedstaaten entspricht, sofern der Europäische Rat nicht einstimmig eine Änderung dieser Anzahl beschließt (Art. 17 Abs. 5 EUV-Lissabon; vgl. auch Art. 244 AEUV). Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon könnte jedoch ein Beschluss „im Einklang mit den erforderlichen rechtlichen Verfahren” gefasst werden, wonach weiterhin ein Staatsangehöriger jedes Mitgliedstaates der Kommission angehören wird (vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates vom 11. und 12. Dezember 2008 in Brüssel, Bulletin EU 12-2008, I.4 Rn. 2).
Ferner ordnet der Vertrag von Lissabon die eigenständige, exekutive Rechtssetzung durch die Kommission neu und macht sie durch eine eigene Rechtsform, die der „Rechtsakte ohne Gesetzescharakter”, kenntlich (vgl. bisher Art. 202 Spiegelstrich 3 Satz 1, Art. 211 Spiegelstrich 4 EGV). In Gesetzgebungsakten kann der Kommission die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts zu erlassen (Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV). Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung (Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV) sowie die Bedingungen, unter denen die Übertragung erfolgt (Art. 290 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV), müssen in den Gesetzgebungsakten ausdrücklich festgelegt sein. Diese sogenannten delegierten Rechtsakte (Art. 290 Abs. 3 AEUV) sind von den Durchführungsrechtsakten abzugrenzen. Soweit es unionsweit einheitlicher Bedingungen für die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte bedarf, können mit diesen Rechtsakten Durchführungsbefugnisse auf die Kommission oder ausnahmsweise auf den Rat übertragen werden (Art. 291 Abs. 2 AEUV). Die auf der Grundlage der übertragenen Durchführungsbefugnisse erlassenen Maßnahmen werden als Durchführungsrechtsakte bezeichnet (Art. 291 Abs. 4 AEUV).
ee) Das durch den Vertrag von Lissabon neu eingeführte Amt des „Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik” führt verschiedene Ämter, die gegenwärtig für die auswärtigen Beziehungen der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft zuständig sind, zusammen (Art. 18 Abs. 2 bis Abs. 4 EUV-Lissabon). Der Hohe Vertreter „leitet” die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 EUV-Lissabon). Dies bedeutet, dass er über ein Vorschlagsrecht gegenüber dem Rat verfügt und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik „im Auftrag des Rates” durchführt (Art. 18 Abs. 2 Satz 2, Art. 27 Abs. 1 EUV-Lissabon). Der Hohe Vertreter wird durch Beschluss des Europäischen Rates, der mit qualifizierter Mehrheit entscheidet, und nach Zustimmung des Kommissionspräsidenten „ernannt” (Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon). Daneben ist er als Vizepräsident der Kommission dem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments unterworfen (Art. 17 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon). Die Dauer seiner Amtszeit ist nicht geregelt (vgl. aber Art. 18 Abs. 1 Satz 2, Art. 17 Abs. 8 Satz 3 EUV-Lissabon).
Bei der „Erfüllung seines Auftrags” stützt sich der Hohe Vertreter auf einen Europäischen Auswärtigen Dienst, der mit den diplomatischen Diensten der Mitgliedstaaten zusammenarbeitet und Beamte aus den einschlägigen Abteilungen des Generalsekretariats des Rates und der Kommission sowie abgeordnetes Personal der nationalen diplomatischen Dienste umfasst (Art. 27 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 EUV-Lissabon). Weitere Einzelheiten, insbesondere Organisation und Arbeitsweise des Europäischen Auswärtigen Dienstes, sollen durch einen Beschluss des Rates festgelegt werden (Art. 27 Abs. 3 Satz 3 EUV-Lissabon; vgl. auch BTDrucks 16/9316).
ff) Die Regelungen über den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, der in Gerichtshof der Europäischen Union umbenannt wird, entwickelt der Vertrag von Lissabon ebenfalls weiter. Im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist der Gerichtshof grundsätzlich nicht zuständig. Ausnahmen gelten für die Kontrolle der Einhaltung von Art. 40 EUV-Lissabon und für Nichtigkeitsklagen im Zusammenhang mit der Überwachung der Rechtmäßigkeit von Beschlüssen über restriktive Maßnahmen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen (Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 5 EUV-Lissabon; Art. 275 AEUV). Auf dem Gebiet des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist der Gerichtshof dagegen grundsätzlich zuständig. Ausnahmen gelten für die Überprüfung der Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaates oder der Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit (Art. 276 AEUV). Darüber hinaus modifiziert der Vertrag von Lissabon die Klagearten, namentlich die Nichtigkeitsklage.
f) Der Vertrag von Lissabon sieht grundsätzlich drei Verfahrensarten vor, nach denen die Verträge geändert werden können: das ordentliche Änderungsverfahren (Art. 48 Abs. 2 bis Abs. 5 EUV-Lissabon), das vereinfachte Änderungsverfahren (Art. 48 Abs. 6 EUV-Lissabon) und das sogenannte Brückenverfahren (Art. 48 Abs. 7 EUV-Lissabon). Änderungen im ordentlichen Änderungsverfahren, die eine Ausdehnung oder Verringerung der Zuständigkeiten der Europäischen Union zum Ziel haben können (Art. 48 Abs. 2 Satz 2 EUV-Lissabon), werden wie bisher durch eine Konferenz der Regierungen der Mitgliedstaaten – eventuell nach Einschaltung eines Konvents von Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission – vereinbart (Art. 48 Abs. 3 EUV-Lissabon). Sie treten in Kraft, nachdem sie von allen Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden sind (Art. 48 Abs. 4 UAbs. 2 EUV-Lissabon).
Änderungen im vereinfachten Änderungsverfahren setzen einen einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates voraus, der „nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften” in Kraft tritt (Art. 48 Abs. 6 UAbs. 2 Satz 3 EUV-Lissabon; vgl. zur bisherigen Vertragslage Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1, Art. 42 EUV; Art. 22 Abs. 2, Art. 190 Abs. 4, Art. 229a, Art. 269 Abs. 2 EGV). Der Anwendungsbereich des vereinfachten Änderungsverfahrens ist beschränkt auf Änderungen von Teil III des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union über die internen Politikbereiche der Europäischen Union (Art. 48 Abs. 6 UAbs. 1 EUV-Lissabon). Die Änderungen dürfen nicht zu einer Ausdehnung der Zuständigkeiten der Europäischen Union führen (Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV-Lissabon). Die Verträge enthalten in ihrer Fortentwicklung durch den Vertrag von Lissabon weitere Bestimmungen, die Art. 48 Abs. 6 EUV-Lissabon nachgebildet, aber jeweils auf einen bestimmten Sachbereich begrenzt sind, und durch den Vertrag von Lissabon geringfügig erweitert werden (siehe Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV-Lissabon – Einführung einer Gemeinsamen Verteidigung; Art. 25 Abs. 2 AEUV – Erweiterung der Rechte der Unionsbürger; Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 Satz 2 AEUV – Beitritt der Europäischen Union zur EMRK; Art. 223 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV – Einführung eines einheitlichen Wahlverfahrens zum Europäischen Parlament; Art. 262 AEUV – Zuständigkeit der Europäischen Union zur Schaffung europäischer Rechtstitel für geistiges Eigentum; Art. 311 Abs. 3 AEUV – Festlegung der Eigenmittel der Europäischen Union).
Änderungen im allgemeinen Brückenverfahren beruhen ebenfalls auf einem einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates, der jedoch erst nach Zustimmung des Europäischen Parlaments erlassen werden kann (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 4 EUV-Lissabon). Dies setzt voraus, dass der Vorschlag nicht innerhalb von sechs Monaten von einem nationalen Parlament abgelehnt wird (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon). Anders als das ordentliche und das vereinfachte Änderungsverfahren betrifft das allgemeine Brückenverfahren punktuelle, auf die Abstimmung im Rat oder das Gesetzgebungsverfahren bezogene Änderungen. Der Europäische Rat kann in Fällen, in denen der Rat nach Maßgabe des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder des Titels V des Vertrags über die Europäische Union in einem bestimmten Bereich oder in einem bestimmten Fall einstimmig beschließt, einen Beschluss erlassen, wonach der Rat in diesem Bereich oder in diesem Fall mit qualifizierter Mehrheit beschließen kann (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon). Ausgenommen sind Beschlüsse mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 2 EUV-Lissabon). Der Europäische Rat kann ferner beschließen, dass Gesetzgebungsakte im Anwendungsbereich des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nach dem ordentlichen statt dem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden können (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 2 EUV-Lissabon; vgl. bereits Art. 67 Abs. 2, Art. 137 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 2, Art. 175 Abs. 2 UAbs. 1 EGV). Beide Alternativen des allgemeinen Brückenverfahrens finden keine Anwendung auf Art. 311 Abs. 3 und Abs. 4, Art. 312 Abs. 2 UAbs. 1, Art. 352 und Art. 354 AEUV (vgl. Art. 353 AEUV). Das allgemeine Brückenverfahren wird durch spezielle Brückenklauseln ergänzt (vgl. Art. 31 Abs. 3 EUV-Lissabon – Beschlüsse über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in anderen als den in Art. 31 Abs. 2 EUV-Lissabon genannten Fällen; Art. 81 Abs. 3 UAbs. 2 und UAbs. 3 AEUV – Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug; Art. 153 Abs. 2 UAbs. 4 AEUV – Maßnahmen in bestimmten Bereichen des Arbeitsrechts; Art. 192 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV – Maßnahmen im Bereich der Umweltpolitik; Art. 312 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV – Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens; Art. 333 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV – Abstimmungsverfahren im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit gemäß Art. 326 ff. AEUV). Nur für Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug ist ein Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon entsprechendes Ablehnungsrecht nationaler Parlamente vorgesehen (Art. 81 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV).
g) Art. 50 EUV-Lissabon führt ein Austrittsrecht jedes Mitgliedstaates aus der Europäischen Union ein.
h) Der Vertrag von Lissabon verfolgt das Ziel, die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten transparenter zu gestalten (vgl. Erklärung von Laeken vom 15. Dezember 2001 zur Zukunft der Europäischen Union, Bulletin EU 12-2001, I.27 ≪Anlage I≫), und erweitert die Zuständigkeiten der Europäischen Union.
aa) Er bekräftigt die Prinzipien der Zuständigkeitsverteilung und -ausübung der Europäischen Union, insbesondere das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EUV-Lissabon; vgl. auch Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 6, Art. 4 Abs. 1, Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV-Lissabon; Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 4 Abs. 1, Art. 7, Art. 19, Art. 32, Art. 130, Art. 132 Abs. 1, Art. 207 Abs. 6, Art. 337 AEUV; Erklärung Nr. 18 zur Abgrenzung der Zuständigkeiten; Erklärung Nr. 24 zur Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union) sowie die Prinzipien der Subsidiarität (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 EUV-Lissabon) und der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 EUV-Lissabon). Letztere werden durch das Subsidiaritätsprotokoll verfahrensrechtlich flankiert.
Die Europäische Union wird ferner verpflichtet, neben der nationalen Identität der Mitgliedstaaten, die „in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung” zum Ausdruck kommt, die „Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen” und die „grundlegenden Funktionen des Staates” zu achten (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 EUV-Lissabon). Beispielhaft werden „die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der nationalen Sicherheit” genannt.
bb) Die Zuständigkeiten der Europäischen Union werden durch den Vertrag von Lissabon erstmals kategorisiert und klassifiziert. In Art. 2 AEUV werden zunächst verschiedene Kategorien von Zuständigkeiten formuliert. Nach der Intensität europäischen Handelns und dessen Wirkungen für die mitgliedstaatliche Ebene wird grundsätzlich zwischen ausschließlichen Zuständigkeiten (Abs. 1), geteilten Zuständigkeiten, die der bisherigen Kategorie der konkurrierenden Zuständigkeiten entsprechen (Abs. 2), und Unterstützungs-, Koordinierungs- oder Ergänzungsmaßnahmen (Abs. 5) unterschieden. Über diese Zuständigkeitstrias hinaus führt Art. 2 AEUV zwei Bereiche an, bei denen es sich nicht um Zuständigkeitskategorien handelt. Die Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik (Abs. 3) und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (Abs. 4) werden einer eigenständigen Regelung unterworfen. In Art. 3 ff. AEUV werden sodann einzelne Bereiche – wenn auch nicht abschließend im Sinne eines Kompetenzkatalogs – den Zuständigkeitskategorien zugeordnet.
cc) Der Vertrag von Lissabon begründet zusätzliche Zuständigkeiten der Europäischen Union, weitet bestehende Zuständigkeiten inhaltlich aus und supranationalisiert Sachbereiche, die bisher der intergouvernementalen Zusammenarbeit unterlagen.
(1) In der ehemals „Ersten Säule” begründet der Vertrag von Lissabon neue Zuständigkeiten der Europäischen Union für Nachbarschaftspolitik (Art. 8 EUV-Lissabon), Daseinsvorsorge (Art. 14 AEUV), Energie (Art. 194 AEUV), Tourismus (Art. 195 AEUV), Katastrophenschutz (Art. 196 AEUV) und Verwaltungszusammenarbeit (Art. 197 AEUV). Darüber hinaus weitet er bestehende Zuständigkeiten der Europäischen Union, die vom Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union übernommen werden, inhaltlich aus. Dies betrifft insbesondere die Regelungen zur gemeinsamen Handelspolitik, die den Inhalt der Zuständigkeit auf ausländische Direktinvestitionen und die Natur der Zuständigkeit auf den Handel mit Dienstleistungen und die Handelsaspekte des geistigen Eigentums erstrecken (Art. 207 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchstabe e AEUV). Die Flexibilitätsklausel (Art. 352 AEUV) löst sich von der Beschränkung auf den Gemeinsamen Markt (vgl. jedoch Art. 352 Abs. 3 und Abs. 4 AEUV); ihre Ausübung unterliegt erstmals der Zustimmung des Europäischen Parlaments (Art. 352 Abs. 1 AEUV).
(2) Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der bisherigen „Zweiten Säule” wird in Titel V des Vertrags über die Europäische Union geregelt (siehe auch Art. 40 EUV-Lissabon; Art. 2 Abs. 4 AEUV). Danach gelten besondere Bestimmungen und Verfahren (Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 EUV-Lissabon), welche „die bestehenden Rechtsgrundlagen, die Zuständigkeiten und Befugnisse der einzelnen Mitgliedstaaten in Bezug auf die Formulierung und Durchführung ihrer Außenpolitik […] nicht berühren” (Erklärung Nr. 14 zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik). Beschlüsse werden vom Europäischen Rat und vom Rat grundsätzlich einstimmig gefasst (Art. 31 Abs. 1 EUV-Lissabon). Der Europäische Rat kann über die spezielle Brückenklausel in Art. 31 Abs. 3 EUV-Lissabon jedoch einstimmig einen Beschluss erlassen, in dem vorgesehen ist, dass der Rat in anderen als den in Art. 31 Abs. 2 EUV-Lissabon genannten Fällen mit qualifizierter Mehrheit beschließen kann. Ausgenommen sind Beschlüsse mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen (Art. 31 Abs. 4 EUV-Lissabon). Der Erlass von Gesetzgebungsakten ist ausgeschlossen (Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 2, Art. 31 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 EUV-Lissabon). Das Europäische Parlament wird zu wesentlichen Fragen und Entwicklungen angehört und unterrichtet; auf die gebührende Berücksichtigung seiner Auffassungen ist zu achten (Art. 36 EUV-Lissabon).
Die bereits in Art. 17 EUV angelegte Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird als integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik durch den Vertrag von Lissabon stärker ausformuliert (Art. 42 bis Art. 46 EUV-Lissabon). Der Rat wird zu Beschlüssen über Missionen ermächtigt, „bei deren Durchführung die Union auf zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann” (Art. 43 Abs. 2 EUV-Lissabon). Darüber hinaus wird eine kollektive Beistandspflicht der Mitgliedstaaten eingeführt. Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates „schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen” (Art. 42 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon). Der besondere Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten bleibt davon unberührt (Art. 42 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 2 EUV-Lissabon). Zur Flexibilisierung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik soll die durch den Vertrag von Lissabon erstmals normierte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten beitragen (Art. 42 Abs. 6, Art. 46 EUV-Lissabon; Protokoll Nr. 10 über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit).
(3) Der in der vormals „Dritten Säule” nach den Verträgen von Amsterdam und Nizza allein verbliebene Bereich der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen wird durch den Vertrag von Lissabon in den Anwendungsbereich des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union überführt. Der mit „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts” überschriebene Titel V des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union umfasst nunmehr den gesamten Bereich Justiz und Inneres, der nach dem Vertrag von Maastricht noch vollständig der intergouvernementalen Zusammenarbeit unterlag.
(a) Der Vertrag von Lissabon erweitert die Zuständigkeiten in den einzelnen Politikfeldern des Titels V des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
(aa) Im Rahmen der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ermächtigt der Vertrag von Lissabon die Europäische Union, durch Richtlinien „Mindestvorschriften” im Bereich des Strafverfahrensrechts zu erlassen, „soweit dies zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist” (Art. 82 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV). Diese Vorschriften können die Zulassung von Beweismitteln „auf gegenseitiger Basis”, die Rechte „des Einzelnen” im Strafverfahren, die Rechte der Opfer von Straftaten sowie sonstige spezifische Aspekte des Strafverfahrens betreffen, die zuvor vom Rat durch einstimmigen Beschluss nach Zustimmung des Europäischen Parlaments bestimmt worden sind (Art. 82 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV).
Darüber hinaus weitet der Vertrag von Lissabon die bestehende Zuständigkeit der Europäischen Union für die Rechtsangleichung im Bereich des Strafrechts (vgl. Art. 31 Abs. 1 Buchstabe e EUV) inhaltlich aus. Die Europäische Union wird ermächtigt, durch Richtlinien „Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität” festzulegen, die „aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben” (Art. 83 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV). Die Aufzählung dieser Kriminalitätsbereiche, die von Terrorismus, Menschenhandel, sexueller Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegalem Drogenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln und Computerkriminalität bis hin zu organisierter Kriminalität reicht, ist nicht abschließend. Sie kann „je nach Entwicklung der Kriminalität” durch einen einstimmigen Beschluss des Rates nach Zustimmung des Europäischen Parlaments erweitert werden (Art. 83 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV). Über diese Kompetenz zur Rechtsangleichung im Strafrecht hinaus führt der Vertrag von Lissabon eine strafrechtliche Annexkompetenz der Europäischen Union für alle Gebiete ein, auf denen „Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind”, sofern sich die „Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als unerlässlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union” auf diesen Gebieten erweist (Art. 83 Abs. 2 Satz 1 AEUV).
Schließlich ermöglicht der Vertrag von Lissabon, die Befugnisse von Eurojust, einer rechtsfähigen Agentur der Europäischen Union zur Koordination der nationalen Staatsanwaltschaften bei schwerer grenzüberschreitender Kriminalität (vgl. Beschluss des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl Nr. L 63/1), zu erweitern. Eurojust kann im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren insbesondere die Aufgabe übertragen werden, strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten und zu koordinieren (Art. 85 Abs. 1 UAbs. 2 Buchstabe a AEUV), wobei förmliche Prozesshandlungen den nationalen Strafverfolgungsbehörden vorbehalten bleiben (Art. 85 Abs. 2 AEUV). Ausgehend von Eurojust kann außerdem durch einstimmigen Beschluss des Rates und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments eine Europäische Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union eingesetzt werden (Art. 86 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV). Sie wäre in diesem Fall zuständig für die strafrechtliche Untersuchung und Verfolgung bis hin zur Anklageerhebung vor den nationalen Gerichten (Art. 86 Abs. 2 AEUV).
(bb) Im Rahmen der Polizeilichen Zusammenarbeit kann der grenzüberschreitend tätigen europäischen Polizeibehörde Europol in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nicht nur die Aufgabe übertragen werden, Informationen einzuholen, zu speichern, zu verarbeiten, zu analysieren und auszutauschen (vgl. bereits Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens vom 26. Juli 1995 über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts, ABl Nr. C 316/2), sondern auch die Befugnis, gemeinsam mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder im Rahmen gemeinsamer Ermittlungsgruppen Ermittlungen und operative Maßnahmen zu koordinieren, zu organisieren und durchzuführen (Art. 88 Abs. 2 AEUV). Solche operativen Maßnahmen darf Europol jedoch nur in Verbindung und in Absprache mit den Mitgliedstaaten ergreifen, deren Hoheitsgebiet betroffen ist (Art. 88 Abs. 3 Satz 1 AEUV). Die Anwendung von Zwangsmaßnahmen bleibt ausschließlich den zuständigen nationalen Behörden vorbehalten (Art. 88 Abs. 3 Satz 2 AEUV).
(b) Für die Ausübung der Zuständigkeiten gelten verfahrensrechtliche Sondervorschriften. In verschiedenen Politikfeldern muss die Beschlussfassung im Rat einstimmig erfolgen (vgl. Art. 77 Abs. 3, Art. 81 Abs. 3 UAbs. 1, Art. 86 Abs. 1 UAbs. 1, Art. 87 Abs. 3 UAbs. 1, Art. 89 AEUV).
(aa) Im Bereich der Justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen kann der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einen einstimmigen Beschluss erlassen, durch den die Aspekte des Familienrechts mit grenzüberschreitendem Bezug bestimmt werden, die Gegenstand von Rechtsakten sein können, die gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden (Art. 81 Abs. 3 UAbs. 2 AEUV). Ein solcher Vorschlag wird den nationalen Parlamenten übermittelt, die den Vorschlag innerhalb von sechs Monaten ablehnen können (Art. 81 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV).
(bb) In den Bereichen der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und der Polizeilichen Zusammenarbeit ist neben der Kommission ein Viertel der Mitgliedstaaten initiativberechtigt (Art. 76 Buchstabe b AEUV). Zudem ist die Ausübung einzelner Zuständigkeiten der Europäischen Union mit einem sogenannten Notbremse-Mechanismus verknüpft (Art. 82 Abs. 3, Art. 83 Abs. 3, Art. 86 Abs. 1 UAbs. 2 und UAbs. 3, Art. 87 Abs. 3 UAbs. 2 und UAbs. 3 AEUV; vgl. bereits Art. 23 Abs. 2 UAbs. 2 EUV). Danach kann ein Mitglied des Rates, das der Auffassung ist, dass ein Richtlinienentwurf zur Rechtsangleichung im Bereich des Straf- oder Strafverfahrensrechts „grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung” berührt, beantragen, dass der Europäische Rat befasst wird (Art. 82 Abs. 3 UAbs. 1, Art. 83 Abs. 3 UAbs. 1 AEUV). Im Falle eines Einvernehmens innerhalb dieses Gremiums verweist der Europäische Rat den Entwurf binnen vier Monaten nach Aussetzung des Gesetzgebungsverfahrens an den Rat zurück. Sofern kein Einvernehmen erzielt wird, gelten erleichterte Bedingungen für eine verstärkte Zusammenarbeit. Sofern mindestens neun Mitgliedstaaten eine verstärkte Zusammenarbeit auf der Grundlage des Entwurfs begründen möchten, gilt die Ermächtigung nach Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat und die Kommission (Art. 20 Abs. 2 EUV-Lissabon; Art. 329 AEUV) als erteilt (Art. 82 Abs. 3 UAbs. 2, Art. 83 Abs. 3 UAbs. 2 AEUV). Ein leicht abgewandelter „Notbremse-Mechanismus” gilt für die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft und den Erlass von Maßnahmen, welche die operative Zusammenarbeit zwischen nationalen Polizei-, Zoll- und anderen Strafverfolgungsbehörden betreffen. Danach kann eine Gruppe von mindestens neun Mitgliedstaaten beantragen, dass der Europäische Rat mit einem Entwurf eines Gesetzgebungsakts befasst wird, sofern keine Einstimmigkeit im Rat darüber erzielt wird (Art. 86 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 2, Art. 87 Abs. 3 UAbs. 2 Satz 1 AEUV).
i) Die der Schlussakte zum Vertrag von Lissabon beigefügte Erklärung Nr. 17 zum Vorrang lautet:
Die Konferenz weist darauf hin, dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben.
Darüber hinaus hat die Konferenz beschlossen, dass das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates zum Vorrang in der Fassung des Dokuments 11197/07 (JUR 260) dieser Schlussakte beigefügt wird:
„Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates vom 22. Juni 2007
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Vorrang des EG-Rechts einer der Grundpfeiler des Gemeinschaftsrechts. Dem Gerichtshof zufolge ergibt sich dieser Grundsatz aus der Besonderheit der Europäischen Gemeinschaft. Zum Zeitpunkt des ersten Urteils im Rahmen dieser ständigen Rechtsprechung (Rechtssache 6/64, Costa gegen ENEL, 15. Juli 1964(¹) war dieser Vorrang im Vertrag nicht erwähnt. Dies ist auch heute noch der Fall. Die Tatsache, dass der Grundsatz dieses Vorrangs nicht in den künftigen Vertrag aufgenommen wird, ändert nichts an der Existenz und an der bestehenden Rechtsprechung des Gerichtshofs.
¹ Aus (…) folgt, dass dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht wegen dieser seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll.”
4. Der Deutsche Bundestag beschloss am 24. April 2008 mit 515 von 574 abgegebenen Stimmen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon (BTPlenarprot 16/157, S. 16483 A). Der Bundesrat stimmte am 23. Mai 2008 dem Zustimmungsgesetz mit Zweidrittelmehrheit zu (BRPlenarprot 844, S. 136 B). Der Bundespräsident fertigte am 8. Oktober 2008 das Zustimmungsgesetz aus. Es ist im Bundesgesetzblatt Teil II vom 14. Oktober 2008 verkündet worden (S. 1038 ff.) und trat am darauf folgenden Tag in Kraft (Art. 2 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes).
5. Der Deutsche Bundestag beschloss am 24. April 2008 ferner die Begleitgesetzgebung, das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93) (Änderungsgesetz – BTPlenarprot 16/157, S. 16477 A) sowie das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (Ausweitungsgesetz – BTPlenarprot 16/157, S. 16482 D). Der Bundesrat stimmte am 23. Mai 2008 beiden Gesetzen zu (BRPlenarprot 844, S. 136 D).
a) Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93) vom 8. Oktober 2008 ist im Bundesgesetzblatt I vom 16. Oktober 2008 (S. 1926) verkündet worden und tritt an dem Tag in Kraft, an dem der Vertrag von Lissabon nach seinem Art. 6 Abs. 2 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft tritt (Art. 2 des Änderungsgesetzes).
Art. 23 Abs. 1a GG n.F. hat nach Art. 1 Nr. 1 des Änderungsgesetzes folgenden Wortlaut:
Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.
Art. 45 GG wird um folgenden Satz ergänzt (Art. 1 Nr. 2 des Änderungsgesetzes):
Er kann ihn auch ermächtigen, die Rechte wahrzunehmen, die dem Bundestag in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind.
In Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG werden die Wörter „eines Drittels” durch die Wörter „eines Viertels” ersetzt (Art. 1 Nr. 3 des Änderungsgesetzes).
b) Das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (BTDrucks 16/8489) ist noch nicht ausgefertigt und verkündet worden, weil es die Änderung der Art. 23 und Art. 45 GG inhaltlich voraussetzt und das Inkrafttreten des verfassungsändernden Gesetzes zunächst abgewartet werden muss (vgl. BVerfGE 34, 9 ≪22 ff.≫; 42, 263 ≪283 ff.≫). Es wird am Tag nach der Verkündung, frühestens jedoch einen Tag nach dem Tag in Kraft treten, an dem das Änderungsgesetz in Kraft getreten ist (Art. 3 des Ausweitungsgesetzes).
Art. 1 des Ausweitungsgesetzes enthält das Gesetz über die Ausübung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates aus dem Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Es soll die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte schaffen, die dem Bundestag und dem insoweit als Kammer eines nationalen Parlaments anzusehenden Bundesrat durch den Vertrag von Lissabon eingeräumt werden (BTDrucks 16/8489, S. 7). Dabei handelt es sich um das Recht, eine begründete Stellungnahme nach Art. 6 Abs. 1 des Subsidiaritätsprotokolls („Subsidiaritätsrüge”) abzugeben (Art. 1 § 2 des Ausweitungsgesetzes), das Recht, über die Bundesregierung Klage wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 8 des Subsidiaritätsprotokolls („Subsidiaritätsklage”) zu erheben (Art. 1 § 3 des Ausweitungsgesetzes), und das Recht, den Entwurf eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union nach Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon und Art. 81 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV abzulehnen (Art. 1 § 4 des Ausweitungsgesetzes).
Art. 1 § 2 des Ausweitungsgesetzes legt in Absatz 1 im Wesentlichen fest, dass die Bundesregierung Bundestag und Bundesrat zu Entwürfen von Gesetzgebungsakten der Europäischen Union „frühestmöglich”, spätestens jedoch zwei Wochen nach Beginn der Achtwochenfrist, eine ausführliche Unterrichtung übermittelt. Absatz 2 ermächtigt Bundestag und Bundesrat, die Beschlussfassung bei der Subsidiaritätsrüge geschäftsordnungsrechtlich zu regeln. Absatz 3 bestimmt, dass der Präsident des Bundestages beziehungsweise des Bundesrates einen solchen Beschluss an die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission übermittelt und die Bundesregierung darüber in Kenntnis setzt.
Art. 1 § 3 des Ausweitungsgesetzes regelt das Verfahren der Subsidiaritätsklage. Der Bundestag ist insbesondere nach Absatz 2 in Anlehnung an Art. 44 Abs. 1 Satz 1 und Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG n.F. auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder zur Klageerhebung verpflichtet; der Bundesrat kann nach Absatz 3 in seiner Geschäftsordnung regeln, wie die Beschlussfassung zur Subsidiaritätsklage herbeizuführen ist. Die Bundesregierung übermittelt die Klage im Namen des Organs, das über ihre Erhebung beschlossen hat, nach Absatz 4 „unverzüglich” an den Gerichtshof der Europäischen Union.
Art. 1 § 4 des Ausweitungsgesetzes regelt in Absatz 3 das Zusammenwirken von Bundestag und Bundesrat bei der Ausübung des Ablehnungsrechts nach Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon unter Berücksichtigung der innerstaatlichen Aufgabenverteilung:
- Wenn bei einer Initiative im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes betroffen sind, wird die Initiative abgelehnt, wenn es der Bundestag mit einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschließt.
- Wenn bei einer Initiative im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, wird die Initiative abgelehnt, wenn es der Bundesrat mit der Mehrheit seiner Stimmen beschließt.
- In allen anderen Fällen können der Bundestag oder der Bundesrat innerhalb von vier Monaten nach Übermittlung der Initiative des Europäischen Rates die Ablehnung dieser Initiative beschließen. In diesen Fällen wird die Initiative nur abgelehnt, wenn ein solcher Beschluss nicht spätestens zwei Wochen vor Ablauf der Frist von sechs Monaten gemäß Artikel 48 Abs. 7 Unterabsatz 3 Satz 2 des Vertrags über die Europäische Union vom jeweils anderen Organ zurückgewiesen wird. Eine Initiative wird auch dann nicht abgelehnt, wenn ein Organ den Beschluss des anderen Organs in dieser Frist zurückweist, sofern es der Auffassung ist, dass ein Fall der Nummer 1 oder der Nummer 2 nicht vorliegt. Hat der Bundestag den Beschluss über die Ablehnung der Initiative mit einer Mehrheit von zwei Dritteln gefasst, so bedarf die Zurückweisung durch den Bundesrat einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Stimmen. Hat der Bundesrat den Beschluss über die Ablehnung der Initiative mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln seiner Stimmen gefasst, so bedarf die Zurückweisung durch den Bundestag einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages.
Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 gilt nach Absatz 6 entsprechend für die Ausübung des Ablehnungsrechts nach Art. 81 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV. Absatz 4 bestimmt, dass die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates gemeinsam einen nach Absatz 3 zustande gekommenen Beschluss an die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission übermitteln und die Bundesregierung darüber in Kenntnis setzen.
Art. 1 § 5 des Ausweitungsgesetzes ermöglicht es dem Plenum des Bundestages, den von ihm nach Art. 45 GG bestellten Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu ermächtigen, die Rechte des Bundestages nach Art. 1 des Ausweitungsgesetzes wahrzunehmen. Im Hinblick auf die vorgesehenen Anforderungen an die Beschlussfassung sollen jedoch das Recht, über die Bundesregierung Subsidiaritätsklage zu erheben (Art. 1 § 3 Abs. 2 des Ausweitungsgesetzes), und das Ablehnungsrecht (Art. 1 § 4 Abs. 3 des Ausweitungsgesetzes) nicht delegierbar sein (BTDrucks 16/8489, S. 8). Art. 1 § 6 des Ausweitungsgesetzes legt fest, dass Einzelheiten der Unterrichtungen nach diesem Gesetz in der Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung nach § 6 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 28. September 2006 (BGBl I S. 2177) und der Vereinbarung zwischen Bundesregierung und den Ländern nach § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union geregelt werden.
Art. 2 des Ausweitungsgesetzes enthält Änderungen anderer Gesetze, insbesondere der beiden letztgenannten Gesetze.
6. Der Vertrag von Lissabon bedarf der völkerrechtlichen Ratifikation durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 des Vertrags von Lissabon). Die Ratifikationsurkunden sind bei der Regierung der Italienischen Republik zu hinterlegen (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 des Vertrags von Lissabon).
Nachdem die Beschwerdeführer zu III., IV. und V. und die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt hatten, um eine völkerrechtliche Bindung der Bundesrepublik Deutschland an den Vertrag von Lissabon durch Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zu verhindern, erklärte der Bundespräsident durch den Chef des Bundespräsidialamts, er werde die Ratifikationsurkunde nicht ausfertigen, bis das Bundesverfassungsgericht abschließend über das Verfahren in der Hauptsache entschieden habe.
II.
1. Die Beschwerdeführer in den Verfassungsbeschwerdeverfahren wenden sich gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu III. und VI. betreffen darüber hinaus das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93) sowie das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union.
a) Die Beschwerdeführer tragen übereinstimmend vor, sie seien in ihrem Recht aus Art. 38 GG verletzt. Art. 38 GG gewähre ihnen als wahlberechtigten Deutschen das subjektive Recht, an der Wahl des Deutschen Bundestages teilzunehmen, dadurch an der Legitimation der Staatsgewalt auf Bundesebene mitzuwirken und ihre Ausübung zu beeinflussen. Mit der im Zustimmungsgesetz vorgenommenen Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union werde in dieses Recht eingegriffen, weil die Legitimation und die Ausübung von Staatsgewalt ihrem Einfluss entzogen werde. Der Eingriff überschreite die Grenzen der Integrationsermächtigung nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG und sei deshalb nicht gerechtfertigt. Es werde das Demokratieprinzip verletzt, soweit es nach Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG unantastbar sei, und zwar in zweierlei Hinsicht: durch Aushöhlung der Kompetenzen des Deutschen Bundestages einerseits und durch mangelnde demokratische Legitimation der Europäischen Union andererseits.
aa) Der Beschwerdeführer zu III. rügt die Verletzung des Demokratieprinzips unter beiden Aspekten. Soweit er die Aushöhlung der Kompetenzen des Deutschen Bundestages geltend macht, trägt er vor, dass die Europäische Union keine sektorale Wirtschaftsgemeinschaft mehr sei. Sie habe vielmehr Aufgaben in allen politisch relevanten Lebensbereichen übernommen und könne verbleibende Kompetenzlücken selbst schließen. Im Hinblick auf die demokratische Legitimation der Europäischen Union führt er aus, dass das europäische Demokratiedefizit durch den Vertrag von Lissabon nicht verringert, sondern verschärft werde. Der Rat könne nicht mehr hinreichende, von den Staatsvölkern der Mitgliedstaaten abgeleitete demokratische Legitimität vermitteln. Die Legitimitätskette zu den nationalen Parlamenten werde insbesondere durch das als Regelfall zur Anwendung kommende Mehrheitsprinzip unterbrochen. Auch die Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips sei nicht mehr zu rechtfertigen. Einmal beschlossene Rechtsakte könnten nicht mehr aufgehoben werden, solange nur ein einziger Staat an dem Rechtsakt festhalten wolle. Das Europäische Parlament sei ungeachtet seiner Stärkung solange nicht demokratisch legitimiert, wie es nicht auf der Grundlage demokratischer Gleichheit gewählt werde.
Außerdem verstoßen nach Ansicht des Beschwerdeführers zu III. zahlreiche Einzelvorschriften des Vertrags von Lissabon gegen das Demokratieprinzip. Hierzu rechnet er erstens Art. 14 Abs. 2 EUV-Lissabon, der das Unionsvolk als Gesamtheit der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger gleichberechtigt neben die Völker der Mitgliedstaaten als Legitimationsquelle der Europäischen Union stelle und damit ein neues Subjekt demokratischer Legitimation konstituiere, zweitens Vorschriften wie Art. 48 Abs. 6 EUV-Lissabon und Art. 311 AEUV, die Änderungen der Verträge ohne Zustimmung des Deutschen Bundestages ermöglichten, drittens Regelungen wie Art. 48 Abs. 7 EUV-Lissabon, die den Übergang von vertraglich vorgesehenen Entscheidungen mit Einstimmigkeit zu Mehrheitsentscheidungen im Rat gestatteten, ohne dass der Deutsche Bundestag ausreichend an diesem Übergang mitwirke, sowie viertens die nunmehr nahezu universell anwendbare Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV.
bb) Der Beschwerdeführer zu IV. trägt vor, dass die „Schwelle zur Bedeutungslosigkeit der originären deutschen Gesetzgebungszuständigkeiten” mit den durch den Vertrag von Lissabon übertragenen Hoheitsrechten auf die Europäische Union überschritten werde. Es komme zu einem „Ausverkauf ureigenster staatlicher Befugnisse”. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik werde supranationalisiert, weil Maßnahmen auf diesem Gebiet der mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Europäischen Union zugerechnet würden, die auf internationaler Ebene nicht mehr durch die Außenminister der Mitgliedstaaten, sondern durch den Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik vertreten werde. Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik schlage gezielt den Weg zu einer „europäischen Verteidigung unter europäischer Flagge” ein. Die Mitgliedstaaten seien zur Aufrüstung gezwungen. Auch werde die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen supranationalisiert. Die Flexibilitätsklausel ermögliche schließlich eine Vertragsänderung ohne förmliches Änderungsverfahren.
Der Beschwerdeführer zu IV. macht zugleich die mangelnde demokratische Legitimation der Europäischen Union geltend. Der Vertrag von Lissabon werte zwar die Kompetenzen des Europäischen Parlaments stark auf. Dies könne die Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Europäische Union aber nur dann legitimieren, wenn die Wahlgleichheit gewahrt wäre. Bevölkerungsarme Mitgliedstaaten erhielten jedoch im Vergleich zu bevölkerungsreichen Mitgliedstaaten nach wie vor überproportional viele Stimmen.
cc) Die Beschwerdeführer zu V. rügen allein die mangelnde demokratische Legitimation der Europäischen Union. Sie sind der Auffassung, dass der Ausweitung der Kompetenzen keine Schritt haltende Erweiterung oder Vertiefung der demokratischen Legitimation der Europäischen Union entspreche. Dabei hänge das geforderte Niveau der demokratischen Legitimation nicht von der Staatsqualität der Europäischen Union ab, sondern bestimme sich nach dem Umfang der Kompetenzen der Europäischen Union und der Grundrechtsrelevanz europäischer Entscheidungen. Die Beschwerdeführer zu V. tragen vor, dass die Ausübung der Hoheitsrechte der Europäischen Union nicht ausreichend durch die nationalen Parlamente legitimiert werde. Die durch den Vertrag von Lissabon übertragenen Einzelermächtigungen seien nicht hinreichend bestimmt; die Subsidiaritätsrüge berechtige die nationalen Parlamente nur dazu, Entwürfe eines Gesetzgebungsakts auf europäischer Ebene zu rügen. Sie ermögliche es ihnen aber nicht, Entwürfe zum Scheitern zu bringen, wie auch Vertragserweiterungen ohne Beteiligung der nationalen Parlamente möglich seien.
Die Ausübung der Hoheitsrechte der Europäischen Union werde zudem nicht ausreichend durch die europäischen Institutionen legitimiert. Der Rat könne von vornherein nur beschränkte Legitimation vermitteln. Das Demokratieprinzip gebiete, dass wesentliche Entscheidungen durch das Parlament verabschiedet würden. Die im demokratischen Staat entscheidende Rückkopplung zwischen Staatsorganen und Volk erschöpfe sich nicht in dem nur in Abständen wiederkehrenden Akt der Wahl des Parlaments. Die staatliche Willensbildung lasse sich vielmehr beschreiben als ein Prozess, in den die unterschiedlichen Meinungen, Weltanschauungen und Interessen des Volkes einflössen. Der Rat als Vertreter nationaler Interessen könne diese Funktion nur unzureichend erfüllen. Er sei erstens nicht Repräsentativorgan, das heißt die Willensbildung des Volkes werde so stark gefiltert und personell verringert, dass die dem Parlament zukommende beratende Funktion nur eingeschränkt wahrgenommen werden könne. Zweitens finde sich die nationale Opposition im Rat nicht wieder. Auch das Europäische Parlament legitimiere die Ausübung der Hoheitsrechte der Europäischen Union nicht ausreichend, da das Prinzip der Stimmengleichheit bei der Wahl des Europäischen Parlaments nicht gelte und das Europäische Parlament weder die Kommission in ausreichendem Maße legitimiere noch das Niveau der Legitimation europäischer Entscheidungen dem vom Demokratieprinzip geforderten und dem von den entwickelten demokratischen Staaten akzeptierten Niveau demokratischer Gesetzgebung entspreche. Das zum „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren” umbenannte Verfahren der Mitentscheidung werde nur vordergründig zum Regelverfahren, weil sich in den einzelnen Politikbereichen zahlreiche Sondervorschriften fänden, die abweichende Verfahrensregelungen träfen. Wesentliche, in Grundrechte eingreifende Entscheidungen – etwa in den Anwendungsbereichen der Art. 87 Abs. 3, Art. 89, Art. 113 AEUV – könnten ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments getroffen werden.
Der Vertrag von Lissabon verletze schließlich das demokratische Prinzip wechselnder Mehrheiten. Zum demokratischen Prozess gehöre der Wettbewerb um die politische Macht, also das Wechselspiel von Minderheit und Mehrheit. Dieser Wettbewerb finde jedoch auf europäischer Ebene nicht statt. Die europäischen Institutionen seien nicht um die Zentralität des politischen Konflikts angeordnet. Die Unerkennbarkeit politischer Konfliktlinien führe zu politischer Apathie in Form von Enthaltungen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament.
dd) Die Beschwerdeführer zu VI. machen ebenfalls geltend, dass die demokratischen Grundlagen der Europäischen Union nicht mit dem Integrationsprozess Schritt gehalten hätten. Sie fordern das Bundesverfassungsgericht auf, im Lichte bereits übertragener und noch zu übertragender Hoheitsrechte zu prüfen, ob die in seinem Urteil zum Vertrag von Maastricht (vgl. BVerfGE 89, 155 ff.) niedergelegten Erwartungen an die rechtsstaatlich-demokratische Entwicklung der Europäischen Union erfüllt worden seien. Die Beschwerdeführer zu VI. behaupten, dass dies nicht der Fall sei. Die Rechtssetzungs- und Entscheidungspraxis der Kommission habe sich zu einem „Regime der Selbstermächtigung” entwickelt. Der Stabilitätspakt werde durch die in der Vergangenheit gewährten Ausnahmeregelungen seiner Substanz beraubt. Es sei daher unmöglich, noch länger von einer Zustimmung Deutschlands zur Europäischen Währungsunion zu sprechen.
Der Vertrag von Lissabon mache die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Rat ferner zur Regel und entleere auf diese Weise die Kompetenzen des Deutschen Bundestages. Die im Subsidiaritätsprotokoll vorgesehenen Verfahren zur Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips seien wegen der strukturellen Überforderung der nationalen Parlamente nicht geeignet, den Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit wirksam Geltung zu verschaffen. Die Verfahren liefen außerdem darauf hinaus, dass kleinere Mitgliedstaaten bei der Anzahl der begründeten Stellungnahmen nationaler Parlamente, die zu einer Überprüfung des Entwurfs eines Gesetzgebungsakts verpflichten (Art. 7 des Subsidiaritätsprotokolls), im gleichen Umfang berücksichtigt würden wie Deutschland. Das Ablehnungsrecht der nationalen Parlamente im Rahmen des Brückenverfahrens gewähre ebenfalls keine Sicherung der demokratischen Zustimmung, und die Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs der Flexibilitätsklausel führe zu einer „entgrenzten Kompetenz-Erweiterungskompetenz”.
Dahinstehen kann nach Ansicht der Beschwerdeführer zu VI. allerdings, ob die Verteilung der Abgeordneten im Europäischen Parlament mit dem Prinzip demokratischer Repräsentativität vereinbar ist. Entscheidend sei vielmehr, dass das Europäische Parlament nicht die Möglichkeit habe, dem Initiativmonopol der Kommission mit der Befugnis entgegenzutreten, die Kommission zur Unterlassung von legislativen Initiativen zu veranlassen. Darüber hinaus relativiere die Zuständigkeit der Kommission für die tertiäre Rechtssetzung das Mitentscheidungsrecht des Europäischen Parlaments im Rahmen der Rechtssetzung (vgl. Art. 290 f. AEUV).
b) Die Beschwerdeführer zu III. und IV. sind außerdem der Auffassung, dass das Zustimmungsgesetz zum Verlust der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland führt. Sie stützen diese Rüge ebenfalls auf Art. 38 GG.
aa) Nach Auffassung des Beschwerdeführers zu III. ist die Grenze dessen, was der Grundsatz der souveränen Staatlichkeit an Übertragung von Hoheitsrechten noch zulasse, mit dem Vertrag von Lissabon überschritten. Die Europäische Union werde Völkerrechtssubjekt und könne auf der völkerrechtlichen Ebene wie ein Staat agieren. Sie verfüge über einen außenpolitischen Apparat, der quasistaatlichen Charakter nach außen habe, sowie über weitreichende außenpolitische Kompetenzen. Das Unionsrecht besitze uneingeschränkten Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten, auch vor dem Grundgesetz, mit der Konsequenz, dass die Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht ausgeschaltet sei. Die Europäische Union verfüge über eine Kompetenz-Kompetenz (Art. 48 Abs. 6 und Abs. 7 EUV-Lissabon; Art. 311, Art. 352 AEUV) und sei mit den Zuständigkeiten für die innere Sicherheit und die Strafverfolgung in Kerngebiete der Staatlichkeit vorgedrungen. Diesem Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten stehe weder das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das keine effektiv begrenzende Funktion mehr habe, noch das Subsidiaritätsprinzip entgegen. Abhilfe schaffen könnte hier nur die konkrete Ausgestaltung in Form abschließender, begrenzter Kompetenzen oder negativer Kompetenzkataloge sowie die Einrichtung eines unabhängigen Überwachungsorgans, etwa eines Kompetenzkonfliktgerichtshofs.
Neben der Staatsgewalt verfüge die Europäische Union auch über ein Staatsgebiet, nämlich den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, sowie ein Staatsvolk. Das Europäische Parlament setze sich nicht mehr aus Vertretern der Staatsvölker der Mitgliedstaaten, sondern aus Vertretern der Unionsbürger zusammen. Die Entwicklung der Europäischen Union zu einem Bundesstaat überschreite die Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland. Eine für eine solche Integration nötige Grundlage könne nur ein Verfassungsgesetz bilden, das sich das deutsche Volk nach Maßgabe des Art. 146 GG geben müsse.
bb) Nach Ansicht des Beschwerdeführers zu IV. ist das durch den Vertrag von Lissabon geschaffene Gemeinwesen faktisch kein völkervertraglicher Staatenverbund mehr. Vielmehr handele es sich um „einen großen Bund mit eigener Rechtssubjektivität”, der auftrete wie ein eigener Staat – mit eigenen Gesetzgebungsorganen, eigenen Behörden und eigener Unionsbürgerschaft. Die Zuständigkeit zur Rechtsangleichung des Straf- und Strafverfahrensrechts betreffe einen Kernbestand staatlicher Hoheitsgewalt, da die Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch nichts stärker verkörpert werde als durch das Recht, materielles Strafrecht zu gestalten und prozessual durchzusetzen. Auch die Frage, ob und wie sich ein Staat verteidige, sei ein entscheidender Aspekt der Staatsqualität eines Staates.
c) Die Beschwerdeführer zu IV., V. und VI. rügen auf der Grundlage von Art. 38 GG ferner die Verletzung weiterer Staatsstrukturprinzipien durch das Zustimmungsgesetz.
aa) Der Beschwerdeführer zu IV. macht eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips geltend, soweit es von Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG für unantastbar erklärt werde. Angesichts der umfangreichen Zuständigkeiten der Europäischen Union sei die grundrechtliche Kontrolle auf europäischer Ebene unzureichend. Der Vertrag von Lissabon habe insbesondere keine Grundrechtsklage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union eingeführt.
bb) Nach Auffassung der Beschwerdeführer zu V. werden die demokratischen, sozialpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages durch den Vertrag von Lissabon insofern beschränkt, als die Europäische Union auf eine wettbewerbsorientierte „offene Marktwirtschaft” festgelegt werde. Zwar enthalte das Grundgesetz keine Festlegung auf eine bestimmte Wirtschaftsordnung. Das Sozialstaatsprinzip verpflichte den Gesetzgeber jedoch, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze zu sorgen, wenn es ihm dabei auch einen weiten Spielraum belasse. Durch angeblich wettbewerbsfördernde europäische Rechtssetzung und Rechtsprechung könne das Sozialstaatsprinzip entgegen Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG ausgehebelt werden. So besitze die Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon umfangreiche Kompetenzen in allen wirtschaftspolitischen Fragen, nicht aber im Bereich des Steuerrechts und der sozialen Sicherung. Das Streikrecht gelte nach jüngeren Urteilen des Gerichtshofs nur dann, wenn durch dessen Wahrnehmung die Grundfreiheiten nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2007, Rs. C-438/05, Viking, Slg. 2007, S. I-10779 Rn. 90; EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2007, Rs. C-341/05, Laval, Slg. 2007, S. I-11767 Rn. 111).
cc) Die Beschwerdeführer zu VI. rügen eine Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips. In dem Maße, in dem die auf die Europäische Union übertragenen Hoheitsrechte quantitativ zunähmen, müssten die qualitativen Anforderungen an die binnenrechtliche Organisation der Europäischen Union unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung steigen. Mit Ausnahme des Gerichtshofs der Europäischen Union, dem eindeutig eine judikative Funktion zugewiesen sei, würden in den übrigen Unionsorganen exekutive und legislative Funktionen miteinander vermengt. Das Europäische Parlament verfüge im Gegensatz zur Kommission über kein Initiativrecht, sondern nur über Mitentscheidungsrechte im Bereich der Rechtssetzung.
d) Die Beschwerdeführer zu III. und V. erheben weitere, das Zustimmungsgesetz betreffende Rügen, die nicht auf Art. 38 GG, sondern auf andere Vorschriften des Grundgesetzes gestützt werden.
aa) Der Beschwerdeführer zu III. rügt in seiner Beschwerdeschrift vom 23. Mai 2008 eine Verletzung von Art. 20 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 GG. In seinem Schriftsatz vom 21. Oktober 2008 nimmt er diese Rüge – soweit Art. 2 Abs. 1 GG auf die Verletzung objektiver Verfassungsprinzipien bezogen worden sei – teilweise zurück und macht zusätzlich eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 3, Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3, Art. 8 bis Art. 14, Art. 16, Art. 19 Abs. 4, Art. 101, Art. 103 und Art. 104 GG geltend.
(1) Aus Art. 20 Abs. 4 GG ergebe sich ein dem Widerstandsrecht vorgelagertes Recht, das sich gegen alle Handlungen richte, die die nach Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlichen Verfassungsgrundlagen ganz oder teilweise beseitigten. Eine auf dieses Recht gestützte Verfassungsbeschwerde sei gegenüber Verfassungsbeschwerden, die auf andere Grundrechte gestützt würden, nicht subsidiär. Zwar seien Art. 38 und Art. 20 Abs. 4 GG verletzt, wenn die sich aus dem Demokratieprinzip und dem Grundsatz der souveränen Staatlichkeit ergebenden Grenzen der Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union überschritten würden. Allerdings führe die Verletzung der anderen durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsprinzipien, insbesondere des Gewaltenteilungsprinzips, allein zur Verletzung von Art. 20 Abs. 4 GG. Das Zustimmungsgesetz unterschreite das nach Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 GG erforderliche Mindestmaß an Gewaltenteilung, welches im Anwendungsbereich des Art. 23 GG beachtet werden müsse. Die Bundesregierung dominiere den Deutschen Bundestag auf der europäischen Ebene in der Rechtssetzungsfunktion. Sie könne als Teil des Rates höherrangiges Recht setzen, welches das vom Deutschen Bundestag erlassene Recht verdränge. Mit diesem „Spiel über die Bande” könne die Bundesregierung das Parlament umgehen und über die europäische Ebene Vorschriften durchsetzen, für die sie im Bundestag keine Mehrheit bekomme.
Der Beschwerdeführer zu III. ist der Ansicht, dass „andere Abhilfe” im Sinne von Art. 20 Abs. 4 GG vom Bundesverfassungsgericht im Wege der Verfassungsbeschwerde zu gewähren sei. Art. 20 Abs. 4 GG könne aber auch dahingehend ausgelegt werden, dass die Vorschrift einen außerordentlichen Rechtsbehelf im Sinne eines „Rechts auf andere Abhilfe” garantiere, das in Analogie zum Verfassungsbeschwerdeverfahren zu gewähren sei.
(2) Die Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 3, Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3, Art. 8 bis Art. 14, Art. 16, Art. 19 Abs. 4, Art. 101, Art. 103 und Art. 104 GG begründet der Beschwerdeführer zu III. mit der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta nach dem Vertrag von Lissabon. Diese führe nicht nur dazu, dass die Menschenwürde im Rahmen der Europäischen Union der Abwägung mit anderen Rechtsgütern, insbesondere mit den wirtschaftlichen Grundfreiheiten, unterworfen werde. Die Grundrechtecharta dispensiere die deutschen Staatsorgane darüber hinaus weitgehend von der Verpflichtung zur Beachtung der Grundrechte des Grundgesetzes nicht nur in den Bereichen, in denen sie zwingende Vorschriften des Unionsrechts ausführten, sondern auch dort, wo sie nicht an Unionsrecht gebunden seien. Schließlich beseitige die Grundrechtecharta die Garantenstellung, die das Bundesverfassungsgericht für den Grundrechtsschutz gemäß der sogenannten Solange II-Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 73, 339 ff.) innehabe.
bb) Die Beschwerdeführer zu V. rügen ebenfalls eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG. Sie sind der Auffassung, dass dem Vertrag von Lissabon im Hinblick auf den allgemeinen Gesetzesvorbehalt nach Art. 52 Abs. 1 GRCh eine vertragliche Klarstellung fehle, wonach die Menschenwürde nicht mit anderen Rechtsgütern, insbesondere mit den wirtschaftlichen Grundfreiheiten, abgewogen werden dürfe.
e) Die Beschwerdeführer zu III. und VI. tragen weiter vor, dass die Begleitgesetzgebung, das Änderungsgesetz sowie das Ausweitungsgesetz, sie in ihren Rechten aus Art. 38 GG verletze. Der Beschwerdeführer zu III. rügt darüber hinaus Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 4 GG.
aa) Der Beschwerdeführer zu III. beantragt in seiner Beschwerdeschrift vom 23. Mai 2008 zunächst festzustellen, dass die Begleitgesetzgebung ihn als solche in Art. 38 GG verletzt. In seinem Schriftsatz vom 21. Oktober 2008 beschränkt er seinen Antrag auf einzelne Bestimmungen der Begleitgesetzgebung, nämlich Art. 1 Nr. 1 und Nr. 2 des Änderungsgesetzes und Art. 1 § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 6 sowie § 5 des Ausweitungsgesetzes. Die Beschwerdeführer zu VI. beschränken ihren Antrag ebenfalls auf die genannten Vorschriften.
bb) Die Beschwerdeführer zu III. und VI. legen übereinstimmend dar, dass Art. 1 Nr. 1 des Änderungsgesetzes und Art. 1 § 3 Abs. 2 des Ausweitungsgesetzes das demokratische Mehrheitsprinzip verletzten, weil der Deutsche Bundestag gezwungen werde, gegen den Willen der Mehrheit Subsidiaritätsklage zu erheben. Art. 1 § 4 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 6 des Ausweitungsgesetzes seien ebenfalls nicht mit dem Demokratieprinzip, soweit Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG es für unantastbar erkläre, vereinbar. Dem Deutschen Bundestag werde das Ablehnungsrecht nach Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon in den Fällen genommen, in denen sich der Schwerpunkt der Initiative des Europäischen Rates auf die konkurrierende Gesetzgebung beziehe oder in denen sich ein Schwerpunkt nicht eindeutig feststellen lasse. Art. 1 Nr. 2 des Änderungsgesetzes und Art. 1 § 5 des Ausweitungsgesetzes verletzten das Prinzip der demokratischen Repräsentation schließlich dadurch, dass die durch den Vertrag von Lissabon eingeführten Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages auf den Europaausschuss übertragen werden könnten.
Der Beschwerdeführer zu III. trägt vor, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Maastricht schließe es zumindest nicht aus, dass sich aus Art. 38 GG auch ein subjektives Recht auf Beachtung des Demokratieprinzips innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ergebe. Das Recht bestehe jedenfalls soweit, als das durch Art. 38 GG garantierte Recht auf Teilhabe an der demokratischen Legitimation der Staatsgewalt mittelbar betroffen sei. Die Beschwerdeführer zu VI. argumentieren, dass sich die Beschwerdebefugnis für die Begleitgesetzgebung aus dem Sachzusammenhang ergebe. Ohne das Zustimmungsgesetz entfalle der Sinn der Begleitgesetzgebung. Zustimmungsgesetz und Begleitgesetzgebung müssten deshalb verfassungsprozessual als Einheit betrachtet werden. Hieraus folge unter anderem, dass die Begleitgesetzgebung ebenso wie das Zustimmungsgesetz ausnahmsweise bereits vor Ausfertigung und Verkündung angegriffen werden könnte.
cc) Der Beschwerdeführer zu III. macht in seiner Beschwerdeschrift vom 23. Mai 2008 schließlich eine Verletzung von Art. 20 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 GG durch die Begleitgesetzgebung geltend. In seinem Schriftsatz vom 21. Oktober 2008 beschränkt er seinen Antrag auf einzelne Bestimmungen der Begleitgesetzgebung, nämlich Art. 1 Nr. 1 und Nr. 2 des Änderungsgesetzes und Art. 1 § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 6 sowie § 5 des Ausweitungsgesetzes, und nimmt von seiner Rüge einer Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG Abstand. Zur Begründung führt er aus, dass die Unvereinbarkeit der genannten Bestimmungen der Begleitgesetzgebung mit dem Demokratieprinzip auch über Art. 20 Abs. 4 GG geltend gemacht werden könne.
2. Die Antragsteller in den Organstreitverfahren greifen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon, der Antragsteller zu I. zusätzlich die Begleitgesetzgebung an.
a) Der Antragsteller zu I. ist Abgeordneter des Deutschen Bundestages und zugleich der Beschwerdeführer zu III. Er beantragt in seiner Antragsschrift vom 23. Mai 2008 zunächst festzustellen, dass das Zustimmungsgesetz und die Begleitgesetzgebung gegen das Grundgesetz, insbesondere gegen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 2 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 sowie Art. 23 Abs. 1 GG, verstoßen und nichtig sind. Als Antragsgegner benennt er den Bundespräsidenten, den Deutschen Bundestag und die Bundesrepublik Deutschland. In seinem Schriftsatz vom 21. Oktober 2008 fasst er den Antrag neu. Er beantragt nunmehr festzustellen, dass das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon, Art. 1 Nr. 1 und Nr. 2 des Änderungsgesetzes und Art. 1 § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 6 sowie § 5 des Ausweitungsgesetzes gegen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 23 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen und den Antragsteller in seinen Rechten aus Art. 38 Abs. 1 GG verletzen. Von der Rüge eines Verstoßes auch gegen Art. 2 Abs. 1 GG nimmt er Abstand. Als Antragsgegner werden der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung genannt.
Der Antragsteller zu I. trägt vor, dass er als Abgeordneter des Deutschen Bundestages durch das Zustimmungsgesetz und durch die Begleitgesetzgebung in seinem Statusrecht aus Art. 38 Abs. 1 GG verletzt sei. Werde dem einzelnen Bürger durch Art. 38 Abs. 1 GG das subjektive Recht verliehen, an der Wahl des Deutschen Bundestages teilzunehmen und dadurch an der Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk auf Bundesebene mitzuwirken und auf ihre Ausübung Einfluss zu nehmen, müsse dies erst recht für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages gelten. Deren Status werde ebenfalls durch Art. 38 Abs. 1 GG geregelt. Würden die Aufgaben und Befugnisse des Deutschen Bundestages durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union ausgehöhlt, berühre dies nicht nur die Möglichkeit des einzelnen Wählers, an der demokratischen Legitimation der Staatsgewalt mitzuwirken. Es berühre in noch viel größerem Maße die Möglichkeit des Abgeordneten, das Volk bei der Ausübung der Staatsgewalt zu repräsentieren und bei der Gesetzgebung sowie bei der Kontrolle der Regierung demokratische Legitimation hervorzubringen. Der Antragsteller zu I. begründet die Verletzung in seinem Statusrecht aus Art. 38 Abs. 1 GG alternativ damit, dass er als „Organwalter” eines Verfassungsorgans dafür verantwortlich sei, dass der Deutsche Bundestag nicht ultra vires handele. Der Bundestag dürfe keine Gesetze beschließen, die seine Befugnisse überschritten. Er dürfe solche Beschlüsse jedenfalls dann nicht fassen, wenn diese Gesetze dazu beitrügen, den vom Grundgesetz verfassten Staat aufzugeben oder wesentlich in seiner Staatlichkeit einzuschränken.
Außerdem macht der Antragsteller zu I. sinngemäß geltend, dass seine Mitwirkungsrechte als Abgeordneter des Deutschen Bundestages nach Art. 38 Abs. 1 GG im Gesetzgebungsverfahren verkürzt worden seien. Von einer substantiellen, auf die Kraft des Arguments gegründeten Willensbildung, die es dem Abgeordneten ermöglicht hätte, die Verantwortung für seine Entscheidung zu übernehmen, könne keine Rede sein. Dem Status eines Abgeordneten sei nicht damit Genüge getan, dass er seine verfassungsrechtlichen Bedenken in einer Bundestagsdebatte mit einer Zwischenfrage nach § 27 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) habe äußern können. Ebenso wenig reiche es aus, eine Erklärung zur Verfassungswidrigkeit des Zustimmungsgesetzes verlesen zu können.
b) Die Antragstellerin zu II., eine Fraktion des Deutschen Bundestages, beantragt in Prozessstandschaft für den Deutschen Bundestag festzustellen, dass das Zustimmungsgesetz den Deutschen Bundestag in seinen Rechten als legislatives Organ verletzt und deshalb unvereinbar mit dem Grundgesetz ist. Sie benennt in ihrer Antragsschrift keinen Antragsgegner.
Die Antragstellerin zu II. begründet ihren Antrag damit, dass das Zustimmungsgesetz demokratische Entscheidungsbefugnisse über das in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG zulässige Maß hinaus übertrage. Das Demokratieprinzip werde, soweit es nach Art. 79 Abs. 3 GG unantastbar sei, in mehrfacher Hinsicht verletzt. Auf die insoweit identische Argumentation der Beschwerdeführer zu V. wird verwiesen (siehe oben A. II. 1. c) bb). Darüber hinaus macht die Antragstellerin zu II. geltend, dass der aus dem Demokratieprinzip folgende Grundsatz der Parlamentsarmee dadurch ausgehöhlt werde, dass der Deutsche Bundestag seine Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz der deutschen Streitkräfte für den Bereich europäischer Kriseninterventionen verliere. Nach Art. 42 Abs. 4 EUV-Lissabon würden Beschlüsse über die Einleitung einer Mission, wozu die Mitgliedstaaten nach Art. 42 Abs. 3 EUV-Lissabon eigene Streitkräfte bereitstellen müssten, einstimmig vom Rat erlassen. Ein Hinweis darauf, dass der Beschluss im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten zu fassen sei, fehle jedoch. Zwar ließe sich argumentieren, dass der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt nicht durch das Zustimmungsgesetz aufgehoben werde und die deutschen Regierungsvertreter im Rat die Zustimmung des Deutschen Bundestages einholen müssten, bevor sie im Rat eine Beteiligung deutscher Streitkräfte an einer Mission zusagten. Dies würde jedoch zu einem Systembruch führen, da die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Rat regelmäßig in die Regierungskompetenz falle.
III.
1. Zu den Verfassungsbeschwerden zu III. und V. haben der Deutsche Bundestag (a), die Bundesregierung (b) und der Bundesrat (c) schriftlich Stellung genommen. Die Bundesregierung und der Bundesrat haben in ihre Stellungnahme zusätzlich die Verfassungsbeschwerde zu IV. einbezogen. Der Landtag von Baden-Württemberg (d) beschränkt seine Stellungnahme auf die Verfassungsbeschwerden zu III. und IV.
a) Der Deutsche Bundestag vertritt die Auffassung, dass die Verfassungsbeschwerden zu III. und V. unzulässig (aa) und unbegründet (bb) sind.
aa) Die auf Art. 38 GG gestützte Beschwerdebefugnis gegen Integrationsakte nach Art. 23 Abs. 1 GG sei auf Fälle beschränkt, in denen das Demokratieprinzip im nach Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Umfang offensichtlich und schwerwiegend verletzt sei. Dies hätten die Beschwerdeführer zu III. und V. nicht substantiiert dargelegt. Art. 20 Abs. 4 GG trage die Verfassungsbeschwerde zu III. ebenfalls nicht. Da ein offensichtliches Versagen der Verfassungswahrung und -verteidigung durch die dazu berufenen Staatsorgane nicht festgestellt werden könne, liege keine Widerstandslage vor. Ein eigenständiges Rechtsmittel, das neben der Verfassungsbeschwerde bestünde, könne aus Art. 20 Abs. 4 GG nicht abgeleitet werden. Ferner sei eine Verletzung der Beschwerdeführer zu III. und V. in Art. 1 Abs. 1 GG nicht ersichtlich. Die Menschenwürde sei auch auf europäischer Ebene als unantastbar gewährleistet. Darüber hinaus dispensiere die Grundrechtecharta die Grundrechte des Grundgesetzes nicht. Schließlich habe der Beschwerdeführer zu III. die Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch die Begleitgesetzgebung nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
bb) Die Verfassungsbeschwerden zu III. und V. seien jedenfalls unbegründet, da der Vertrag von Lissabon mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Dabei ist der Deutsche Bundestag der Auffassung, dass der sachliche Prüfungsumfang der Verfassungsbeschwerden auf die durch den Vertrag von Lissabon eingeführten Neuerungen beschränkt sei. Der Integrationsprozess als solcher könne nicht Gegenstand des Verfahrens sein. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Maastricht gebe es eine res iudicata und eine Entscheidung im Hinblick auf die Entwicklung über die Verträge von Amsterdam und von Nizza sei wegen § 93 BVerfGG ausgeschlossen.
(1) Art. 38 GG sei durch das Zustimmungsgesetz nicht verletzt. Soweit der Vertrag von Lissabon neue Zuständigkeiten der Europäischen Union begründe oder einzelne Politikbereiche aus der intergouvernementalen Zusammenarbeit in die Gemeinschaftsmethode überführe, würden die von Art. 79 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen der Übertragbarkeit von Hoheitsbefugnissen nicht überschritten. Die Mitgliedstaaten erlitten nur einen geringen Kompetenzverlust und erhielten im Gegenzug neue Handlungsspielräume und politische Gestaltungsmöglichkeiten. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit zum normalen Entscheidungsverfahren im Rat werde. Das Mehrheitsverfahren und damit die Möglichkeit, im Rat überstimmt zu werden, habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Vertrag von Maastricht (vgl. BVerfGE 89, 155 ff.) akzeptiert. Den Mitgliedstaaten stünden weiterhin substantielle Zuständigkeiten zu. Die Bereiche der inneren und äußeren Sicherheit sowie die Verteidigungspolitik verblieben gänzlich im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten, ebenso wie die Wirtschafts-, Finanz- und Beschäftigungspolitik.
Auch ein möglicher Anspruch aus Art. 38 GG auf demokratische Legitimation der Europäischen Union sei nicht verletzt. Die demokratische Legitimation des Rates beruhe zum einen auf der verfassungsrechtlichen Basis, welche die Entscheidungsverfahren des Rates regle, zum anderen auf dem im Rat stattfindenden Diskurs. Das Europäische Parlament vermittle ebenfalls demokratische Legitimation. Dem stehe die fehlende Erfolgswertgleichheit bei der Wahl des Europäischen Parlaments nicht entgegen; diese sei vielmehr Konsequenz der auf den Mitgliedstaaten aufbauenden besonderen Struktur der Europäischen Union, die besondere Formen der demokratischen Repräsentation beinhalte. Der Vertrag von Lissabon stärke die demokratische Legitimation nicht nur durch die Aufwertung des Europäischen Parlaments, sondern auch durch die erhöhte Öffentlichkeit der Ratssitzungen sowie die Einführung des Frühwarnsystems zur Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips. Zudem werde die Stellung des Deutschen Bundestages durch den Vertrag von Lissabon verbessert.
Der Vertrag von Lissabon verleihe der Europäischen Union keine Kompetenz-Kompetenz. Die Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV könne nicht als unbegrenzte Kompetenzerweiterungskompetenz verstanden werden; Art. 311 AEUV gehe nicht über die bisherige Regelung zur Beschaffung von Eigenmitteln hinaus. Ebenso wenig werde durch die Vorschriften über die vereinfachte Vertragsänderung oder die Regelungen, die den Übergang zu Mehrheitsentscheidungen im Rat beträfen, eine Kompetenz-Kompetenz der Europäischen Union begründet. Die betreffenden Vertragsänderungen würden von den Vorschriften vielmehr vorweggenommen. Inhalt und Modalitäten der Beschlussverfahren seien hinreichend bestimmt festgelegt.
(2) Eine Verletzung des Grundsatzes der souveränen Staatlichkeit liegt nach Ansicht des Deutschen Bundestages ebenfalls nicht vor. Das Grundgesetz garantiere die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland in Form der offenen Staatlichkeit, wie sie unter anderem in der Präambel des Grundgesetzes sowie in den Art. 23 bis Art. 25 GG angelegt sei. Demzufolge sei die europäische Integration vom Grundgesetz nicht nur gestattet, sondern gewollt. Eine eigene Staatlichkeit der Europäischen Union begründe der Vertrag von Lissabon nicht. Die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union beinhalte dies ebenso wenig wie die Verbindung von Gemeinschafts- und Unionsrecht. Im Übrigen werde die Trennung in supranationale und intergouvernementale Tätigkeitsgebiete nicht aufgegeben. Die Bezugnahme auf die Unionsbürgerinnen und -bürger in Art. 14 Abs. 2 EUV-Lissabon hebe deren Stellung als Legitimationssubjekt der Europäischen Union hervor, ohne ein europäisches Volk zu konstituieren. Der in der Erklärung Nr. 17 angesprochene Anwendungsvorrang des Unionsrechts verleihe der Union keine Staatlichkeit, sondern verdeutliche allein den Charakter der Europäischen Union als Rechtsgemeinschaft. Die nicht zum normativen Bestandteil des Vertrags gehörende Erklärung ändere die bisherige Rechtslage nicht und führe nicht zu einer grundsätzlichen Überordnung des Unionsrechts über die nationale Verfassung. Das Austrittsrecht stehe der Annahme von Staatlichkeit der Europäischen Union entgegen; die Europäische Union habe keine Befugnis, Zwangs- oder Vollstreckungsmaßnahmen vorzunehmen.
(3) Eine Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips sei gleichfalls nicht gegeben. Weder begründe der Vertrag von Lissabon eine Exekutivgesetzgebung der Bundesregierung, noch eröffne er neue Möglichkeiten für das, was der Beschwerdeführer als „Spiel über die Bande” bezeichne. Gerade solche Verhaltensweisen könnten aufgrund der neuen Bestimmungen über die Öffentlichkeit der Ratssitzungen und der verstärkten Kontrollrechte der Parlamente nach dem Subsidiaritätsprotokoll besser verhindert werden.
(4) Schließlich sei die Verfassungsbeschwerde zu III. auch im Hinblick auf die angegriffenen Begleitgesetze unbegründet. Dass der Deutsche Bundestag nach Art. 1 Nr. 1 des Änderungsgesetzes und Art. 1 § 3 Abs. 2 des Ausweitungsgesetzes auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet werden könne, Subsidiaritätsklage zu erheben, verletze das Demokratieprinzip nicht. Die Regelung sei Ausdruck des jeder funktionierenden Demokratie innewohnenden Minderheitenschutzes. Die in Art. 1 Nr. 1 des Änderungsgesetzes sowie Art. 1 § 4 Abs. 3 und Abs. 6 des Ausweitungsgesetzes betreffend die Ausübung des Ablehnungsrechts nach Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon getroffene Regelung entspreche der innerstaatlichen Aufgabenverteilung zwischen Bundestag und Bundesrat sowie dem Bundesstaatsprinzip. Die in Art. 1 Nr. 2 des Änderungsgesetzes und Art. 1 § 5 des Ausweitungsgesetzes vorgesehene Möglichkeit der Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf den Europaausschuss vermöge schon deshalb eine Rechtsverletzung nicht zu begründen, weil allein durch diese Bestimmungen keine Übertragung von Befugnissen stattfinde, der Bundestag hierzu vielmehr nur ermächtigt werde.
b) Die Bundesregierung ist ebenfalls der Auffassung, dass die Verfassungsbeschwerden zu III., IV. und V. unzulässig (aa), in jedem Fall aber unbegründet seien (bb).
aa) Die Verfassungsbeschwerden seien bereits unzulässig, weil die Beschwerdeführer zu III., IV. und V. durch das Zustimmungsgesetz sowie die Begleitgesetzgebung nicht selbst, gegenwärtig und unmittelbar in Art. 38 GG betroffen seien. Vor ihrem Inkrafttreten stelle die Begleitgesetzgebung zudem einen untauglichen Angriffsgegenstand dar, da diese – anders als das Zustimmungsgesetz – erst nach Abschluss des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein könne. Die Rügen der Beschwerdeführer zu III. und V. aus Art. 1 Abs. 1 GG und des Beschwerdeführers zu III. aus den übrigen Freiheits-, Gleichheits- und Justizgrundrechten seien ohne Substanz. Die Menschenwürde sei nach der Grundrechtecharta unantastbar, und die Unionsgrundrechte im Anwendungsbereich der Grundrechtecharta würden parallel zu den Grundrechten des Grundgesetzes angewendet.
bb) (1) Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon sei insbesondere mit dem Demokratieprinzip vereinbar. Die Stellung des Rates im Rechtssetzungsverfahren und die damit verbundene eingeschränkte Repräsentation der tatsächlichen Bevölkerungszahlen seien nicht zu beanstanden. Sie seien der Besonderheit der Europäischen Union als Staatenverbund geschuldet. Das Europäische Parlament spiele eine bedeutsame Rolle im Rahmen der europäischen Gesetzgebung, die durch die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens weiter gestärkt werde. Dass bei der Wahl des Europäischen Parlaments das Prinzip der Gleichheit aller Bürger nur unzureichend verwirklicht sei, folge aus der Notwendigkeit, dieses Prinzip im Lichte der Gleichheit aller Staaten anzupassen.
Der Vertrag von Lissabon ermögliche keine Vertragsänderung ohne Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland. Ein Beschluss des Europäischen Rates nach Art. 48 Abs. 6 UAbs. 2 EUV-Lissabon setze nach Art. 59 Abs. 2 GG ein Zustimmungsgesetz des Bundestages voraus. Auch im Rahmen des in Art. 48 Abs. 7 EUV-Lissabon ermöglichten Übergangs von der Einstimmigkeit zum Verfahren der qualifizierten Mehrheit stehe der Bundesrepublik Deutschland ein Vetorecht zu.
(2) Der Vertrag von Lissabon führe weder zur Bildung eines Unionsstaates noch schwäche er die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Er vermeide jegliche terminologische Anlehnung an Staatlichkeit, und auch die Anerkennung von Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union liefere hierfür kein Indiz. Das freie Austrittsrecht bestätige den Fortbestand staatlicher Souveränität. Die Mitgliedstaaten blieben die „Herren der Verträge” und hätten der Europäischen Union keine Kompetenz-Kompetenz eingeräumt. Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung beanspruche weiterhin Geltung. Der Gebrauch der Flexibilitätsklausel werde durch den Vertrag von Lissabon materiellen Anforderungen und prozessualen Sicherungsmechanismen unterworfen.
Der Europäischen Union würden kaum neue substantielle Befugnisse übertragen. Maßnahmen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hätten auch nach der Aufhebung der Zweiteilung von Europäischer Union und Europäischer Gemeinschaft keine supranationale Qualität. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beeinträchtige die Gebietshoheit der Mitgliedstaaten nicht, sondern gewährleiste die in einem Raum ohne Binnengrenzen notwendige mitgliedstaatliche Kooperation. Auch werde kein „Unionsvolk” etabliert. Weder die Grundrechtecharta noch der Vorrang des Gemeinschaftsrechts führten zur Errichtung eines europäischen Staates.
(3) Das durch den Vertrag von Lissabon hergestellte institutionelle Gefüge der Europäischen Union sei außerdem mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar. Mit der Ausgestaltung der Europäischen Union als Staatenverbund gehe eine stärkere Entscheidungsmacht der staatlichen Exekutive einher. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht das bisherige institutionelle System der Europäischen Union als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen, und der Vertrag von Lissabon führe zu einer Stärkung der nationalen Parlamente.
c) Der Bundesrat hält die angegriffenen Gesetze für verfassungskonform. Der Vertrag von Lissabon stärke die demokratische Legitimation der Europäischen Union insbesondere durch die Aufwertung der Stellung des Europäischen Parlaments sowie der nationalen Parlamente. Der Vertrag führe zu keiner Entstaatlichung der Bundesrepublik Deutschland. Die Kompetenzabgrenzung werde verbessert; zusätzliche Kompetenzen würden nur in begrenztem Umfang übertragen. Die Wahrung der staatlichen Souveränität komme in der ausdrücklichen Anerkennung der Achtung der nationalen Identität nach Art. 4 Abs. 2 EUV-Lissabon sowie in dem Austrittsrecht nach Art. 50 EUV-Lissabon deutlich zum Ausdruck.
d) Der Landtag von Baden-Württemberg hält die Verfassungsbeschwerden zu III. und IV. für unbegründet.
2. In den Organstreitverfahren haben der Deutsche Bundestag (a), die Bundesregierung (b), der Bundesrat und der Landtag von Baden-Württemberg (c) schriftlich Stellung genommen.
a) Nach Ansicht des Deutschen Bundestages sind die in den Organstreitverfahren gestellten Anträge unzulässig (aa), jedenfalls aber unbegründet (bb).
aa) (1) Soweit der Antragsteller im Organstreitverfahren zu I. die Feststellung begehre, das Zustimmungsgesetz und die Begleitgesetzgebung für nichtig zu erklären, handele es sich um den typischen Antragsinhalt einer abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, für die der Antragsteller als einzelner Abgeordneter nicht antragsbefugt sei. Zu dem vom Antragsteller zu I. in seinem Schriftsatz vom 21. Oktober 2008 geänderten Antrag äußert sich der Deutsche Bundestag nicht. Soweit der Antragsteller zu I. die defizitäre Willensbildung während der Debatte im Deutschen Bundestag rüge, sei sein Vortrag unsubstantiiert. Darüber hinaus sei der Antragsteller zu I. nicht parteifähig, soweit er als Organteil des Deutschen Bundestages dessen Rechte prozessstandschaftlich geltend machen wolle. Das Bundesverfassungsgericht habe die Prozessstandschaft des einzelnen Abgeordneten für den Deutschen Bundestag ausdrücklich abgelehnt. Schließlich mache der Antragsteller nicht die Rechte des Organs, dem er angehöre, gegenüber einem anderen Organ geltend, sondern gehe gegen einen Beschluss gerade dieses Organs vor. Dies führe zu einem verfassungsprozessual unzulässigen Insichprozess.
(2) Auch der in dem Organstreitverfahren zu II. gestellte Antrag sei unzulässig. Die Antragstellerin sei nicht antragsbefugt, weil sie nicht plausibel begründet habe, dass sie in ihren Fraktionsrechten verletzt sei. Gegenüber dem Bundestag stehe ihr weder ein Anspruch auf Einhaltung der Grenzen der Integration noch ein allgemeiner Anspruch auf die Beachtung des Grundgesetzes zu. Ebenso wenig gebe es ein Recht der Fraktion auf Erhaltung der Entscheidungszuständigkeit des Bundestages. Die Antragstellerin könne auch nicht in Prozessstandschaft Rechte des Bundestages gegen den Bundestag geltend machen. Zudem fehle ihr das Rechtsschutzbedürfnis, da ihr Antrag in der Sache einer abstrakten Normenkontrolle entspreche, im Rahmen derer sie als Fraktion nicht parteifähig sei.
bb) Der Deutsche Bundestag weist darauf hin, dass sich der Prüfungsumfang der Organstreitverfahren zu I. und II. auf das konkrete verfassungsrechtliche Verhältnis beschränke. Die objektive Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Gesetze könne nicht geprüft werden. Zur Unbegründetheit der Organstreitverfahren zu I. und II. verweist der Deutsche Bundestag auf seine Ausführungen zu den Verfassungsbeschwerden zu III. und V. (siehe oben A. III. 1. a) bb).
b) Die Bundesregierung vertritt ebenfalls die Auffassung, dass die Anträge in den Organstreitverfahren unzulässig (aa), jedenfalls aber unbegründet (bb) sind.
aa) (1) Der Antragsteller im Organstreitverfahren zu I. sei nicht antragsbefugt. Er werde nicht in seiner von Art. 38 Abs. 1 GG organschaftlich verliehenen Rechtsposition betroffen, sondern versuche, über das Organstreitverfahren eine allgemeine Verfassungsmäßigkeitsprüfung der angegriffenen Gesetze durch das Bundesverfassungsgericht zu erreichen. Daher sei allenfalls eine abstrakte Normenkontrolle statthaft, zu deren Einleitung der Antragsteller jedoch nicht berechtigt sei. Durch die angegriffene Begleitgesetzgebung würden die Rechte des Deutschen Bundestages nur gestärkt, sodass eine Verletzung des Antragstellers in seinen Rechten ausgeschlossen sei.
Soweit der Antragsteller geltend mache, er habe im Bundestag keine ausreichende Gelegenheit gehabt, seine abweichende Meinung vorzutragen, sei nicht ersichtlich, inwiefern eine Maßnahme des Deutschen Bundestages angegriffen werde. Im Übrigen beschränkten die entsprechenden Vorschriften der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages das Statusrecht des Abgeordneten in verfassungsrechtlich zulässiger Weise. Zudem habe der Antragsteller die Möglichkeit gehabt, nach § 31 Abs. 1 GOBT eine schriftliche Erklärung oder eine kurze mündliche Stellungnahme abzugeben.
(2) Auch der im Organstreitverfahren zu II. gestellte Antrag sei unzulässig. Es liege kein tauglicher Antragsgegner vor. Ein Vorgehen allein gegen ein Gesetz sei im Rahmen des Organstreits nicht zulässig. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, inwiefern die Statusrechte der antragstellenden Fraktion verletzt sein sollten. Die Antragstellerin könne auch nicht in Prozessstandschaft Rechte des Bundestages gegen den Bundestag geltend machen. Da die Antragstellerin das nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG erforderliche Quorum nicht erreiche, scheide auch eine Auslegung des Begehrens als Antrag auf abstrakte Normenkontrolle aus.
bb) Zur Unbegründetheit der Anträge in den Organstreitverfahren zu I. und II. verweist die Bundesregierung auf ihre Ausführungen zur Unbegründetheit der Verfassungsbeschwerden zu III. und V. (siehe oben A. III. 1. b) bb). Soweit das Zustimmungsgesetz angegriffen werde, führt sie ergänzend aus, dass der Vertrag von Lissabon nur wenige Neuerungen im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik enthalte. Die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages blieben gewahrt, da kein Mitgliedstaat gegen seinen Willen zur Teilnahme an militärischen Maßnahmen verpflichtet werden könne.
c) Der Bundesrat und der Landtag von Baden-Württemberg halten die in den Organstreitverfahren gestellten Anträge aus den gleichen Gründen, die sie im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerden vorgebracht haben (siehe oben A. III. 1. c) und d), für unbegründet.
IV.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 10. und 11. Februar 2009 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Beteiligten ihre Rechtsstandpunkte erläutert und vertieft haben.
Entscheidungsgründe
B.
Die gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon erhobenen Verfassungsbeschwerden sind zulässig, soweit mit ihnen auf der Grundlage von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG eine Verletzung des Demokratieprinzips, ein Verlust der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips gerügt wird. Die gegen die Begleitgesetzgebung erhobenen Verfassungsbeschwerden zu III. und VI. sind zulässig, soweit sie sich auf Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG stützen (I.). Der Antrag im Organstreitverfahren zu II. ist zulässig, soweit die Antragstellerin eine Verletzung der Entscheidungsbefugnisse des Deutschen Bundestages über den Einsatz der deutschen Streitkräfte geltend macht (II.). Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden und die in den Organstreitverfahren gestellten Anträge unzulässig.
I.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig, soweit die Beschwerdeführer auf der Grundlage von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG eine Verletzung des Demokratieprinzips, den Verlust der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips durch das Zustimmungsgesetz und die Begleitgesetzgebung rügen.
1. Die Beschwerdeführer sind beschwerdefähig. Sie gehören zu dem Kreis von Personen, die eine Verfassungsbeschwerde als „jedermann” im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG erheben können. Dies gilt auch für die Beschwerdeführer zu III. und V., die Mitglieder des Deutschen Bundestages sind, die Verfassungsbeschwerde jedoch als Bürger der Bundesrepublik Deutschland erheben. Sie berufen sich nicht auf ihren verfassungsrechtlichen Status gegenüber einem im Organstreitverfahren parteifähigen Verfassungsorgan, sondern machen eine Verletzung ihrer Grundrechte durch die öffentliche Gewalt geltend (vgl. BVerfGE 64, 301 ≪312≫; 99, 19 ≪29≫; 108, 251 ≪267≫).
2. Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon und die hierzu ergangene Begleitgesetzgebung können als Maßnahmen der deutschen öffentlichen Gewalt tauglicher Beschwerdegegenstand im Verfahren der Verfassungsbeschwerde sein. Dies gilt unabhängig davon, dass diese Gesetze noch nicht in Kraft getreten sind. Da die völkerrechtliche Verbindlichkeit des Vertrags von Lissabon nur noch davon abhängt, dass der Bundespräsident die Ratifikationsurkunde ausfertigt und beim Depositar hinterlegt, kann das Zustimmungsgesetz ausnahmsweise schon vor seinem Inkrafttreten Gegenstand der Verfassungsbeschwerden sein (vgl. BVerfGE 108, 370 ≪385≫). Entsprechendes gilt für die Begleitgesetzgebung, deren Inkrafttreten an das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gekoppelt ist. Art. 2 des Änderungsgesetzes knüpft an das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, Art. 3 des Ausweitungsgesetzes an das Inkrafttreten des Änderungsgesetzes an.
3. Die Beschwerdebefugnis setzt die Behauptung der Beschwerdeführer voraus, durch die angegriffenen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt in einem nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG beschwerdefähigen Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht selbst, unmittelbar und gegenwärtig verletzt zu sein. Die Beschwerdeführer müssen hinreichend substantiiert darlegen, dass eine solche Verletzung möglich erscheint (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG; vgl. BVerfGE 99, 84 ≪87≫; 112, 185 ≪204≫). Die Beschwerdeführer erfüllen diese Voraussetzung in unterschiedlichem Umfang.
a) Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG durch das Zustimmungsgesetz geltend machen, kommt es für die Beschwerdebefugnis auf den Inhalt der einzelnen Rügen an.
aa) Die Beschwerdeführer zu III., IV. und VI. legen mit ihrer Rüge, das Demokratieprinzip sei unter dem Aspekt der Aushöhlung der Kompetenzen des Deutschen Bundestages verletzt, eine Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG hinreichend substantiiert dar.
Art. 38 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleistet das subjektive Recht, an der Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages teilzunehmen (vgl. BVerfGE 47, 253 ≪269≫; 89, 155 ≪171≫). Dieser individualisierte Gewährleistungsinhalt verbürgt, dass dem Bürger das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag zusteht und bei der Wahl die verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze eingehalten werden. Die Verbürgung erstreckt sich auch auf den grundlegenden demokratischen Gehalt dieses Rechts (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪171≫). Mit der Wahl wird die Staatsgewalt auf Bundesebene nicht nur nach Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG legitimiert, sondern zudem auch dirigierender Einfluss genommen, wie diese ausgeübt wird (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪172≫). Denn die Wahlberechtigten können zwischen konkurrierenden Kandidaten und Parteien auswählen, die sich mit unterschiedlichen politischen Vorschlägen und Konzepten zur Wahl stellen.
Der Wahlakt verlöre seinen Sinn, wenn das gewählte Staatsorgan nicht über ein hinreichendes Maß an Aufgaben und Befugnissen verfügte, in denen die legitimierte Handlungsmacht wirken kann. Das Parlament trägt mit anderen Worten nicht nur eine abstrakte „Gewährleistungsverantwortung” für das hoheitliche Handeln anderer Herrschaftsverbände, sondern die konkrete Verantwortung für das Handeln des Staatsverbandes. Das Grundgesetz hat diesen legitimatorischen Zusammenhang zwischen dem Wahlberechtigten und der Staatsgewalt durch Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG für unantastbar erklärt. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG schließt es im Anwendungsbereich des Art. 23 GG aus, die durch die Wahl bewirkte Legitimation von Staatsgewalt und Einflussnahme auf deren Ausübung durch die Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages auf die europäische Ebene so zu entleeren, dass das Demokratieprinzip verletzt wird (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪172≫).
bb) Soweit die Beschwerdeführer zu III., IV., V. und VI. geltend machen, dass die Europäische Union nicht hinreichend demokratisch legitimiert sei, sind sie über Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG beschwerdebefugt.
Die Wahlberechtigten können verfassungsrechtlich relevante Defizite der demokratischen Legitimation der Europäischen Union aus demselben Recht rügen wie Defizite der durch die europäische Integration im Kompetenzumfang betroffenen innerstaatlichen Demokratie. Die ursprünglich allein innerstaatlich bedeutsame Wechselbezüglichkeit zwischen Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG erfährt durch die fortschreitende europäische Integration schrittweise eine Erweiterung. Infolge der Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG werden Entscheidungen, die den Bürger unmittelbar betreffen, auf die europäische Ebene verlagert. Vor dem Hintergrund des über Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG als subjektives öffentliches Recht rügefähig gemachten Demokratieprinzips kann es aber, wenn Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen werden, nicht ohne Bedeutung sein, ob die auf europäischer Ebene ausgeübte Hoheitsgewalt auch demokratisch legitimiert ist. Da die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG nur an einer Europäischen Union mitwirken darf, die demokratischen Grundsätzen verpflichtet ist, muss gerade auch ein legitimatorischer Zusammenhang zwischen den Wahlberechtigten und der europäischen Hoheitsgewalt bestehen, auf den der Bürger nach der ursprünglichen und fortwirkenden verfassungsrechtlichen Konzeption in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG einen Anspruch hat.
cc) Soweit die Beschwerdeführer zu III. und IV. den Verlust der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland durch das Zustimmungsgesetz behaupten, ergibt sich ihre Beschwerdebefugnis ebenfalls aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG.
Die Wahlberechtigten besitzen nach dem Grundgesetz das Recht, über den Identitätswechsel der Bundesrepublik Deutschland, wie er durch Umbildung zu einem Gliedstaat eines europäischen Bundesstaates bewirkt werden würde, und die damit einhergehende Ablösung des Grundgesetzes „in freier Entscheidung” zu befinden. Art. 146 GG schafft – wie Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG – ein Teilhaberecht des wahlberechtigten Bürgers: Art. 146 GG bestätigt das vorverfassungsrechtliche Recht, sich eine Verfassung zu geben, aus der die verfasste Gewalt hervorgeht und an die sie gebunden ist. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Recht, an der Legitimation der verfassten Gewalt mitzuwirken und auf ihre Ausübung Einfluss zu nehmen. Art. 146 GG formuliert neben den materiellen Anforderungen des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG die äußerste Grenze der Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der europäischen Integration. Es ist allein die verfassungsgebende Gewalt, die berechtigt ist, den durch das Grundgesetz verfassten Staat freizugeben, nicht aber die verfasste Gewalt.
Der verfassungsprozessualen Rügefähigkeit der „Entstaatlichung” steht nicht entgegen, dass Art. 146 GG kein selbständig rügefähiges, mithin verfassungsbeschwerdefähiges Individualrecht im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG begründet (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪180≫). Denn dies schließt nicht aus, dass Art. 146 GG in Verbindung mit den in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG genannten Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten – hier Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG – als verletzt gerügt werden kann. Das Vorbringen der Beschwerdeführer zu III. und IV. ist auch nicht unmittelbar darauf gerichtet, etwa einen Volksentscheid durchzuführen. Der Vortrag der Beschwerdeführer zu III. und IV. wendet sich vielmehr gegen den behaupteten Verlust der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland durch das Zustimmungsgesetz und damit auch gegen die stillschweigende Ablösung des Grundgesetzes.
dd) Soweit die Beschwerdeführer zu IV., V. und VI. auf der Grundlage von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG die Verletzung anderer Staatsstrukturprinzipien rügen, sind die Verfassungsbeschwerden lediglich im Hinblick auf die behauptete Verletzung des Sozialstaatsprinzips zulässig.
Die Beschwerdeführer zu V. stellen den notwendigen Zusammenhang zu dem über Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG unmittelbar rügefähigen Demokratieprinzip her, indem sie hinreichend bestimmt vortragen, dass die demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages auf dem Gebiet der Sozialpolitik durch die Zuständigkeiten der Europäischen Union nach dem Vertrag von Lissabon derart beschränkt würden, dass der Deutsche Bundestag die sich aus Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG ergebenden Mindestanforderungen des Sozialstaatsprinzips nicht mehr erfüllen könnte.
Soweit die Beschwerdeführer zu IV. und VI. die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips und des Gewaltenteilungsprinzips geltend machen, zeigen sie einen vergleichbaren Zusammenhang nicht auf. Die Verfassungsbeschwerden sind insoweit unzulässig.
b) Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu III. und V. gegen das Zustimmungsgesetz sind, soweit sie nicht auf Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gestützt werden, unzulässig.
aa) Soweit sich der Beschwerdeführer zu III. auf das grundrechtsgleiche Recht aus Art. 20 Abs. 4 GG stützt, ist er nicht beschwerdebefugt. Er legt nicht hinreichend substantiiert dar, dass das von ihm postulierte, aus Art. 20 Abs. 4 GG abzuleitende, vorgelagerte und rügefähige Recht auf Unterlassung aller Handlungen, welche eine Widerstandslage auslösen würden, oder der seiner Ansicht nach durch Art. 20 Abs. 4 GG gewährte außerordentliche Rechtsbehelf auf „andere Abhilfe” hier erheblich werden könnte.
Das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG ist ein subsidiäres Ausnahmerecht, das als ultima ratio von vornherein nur dann in Betracht kommt, wenn alle von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe so wenig Aussicht auf wirksame Abhilfe bieten, dass die Ausübung des Widerstandes das letzte Mittel zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Rechts ist (vgl. zum Widerstandsrecht bereits BVerfGE 5, 85 ≪377≫). Eine Verletzung von Art. 20 Abs. 4 GG kann danach nicht in einem Verfahren gerügt werden, in dem gegen die behauptete Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung gerade gerichtliche Abhilfe gesucht wird. Daran ändert die Erwähnung des Art. 20 Abs. 4 GG in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nichts. Der subsidiäre Charakter dieses Rechts bleibt von der Ausformung als – auch prozessual – grundrechtsgleiches Recht unberührt.
bb) Den Beschwerdeführern zu III. und V. fehlt außerdem die Beschwerdebefugnis im Hinblick auf die Verletzung weiterer Grundrechte und grundrechtsgleicher Rechte durch das Zustimmungsgesetz.
(1) Mit ihrer Behauptung, die Menschenwürde werde durch die nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon rechtsverbindliche Grundrechtecharta zu einem abwägbaren Rechtsgut, legen die Beschwerdeführer zu III. und V. nicht hinreichend substantiiert dar, dass eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG möglich ist.
Die allgemeine Schrankenregelung des Art. 52 Abs. 1 GRCh kann allenfalls die in Art. 1 GRCh garantierte Menschenwürde einschränken, nicht aber Art. 1 Abs. 1 GG. Denn zwischen der europäischen und der nationalen Grundrechtsebene ist zu unterscheiden. Bereits an einem hinreichend zwischen den Grundrechtsebenen differenzierenden Vortrag der Beschwerdeführer fehlt es. Hinzu kommt, dass Art. 52 Abs. 1 GRCh für die nationale Grundrechtsebene von vornherein nur insoweit relevant sein könnte, als dadurch ein dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG nicht mehr gewährleistet wäre. Derartige Defizite lassen sich dem Vorbringen der Beschwerdeführer nicht entnehmen. Die von ihnen behauptete generelle Relativierung der Menschenwürde folgt weder ohne weiteres aus der Grundrechtecharta noch aus der von ihnen herangezogenen Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften. Es bleibt künftigen Verfahren vorbehalten zu klären, ob und inwieweit ein Absinken des Grundrechtsschutzes auf europäischer Ebene durch primärrechtliche Veränderungen überhaupt zulässigerweise auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 1 GG gerügt werden kann und welche Darlegungsanforderungen an eine solche Rüge zu stellen sind (zur Verletzung von Grundrechten des Grundgesetzes durch sekundäres Unionsrecht vgl. BVerfGE 102, 147 ≪164≫).
(2) Soweit der Beschwerdeführer zu III. darüber hinaus geltend macht, dass die deutschen Staatsorgane im Anwendungsbereich der nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon rechtsverbindlichen Grundrechtecharta weitgehend von der Verpflichtung zur Beachtung der Grundrechte des Grundgesetzes entbunden werden, trägt er ebenfalls nicht hinreichend substantiiert vor, dass eine Verletzung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte möglich ist.
Unabhängig von der Reichweite des Anwendungsbereichs der Grundrechtecharta nach Art. 51 GRCh gehören die Grundrechte des Grundgesetzes zu den Verfassungskerngehalten, die die Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG auf die Europäische Union begrenzen (vgl. BVerfGE 37, 271 ≪279 f.≫; 73, 339 ≪376≫). Das Bundesverfassungsgericht übt seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von sekundärem Unionsrecht und sonstigem Handeln der Europäischen Union, das die Rechtsgrundlage für ein Handeln deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland ist, lediglich solange nicht mehr aus, wie die Europäische Union eine Grundrechtsgeltung gewährleistet, die nach Inhalt und Wirksamkeit dem Grundrechtsschutz, wie er nach dem Grundgesetz unabdingbar ist, im Wesentlichen gleichkommt (vgl. BVerfGE 73, 339 ≪376, 387≫; 102, 147 ≪164≫).
c) Die Rügen der Beschwerdeführer zu III. und VI., dass das Demokratieprinzip auch durch die Begleitgesetzgebung verletzt werde, sind zulässig, soweit sie sich auf Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG stützen.
Die Beschwerdeführer zu III. und VI. legen hinreichend substantiiert dar, dass eine Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG durch die Begleitgesetzgebung möglich ist. Die Beschwerdebefugnis aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG kann sich auch auf Gesetze erstrecken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Zustimmungsgesetz nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG stehen. Die Beschwerdeführer zu VI. tragen insoweit nachvollziehbar vor, dass das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon und die Begleitgesetzgebung eine verfassungsprozessuale Einheit bildeten. Die sinngemäße Rüge, die Begleitgesetzgebung schaffe innerstaatlich keine ausreichenden Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte, die dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat durch den Vertrag von Lissabon eingeräumt würden, betrifft den demokratischen Gehalt des Art. 38 Abs. 1 GG. Im Hinblick auf das Änderungsgesetz nehmen die Beschwerdeführer zu III. und VI. darüber hinaus ausreichend auf den besonderen Prüfungsmaßstab für verfassungsändernde Gesetze aus Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG Bezug.
II.
Der im Organstreitverfahren zu I. gestellte Antrag ist unzulässig (1.). Der im Organstreitverfahren zu II. gestellte Antrag ist in dem Umfang zulässig, wie die Antragstellerin eine Verletzung der Entscheidungsbefugnisse des Deutschen Bundestages über den Einsatz der deutschen Streitkräfte geltend macht (2.).
1. Der Antrag im Organstreitverfahren zu I., für dessen Beurteilung auf die Fassung nach dem Schriftsatz des Antragstellers zu I. vom 21. Oktober 2008 abzustellen ist, ist unzulässig.
a) Der Antrag ist unzulässig, soweit er sich gegen die Bundesregierung richtet. Die beanstandeten Maßnahmen – die Beschlüsse des Deutschen Bundestages über die Annahme des Zustimmungsgesetzes und der Begleitgesetzgebung – können nur dem Deutschen Bundestag, nicht aber der Bundesregierung zugerechnet werden (vgl. BVerfGE 84, 304 ≪320 f.≫; 86, 65 ≪70≫; 99, 332 ≪336≫). Die Bundesregierung hat lediglich die Vorlagen des Zustimmungsgesetzes und der Begleitgesetzgebung beim Deutschen Bundestag eingebracht (Art. 76 Abs. 1 GG).
b) Der Antrag ist auch im Übrigen unzulässig.
aa) Mit der Behauptung, sein Recht auf Mitwirkung an der Arbeit im Bundestag sei verkürzt worden, legt der Antragsteller zu I. nicht hinreichend dar, dass dieses Recht (vgl. BVerfGE 80, 188 ≪218≫; 90, 286 ≪343≫) durch die angegriffene Gesetzgebung verletzt oder gefährdet sein könnte (§ 64 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG). Der Erlass des Zustimmungsgesetzes und die Beschlüsse über die Begleitgesetze mögen auf einer, wie der Antragsteller zu I. meint, unzureichenden Erörterung im Bundestag beruhen; die Gesetzgebungsakte selbst verletzen jedoch nicht Mitwirkungsrechte des Antragstellers zu I.
bb) Soweit der Antragsteller zu I. vorträgt, sein Recht als Abgeordneter des Deutschen Bundestages, das Volk bei der Ausübung der Staatsgewalt zu repräsentieren und demokratische Legitimation hervorzubringen, sei verletzt worden, kann sowohl die Existenz eines solchen, von dem Antragsteller aus Art. 38 Abs. 1 GG abgeleiteten Rechts als auch seine mögliche Verletzung durch die angegriffene Gesetzgebung dahinstehen. Der Antragsteller zu I. kann als Bürger der Bundesrepublik Deutschland Verfassungsbeschwerde erheben und hat dies auch getan. Die Verfassungsbeschwerde erlaubt es, alle aus Art. 38 Abs. 1 GG abzuleitenden Rechte geltend zu machen, auf deren Verletzung der Antrag im Organstreitverfahren gestützt wird. Für diesen besteht neben der Verfassungsbeschwerde kein eigenständiges statusspezifisches Rechtsschutzinteresse.
cc) Der Antragsteller zu I. ist auch nicht berechtigt, Rechte des Deutschen Bundestages im eigenen Namen – als Prozessstandschafter oder „Organwalter” des Bundestages – geltend zu machen. Die Prozessstandschaft ist eine Ausnahme von dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz, dass Verfahrensbeteiligte nur eigene Rechte geltend machen können. Der Prozessstandschafter bedarf daher einer ausdrücklichen gesetzlichen Zulassung (vgl. BVerfGE 60, 319 ≪325≫; 90, 286 ≪343≫). Eine solche liegt nicht vor, da sich § 63, § 64 Abs. 1 BVerfGG nur auf die Prozessstandschaft eines Organteils für das Gesamtorgan beziehen und der Abgeordnete kein solcher Organteil ist (vgl. BVerfGE 2, 143 ≪160≫; 67, 100 ≪126≫; 90, 286 ≪343 f.≫; 117, 359 ≪367 f.≫). Als Organteile sind nur die nach der Geschäftsordnung ständig vorhandenen Gliederungen des Bundestages berufen, Rechte des Bundestages geltend zu machen. Der einzelne Abgeordnete ist keine solche „Gliederung” des Bundestages.
2. Der im Organstreitverfahren zu II. gestellte Antrag ist teilweise zulässig.
a) Die Antragstellerin zu II. ist als Fraktion des Deutschen Bundestages im Organstreitverfahren parteifähig (§ 13 Nr. 5, § 63 ff. BVerfGG). Sie kann als eine nach der Geschäftsordnung des Bundestages ständig vorhandene Gliederung im eigenen Namen Rechte geltend machen, die dem Bundestag zustehen (vgl. BVerfGE 1, 351 ≪359≫; 2, 143 ≪165≫; 104, 151 ≪193≫; 118, 244 ≪255≫). Der Deutsche Bundestag, gegen den sich der Antrag nach Auslegung des Antragsvorbringens richtet, ist möglicher Antragsgegner (§ 63 BVerfGG).
b) Die Antragstellerin zu II. ist teilweise antragsbefugt.
aa) Mit ihrer Rüge der Verletzung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts (vgl. BVerfGE 90, 286 ≪383≫) durch das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon legt die Antragstellerin zu II. hinreichend dar, dass der Deutsche Bundestag durch das Zustimmungsgesetz in Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet sein könnte (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 64 Abs. 1 BVerfGG). Die Antragstellerin zu II. trägt vor, dass der Bundestag durch die Bestimmungen des Vertrags von Lissabon seine Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz der deutschen Streitkräfte für den Bereich europäischer Kriseninterventionen verliere, weil der Rat nach Art. 42 Abs. 4 EUV-Lissabon über die „Einleitung einer Mission” entscheide. Da dieser Beschluss nicht im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten gefasst werden müsse, stelle sich die Frage, ob der deutsche Regierungsvertreter im Rat verpflichtet sei, vor der Abstimmung im Rat die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.
Die Antragsbefugnis kann nicht mit dem Argument verneint werden, es handele sich um einen verbotenen Insichprozess. Die in § 64 Abs. 1 BVerfGG vorgesehene Prozessstandschaft stellt den Organstreit in die Wirklichkeit des politischen Kräftespiels, in der sich Gewaltenteilung nicht so sehr in der klassischen Gegenüberstellung der geschlossenen Gewaltträger, sondern in erster Linie in der Einrichtung von Oppositions- und Minderheitenrechten verwirklicht. Sinn und Zweck der Prozessstandschaft liegen deshalb darin, der Parlamentsopposition und -minderheit die Befugnis zur Geltendmachung der Rechte des Bundestages nicht nur dann zu erhalten, wenn dieser seine Rechte, insbesondere im Verhältnis zu der von ihm getragenen Bundesregierung, nicht wahrnehmen will (vgl. BVerfGE 1, 351 ≪359≫; 45, 1 ≪29 f.≫; 121, 135 ≪151≫), sondern auch dann, wenn die Parlamentsminderheit Rechte des Bundestages gegen die die Bundesregierung politisch stützende Parlamentsmehrheit geltend machen will (vgl. Lorenz, in: Festgabe aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 1, 1976, S. 225 ≪253 f.≫). Die Zuerkennung der Prozessstandschaftsbefugnis ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 ≪29 f.≫; 60, 319 ≪325 f.≫; 68, 1 ≪77 f.≫; 121, 135 ≪151≫; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 7. Aufl. 2007, Rn. 94).
bb) Der Antragstellerin zu II. fehlt die Antragsbefugnis, soweit sie geltend macht, dass das Zustimmungsgesetz demokratische Entscheidungsbefugnisse über das in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG zulässige Maß hinaus übertrage. Die Antragstellerin zu II. legt nicht hinreichend dar, dass der Deutsche Bundestag durch das Zustimmungsgesetz in Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet sein könnte (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 64 Abs. 1 BVerfGG). Das in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleistete Demokratieprinzip ist, auch soweit es durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärt wird, kein Recht des Bundestages. Für eine allgemeine, von Rechten des Bundestages losgelöste, abstrakte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit einer angegriffenen Maßnahme ist im Organstreit kein Raum (vgl. BVerfGE 68, 1 ≪73≫; 73, 1 ≪30≫; 80, 188 ≪212≫; 104, 151 ≪193 f.≫).
C.
I.
Die Verfassungsbeschwerden zu III. und VI. sind, soweit zulässig, teilweise begründet. Das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union enthält gebotene Regelungen nicht und ist insoweit verfassungswidrig. Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden und der im Organstreitverfahren gestellte Antrag der Antragstellerin zu II., soweit zulässig, unbegründet. Gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon und das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93) bestehen nach Maßgabe der Gründe keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
1. Der Prüfungsmaßstab für das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon bestimmt sich durch das Wahlrecht als grundrechtsgleiches Recht (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Das Wahlrecht begründet einen Anspruch auf demokratische Selbstbestimmung, auf freie und gleiche Teilhabe an der in Deutschland ausgeübten Staatsgewalt sowie auf die Einhaltung des Demokratiegebots einschließlich der Achtung der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes. Die Prüfung einer Verletzung des Wahlrechts umfasst in der hier gegebenen prozessualen Konstellation auch Eingriffe in die Grundsätze, die Art. 79 Abs. 3 GG als Identität der Verfassung (vgl. BVerfGE 37, 271 ≪279≫; 73, 339 ≪375≫) festschreibt.
a) Art. 38 Abs. 1 GG gewährleistet jedem wahlberechtigten Deutschen das Recht, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu wählen. Mit der allgemeinen, freien und gleichen Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages betätigt das Bundesvolk seinen politischen Willen unmittelbar. Es regiert sich regelmäßig mittels einer Mehrheit (Art. 42 Abs. 2 GG) in der so zustande gekommenen repräsentativen Versammlung. Aus ihr heraus wird der Kanzler – und damit die Bundesregierung – bestimmt; dort hat er sich zu verantworten. Die Wahl der Abgeordneten ist auf der Bundesebene des vom Grundgesetz verfassten Staates die Quelle der Staatsgewalt – diese geht mit der periodisch wiederholten Wahl immer wieder neu vom Volke aus (Art. 20 Abs. 2 GG).
Das Wahlrecht ist der wichtigste vom Grundgesetz gewährleistete subjektive Anspruch der Bürger auf demokratische Teilhabe (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG). In der vom Grundgesetz gestalteten Staatsordnung kommt der Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine maßgebliche Bedeutung zu. Ohne freie und gleiche Wahl desjenigen Organs, das einen bestimmenden Einfluss auf die Regierung und Gesetzgebung des Bundes hat, bleibt das konstitutive Prinzip personaler Freiheit unvollständig. Der Bürger kann deshalb unter Berufung auf das Wahlrecht die Verletzung demokratischer Grundsätze mit der Verfassungsbeschwerde rügen (Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG). Das jedem Bürger zustehende Recht auf gleiche Teilhabe an der demokratischen Selbstbestimmung (demokratisches Teilhaberecht) kann auch dadurch verletzt werden, dass die Organisation der Staatsgewalt so verändert wird, dass der Wille des Volkes sich nicht mehr wirksam im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG bilden kann und die Bürger nicht mit Mehrheitswillen herrschen können. Das Prinzip der repräsentativen Volksherrschaft kann verletzt sein, wenn im grundgesetzlichen Organgefüge die Rechte des Bundestages wesentlich geschmälert werden und damit ein Substanzverlust demokratischer Gestaltungsmacht für dasjenige Verfassungsorgan eintritt, das unmittelbar nach den Grundsätzen freier und gleicher Wahl zustande gekommen ist (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪171 f.≫).
b) Das Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen, ist der elementare Bestandteil des Demokratieprinzips. Der Anspruch auf freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt ist in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) verankert. Er gehört zu den durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG als unveränderbar festgelegten Grundsätzen des deutschen Verfassungsrechts.
aa) Soweit im öffentlichen Raum verbindliche Entscheidungen für die Bürger getroffen werden, insbesondere über Eingriffe in Grundrechte, müssen diese Entscheidungen auf einen frei gebildeten Mehrheitswillen des Volkes zurückreichen. Die vom Grundgesetz verfasste Ordnung geht vom Eigenwert und der Würde des zur Freiheit befähigten Menschen aus. Diese Ordnung ist rechtsstaatliche Herrschaft auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit in Freiheit und Gleichheit (vgl. BVerfGE 2, 1 ≪12≫). Die Bürger sind danach keiner politischen Gewalt unterworfen, der sie nicht ausweichen können und die sie nicht prinzipiell personell und sachlich zu gleichem Anteil in Freiheit zu bestimmen vermögen.
bb) Für die vom Grundgesetz verfasste Staatsordnung ist eine durch Wahlen und Abstimmungen betätigte Selbstbestimmung des Volkes nach dem Mehrheitsprinzip konstitutiv. Sie wirkt in einem Raum öffentlicher freier Meinungsbildung und im organisierten Wettbewerb politischer Kräfte im Verhältnis zwischen verantwortlicher Regierung und parlamentarischer Opposition. Die Ausübung öffentlicher Gewalt unterliegt dem Mehrheitsprinzip mit regulärer Bildung von verantwortlicher Regierung und einer unbehinderten Opposition, die die Chance auf Regierungsübernahme hat. Insbesondere in der Wahl der Repräsentativversammlung des Volkes oder bei der Wahl von Spitzenämtern der Regierung müssen ein personell oder sachlich generalisierter Mehrheitswille artikuliert und aus der Wahl heraus politische Richtungsentscheidungen herbeigeführt werden können.
Diese zentrale Demokratieanforderung kann auf der Grundlage verschiedener Modelle erfüllt werden. Nach Maßgabe des deutschen Wahlrechts wird die verfassungsrechtlich geforderte repräsentative Parlamentsherrschaft dadurch erreicht, dass der Wählerwille in der Sitzverteilung möglichst proportional abgebildet wird. Eine Mehrheitsentscheidung im Parlament repräsentiert zugleich die Mehrheitsentscheidung des Volkes. Jeder Abgeordnete ist Vertreter des ganzen Volkes und deshalb Mitglied in einer Vertretung der Gleichen (Art. 38 Abs. 1 GG), die unter gleichheitsgerechten Bedingungen zu ihrem Mandat gelangt sind. Das Grundgesetz verlangt, dass jeder Bürger frei und im Rechtssinne (vor dem Gesetz) gleich ist. Für das Demokratiegebot bedeutet dies, dass jedem Staatsangehörigen, der aufgrund seines Alters und ohne den Verlust seines aktiven Wahlrechts wahlberechtigt ist, ein gleicher Anteil an der Ausübung der Staatsgewalt zusteht (vgl. BVerfGE 112, 118 ≪133 f.≫). Die Gleichheit der Wahlbürger muss sodann auf weiteren Stufen der Entfaltung demokratischer Willensbildung, insbesondere im Status des Abgeordneten, fortwirken. Zum Status der Abgeordneten gehört deshalb das in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Recht auf gleiche Teilhabe am Prozess der parlamentarischen Willensbildung (vgl. BVerfGE 43, 142 ≪149≫; 70, 324 ≪354≫; 80, 188 ≪218≫; 96, 264 ≪278≫; 112, 118 ≪133≫).
In Präsidialsystemen oder unter Geltung des Mehrheitswahlsystems kann die konkrete Ausgestaltung der zentralen Demokratieanforderung auch anders ausfallen. Eines ist aber allen Systemen repräsentativer Demokratie gemeinsam: Ein gleichheitsgerechter und frei zustande gekommener Mehrheitswille bildet sich – entweder im Wahlkreis oder in der proportional zustande gekommenen Versammlung – durch den Wahlakt. Die Richtungsentscheidung der Mehrheit der Wähler soll sich im Parlament und in der Regierung wiederfinden; der unterlegene Teil bleibt als politische Alternative sichtbar und im Raum freier Meinungsbildung wie auch in förmlichen Entscheidungsverfahren als Opposition wirksam, die bei späteren Wahlen die Chance hat zur Mehrheit zu werden.
c) Das demokratische Prinzip ist nicht abwägungsfähig; es ist unantastbar (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪182≫). Die verfassungsgebende Gewalt der Deutschen, die sich das Grundgesetz gab, wollte jeder künftigen politischen Entwicklung eine unübersteigbare Grenze setzen. Eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die in Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig (Art. 79 Abs. 3 GG). Mit der sogenannten Ewigkeitsgarantie wird die Verfügung über die Identität der freiheitlichen Verfassungsordnung selbst dem verfassungsändernden Gesetzgeber aus der Hand genommen. Das Grundgesetz setzt damit die souveräne Staatlichkeit Deutschlands nicht nur voraus, sondern garantiert sie auch.
Ob diese Bindung schon wegen der Universalität von Würde, Freiheit und Gleichheit sogar für die verfassungsgebende Gewalt gilt, also für den Fall, dass das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung, aber in einer Legalitätskontinuität zur Herrschaftsordnung des Grundgesetzes sich eine neue Verfassung gibt (vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, 1992, § 166 Rn. 61 ff.; Moelle, Der Verfassungsbeschluss nach Art. 146 GG, 1996, S. 73 ff.; Stückrath, Art. 146 GG: Verfassungsablösung zwischen Legalität und Legitimität, 1997, S. 240 ff.; vgl. auch BVerfGE 89, 155 ≪180≫), kann offen bleiben. Innerhalb der Ordnung des Grundgesetzes jedenfalls sind die Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG, also die Demokratie, die Rechts- und die Sozialstaatlichkeit, die Republik, der Bundesstaat sowie die für die Achtung der Menschwürde unentbehrliche Substanz elementarer Grundrechte in ihrer prinzipiellen Qualität jeder Änderung entzogen.
Die Verletzung der in Art. 79 Abs. 3 GG festgelegten Verfassungsidentität ist aus der Sicht des Demokratieprinzips zugleich ein Übergriff in die verfassungsgebende Gewalt des Volkes. Die verfassungsgebende Gewalt hat insofern den Vertretern und Organen des Volkes kein Mandat erteilt, über die Verfassungsidentität zu verfügen. Keinem Verfassungsorgan ist die Kompetenz eingeräumt, die nach Art. 79 Abs. 3 GG grundlegenden Verfassungsprinzipien zu verändern. Darüber wacht das Bundesverfassungsgericht. Mit der sogenannten Ewigkeitsgarantie reagiert das Grundgesetz einerseits auf historische Erfahrungen einer schleichenden oder auch abrupten Aushöhlung der freiheitlichen Substanz einer demokratischen Grundordnung. Es macht aber auch deutlich, dass die Verfassung der Deutschen in Übereinstimmung mit der internationalen Entwicklung gerade auch seit Bestehen der Vereinten Nationen einen universellen Grund besitzt, der durch positives Recht nicht veränderbar sein soll.
2. Die grundgesetzliche Ausgestaltung des Demokratieprinzips ist offen für das Ziel, Deutschland in eine internationale und europäische Friedensordnung einzufügen. Die dadurch ermöglichte neue Gestalt politischer Herrschaft unterliegt nicht schematisch den innerstaatlich geltenden verfassungsstaatlichen Anforderungen und darf deshalb nicht umstandslos an den konkreten Ausprägungen des Demokratieprinzips in einem Vertrags- oder Mitgliedstaat gemessen werden. Die Ermächtigung zur europäischen Integration erlaubt eine andere Gestaltung politischer Willensbildung, als sie das Grundgesetz für die deutsche Verfassungsordnung bestimmt. Dies gilt bis zur Grenze der unverfügbaren Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG). Der Grundsatz der demokratischen Selbstbestimmung und der gleichheitsgerechten Teilhabe an der öffentlichen Gewalt bleibt auch durch den Friedens- und Integrationsauftrag des Grundgesetzes sowie den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit (vgl. BVerfGE 31, 58 ≪75 f.≫; 111, 307 ≪317≫; 112, 1 ≪26≫; BVerfGK 9, 174 ≪186≫) unangetastet.
a) Die deutsche Verfassung ist auf Öffnung der staatlichen Herrschaftsordnung für das friedliche Zusammenwirken der Nationen und die europäische Integration gerichtet. Weder die gleichberechtigte Integration in die Europäische Union noch die Einfügung in friedenserhaltende Systeme wie die Vereinten Nationen bedeuten eine Unterwerfung unter fremde Mächte. Es handelt sich vielmehr um freiwillige, gegenseitige und gleichberechtigte Bindung, die den Frieden sichert und die politischen Gestaltungsmöglichkeiten durch gemeinsames koordiniertes Handeln stärkt. Das Grundgesetz schützt individuelle Freiheit – als Selbstbestimmung des Einzelnen – nicht mit dem Ziel, bindungslose Selbstherrlichkeit und rücksichtslose Interessendurchsetzung zu fördern. Gleiches gilt für das souveräne Selbstbestimmungsrecht der politischen Gemeinschaft.
Der Verfassungsstaat bindet sich mit anderen Staaten, die auf demselben Wertefundament der Freiheit und Gleichberechtigung stehen und die wie er die Würde des Menschen und die Prinzipien gleich zustehender personaler Freiheit in den Mittelpunkt der Rechtsordnung stellen. Gestaltenden Einfluss auf eine zunehmend mobile und grenzüberschreitend vernetzte Gesellschaft können demokratische Verfassungsstaaten nur gewinnen durch sinnvolles, ihr Eigeninteresse wie ihr Gemeininteresse wahrendes Zusammenwirken. Nur wer sich aus Einsicht in die Notwendigkeit friedlichen Interessenausgleichs und in die Möglichkeiten gemeinsamer Gestaltung bindet, gewinnt das erforderliche Maß an Handlungsmöglichkeiten, um die Bedingungen einer freien Gesellschaft auch künftig verantwortlich gestalten zu können. Dem trägt das Grundgesetz mit seiner Offenheit für die europäische Integration und für völkerrechtliche Bindungen Rechnung.
b) Die Präambel des Grundgesetzes betont nach den Erfahrungen verheerender Kriege, gerade auch unter den europäischen Völkern, nicht nur die sittliche Grundlage verantworteter Selbstbestimmung, sondern auch den Willen, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. Dies wird konkretisiert durch die Ermächtigungen zur Integration in die Europäische Union (Art. 23 Abs. 1 GG), zur Beteiligung an zwischenstaatlichen Einrichtungen (Art. 24 Abs. 1 GG) und zur Einfügung in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) sowie durch das Verbot von Angriffskriegen (Art. 26 GG). Das Grundgesetz will die Mitwirkung Deutschlands an internationalen Organisationen, eine zwischen den Staaten hergestellte Ordnung des wechselseitigen friedlichen Interessenausgleichs und ein organisiertes Miteinander in Europa.
In den Zielen der Präambel wird dieses Souveränitätsverständnis sichtbar. Das Grundgesetz löst sich von einer selbstgenügsamen und selbstherrlichen Vorstellung souveräner Staatlichkeit und kehrt zu einer Sicht auf die Einzelstaatsgewalt zurück, die Souveränität als „völkerrechtlich geordnete und gebundene Freiheit” auffasst (von Martitz, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Bd. I, 1888, S. 416). Es bricht mit allen Formen des politischen Machiavellismus und einer rigiden Souveränitätsvorstellung, die noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Recht zur Kriegsführung – auch als Angriffskrieg – für ein selbstverständliches Recht des souveränen Staates hielt (vgl. Starck, Der demokratische Verfassungsstaat, 1995, S. 356 f.; Randelzhofer, Use of Force, in: Bernhardt, Encyclopedia of Public International Law, Bd. IV, 2000, S. 1246 ff.), wenngleich mit den auf der Haager Friedenskonferenz am 29. Juli 1899 unterzeichneten Abkommen noch unter Bekräftigung des ius ad bellum eine allmähliche Ächtung der Gewalt zwischen Staaten einsetzte.
Das Grundgesetz schreibt demgegenüber die Friedenswahrung und die Überwindung des zerstörerischen europäischen Staatenantagonismus als überragende politische Ziele der Bundesrepublik fest. Souveräne Staatlichkeit steht danach für einen befriedeten Raum und die darin gewährleistete Ordnung auf der Grundlage individueller Freiheit und kollektiver Selbstbestimmung. Der Staat ist weder Mythos noch Selbstzweck, sondern die historisch gewachsene, global anerkannte Organisationsform einer handlungsfähigen politischen Gemeinschaft.
Der aus Art. 23 Abs. 1 GG und der Präambel folgende Verfassungsauftrag zur Verwirklichung eines vereinten Europas (vgl. Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit, 2007, S. 247) bedeutet insbesondere für die deutschen Verfassungsorgane, dass es nicht in ihrem politischen Belieben steht, sich an der europäischen Integration zu beteiligen oder nicht. Das Grundgesetz will eine europäische Integration und eine internationale Friedensordnung: Es gilt deshalb nicht nur der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, sondern auch der Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit.
c) Das Grundgesetz ermächtigt den Gesetzgeber zwar zu einer weitreichenden Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union. Die Ermächtigung steht aber unter der Bedingung, dass dabei die souveräne Verfassungsstaatlichkeit auf der Grundlage eines Integrationsprogramms nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und unter Achtung der verfassungsrechtlichen Identität als Mitgliedstaaten gewahrt bleibt und zugleich die Mitgliedstaaten ihre Fähigkeit zu selbstverantwortlicher politischer und sozialer Gestaltung der Lebensverhältnisse nicht verlieren.
aa) Das dem Deutschen Volk von der Präambel und von Art. 23 Abs. 1 des Grundgesetzes vorgegebene Integrationsziel sagt nichts über den endgültigen Charakter der politischen Verfasstheit Europas. Das Grundgesetz ermächtigt mit Art. 23 GG zur Beteiligung an einer friedensförderlichen supranationalen Kooperationsordnung. Dies schließt nicht die Verpflichtung ein, demokratische Selbstbestimmung auf der supranationalen Ebene uneingeschränkt in den Formen zu verwirklichen, die das Grundgesetz innerstaatlich für den Bund und über Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch für die Länder vorschreibt, sondern erlaubt Abweichungen von den Organisationsprinzipien innerstaatlicher Demokratie, die durch die Erfordernisse einer auf dem Prinzip der Staatengleichheit gründenden und völkervertraglich ausgehandelten Europäischen Union bedingt sind.
Integration setzt den Willen zur gemeinsamen Gestaltung und die Akzeptanz einer autonomen gemeinschaftlichen Willensbildung voraus. Integration in eine freiheitliche Gemeinschaft verlangt aber weder eine der verfassungsrechtlichen Begrenzung und Kontrolle entzogene Unterwerfung noch den Verzicht auf die eigene Identität. Das Grundgesetz ermächtigt die für Deutschland handelnden Organe nicht, durch einen Eintritt in einen Bundesstaat das Selbstbestimmungsrecht des Deutschen Volkes in Gestalt der völkerrechtlichen Souveränität Deutschlands aufzugeben. Dieser Schritt ist wegen der mit ihm verbundenen unwiderruflichen Souveränitätsübertragung auf ein neues Legitimationssubjekt allein dem unmittelbar erklärten Willen des Deutschen Volkes vorbehalten.
bb) Die geltende Verfassung weist einen anderen Weg: Sie erstrebt die gleichberechtigte Eingliederung Deutschlands in Staatensysteme gegenseitiger Sicherheit wie das der Vereinten Nationen oder der Nordatlantikorganisation (NATO) und die Beteiligung an der europäischen Vereinigung. Art. 23 Abs. 1 GG unterstreicht ebenso wie Art. 24 Abs. 1 GG, dass die Bundesrepublik Deutschland an der Entwicklung einer als Staatenverbund konzipierten Europäischen Union mitwirkt, auf die Hoheitsrechte übertragen werden. Der Begriff des Verbundes erfasst eine enge, auf Dauer angelegte Verbindung souverän bleibender Staaten, die auf vertraglicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt und in der die Völker – das heißt die staatsangehörigen Bürger – der Mitgliedstaaten die Subjekte demokratischer Legitimation bleiben.
Dieser Zusammenhang wird durch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG verdeutlicht, der für die Mitwirkung Deutschlands an der Entwicklung der Europäischen Union verbindliche Strukturvorgaben trifft. Das Grundgesetz kann nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG an die Entwicklung der Europäischen Union angepasst werden; zugleich wird dieser Möglichkeit durch Art. 79 Abs. 3 GG, auf den die Norm verweist, eine absolute Grenze gesetzt. Der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Mindeststandard darf auch durch die Einbindung Deutschlands in überstaatliche Strukturen nicht unterschritten werden.
cc) Die Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union oder andere zwischenstaatliche Einrichtungen erlaubt eine Verlagerung von politischer Herrschaft auf internationale Organisationen. Die Ermächtigung, supranationale Zuständigkeiten auszuüben, stammt allerdings von den Mitgliedstaaten einer solchen Einrichtung. Sie bleiben deshalb dauerhaft die Herren der Verträge. Die Quelle der Gemeinschaftsgewalt und der sie konstituierenden europäischen Verfassung im funktionellen Sinne sind die in ihren Staaten demokratisch verfassten Völker Europas. Die „Verfassung Europas”, das Völkervertrags- oder Primärrecht, bleibt eine abgeleitete Grundordnung. Sie begründet eine im politischen Alltag durchaus weitreichende, aber immer sachlich begrenzte überstaatliche Autonomie. Autonomie kann hier nur – wie im Recht der Selbstverwaltung gebräuchlich – als eine zwar selbständige, aber abgeleitete, das heißt von anderen Rechtssubjekten eingeräumte Herrschaftsgewalt verstanden werden. Dagegen beansprucht die völker- und staatsrechtliche Souveränität gerade für ihre konstitutionellen Grundlagen die Unabhängigkeit von fremdem Willen (vgl. Carlo Schmid, Generalbericht in der Zweiten Sitzung des Plenums des Parlamentarischen Rates am 8. September 1948, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv, Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Bd. 9, 1996, S. 20 ff.). Es kommt dabei nicht darauf an, ob eine internationale Organisation rechtsfähig ist, also ihrerseits als Subjekt in völkerrechtlichen Rechtsbeziehungen verbindlich handeln kann. Es kommt darauf an, wie das grundlegende Rechtsverhältnis zwischen der internationalen Organisation zu den Mitglied- und Vertragsstaaten ausgestaltet ist, die diese Organisation geschaffen und ihr die Rechtsfähigkeit verliehen haben.
Nach Maßgabe der Integrationsermächtigung des Art. 23 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Präambel, Art. 20, Art. 79 Abs. 3 und Art. 146 GG kann es für die europäische Unionsgewalt kein eigenständiges Legitimationssubjekt geben, das sich unabgeleitet von fremdem Willen und damit aus eigenem Recht gleichsam auf höherer Ebene verfassen könnte.
d) Das Grundgesetz ermächtigt die deutschen Staatsorgane nicht, Hoheitsrechte derart zu übertragen, dass aus ihrer Ausübung heraus eigenständig weitere Zuständigkeiten für die Europäische Union begründet werden können. Es untersagt die Übertragung der Kompetenz-Kompetenz (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪187 f., 192, 199≫; vgl. auch BVerfGE 58, 1 ≪37≫; 104, 151 ≪210≫). Auch eine weitgehende Verselbständigung politischer Herrschaft für die Europäische Union durch die Einräumung stetig vermehrter Zuständigkeiten und eine allmähliche Überwindung noch bestehender Einstimmigkeitserfordernisse oder bislang prägender Regularien der Staatengleichheit kann aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts allein aus der Handlungsfreiheit des selbstbestimmten Volkes heraus geschehen. Solche Integrationsschritte müssen von Verfassungs wegen durch den Übertragungsakt sachlich begrenzt und prinzipiell widerruflich sein. Aus diesem Grund darf – ungeachtet einer vertraglich unbefristeten Bindung – der Austritt aus dem europäischen Integrationsverband nicht von anderen Mitgliedstaaten oder der autonomen Unionsgewalt unterbunden werden. Es handelt sich nicht um eine – völkerrechtlich problematische – Sezession aus einem Staatsverband (Tomuschat, Secession and Self-Determination, in: Kohen, Secession – International Law Perspectives, 2006, S. 23 ff.), sondern lediglich um den Austritt aus einem auf dem Prinzip der umkehrbaren Selbstbindung beruhenden Staatenverbund.
Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ist deshalb nicht nur ein europarechtlicher Grundsatz (Art. 5 Abs. 1 EGV; Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EUV-Lissabon; vgl. Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrages, 1991), sondern nimmt – ebenso wie die Pflicht der Europäischen Union, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten (Art. 6 Abs. 3 EUV; Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV-Lissabon) – mitgliedstaatliche Verfassungsprinzipien auf. Das europarechtliche Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die europarechtliche Pflicht zur Identitätsachtung sind insoweit vertraglicher Ausdruck der staatsverfassungsrechtlichen Grundlegung der Unionsgewalt.
Der unübertragbaren und insoweit integrationsfesten Identität der Verfassung (Art. 79 Abs. 3 GG) entspricht die europarechtliche Pflicht, die verfassungsgebende Gewalt der Mitgliedstaaten als Herren der Verträge zu achten. Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen seiner Zuständigkeit gegebenenfalls zu prüfen, ob diese Prinzipien gewahrt sind.
e) Das Integrationsprogramm der Europäischen Union muss hinreichend bestimmt sein. Soweit nicht das Volk unmittelbar selbst zur Entscheidung berufen ist, ist demokratisch legitimiert nur, was parlamentarisch verantwortet werden kann (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪212≫). Eine Blankettermächtigung zur Ausübung öffentlicher Gewalt, zumal mit unmittelbarer Bindungswirkung in der innerstaatlichen Rechtsordnung, dürfen die deutschen Verfassungsorgane nicht erteilen (vgl. BVerfGE 58, 1 ≪37≫; 89, 155 ≪183 f., 187≫). Sofern die Mitgliedstaaten das Vertragsrecht so ausgestalten, dass unter grundsätzlicher Fortgeltung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung in eine Veränderung des Vertragsrechts bereits ohne Ratifikationsverfahren allein oder maßgeblich durch die Organe der Union – wenngleich unter dem Einstimmigkeitserfordernis – herbeigeführt werden kann, obliegt neben der Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften eine besondere Verantwortung im Rahmen der Mitwirkung, die in Deutschland innerstaatlich den Anforderungen des Art. 23 Abs. 1 GG genügen muss (Integrationsverantwortung) und gegebenenfalls in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren eingefordert werden kann.
aa) Jede Einfügung in friedenserhaltende Systeme, in internationale oder supranationale Organisationen eröffnet die Möglichkeit, dass sich die geschaffenen Einrichtungen, auch und gerade wenn deren Organe auftragsgemäß handeln, selbständig entwickeln und dabei eine Tendenz zu ihrer politischen Selbstverstärkung aufweisen. Ein zur Integration ermächtigendes Gesetz – wie das Zustimmungsgesetz – kann daher trotz des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung immer nur ein Programm umreißen, in dessen Grenzen dann eine politische Entwicklung stattfindet, die nicht in jedem Punkt vorherbestimmt sein kann. Wer auf Integration baut, muss mit der eigenständigen Willensbildung der Unionsorgane rechnen. Hinzunehmen ist daher eine Tendenz zur Besitzstandswahrung (acquis communautaire) und zur wirksamen Kompetenzauslegung im Sinne der US-amerikanischen implied powers-Doktrin (vgl. auch Internationaler Gerichtshof, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Advisory Opinion vom 11. April 1949, ICJ Reports 1949, S. 174 ≪182 ff.≫) oder der effet utile-Regel des Völkervertragsrechts (vgl. zum guten Sinn dieser Regel Gill, The League of Nations from 1929 to 1946, 1996; Rouyer-Hameray, Les compétences implicites des organisations internationales, 1962, S. 90 ff.; speziell zum Europarecht Pescatore, Monisme, dualisme et „effet utile” dans la jurisprudence de la Cour de justice de la Communauté européenne, in: Festschrift für Rodríguez Iglesias, 2003, S. 329 ff.; vgl. zu der entsprechenden Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Höreth, Die Selbstautorisierung des Agenten, Der Europäische Gerichtshof im Vergleich zum US Supreme Court, 2008, S. 320 ff.). Dies ist Teil des vom Grundgesetz gewollten Integrationsauftrags.
bb) Das Vertrauen in die konstruktive Kraft des Integrationsmechanismus kann allerdings von Verfassungs wegen nicht unbegrenzt sein. Wenn im europäischen Integrationsprozess das Primärrecht durch Organe verändert oder erweiternd ausgelegt wird, entsteht eine verfassungsrechtlich bedeutsame Spannungslage zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und zur verfassungsrechtlichen Integrationsverantwortung des einzelnen Mitgliedstaates. Wenn Gesetzgebungs- oder Verwaltungszuständigkeiten nur unbestimmt oder zur dynamischen Fortentwicklung übertragen werden oder wenn die Organe Zuständigkeiten neu begründen, erweiternd abrunden oder sachlich ausdehnen dürfen, laufen sie Gefahr, das vorherbestimmte Integrationsprogramm zu überschreiten und außerhalb ihrer Ermächtigung zu handeln. Sie bewegen sich auf einem Pfad, an dessen Ende die Verfügungsgewalt über ihre vertraglichen Grundlagen steht, das heißt die Kompetenz, über ihre Kompetenzen zu disponieren. Eine Überschreitung des konstitutiven Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und der den Mitgliedstaaten zustehenden konzeptionellen Integrationsverantwortung droht, wenn Organe der Europäischen Union unbeschränkt, ohne eine – sei es auch nur sehr zurückgenommene und sich als exzeptionell verstehende – äußere Kontrolle darüber entscheiden können, wie das Vertragsrecht ausgelegt wird.
Es ist deshalb von Verfassungs wegen gefordert, entweder dynamische Vertragsvorschriften mit Blankettcharakter nicht zu vereinbaren oder, wenn sie noch in einer Weise ausgelegt werden können, die die nationale Integrationsverantwortung wahrt, jedenfalls geeignete innerstaatliche Sicherungen zur effektiven Wahrnehmung dieser Verantwortung zu treffen. Das Zustimmungsgesetz und die innerstaatliche Begleitgesetzgebung müssen demnach so beschaffen sein, dass die europäische Integration weiter nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung erfolgt, ohne dass für die Europäische Union die Möglichkeit besteht, sich der Kompetenz-Kompetenz zu bemächtigen oder die integrationsfeste Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten, hier des Grundgesetzes, zu verletzen. Für Grenzfälle des noch verfassungsrechtlich Zulässigen muss der deutsche Gesetzgeber gegebenenfalls mit seinen die Zustimmung begleitenden Gesetzen wirksame Vorkehrungen dafür treffen, dass die Integrationsverantwortung der Gesetzgebungsorgane sich hinreichend entfalten kann.
Innerhalb der deutschen Jurisdiktion muss es zudem möglich sein, die Integrationsverantwortung im Fall von ersichtlichen Grenzüberschreitungen bei Inanspruchnahme von Zuständigkeiten durch die Europäische Union – dies wurde auch von den Bevollmächtigten des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung betont – und zur Wahrung des unantastbaren Kerngehalts der Verfassungsidentität des Grundgesetzes im Rahmen einer Identitätskontrolle einfordern zu können (vgl. BVerfGE 75, 223 ≪235, 242≫; 89, 155 ≪188≫; 113, 273 ≪296≫). Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür bereits den Weg der Ultra-vires-Kontrolle eröffnet, die im Fall von Grenzdurchbrechungen bei der Inanspruchnahme von Zuständigkeiten durch Gemeinschafts- und Unionsorgane greift. Wenn Rechtsschutz auf Unionsebene nicht zu erlangen ist, prüft das Bundesverfassungsgericht, ob Rechtsakte der europäischen Organe und Einrichtungen sich unter Wahrung des gemeinschafts- und unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 2 EGV; Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 EUV-Lissabon) in den Grenzen der ihnen im Wege der begrenzten Einzelermächtigung eingeräumten Hoheitsrechte halten (vgl. BVerfGE 58, 1 ≪30 f.≫; 75, 223 ≪235, 242≫; 89, 155 ≪188≫: dort zum sogenannten ausbrechenden Rechtsakt). Darüber hinaus prüft das Bundesverfassungsgericht, ob der unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG gewahrt ist (vgl. BVerfGE 113, 273 ≪296≫). Die Ausübung dieser verfassungsrechtlich radizierten Prüfungskompetenz folgt dem Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, und sie widerspricht deshalb auch nicht dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon); anders können die von Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV-Lissabon anerkannten grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen souveräner Mitgliedstaaten bei fortschreitender Integration nicht gewahrt werden. Insoweit gehen die verfassungs- und die unionsrechtliche Gewährleistung der nationalen Verfassungsidentität im europäischen Rechtsraum Hand in Hand. Die Identitätskontrolle ermöglicht die Prüfung, ob infolge des Handelns europäischer Organe die in Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze der Art. 1 und Art. 20 GG verletzt werden. Damit wird sichergestellt, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nur kraft und im Rahmen der fortbestehenden verfassungsrechtlichen Ermächtigung gilt.
Sowohl die Ultra-vires- als auch die Identitätskontrolle können dazu führen, dass Gemeinschafts- oder künftig Unionsrecht in Deutschland für unanwendbar erklärt wird. Zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung verlangt die europarechtsfreundliche Anwendung von Verfassungsrecht bei Beachtung des in Art. 100 Abs. 1 GG zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedankens, dass sowohl eine Ultra-vires-Feststellung wie auch die Feststellung einer Verletzung der Verfassungsidentität nur dem Bundesverfassungsgericht obliegt. In welchen Verfahren das Bundesverfassungsgericht im Einzelnen mit dieser Kontrolle befasst werden kann, braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden. In Betracht kommt die Inanspruchnahme bereits jetzt vorgesehener Verfahren, mithin die abstrakte (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) und konkrete (Art. 100 Abs. 1 GG) Normenkontrolle, der Organstreit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG), der Bund-Länder-Streit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG) und die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Denkbar ist aber auch die Schaffung eines zusätzlichen, speziell auf die Ultra-vires- und die Identitätskontrolle zugeschnittenen verfassungsgerichtlichen Verfahrens durch den Gesetzgeber zur Absicherung der Verpflichtung deutscher Organe, kompetenzüberschreitende oder identitätsverletzende Unionsrechtsakte im Einzelfall in Deutschland unangewendet zu lassen.
Wenn das Vertragsrecht die Kompetenzen der Europäischen Union zwar in grundsätzlich zustimmungsfähiger Weise bestimmt, diese aber über jene Möglichkeiten hinaus fortentwickelt werden können, die eine Auslegung nach dem Prinzip des effet utile oder eine implizite Abrundung der übertragenen Zuständigkeiten bieten, wenn also Kompetenztitel erst durch besondere Rechtsakte auf der Unionsebene mit klarem Inhalt versehen werden und Entscheidungsverfahren dort eigenständig verändert werden können, darf sich Deutschland daran nur beteiligen, wenn innerstaatlich sichergestellt ist, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen eingehalten werden. Mit der Ratifikation von völkerrechtlichen Verträgen, die politische Beziehungen des Bundes regeln (Art. 59 Abs. 2 GG), wird die verfassungsrechtlich gebotene Beteiligung der Gesetzgebungsorgane an der auswärtigen Gewalt allgemein gewährleistet (vgl. BVerfGE 104, 151 ≪194≫) und der innerstaatliche Rechtsanwendungsbefehl für das von der Exekutive vereinbarte Vertragsrecht erteilt (vgl. BVerfGE 99, 145 ≪158≫; BVerwGE 110, 363 ≪366≫).
Für die europäische Integration gilt der besondere Gesetzesvorbehalt des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach Hoheitsrechte nur durch Gesetz und mit Zustimmung des Bundesrates übertragen werden können. Dieser Gesetzesvorbehalt ist zur Wahrung der Integrationsverantwortung und zum Schutz des Verfassungsgefüges so auszulegen, dass jede Veränderung der textlichen Grundlagen des europäischen Primärrechts erfasst wird. Die Gesetzgebungsorgane des Bundes betätigen somit auch bei vereinfachten Änderungsverfahren oder Vertragsabrundungen, bei bereits angelegten, aber der Konkretisierung durch weitere Rechtsakte bedürftigen Zuständigkeitsveränderungen und bei Änderung der Vorschriften, die Entscheidungsverfahren betreffen, ihre dem Ratifikationsverfahren vergleichbare politische Verantwortung. Dabei bleibt ein der Ratifikationslage entsprechender Rechtsschutz gewahrt.
3. Die Ausgestaltung der Europäischen Union muss sowohl in Art und Umfang der Übertragung von Hoheitsrechten als auch in der organisatorischen und verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der autonom handelnden Unionsgewalt demokratischen Grundsätzen entsprechen (Art. 23 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG). Weder darf die europäische Integration zu einer Aushöhlung des demokratischen Herrschaftssystems in Deutschland führen (a) noch darf die supranationale öffentliche Gewalt für sich genommen grundlegende demokratische Anforderungen verfehlen (b).
a) Den deutschen Verfassungsorganen obliegt eine dauerhafte Integrationsverantwortung. Sie ist darauf gerichtet, bei der Übertragung von Hoheitsrechten und bei der Ausgestaltung der europäischen Entscheidungsverfahren dafür Sorge zu tragen, dass in einer Gesamtbetrachtung sowohl das politische System der Bundesrepublik Deutschland als auch das der Europäischen Union demokratischen Grundsätzen im Sinne des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG entspricht.
Die Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages durch das Volk erfüllt nur dann ihre tragende Rolle im System föderaler und supranationaler Herrschaftsverflechtung, wenn der das Volk repräsentierende Deutsche Bundestag und die von ihm getragene Bundesregierung einen gestaltenden Einfluss auf die politische Entwicklung in Deutschland behalten. Das ist dann der Fall, wenn der Deutsche Bundestag eigene Aufgaben und Befugnisse von substantiellem politischem Gewicht behält oder die ihm politisch verantwortliche Bundesregierung maßgeblichen Einfluss auf europäische Entscheidungsverfahren auszuüben vermag (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪207≫).
aa) Föderalisierung nach innen und Supranationalisierung nach außen können neue bürgerschaftliche Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnen. Aus ihnen wachsen ein gesteigerter Zusammenhalt kleinerer oder größerer Einheiten und bessere Chancen zum friedlichen Interessenausgleich zwischen Regionen und Staaten. Föderale oder supranationale Verflechtungen schaffen Handlungsmöglichkeiten, die sonst auf praktische oder territoriale Grenzen stießen, und erleichtern den friedlichen Interessenausgleich. Sie erschweren aber zugleich die Bildung eines durchsetzungsfähigen Mehrheitswillens, der unmittelbar auf das Volk zurückgeht (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG). Die Zuordnung von Entscheidungen zu bestimmten verantwortlich Handelnden verliert an Transparenz mit der Folge, dass die Bürger sich bei ihrem Votum kaum an greifbaren Verantwortungszusammenhängen orientieren können. Das Demokratieprinzip setzt deshalb der Übertragung von Hoheitsrechten inhaltliche Grenzen, die nicht bereits aus der Unverfügbarkeit der verfassungsgebenden Gewalt und der staatlichen Souveränität folgen.
bb) Die vom Demokratieprinzip im geltenden Verfassungssystem geforderte Wahrung der Souveränität im vom Grundgesetz angeordneten integrationsoffenen und völkerrechtsfreundlichen Sinne, bedeutet für sich genommen nicht, dass eine von vornherein bestimmbare Summe oder bestimmte Arten von Hoheitsrechten in der Hand des Staates bleiben müssten. Die von Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG erlaubte Mitwirkung Deutschlands an der Entwicklung der Europäischen Union umfasst neben der Bildung einer Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft auch eine politische Union. Politische Union meint die gemeinsame Ausübung von öffentlicher Gewalt, einschließlich der gesetzgebenden, bis hinein in die herkömmlichen Kernbereiche des staatlichen Kompetenzraums. Dies ist in der europäischen Friedens- und Einigungsidee insbesondere dort angelegt, wo es um die Koordinierung grenzüberschreitender Lebenssachverhalte geht und um die Gewährleistung eines gemeinsamen Wirtschafts- und Rechtsraumes, in dem sich Unionsbürger frei entfalten können (Art. 3 Abs. 2 EUV-Lissabon).
cc) Die europäische Vereinigung auf der Grundlage einer Vertragsunion souveräner Staaten darf allerdings nicht so verwirklicht werden, dass in den Mitgliedstaaten kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse mehr bleibt. Dies gilt insbesondere für Sachbereiche, die die Lebensumstände der Bürger, vor allem ihren von den Grundrechten geschützten privaten Raum der Eigenverantwortung und der persönlichen und sozialen Sicherheit prägen, sowie für solche politische Entscheidungen, die in besonderer Weise auf kulturelle, historische und sprachliche Vorverständnisse angewiesen sind, und die sich im parteipolitisch und parlamentarisch organisierten Raum einer politischen Öffentlichkeit diskursiv entfalten. Zu wesentlichen Bereichen demokratischer Gestaltung gehören unter anderem die Staatsbürgerschaft, das zivile und militärische Gewaltmonopol, Einnahmen und Ausgaben einschließlich der Kreditaufnahme sowie die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Eingriffstatbestände, vor allem bei intensiven Grundrechtseingriffen wie dem Freiheitsentzug in der Strafrechtspflege oder bei Unterbringungsmaßnahmen. Zu diesen bedeutsamen Sachbereichen gehören auch kulturelle Fragen wie die Verfügung über die Sprache, die Gestaltung der Familien- und Bildungsverhältnisse, die Ordnung der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit oder der Umgang mit dem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis.
dd) Demokratie bedeutet nicht nur die Wahrung formaler Organisationsprinzipien (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪185≫) und nicht allein eine korporative Einbindung von Interessengruppen. Demokratie lebt zuerst von und in einer funktionsfähigen öffentlichen Meinung, die sich auf zentrale politische Richtungsbestimmungen und die periodische Vergabe von politischen Spitzenämtern im Wettbewerb von Regierung und Opposition konzentriert. Diese öffentliche Meinung macht für Wahlen und Abstimmungen erst die Alternativen sichtbar und ruft diese auch für einzelne Sachentscheidungen fortlaufend in Erinnerung, damit die politische Willensbildung des Volkes über die für alle Bürger zur Mitwirkung geöffneten Parteien und im öffentlichen Informationsraum beständig präsent und wirksam bleiben. Art. 38 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG schützen insoweit auch den Zusammenhang von politischer Sachentscheidung mit dem wahlkonstituierten Mehrheitswillen und dem daraus abgeleiteten Regierungs-Oppositions-Dualismus in einem System konkurrierender Parteienvielfalt und beobachtender, kontrollierender öffentlicher Meinungsbildung.
Auch wenn durch die großen Erfolge der europäischen Integration eine gemeinsame und miteinander im thematischen Zusammenwirken stehende europäische Öffentlichkeit in ihren jeweiligen staatlichen Resonanzräumen ersichtlich wächst (vgl. dazu bereits BVerfGE 89, 155 ≪185≫; Trenz, Europa in den Medien, Die europäische Integration im Spiegel nationaler Öffentlichkeit, 2005), so ist doch nicht zu übersehen, dass die öffentliche Wahrnehmung von Sachthemen und politischem Führungspersonal in erheblichem Umfang an nationalstaatliche, sprachliche, historische und kulturelle Identifikationsmuster angeschlossen bleibt. Sowohl das Demokratieprinzip als auch das ebenfalls von Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG strukturell geforderte Subsidiaritätsprinzip verlangen deshalb, gerade in zentralen politischen Bereichen des Raumes persönlicher Entfaltung und sozialer Gestaltung der Lebensverhältnisse, die Übertragung und die Ausübung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union in vorhersehbarer Weise sachlich zu begrenzen. In diesen Bereichen bietet es sich in besonderem Maße an, die Grenzlinie dort zu ziehen, wo die Koordinierung grenzüberschreitender Sachverhalte sachlich notwendig ist.
Als besonders sensibel für die demokratische Selbstgestaltungsfähigkeit eines Verfassungsstaates gelten seit jeher Entscheidungen über das materielle und formelle Strafrecht (1), die Verfügung über das Gewaltmonopol polizeilich nach innen und militärisch nach außen (2), die fiskalischen Grundentscheidungen über Einnahmen und – gerade auch sozialpolitisch motivierte – Ausgaben der öffentlichen Hand (3), die sozialstaatliche Gestaltung von Lebensverhältnissen (4) sowie kulturell besonders bedeutsame Entscheidungen etwa im Familienrecht, Schul- und Bildungssystem oder über den Umgang mit religiösen Gemeinschaften (5).
(1) Die Strafrechtspflege ist, sowohl was die Voraussetzungen der Strafbarkeit als auch was die Vorstellungen von einem fairen, angemessenen Strafverfahren anlangt, von kulturellen, historisch gewachsenen, auch sprachlich geprägten Vorverständnissen und von den im deliberativen Prozess sich bildenden Alternativen abhängig, die die jeweilige öffentliche Meinung bewegen (vgl. dazu Weigend, Strafrecht durch internationale Vereinbarungen – Verlust an nationaler Strafrechtskultur?, ZStW 1993, S. 774 ≪785≫). Die diesbezüglichen Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede zwischen den europäischen Nationen belegt die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu den Garantien im Strafverfahren (vgl. die Beiträge von Bank ≪Kap. 11≫; Grabenwarter/Pabel ≪Kap. 14≫ und Kadelbach ≪Kap. 15≫ in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, 2006; Gollwitzer, Menschenrechte im Strafverfahren: MRK und IPBPR, 2005). Die Pönalisierung sozialen Verhaltens ist aber nur eingeschränkt aus europaweit geteilten Werten und sittlichen Prämissen normativ ableitbar. Die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten, über den Rang von Rechtsgütern und den Sinn und das Maß der Strafandrohung ist vielmehr in besonderem Maße dem demokratischen Entscheidungsprozess überantwortet (vgl. BVerfGE 120, 224 ≪241 f.≫). Eine Übertragung von Hoheitsrechten über die intergouvernementale Zusammenarbeit hinaus darf in diesem grundrechtsbedeutsamen Bereich nur für bestimmte grenzüberschreitende Sachverhalte unter restriktiven Voraussetzungen zu einer Harmonisierung führen; dabei müssen grundsätzlich substantielle mitgliedstaatliche Handlungsfreiräume erhalten bleiben (vgl. BVerfGE 113, 273 ≪298 f.≫).
(2) Eine ähnlich ausgeprägte Grenze zieht das Grundgesetz für Entscheidungen über den Einsatz der Bundeswehr. Der Auslandseinsatz der Streitkräfte ist außer im Verteidigungsfall nur in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit erlaubt (Art. 24 Abs. 2 GG), wobei der konkrete Einsatz von der Zustimmung des Deutschen Bundestages konstitutiv abhängt (vgl. BVerfGE 90, 286 ≪381 f.≫; 100, 266 ≪269≫; 104, 151 ≪208≫; 108, 34 ≪43≫; 121, 135 ≪153 f.≫; stRspr). Die Bundeswehr ist ein „Parlamentsheer” (BVerfGE 90, 286 ≪382≫), über dessen Einsatz das Repräsentationsorgan des Volkes zu entscheiden hat (vgl. BVerfGE 90, 286 ≪383 ff.≫). Der Einsatz von Streitkräften ist für individuelle Rechtsgüter der Soldatinnen und Soldaten sowie anderer von militärischen Maßnahmen Betroffener wesentlich und birgt die Gefahr tiefgreifender Verwicklungen in sich.
Auch wenn die Europäische Union zu einem friedenserhaltenden regionalen System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG ausgebaut würde, ist in diesem Bereich wegen des – der Integrationsermächtigung des Art. 23 Abs. 1 GG insoweit vorgehenden – Friedens- und Demokratiegebots eine Supranationalisierung mit Anwendungsvorrang im Hinblick auf den konkreten Einsatz deutscher Streitkräfte nicht zulässig. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt für den Auslandseinsatz der Bundeswehr ist integrationsfest. Damit ist allerdings von Verfassungs wegen keine unübersteigbare Grenze für eine technische Integration eines europäischen Streitkräfteeinsatzes über gemeinsame Führungsstäbe, für die Bildung gemeinsamer Streitkräftedispositive oder für eine Abstimmung und Koordinierung gemeinsamer europäischer Rüstungsbeschaffungen gezogen. Nur die Entscheidung über den jeweiligen konkreten Einsatz hängt von der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages ab.
(3) Eine das Demokratieprinzip und das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag in seinem substantiellen Bestimmungsgehalt verletzende Übertragung des Budgetrechts des Bundestages läge vor, wenn die Festlegung über Art und Höhe der den Bürger treffenden Abgaben in wesentlichem Umfang supranationalisiert würde. Der Deutsche Bundestag muss dem Volk gegenüber verantwortlich über die Summe der Belastungen der Bürger entscheiden. Entsprechendes gilt für wesentliche Ausgaben des Staates. In diesem Bereich obliegt gerade die sozialpolitische Verantwortung dem demokratischen Entscheidungsprozess, auf den die Bürger mit der freien und gleichen Wahl einwirken wollen. Die Hoheit über den Haushalt ist der Ort konzeptioneller politischer Entscheidungen über den Zusammenhang von wirtschaftlichen Belastungen und staatlich gewährten Vergünstigungen. Deshalb wird die parlamentarische Aussprache über den Haushalt – einschließlich des Maßes der Verschuldung – als politische Generaldebatte verstanden. Nicht jede haushaltswirksame europäische oder internationale Verpflichtung gefährdet die Gestaltungsfähigkeit des Bundestages als Haushaltsgesetzgeber. Zu der vom Grundgesetz erstrebten Öffnung der Rechts- und Sozialordnung und zur europäischen Integration gehört die Anpassung an Vorgaben und Bindungen, die der Haushaltsgesetzgeber als nicht unmittelbar beeinflussbare Faktoren in die eigene Planung einstellen muss. Entscheidend ist aber, dass die Gesamtverantwortung mit ausreichenden politischen Freiräumen für Einnahmen und Ausgaben noch im Deutschen Bundestag getroffen werden kann.
(4) Das Sozialstaatsprinzip begründet die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen (vgl. BVerfGE 59, 231 ≪263≫; 100, 271 ≪284≫). Der Staat hat diese Pflichtaufgabe auf der Grundlage eines weiten Gestaltungsfreiraumes zu erfüllen, weshalb bislang nur in wenigen Fällen konkrete verfassungsrechtliche Handlungspflichten aus dem Prinzip abgeleitet wurden. Der Staat hat lediglich die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen (vgl. BVerfGE 82, 60 ≪80≫; 110, 412 ≪445≫). Das Sozialstaatsprinzip stellt dem Staat eine Aufgabe, sagt aber nichts darüber, mit welchen Mitteln diese Aufgabe im Einzelnen zu verwirklichen ist.
Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine soziale Integration oder eine „Sozialunion” sind deutlich begrenzt. Zwar hängt gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG Deutschlands Mitwirkung am Integrationsprozess von der Verpflichtung der Europäischen Union unter anderem auf soziale Grundsätze ab. Das Grundgesetz unternimmt es damit, nicht nur defensiv soziale Aufgaben für den deutschen Staatsverband gegen überstaatliche Inanspruchnahmen zu sichern, sondern will die europäische Hoheitsgewalt in ihrem – übertragenen – Aufgabenspektrum an die Sozialverantwortung binden (vgl. Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 531 ff.). Auch für die Organe der Europäischen Union gilt aber der Grundsatz, dass das Sozialstaatsprinzip notwendig die politische und rechtliche Konkretisierung voraussetzt, um wirken zu können.
Danach müssen die sozialpolitisch wesentlichen Entscheidungen in eigener Verantwortung der deutschen Gesetzgebungsorgane getroffen werden. Namentlich die Existenzsicherung des Einzelnen, eine nicht nur im Sozialstaatsprinzip, sondern auch in Art. 1 Abs. 1 GG gegründete Staatsaufgabe, muss weiterhin primäre Aufgabe der Mitgliedstaaten bleiben, auch wenn Koordinierung bis hin zur allmählichen Angleichung nicht ausgeschlossen ist. Dies korrespondiert mit den rechtlich wie faktisch begrenzten Möglichkeiten der Europäischen Union zur Ausformung sozialstaatlicher Strukturen.
(5) Demokratische Selbstbestimmung ist schließlich auf die Möglichkeit, sich im eigenen Kulturraum verwirklichen zu können, besonders angewiesen bei Entscheidungen, wie sie insbesondere im Schul- und Bildungssystem, im Familienrecht, bei der Sprache, in Teilbereichen der Medienordnung und zum Status von Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften getroffen werden. Die bereits wahrnehmbaren Aktivitäten der Europäischen Union auf diesen Gebieten greifen auf einer Ebene in die Gesellschaft ein, die in der primären Verantwortung der Mitgliedstaaten und ihrer Gliederungen steht. Die Gestaltung von Lehrplänen und Bildungsinhalten sowie etwa die Struktur eines gegliederten Schulsystems sind politische Grundentscheidungen, die einen starken Bezug zu den kulturellen Wurzeln und Wertvorstellungen eines jeden Staates haben. Die Gestaltung von Schule und Bildung berührt, wie das Recht der familiären Beziehungen und Entscheidungen über Fragen der Sprache und der Einbeziehung des Transzendenten in das öffentliche Leben, in besonderem Maße gewachsene Überzeugungen und Wertvorstellungen, die in spezifischen historischen Traditionen und Erfahrungen verwurzelt sind. Demokratische Selbstbestimmung erfordert hier, dass die jeweilige durch solche Traditionen und Überzeugungen verbundene politische Gemeinschaft das Subjekt demokratischer Legitimation bleibt.
b) Die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG begrenzt das in der Staatszielbestimmung angesprochene Mitwirkungsziel auf eine Europäische Union, die in ihren elementaren Strukturen den durch Art. 79 Abs. 3 GG auch vor Veränderungen durch den verfassungsändernden Gesetzgeber geschützten Kernprinzipien entspricht. Die Ausgestaltung der Europäischen Union im Hinblick auf übertragene Hoheitsrechte, Organe und Entscheidungsverfahren muss demokratischen Grundsätzen entsprechen (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG). Die konkreten Anforderungen an die demokratischen Grundsätze hängen vom Umfang der übertragenen Hoheitsrechte und vom Grad der Verselbständigung europäischer Entscheidungsverfahren ab.
aa) Die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratieprinzips an die Organisationsstruktur und die Entscheidungsverfahren der Europäischen Union hängen davon ab, in welchem Umfang hoheitliche Aufgaben auf die Union übertragen werden und wie hoch der Grad der politischen Verselbständigung bei der Wahrnehmung der übertragenen Hoheitsrechte ist. Eine Verstärkung der Integration kann verfassungswidrig sein, wenn das demokratische Legitimationsniveau mit dem Umfang und dem Gewicht supranationaler Herrschaftsmacht nicht Schritt hält. Solange und soweit das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in einem Verbund souveräner Staaten mit ausgeprägten Zügen exekutiver und gouvernementaler Zusammenarbeit gewahrt bleibt, reicht grundsätzlich die über nationale Parlamente und Regierungen vermittelte Legitimation der Mitgliedstaaten aus, die ergänzt und abgestützt wird durch das unmittelbar gewählte Europäische Parlament (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪184≫).
Wenn dagegen die Schwelle zum Bundesstaat und zum nationalen Souveränitätsverzicht überschritten wäre, was in Deutschland eine freie Entscheidung des Volkes jenseits der gegenwärtigen Geltungskraft des Grundgesetzes voraussetzt, müssten demokratische Anforderungen auf einem Niveau eingehalten werden, das den Anforderungen an die demokratische Legitimation eines staatlich organisierten Herrschaftsverbandes vollständig entspräche. Dieses Legitimationsniveau könnte dann nicht mehr von nationalen Verfassungsordnungen vorgeschrieben sein.
Ein nach Art. 23 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht hinnehmbares strukturelles Demokratiedefizit läge vor, wenn der Kompetenzumfang, die politische Gestaltungsmacht und der Grad an selbständiger Willensbildung der Unionsorgane ein der Bundesebene im föderalen Staat entsprechendes (staatsanaloges) Niveau erreichte, weil etwa die für die demokratische Selbstbestimmung wesentlichen Gesetzgebungszuständigkeiten überwiegend auf der Unionsebene ausgeübt würden. Wenn sich im Entwicklungsverlauf der europäischen Integration ein Missverhältnis zwischen Art und Umfang der ausgeübten Hoheitsrechte und dem Maß demokratischer Legitimation einstellt, obliegt es der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer Integrationsverantwortung, auf eine Veränderung hinzuwirken und im äußersten Fall sogar ihre weitere Beteiligung an der Europäischen Union zu verweigern.
bb) Zur Wahrung demokratischer Grundsätze kann es geboten sein, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in den Verträgen und bei ihrer Anwendung und Auslegung deutlich hervorzuheben, um das Gleichgewicht der politischen Kräfte Europas zwischen den Mitgliedstaaten und der Unionsebene als Voraussetzung der Verteilung von Hoheitsrechten im Verbund zu erhalten.
Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG verlangt allerdings im Hinblick auf die Einhaltung demokratischer Grundsätze durch die Europäische Union keine „strukturelle Kongruenz” (vgl. zu diesem Begriff Kruse, Strukturelle Kongruenz und Homogenität, in: Mensch und Staat in Recht und Geschichte, Festschrift für Herbert Kraus, 1954, S. 112 ≪123≫) oder gar Übereinstimmung der institutionellen Ordnung der Europäischen Union mit der Ordnung, die das Demokratieprinzip des Grundgesetzes für die innerstaatliche Ebene vorgibt. Geboten ist jedoch eine dem Status und der Funktion der Union angemessene demokratische Ausgestaltung (vgl. Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998, S. 153; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 48; Rojahn, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2001, Art. 23 Rn. 21; Röben, Außenverfassungsrecht, 2007, S. 321: „strukturelle Kompatibilität”). Aus dem Sinn und Zweck der Struktursicherungsklausel folgt, dass das Demokratieprinzip des Grundgesetzes nicht in gleicher Weise auf europäischer Ebene verwirklicht werden muss, wie es noch in den 1950er und frühen 1960er Jahren für zwischenstaatliche Einrichtungen im Sinne von Art. 24 Abs. 1 GG gefordert worden war (vgl. etwa Kruse, a.a.O., S. 112 ≪123≫; Friauf, Zur Problematik rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturelemente in zwischenstaatlichen Gemeinschaften, DVBl 1964, S. 781 ≪786≫).
Das Demokratieprinzip ist grundsätzlich für die Erfordernisse einer supranationalen Organisation offen, nicht um sich in seinem normativen Regelungsgehalt der jeweiligen Faktizität politischer Herrschaftsorganisation anzupassen, sondern um gleichbleibende Wirksamkeit unter geänderten Umständen zu bewahren (vgl. BVerfGE 107, 59 ≪91≫). Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG geht somit davon aus, dass die demokratischen Grundsätze in der Europäischen Union nicht in gleicher Weise wie im Grundgesetz verwirklicht werden können (vgl. BTDrucks 12/3338, S. 6).
cc) In modernen Territorialstaaten verwirklicht sich die Selbstbestimmung eines Volkes hauptsächlich in der Wahl von Organen eines Herrschaftsverbandes, die die öffentliche Gewalt ausüben. Die Organe müssen durch Mehrheitsentscheidung der Bürger gebildet werden, die wiederkehrend Einfluss auf die politische Grundausrichtung – personell und sachlich – nehmen können. Eine freie öffentliche Meinung und eine politische Opposition müssen fähig sein, den Entscheidungsprozess in seinen wesentlichen Zügen kritisch zu beobachten und Verantwortlichen – das heißt in der Regel einer Regierung – sinnvoll zuzurechnen (vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG; BVerfGE 89, 155 ≪185≫; 97, 350 ≪369≫; rechtsvergleichend Cruz Villalón, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Vergleich, in: von Bogdandy/Cruz Villalón/Huber, Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. I, 2007, § 13 Rn. 102 ff. mit weiteren Nachweisen).
Die praktischen Ausprägungen der Demokratie konkretisieren diese Vorgaben unter Beachtung der Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl entweder nur in einem parlamentarischen Repräsentationsorgan mit der dann dort wahrgenommenen Aufgabe der Regierungsbildung – wie etwa in Großbritannien, Deutschland, Belgien, Österreich und Spanien – oder in einem Präsidialsystem mit einer zusätzlich unmittelbar gewählten Exekutivspitze – wie etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Polen und Bulgarien –. Der unmittelbare Volkswille kann sich sowohl durch die Wahl einer (parlamentarischen) Volksvertretung oder durch die Wahl einer herausgehobenen Exekutivspitze (Präsident) artikulieren als auch durch die Mehrheitsentscheidung bei Volksabstimmungen in Sachfragen. Präsidialsysteme wie in den Vereinigten Staaten von Amerika oder in Frankreich sind dual verfasste Repräsentativdemokratien, während Großbritannien oder Deutschland für parlamentsmonistische Repräsentativsysteme stehen. In der Schweiz wiederum wird der Parlamentsmonismus durch starke plebiszitäre Elemente ergänzt, die auch Teile der Aufgaben einer parlamentarischen Opposition erfüllen (vgl. Loewenstein, Verfassungslehre, 2. Aufl. 1959, mit Nachtrag 1969, S. 67 ff.; Sommermann, Demokratiekonzepte im Vergleich, in: Bauer/Huber/Sommermann, Demokratie in Europa, 2005, S. 191 ff.; Mastronardi, Verfassungslehre, Allgemeines Staatsrecht als Lehre vom guten und gerechten Staat, 2007, S. 268 f.).
In einer Demokratie muss das Volk Regierung und Gesetzgebung in freier und gleicher Wahl bestimmen können. Dieser Kernbestand kann ergänzt sein durch plebiszitäre Abstimmungen in Sachfragen, die auch in Deutschland durch Änderung des Grundgesetzes ermöglicht werden könnten. Im Zentrum politischer Machtbildung und Machtbehauptung steht in der Demokratie die Entscheidung des Volkes: Jede demokratische Regierung kennt die Furcht vor dem Machtverlust durch Abwahl. Das Bundesverfassungsgericht hat Demokratie in seinem Urteil zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands im Jahr 1956 als den verfahrensrechtlich geregelten „Kampf um die politische Macht” beschrieben, der um die Erringung der Mehrheit geführt wird. Es gehe dabei um den Willen der tatsächlichen Mehrheit des Volkes, der in sorgfältig geregelten Verfahren ermittelt werde und dem eine freie Diskussion vorausgehe. Dass die Mehrheit „immer wechseln kann”, dass ein Mehrparteiensystem und das Recht „auf organisierte politische Opposition” bestehen, wurde als konstitutiv für die demokratische Organisation von Staatsgewalt angesehen (vgl. BVerfGE 5, 85 ≪198 f.≫).
Die Europäische Union selbst erkennt diesen demokratischen Kerngedanken als gemeineuropäische Verfassungstradition an (vgl. Art. 3 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952 ≪1. EMRK-Zusatzprotokoll≫ ≪BGBl 2002 II S. 1072≫; KSZE, Dokument des Kopenhagener Treffens der Konferenz über die menschliche Dimension der KSZE, EuGRZ 1990, S. 239 ff., Rn. 7), indem sie entsprechende Strukturanforderungen an die Mitgliedstaaten stellt und deren tatsächliches Fortwirken zu einer Voraussetzung für die Mitwirkung an der europäischen Integration erklärt (Art. 6 Abs. 1 EUV; Art. 2 EUV-Lissabon; vgl. bereits Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Kopenhagen vom 21. und 22. Juni 1993, Bulletin EU 6-1993, I.13; Agenda 2000, KOM(97) 2000 endg., Teil I, S. 52). Da und soweit sie aber selbst nur abgeleitete öffentliche Gewalt ausübt, braucht die Europäische Union den Anforderungen nicht vollständig zu genügen. Auf der europäischen Ebene ist der Rat anders als im Bundesstaat keine zweite Kammer, sondern das Vertretungsorgan der Herren der Verträge und dementsprechend nicht proportional repräsentativ, sondern nach dem Bild der Staatengleichheit verfasst. Das Europäische Parlament ist als ein unmittelbar von den Unionsbürgern gewähltes Vertretungsorgan der Völker eine eigenständige zusätzliche Quelle für demokratische Legitimation (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪184 f.≫). Als Vertretungsorgan der Völker in einer supranationalen und als solche von begrenztem Einheitswillen geprägten Gemeinschaft kann und muss es in seiner Zusammensetzung nicht den Anforderungen entsprechen, die sich auf der staatlichen Ebene aus dem gleichen politischen Wahlrecht aller Bürger ergeben. Die Kommission muss als ein supranationales, besonderes Organ ebenfalls nicht umfänglich den Bedingungen einer entweder dem Parlament oder der Mehrheitsentscheidung der Wähler voll verantwortlichen Regierung genügen, weil sie selbst nicht in vergleichbarer Weise dem Wählerwillen verpflichtet ist.
Solange die europäische Zuständigkeitsordnung nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in kooperativ ausgestalteten Entscheidungsverfahren unter Wahrung der staatlichen Integrationsverantwortung besteht und solange eine ausgewogene Balance der Unionszuständigkeiten und der staatlichen Zuständigkeiten erhalten bleibt, kann und muss die Demokratie der Europäischen Union nicht staatsanalog ausgestaltet sein. Vielmehr steht es der Europäischen Union frei, mit zusätzlichen neueren Formen transparenter oder partizipativ angelegter politischer Entscheidungsverfahren nach eigenen Wegen demokratischer Ergänzung zu suchen. Zwar kann die bloß deliberative Teilhabe der Bürger und ihrer gesellschaftlichen Organisationen an politischer Herrschaft – ihre unmittelbare Einbeziehung in die Erörterungen der für die verbindlichen politischen Entscheidungen zuständigen Organe –, den auf Wahlen und Abstimmungen zurückgehenden Legitimationszusammenhang nicht ersetzen. Solche Elemente partizipatorischer Demokratie können aber ergänzende Funktion bei der Legitimation europäischer Hoheitsgewalt übernehmen. Dies erfasst insbesondere Legitimationsformen, in denen bürgerschaftliches Engagement unmittelbarer, spezialisierter und vertieft sachbezogen eingebracht werden kann, indem etwa den Unionsbürgern und den gesellschaftlich relevanten Verbänden (Art. 11 Abs. 2 EUV-Lissabon: „repräsentative Verbände”) in geeigneter Weise die Möglichkeit zur Artikulation ihrer Ansichten gegeben wird. Derartige Formen dezentraler, arbeitsteiliger Partizipation mit legitimitätssteigerndem Potential tragen ihrerseits zur Effektivierung des primären repräsentativ-demokratischen Legitimationszusammenhangs bei.
II.
Der Vertrag von Lissabon und das Zustimmungsgesetz genügen – nach Maßgabe der Gründe – den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Anforderungen (1.). Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93) ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden (2.). Das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union entspricht nicht den Anforderungen aus Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 GG und muss vor Ratifizierung des Vertrags in verfassungsgemäßer Weise neu gefasst werden (3.).
1. Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon ist mit den Anforderungen des Grundgesetzes, insbesondere mit dem Demokratieprinzip, vereinbar. Das Wahlrecht aus Art. 38 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Mit der freien und gleichen Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages und mit entsprechenden Wahlakten in den Ländern bestimmt das Deutsche Volk in Bund und Ländern nach wie vor über wesentliche politische Sachverhalte. Mit der Wahl des deutschen Kontingents von Abgeordneten des Europäischen Parlaments ist für das Wahlrecht der Bundesbürger eine ergänzende Mitwirkungsmöglichkeit im europäischen Organsystem eröffnet, die im System der übertragenen Einzelermächtigungen ein ausreichendes Legitimationsniveau vermittelt.
Das Legitimationsniveau der Europäischen Union entspricht im Hinblick auf den Umfang der übertragenen Zuständigkeiten und den erreichten Grad von Verselbständigung der Entscheidungsverfahren noch verfassungsrechtlichen Anforderungen, sofern das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verfahrensrechtlich über das in den Verträgen vorgesehene Maß hinaus gesichert wird (a). Mit dem Vertrag von Lissabon wird weder die für die Verfassungsorgane unverfügbare verfassungsgebende Gewalt übertragen noch die staatliche Souveränität der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben (b). Dem Deutschen Bundestag verbleiben noch eigene Aufgaben und Zuständigkeiten von hinreichendem Gewicht (c).
a) Die Europäische Union erreicht beim gegenwärtigen Integrationsstand auch bei Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon noch keine Ausgestaltung, die dem Legitimationsniveau einer staatlich verfassten Demokratie entspricht.
Nicht nur aus der Sicht des Grundgesetzes handelt es sich bei der Beteiligung Deutschlands an der Europäischen Union indes nicht um die Übertragung eines Bundesstaatsmodells auf die europäische Ebene, sondern um die Erweiterung des verfassungsrechtlichen Föderalmodells um eine überstaatlich kooperative Dimension. Auch der Vertrag von Lissabon hat sich gegen das Konzept einer europäischen Bundesverfassung entschieden, in dem ein europäisches Parlament als Repräsentationsorgan eines damit konstitutionell verfassten neuen Bundesvolkes in den Mittelpunkt träte. Ein auf Staatsgründung zielender Wille ist nicht feststellbar. Auch gemessen an den Grundsätzen der freien und gleichen Wahl und den Erfordernissen einer gestaltungskräftigen Mehrheitsherrschaft entspricht die Europäische Union nicht der Bundesebene im Bundesstaat. Der Vertrag von Lissabon ändert demnach nichts daran, dass der Bundestag als Repräsentationsorgan des Deutschen Volkes im Mittelpunkt eines verflochtenen demokratischen Systems steht.
Die Europäische Union entspricht demokratischen Grundsätzen, weil sie bei qualitativer Betrachtung ihrer Aufgaben- und Herrschaftsorganisation gerade nicht staatsanalog aufgebaut ist. Die mit den Antrags- und Beschwerdeschriften vorgetragene, im Mittelpunkt der Angriffe stehende Behauptung, mit dem Vertrag von Lissabon werde das demokratische Legitimationssubjekt ausgetauscht, ist unzutreffend. Die Europäische Union bleibt auch als Verbund mit eigener Rechtspersönlichkeit das Werk souveräner demokratischer Staaten. Es ist deshalb beim gegenwärtigen Integrationsstand nicht geboten, das europäische Institutionensystem demokratisch in einer staatsanalogen Weise auszugestalten. Angesichts der fortbestehenden Geltung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und bei einer wortlautgemäßen, sinn- und zweckentsprechenden Auslegung der durch den Vertrag von Lissabon neu eingeräumten Zuständigkeiten muss die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments nicht in der Weise gleichheitsgerecht sein, dass auf Unterschiede im Stimmgewicht der Unionsbürger in Abhängigkeit von der Bevölkerungszahl der Mitgliedstaaten verzichtet wird.
aa) Die demokratische Grundregel der wahlrechtlichen Erfolgschancengleichheit („one man, one vote”) gilt nur innerhalb eines Volkes, nicht in einem supranationalen Vertretungsorgan, das – wenngleich nunmehr unter besonderer Betonung der Unionsbürgerschaft – eine Vertretung der miteinander vertraglich verbundenen Völker bleibt.
Gemessen an verfassungsstaatlichen Erfordernissen fehlt es der Europäischen Union auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon an einem durch gleiche Wahl aller Unionsbürger zustande gekommenen politischen Entscheidungsorgan mit der Fähigkeit zur einheitlichen Repräsentation des Volkswillens. Es fehlt, damit zusammenhängend, zudem an einem System der Herrschaftsorganisation, in dem ein europäischer Mehrheitswille die Regierungsbildung so trägt, dass er auf freie und gleiche Wahlentscheidungen zurückreicht und ein echter und für die Bürger transparenter Wettstreit zwischen Regierung und Opposition entstehen kann. Das Europäische Parlament ist auch nach der Neuformulierung in Art. 14 Abs. 2 EUV-Lissabon und entgegen dem Anspruch, den Art. 10 Abs. 1 EUV-Lissabon nach seinem Wortlaut zu erheben scheint, kein Repräsentationsorgan eines souveränen europäischen Volkes. Dies spiegelt sich darin, dass es als Vertretung der Völker in den jeweils zugewiesenen nationalen Kontingenten von Abgeordneten nicht als Vertretung der Unionsbürger als ununterschiedene Einheit nach dem Prinzip der Wahlgleichheit angelegt ist.
Auch in der Ausgestaltung des Vertrags von Lissabon erwächst aus den Zuständigkeiten der Europäischen Union keine eigenständige Volkssouveränität der Gesamtheit der Unionsbürger. Bei knapper Entscheidung zwischen politischen Richtungen im Europäischen Parlament besteht keine Gewähr dafür, dass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auch eine Mehrheit der Unionsbürger repräsentiert. Deshalb wäre insbesondere die Bildung einer eigenständigen und mit den in Staaten üblichen Machtbefugnissen ausgestatteten Regierung aus dem Parlament heraus grundlegenden Einwänden ausgesetzt. Es könnte möglicherweise eine nach Maßgabe des Repräsentationsverhältnisses bestehende zahlenmäßige Bürgerminderheit durch eine Mehrheit der Abgeordneten gegen den politischen Willen einer oppositionellen Mehrheit der Unionsbürger regieren, die sich als Mehrheit nicht abgebildet findet. Der Grundsatz der Wahlgleichheit sichert zwar nur unter den Bedingungen einer strengen Verhältniswahl eine möglichst exakte Repräsentation des Volkswillens. Aber auch in Systemen der Mehrheitswahl besteht jedenfalls für den Zählwert und die Erfolgschance eine ausreichende Gleichheitsgewähr der Wählerstimmen, während diese bei jeder nicht nur unerheblichen Kontingentierung der Sitze verfehlt wird.
bb) Für eine freiheitlich-demokratische staatliche Grundordnung, wie das Grundgesetz sie geschaffen hat, ist die Gleichheit aller Staatsbürger bei der Ausübung des Wahlrechts eine der wesentlichen Grundlagen der Staatsordnung (vgl. BVerfGE 6, 84 ≪91≫; 41, 399 ≪413≫; 51, 222 ≪234≫; 85, 148 ≪157 f.≫; 99, 1 ≪13≫; 121, 266 ≪295 f.≫).
Die Wahlgleichheit ist keine Besonderheit der deutschen Rechtsordnung. Sie gehört zu den für alle europäischen Staaten verbindlichen Rechtsgrundsätzen. Art. 3 des 1. EMRK-Zusatzprotokolls gewährleistet das Recht, an den Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften eines Konventionsstaates teilzunehmen, das heißt, selbst zu wählen und für Mandate zu kandidieren. Zwar haben die Konventionsstaaten einen weiten Beurteilungsraum, wie sie ihr Wahlrecht auch mit Blick auf nationale Besonderheiten und die historische Entwicklung im Einzelnen ausgestalten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zieht aus der Tatsache, dass Wahlen die „freie Äußerung der Meinung des Volkes” gewährleisten sollen, jedoch den Schluss, dass dazu im Wesentlichen das Prinzip der Gleichbehandlung aller Bürger bei der Ausübung des Wahlrechts gehöre. In diese Gleichbehandlung bezieht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Zählwert der Stimmen ausdrücklich ein, während er für die Erfolgswertgleichheit und die gleichen Siegchancen der Kandidaten Ausnahmen zulässt (EGMR, Urteil vom 2. März 1987, Nr. 9267/81, Mathieu-Mohin und Clerfayt/Belgien, Rn. 54; Urteil vom 7. Februar 2008, Nr. 39424/02, Kovach/Ukraine, Rn. 49; zur Anwendung des Art. 3 Zusatzprotokoll auf das Europäische Parlament als „gesetzgebende Körperschaft”: EGMR, Urteil vom 18. Februar 1999, Nr. 24833/94, Matthews/Vereinigtes Königreich, Rn. 40 = NJW 1999, S. 3107 ≪3109≫).
cc) Das Europäische Parlament bleibt vor diesem Hintergrund in der Sache wegen der mitgliedstaatlichen Kontingentierung der Sitze eine Vertretung der Völker der Mitgliedstaaten. Die degressiv proportionale Zusammensetzung, die Art. 14 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 3 EUV-Lissabon für das Europäische Parlament vorschreibt, steht zwischen dem völkerrechtlichen Prinzip der Staatengleichheit und dem staatlichen Prinzip der Wahlrechtsgleichheit. Nach den primärrechtlichen Regelungen, die den Grundsatz der degressiven Proportionalität ansatzweise konkretisieren, beträgt die Höchstzahl der Abgeordneten 750 (zuzüglich des Präsidenten); kein Mitgliedstaat erhält mehr als 96 Sitze und keiner weniger als sechs Sitze (Art. 14 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 bis Satz 4 EUV-Lissabon). Das führt dazu, dass das Gewicht der Stimme des Staatsangehörigen eines bevölkerungsschwachen Mitgliedstaates etwa das Zwölffache des Gewichts der Stimme des Staatsangehörigen eines bevölkerungsstarken Mitgliedstaates betragen kann.
Das Europäische Parlament hat am 11. Oktober 2007 einen die Geltung des Art. 14 Abs. 2 UAbs. 2 EUV-Lissabon bereits vorwegnehmenden Beschlussentwurf unterbreitet (Entschließung des Europäischen Parlaments zur Zusammensetzung des Europäischen Parlaments, ABl 2008 Nr. C 227 E/132, Anlage 1). Dieser Beschlussentwurf wurde durch die Regierungskonferenz gebilligt (vgl. Erklärung Nr. 5 zur politischen Einigung des Europäischen Rates über den Entwurf eines Beschlusses über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments). Er kann erst nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon vom Europäischen Rat angenommen werden. Nach dem Beschlussentwurf soll das Prinzip der degressiven Proportionalität dergestalt angewendet werden, dass die Mindest- und Höchstgröße der Mandatskontingente voll ausgenutzt wird, die Anzahl der Mandatskontingente eines Mitgliedstaates im ungefähren Verhältnis zur Größe seiner Bevölkerung steht und die Anzahl der Einwohner, die durch ein Mandat vertreten werden, in Mitgliedstaaten mit einer größeren Bevölkerung höher ist (Art. 1 des Beschlussentwurfs). Der Bundesrepublik Deutschland werden 96 Sitze zugesprochen (Art. 2 des Beschlussentwurfs). Nach dem Beschlussentwurf würde ein in Frankreich gewählter Abgeordneter etwa 857.000 Unionsbürger vertreten und damit soviel wie ein in Deutschland gewählter mit ebenfalls etwa 857.000. Ein in Luxemburg gewählter Abgeordneter würde demgegenüber aber mit etwa 83.000 Luxemburger Unionsbürgern nur ein Zehntel davon vertreten, bei Malta wäre es mit etwa 67.000 sogar nur etwa ein Zwölftel davon; bei einem mittelgroßen Staat wie Schweden würde jeder gewählte Abgeordnete etwa 455.000 Unionsbürger aus seinem Land im Europäischen Parlament vertreten (vgl. zu den diesen Berechnungen zugrundeliegenden Bevölkerungszahlen Eurostat, Europa in Zahlen, Eurostat Jahrbuch 2008, 2008, S. 25).
Derartig ausgeprägte Ungleichgewichte werden in föderalen Staaten regelmäßig nur für die zweite Kammer neben dem Parlament – in Deutschland und Österreich entspricht dieser zweiten Kammer der Bundesrat, in Australien, Belgien und den Vereinigten Staaten von Amerika der Senat – toleriert. Sie werden aber nicht in der Volksvertretung selbst hingenommen, weil diese sonst das Volk nicht in einer vom personalen Freiheitsprinzip ausgehenden gleichheitsgerechten Weise repräsentieren kann. Die Ausgestaltung des Wahlrechts in der Europäischen Union muss aber kein Widerspruch zu Art. 10 Abs. 1 EUV-Lissabon sein, wonach die Arbeitsweise der Europäischen Union auf der repräsentativen Demokratie beruht; denn die Demokratien der Mitgliedstaaten mit ihren Mehrheitsverhältnissen und Richtungsentscheidungen werden auf europäischer Organebene im Rat und eben auch im Parlament repräsentiert. Es handelt sich dabei also um eine nur vermittelte Repräsentation der politischen Machtlagen der Mitgliedstaaten. Dies ist ein maßgeblicher Grund dafür, dass es als unzureichend wahrgenommen würde, wenn ein kleiner Mitgliedstaat im Europäischen Parlament bei stärkerer Beachtung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl etwa mit nur einem Abgeordneten vertreten wäre. Die repräsentative Abbildung der nationalen Mehrheitsverhältnisse wäre sonst, so wird von betroffenen Staaten eingewandt, auf europäischer Ebene nicht mehr möglich. Repräsentiert im Sinne des Art. 10 Abs. 1 EUV-Lissabon wird schon aus dieser Erwägung heraus deshalb nicht das europäische Volk, sondern die in ihren Staaten organisierten Völker Europas mit ihren jeweiligen durch demokratische gleichheitsgerechte Wahl zustandegekommenen parteipolitisch präformierten Kräfteverhältnissen.
Diese Erwägung macht zugleich verständlich, warum die Repräsentation im Europäischen Parlament nicht an die Gleichheit der Unionsbürger (Art. 9 EUV-Lissabon), sondern an die Staatsangehörigkeit anknüpft; ein Kriterium, das an sich für die Europäische Union ein absolutes Unterscheidungsverbot ist. Damit politische Projekte wie die Wirtschaftsunion gelingen können, ist eine zentrale Idee des europäischen Integrationsverbandes seit seiner Gründung, Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu verbieten oder zu beschränken (Art. 12, Art. 18 EGV; Art. 18, Art. 21 AEUV). Die Konzeption des Binnenmarkts beruht auf der Überzeugung, dass es keinen Unterschied macht, aus welchem Mitgliedstaat eine Ware oder eine Dienstleistung stammt, woher ein Arbeitnehmer oder Unternehmer kommt und welcher Herkunft Investitionen sind. Doch eben dieses Kriterium der Staatsangehörigkeit soll gemäß Art. 14 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 3 EUV-Lissabon entscheidend sein, wenn die politischen Einflussmöglichkeiten der Bürger in der Europäischen Union zugemessen werden. Damit befindet sich die Europäische Union in einem Wertungswiderspruch zu der Grundlage ihres Selbstverständnisses als Bürgerunion, der nur mit dem Charakter der Europäischen Union als Verbund souveräner Staaten erklärt werden kann.
Die Demokratie der Europäischen Union ist zwar föderalisierten Staatsmodellen angenähert; gemessen am Grundsatz der repräsentativen Demokratie wäre sie aber erheblich überföderalisiert. Der Grundsatz der Staatengleichheit bleibt bei der personellen Zusammensetzung des Europäischen Rates, des Rates, der Kommission und des Gerichtshofs der Europäischen Union an prinzipiell gleiche nationale Bestimmungsrechte gekoppelt. Selbst für ein gleichheitsgerecht gewähltes Europäisches Parlament wäre diese Struktur ein erhebliches Hindernis bei der personellen und sachlichen Durchsetzung eines repräsentativen parlamentarischen Mehrheitswillens. Der Gerichtshof muss auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon beispielsweise immer nach dem Grundsatz „ein Staat, ein Richter” und unter bestimmendem Einfluss der Staaten unabhängig von der Zahl ihrer Einwohner personell besetzt werden. Die Arbeitsweise der Europäischen Union ist weiterhin durch den Einfluss der verhandelnden Regierungen sowie die fachliche Verwaltungs- und Gestaltungskompetenz der Kommission geprägt, auch wenn die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments insgesamt gestärkt wurden. Der parlamentarische Einfluss ist innerhalb dieses Systems mit der Einräumung des Vetorechts auf zentralen Gesetzgebungsgebieten folgerichtig fortentwickelt worden. Durch den Vertrag von Lissabon wird mit dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren das zur Regel, was unter gegenwärtiger Rechtsgeltung bereits sachlich in vielen Feldern prägend ist: Im Verfahren der Mitentscheidung kann eine Richtlinie oder eine Verordnung nicht gegen den Willen des Europäischen Parlaments zustandekommen.
dd) Das – gemessen an staatlichen Demokratieanforderungen – bestehende Defizit der europäischen Hoheitsgewalt kann durch andere Regelungen des Vertrags von Lissabon nicht aufgewogen und insoweit nicht gerechtfertigt werden.
(1) Die Europäische Union versucht, die bestehende erhebliche Überföderalisierung auszugleichen, vor allem durch die Stärkung der auf Beteiligung und auf Transparenz zielenden Rechte, sowohl der Bürger wie der Verbände, als auch durch eine Aufwertung der nationalen Parlamente und der Regionen. Der Vertrag von Lissabon stärkt diese auf verfahrensrechtliche Beteiligung gerichteten partizipativen Demokratiegehalte. Neben den Elementen ergänzend partizipativer Demokratie, wie dem Gebot, den Unionsbürgern und „repräsentativen” Verbänden in geeigneter Weise die Möglichkeit zu geben, ihre Ansichten zu kommunizieren, sieht der Vertrag von Lissabon auch Elemente assoziativer und direkter Demokratie vor (Art. 11 EUV-Lissabon). Hierzu zählen der Dialog der Unionsorgane mit „repräsentativen” Verbänden und der Zivilgesellschaft sowie die europäische Bürgerinitiative. Sie ermöglicht es, die Kommission unverbindlich aufzufordern, zu politischen Themen geeignete Regelungsvorschläge zu unterbreiten. Eine solche Aufforderung unterliegt einem Quorum von mindestens einer Million Unionsbürgern, die aus einer „erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten” stammen müssen (Art. 11 Abs. 4 EUV-Lissabon). Die Bürgerinitiative ist auf Gegenstände im Rahmen der Zuständigkeit der Kommission begrenzt und bedarf der sekundärrechtlichen Ausgestaltung durch eine Verordnung (Art. 24 Abs. 1 AEUV). Die europäische Bürgerinitiative gilt zugleich als Maßnahme, die in der Erklärung von Laeken angemahnte Bildung einer europäischen Öffentlichkeit zu befördern.
(2) Als Rechtfertigung für die Ungleichheit der Wahl zum Europäischen Parlament wird – unter anderem von der Bundesregierung (vgl. BTDrucks 16/8300, S. 133 ≪135 f.≫) – auf den anderen Legitimationsstrang der europäischen Hoheitsgewalt verwiesen: Die Beteiligung des Rates im Rechtssetzungsverfahren, der bei Mehrheitsentscheidungen mit gewogenen Stimmen handelt. Die sogenannte doppelt-qualifizierte Mehrheit soll eine Majorisierung der Einwohnermehrheit im Rat vermeiden. Bei einer Abstimmungsmehrheit im Rat müsste demnach nicht nur eine Mehrheit von 55 % der Mitgliedstaaten, sondern zusätzlich eine Mehrheit von 65 % der „Bevölkerung der Union” erreicht werden (Art. 16 Abs. 4 EUV-Lissabon). Das geltende System der Stimmengewichtung, die den Mitgliedstaaten eine Vielzahl von Stimmen je nach ihrer Größe zuweist, soll nach einer Übergangszeit entfallen.
Mit diesem Ansatz des Vertrags von Lissabon nimmt die Europäische Union den klassischen völkerrechtlichen Grundsatz der Staatengleichheit – ein Staat eine Stimme – zwar wieder auf. Das neue Korrektiv der Bevölkerungsmehrheit schaltet jedoch ein weiteres Zurechnungssubjekt ein, das aus den Völkern der Mitgliedstaaten der Union besteht, wobei nicht auf die Unionsbürger als Subjekte politischer Herrschaft, sondern auf die Einwohner der Mitgliedstaaten als Ausdruck der Vertretungsmächtigkeit des Ratsvertreters des betreffenden Mitgliedstaates Bezug genommen wird. Hinter einer Entscheidung des Rates soll in Zukunft eine numerische Mehrheit der in der Europäischen Union lebenden Menschen stehen. Mit dieser einwohnerzahlabhängigen Gewichtung wird der Überföderalisierung zwar entgegengewirkt, ohne indes damit das demokratische Wahlgleichheitsgebot zu erfüllen. Die demokratische Legitimation politischer Herrschaft wird bei der Wahlgleichheit und dem unmittelbaren parlamentarischen Repräsentationsmechanismus auch in Parteiendemokratien in der Kategorie des Wahlakts des Individuums gedacht und nicht am Maßstab der Summe Betroffener beurteilt.
(3) Auch die institutionelle Anerkennung der Parlamente der Mitgliedstaaten durch den Vertrag von Lissabon kann das Defizit im unmittelbaren, durch die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments begründeten Legitimationsstrang der europäischen Hoheitsgewalt nicht aufwiegen. Die Stellung nationaler Parlamente wird durch die Verminderung von Einstimmigkeitsentscheidungen und die Supranationalisierung der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen erheblich gemindert. Die vom Vertrag vorgesehene Kompensation durch die verfahrensrechtliche Stärkung der Subsidiarität verlagert – dies wurde in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend hervorgehoben – bestehende politische Selbstbestimmungsrechte auf verfahrensrechtliche Einwirkungsmöglichkeiten und juristisch verfolgbare Beteiligungsansprüche.
(4) Weder die zusätzlichen und in den Wirkungen der vielen Handlungsebenen und angesichts der Vielzahl von mitgliedstaatlichen Parlamenten stark verschachtelten Beteiligungsrechte noch assoziativ und direkt wirkende Petitionsrechte gegenüber der Kommission sind geeignet, die durch Wahl begründete Herrschaft der Mehrheit zu ersetzen. Sie sollen und können allerdings unter den Bedingungen eines in den Aufgaben begrenzten Staatenverbundes das Legitimationsniveau in der Summe gleichwohl erhöhen.
Die bloße Teilhabe der Bürger an politischer Herrschaft, die an die Stelle einer repräsentativen Selbstregierung des Volkes träte, kann den Legitimationszusammenhang von auf Wahlen und Abstimmungen und sich darauf stützender Regierung nicht ersetzen: Der Vertrag von Lissabon führt nicht auf eine neue Entwicklungsstufe der Demokratie. Die Elemente partizipatorischer Demokratie, wie das Gebot, den Unionsbürgern und „repräsentativen” Verbänden in geeigneter Weise die Möglichkeit zu geben, ihre Ansichten einzubringen, sowie die Elemente assoziativer und direkter Demokratie, können nur eine ergänzende und keine tragende Funktion bei der Legitimation europäischer Hoheitsgewalt haben. Beschreibungen und Forderungen nach einem „Europa der Bürger” oder nach der „Stärkung des Europäischen Parlaments” können die europäische Ebene politisch vermitteln und einen Beitrag leisten, die Akzeptanz für „Europa” zu erhöhen, seine Institutionen und Prozesse zu erklären. Werden sie jedoch – wie teilweise durch den Vertrag von Lissabon – in normative Aussagen überführt, ohne mit einer gleichheitsgerechten Ausgestaltung der Institutionen verbunden zu sein, sind sie nicht geeignet, ihrerseits auf der Ebene des Rechts ein grundlegend neues Leitbild zu setzen.
ee) Die Entwicklung der Organarchitektur durch den Vertrag von Lissabon enthält nicht nur eine Stärkung von Beteiligungsrechten und verbessert nicht nur die Durchschaubarkeit des Entscheidens etwa bei der Gesetzgebungstätigkeit des Rates. Sie enthält auch Widersprüche, weil die Mitgliedstaaten mit dem Vertrag dem Baumuster des Bundesstaates folgen, ohne die vertragliche und demokratische Grundlage dafür in der gleichen Wahl einer allein auf die Legitimationskraft eines Unionsvolks gestützten repräsentativen Volksvertretung und einer parlamentarischen europäischen Regierung schaffen zu können.
Die Europäische Kommission ist bereits auf der Grundlage des geltenden Rechts in die Funktion einer – mit Rat und Europäischem Rat geteilten – europäischen Regierung hineingewachsen. Es ist nicht ersichtlich, wie dieser Prozess der politischen Verselbständigung noch weiter gefördert werden könnte ohne die unmittelbare Rückbindung an eine gleichheitsgerechte Wahl durch den Demos, die die Abwahlmöglichkeit einschließt und dadurch politisch wirksam wird. Wenn sich die Verlagerung des Schwerpunkts politischer Gestaltung hin zur Kommission fortsetzte, wie es in konzeptionellen Vorschlägen für die Zukunft der Europäischen Union angestrebt wird, und die Wahl des Präsidenten der Kommission rechtlich wie faktisch allein durch das Europäische Parlament erfolgte (vgl. Art. 17 Abs. 7 EUV-Lissabon), würde mit der Wahl der Abgeordneten zugleich – über das heute bereits geregelte Maß hinaus – über eine europäische Regierung entschieden. Für den Rechtszustand nach dem Vertrag von Lissabon bestätigt diese Erwägung, dass das Handeln der Europäischen Union ohne demokratische Rückbindung in den Mitgliedstaaten einer hinreichenden Legitimationsgrundlage entbehrt.
b) Als supranationale Organisation muss die Europäische Union in ihrer Kompetenzausstattung und Kompetenzausübung unverändert dem Prinzip der begrenzten und kontrolliert ausgeübten Einzelermächtigung genügen. Gerade nach dem Scheitern des europäischen Verfassungsprojekts ist mit dem Vertrag von Lissabon hinreichend deutlich geworden, dass dieses Verbundprinzip weiter gilt. Die Mitgliedstaaten bleiben die Herren der Verträge. Trotz einer weiteren Kompetenzausdehnung bleibt es bei dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Die Vertragsbestimmungen lassen sich so auslegen, dass sowohl die verfassungsrechtliche und politische Identität der volldemokratisch organisierten Mitgliedstaaten gewahrt bleibt als auch ihre Verantwortung für die grundlegende Richtung und Ausgestaltung der Unionspolitik. Die Bundesrepublik Deutschland bleibt auch nach einem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ein souveräner Staat und damit Rechtssubjekt des Völkerrechts. Die deutsche Staatsgewalt einschließlich der verfassungsgebenden Gewalt ist in ihrer Substanz geschützt (aa), das deutsche Staatsgebiet bleibt allein der Bundesrepublik Deutschland als Rechtssubjekt zugewiesen (bb), am Fortbestand des deutschen Staatsvolks bestehen keine Zweifel (cc).
aa) Die souveräne Staatsgewalt bleibt nach den Regeln über die Zuständigkeitsverteilung und -abgrenzung gewahrt (1). Die neuen primärrechtlichen Regelungen über Vertragsänderungen stehen dem nicht entgegen (2). Der Fortbestand souveräner Staatsgewalt zeigt sich auch in dem Recht zum Austritt aus der Europäischen Union (3) und wird durch das dem Bundesverfassungsgericht zustehende Letztentscheidungsrecht (4) geschützt.
(1) Die Verteilung und Abgrenzung der Zuständigkeiten der Europäischen Union von denen der Mitgliedstaaten erfolgt nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (a) und weiteren, auf konkrete Zuständigkeiten bezogenen Schutzmechanismen (b).
(a) Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ist ein Schutzmechanismus zur Erhaltung mitgliedstaatlicher Verantwortung. Die Europäische Union ist nur insoweit für einen Sachverhalt zuständig, wie sie diese Zuständigkeit von den Mitgliedstaaten übertragen bekommen hat. Die Mitgliedstaaten sind danach verfasster politischer Primärraum ihrer jeweiligen Gemeinwesen, die Europäische Union trägt sekundäre, das heißt delegierte Verantwortung für die ihr übertragenen Aufgaben. Der Vertrag von Lissabon bestätigt das bereits geltende Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ausdrücklich: „Die Union wird nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben” (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EUV-Lissabon; vgl. auch Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 6, Art. 4 Abs. 1, Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV-Lissabon; Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 4 Abs. 1, Art. 7, Art. 19, Art. 32, Art. 130, Art. 132 Abs. 1, Art. 207 Abs. 6, Art. 337 AEUV; Erklärung Nr. 18 zur Abgrenzung der Zuständigkeiten; Erklärung Nr. 24 zur Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union).
Ein formal ansetzender Schutzmechanismus ist die erstmalig vorgenommene Kategorisierung und Klassifizierung der Zuständigkeiten der Europäischen Union in ausschließliche und geteilte Zuständigkeiten sowie Zuständigkeiten für Unterstützungs-, Koordinierungs- oder Ergänzungsmaßnahmen (vgl. Rossi, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten, in: Scholz, Europa als Union des Rechts – Eine notwendige Zwischenbilanz im Prozeß der Vertiefung und Erweiterung, 1999, S. 196 ≪201≫).
Die durch diese Kategorisierung der Zuständigkeiten vermittelte Transparenz wird zwar dadurch eingeschränkt, dass die sowohl von den Mitgliedstaaten als auch von der Europäischen Union beanspruchten „parallelen” Zuständigkeiten im Vertrag von Lissabon nicht eindeutig einer Kategorie zugeordnet werden (vgl. Art. 2 Abs. 5 UAbs. 1 und Art. 4 Abs. 3 und Abs. 4 AEUV), die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik außerhalb der drei Zuständigkeitskategorien stehen und die sogenannte Methode der offenen Koordinierung unerwähnt bleibt. Diese Abweichungen von dem systematisierenden Grundansatz berühren jedoch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nicht und stellen nach Art und Umfang auch nicht das Ziel klarer Kompetenzabgrenzung in Frage.
(b) Darüber hinaus sollen materiell-rechtliche Schutzmechanismen, insbesondere Zuständigkeitsausübungsregeln, gewährleisten, dass die auf europäischer Ebene bestehenden Einzelermächtigungen in einer die mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten schonenden Weise wahrgenommen werden. Zu den Zuständigkeitsausübungsregeln zählen das Gebot, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten (Art. 4 Abs. 2 EUV-Lissabon), der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon), der Grundsatz der Subsidiarität (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 EUV-Lissabon) und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 EUV-Lissabon). Diese Grundsätze werden durch den Vertrag von Lissabon bestätigt und teilweise inhaltlich präzisiert.
Der Subsidiaritätsgrundsatz wird zudem durch das Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (Subsidiaritätsprotokoll) verfahrensmäßig verstärkt. Dies geschieht, indem die nationalen Parlamente durch ein sogenanntes Frühwarnsystem (Art. 12 Buchstabe b EUV-Lissabon, Art. 4 ff. des Subsidiaritätsprotokolls) in die Kontrolle der Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes eingebunden werden, und durch eine entsprechende, die nationalen Parlamente und den Ausschuss der Regionen einschließende Erweiterung des Kreises der Antragsberechtigten für eine Nichtigkeitsklage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union. Die Effektivität dieses Mechanismus hängt davon ab, inwieweit sich die nationalen Parlamente organisatorisch darauf einrichten können, den Mechanismus innerhalb der kurzen Frist von acht Wochen sinnvoll zu nutzen (vgl. Mellein, Subsidiaritätskontrolle durch nationale Parlamente, 2007, S. 269 ff.). Es wird auch darauf ankommen, ob das Klagerecht der nationalen Parlamente und des Ausschusses der Regionen auf die der Überprüfung des Subsidiaritätsgrundsatzes vorgelagerte Frage erstreckt wird, ob die Europäische Union über eine Zuständigkeit für das konkrete Rechtssetzungsvorhaben verfügt (vgl. Wuermeling, Kalamität Kompetenz: Zur Abgrenzung der Zuständigkeiten
in dem Verfassungsentwurf des EU-Konvents, EuR 2004, S. 216 ≪225≫; von Danwitz, Der Mehrwert gemeinsamen Handelns, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. Oktober 2008, S. 8).
(2) Die verfassungsrechtlich allein mögliche kontrollierte und verantwortbare Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union wird auch durch einzelne Vorschriften des Vertrags von Lissabon nicht in Frage gestellt. Die Organe der Europäischen Union dürfen weder im Rahmen des ordentlichen (a) und vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens (b) noch über die sogenannten Brückenklauseln (c) oder die Flexibilitätsklausel (d) selbsttätig die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union und die Zuständigkeitsordnung gegenüber den Mitgliedstaaten ändern.
(a) Das ordentliche Änderungsverfahren für die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union (Art. 48 Abs. 2 bis Abs. 5 EUV-Lissabon) entspricht dem klassischen Änderungsverfahren vergleichbarer multilateraler Vertragswerke. Eine Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, die vom Präsidenten des Rates einberufen wird, ist zuständig, Vertragsänderungen zu vereinbaren. Diese Änderungen treten aber nur in Kraft, nachdem sie von allen Mitgliedstaaten – nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Vorgaben – ratifiziert worden sind (Art. 48 Abs. 4 UAbs. 2 EUV-Lissabon). Der Vertrag von Lissabon stellt klar, dass solche Vertragsänderungen eine Ausdehnung oder eine Verringerung der in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten der Europäischen Union zum Ziel haben können (Art. 48 Abs. 2 Satz 2 EUV-Lissabon).
Dass diesem klassischen Vertragsänderungsverfahren ein aus dem europäischen Integrationsprozess heraus entstandenes Verfahren vorgelagert ist, nach dem im Regelfall ein wiederum maßgeblich dem Grundsatz der Staatengleichheit gehorchender Konvent von Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission beteiligt wird (Art. 48 Abs. 3 UAbs. 1 EUV-Lissabon), verändert diese Rechtslage nicht. Das Konventsverfahren tritt zu dem völkerrechtlichen Änderungsverfahren, in dessen Mittelpunkt die Mitgliedstaaten stehen, hinzu und trägt dadurch den institutionellen Besonderheiten der Europäischen Union Rechnung. Der Konvent erarbeitet die Änderungsentwürfe und nimmt im Konsensverfahren eine an die Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten gerichtete Empfehlung an (Art. 48 Abs. 3 UAbs. 1 Satz 3 EUV-Lissabon). Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich, solange die Mitgliedstaaten rechtlich an die Ergebnisse des Konvents nicht gebunden sind und frei darüber entscheiden können, welche Vertragsänderungen sie letztendlich völkerrechtlich vereinbaren wollen (vgl. Art. 48 Abs. 4 EUV-Lissabon).
(b) (aa) Der Vertrag von Lissabon führt zusätzlich ein vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren ein (Art. 48 Abs. 6 EUV-Lissabon). Während Vertragsänderungen im ordentlichen Verfahren – gegebenenfalls nach Einsetzung des Konvents – durch eine Regierungskonferenz vereinbart werden müssen und die Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten erfordern, sieht das vereinfachte Änderungsverfahren lediglich einen Beschluss des Europäischen Rates vor, der nach „Zustimmung aller Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften” in Kraft tritt (Art. 48 Abs. 6 UAbs. 2 EUV-Lissabon). Ausdrücklich wird klargestellt, dass der Beschluss des Europäischen Rates nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen darf (Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV-Lissabon). Die Differenzierung nach ordentlichem und vereinfachtem Vertragsänderungsverfahren zeigt, dass grundlegende Änderungen dem ordentlichen Verfahren vorbehalten sind, weil mit der als Regelfall vorgesehenen Konventsmethode ein höherer Legitimationsgrad erreicht werden soll. Gleichwohl kann der Europäische Rat auch im ordentlichen Verfahren mit einfacher Mehrheit und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließen, keinen Konvent einzuberufen, wenn dies aufgrund des Umfangs der geplanten Vertragsänderungen nicht gerechtfertigt ist (Art. 48 Abs. 3 UAbs. 2 EUV-Lissabon).
Das vereinfachte Vertragsänderungsverfahren, das die bisherigen Verträge nur in einzelnen Bestimmungen ermöglichen (siehe Art. 17 Abs. 1 EUV – Einführung einer Gemeinsamen Verteidigung; Art. 42 EUV – Anwendbarkeit von Titel IV des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft auf die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen; Art. 22 Abs. 2 EGV – Erweiterung der Rechte der Unionsbürger; Art. 190 Abs. 4 EGV – Einführung eines einheitlichen Wahlverfahrens zum Europäischen Parlament; Art. 269 Abs. 2 EGV – Festlegung der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaft), ist nach dem Vertrag von Lissabon anwendbar für die Änderungen von Bestimmungen über die internen Politikbereiche in Teil III des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Art. 48 Abs. 6 UAbs. 2 Satz 1 EUV-Lissabon).
Die Tragweite der Ermächtigung zur Änderung von Bestimmungen des Teils III des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist nur eingeschränkt bestimmbar und in materieller Hinsicht für den deutschen Gesetzgeber kaum vorhersehbar. Art. 48 Abs. 6 EUV-Lissabon eröffnet dem Europäischen Rat einen weiten Handlungsfreiraum für primärrechtliche Änderungen. Der mögliche Inhalt zukünftiger Änderungen im Bereich der insgesamt 172 Artikel umfassenden internen Politikbereiche – darunter der Binnenmarkt sowie die Wirtschafts- und Währungsunion – ist allein durch das Verbot begrenzt, bereits übertragene Zuständigkeiten der Europäischen Union auszudehnen (Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV-Lissabon).
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem Urteil zum Vertrag von Maastricht entschieden, dass primärrechtliche Änderungen auch durch ein abgekürztes Verfahren vorgenommen werden können, wenn die Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften zustimmen (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪199≫). Die im Vergleich zu Art. 48 Abs. 4 UAbs. 2 EUV-Lissabon abweichende Formulierung über die notwendige Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften bedeutet allerdings nicht, dass sich die innerstaatlichen Anforderungen an die Ratifikation von „einfachen” im Gegensatz zu „ordentlichen” Vertragsänderungen verringern. Auch die „Zustimmung” der Bundesrepublik Deutschland im vereinfachten Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV-Lissabon setzt stets ein Gesetz im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG als lex specialis zu Art. 59 Abs. 2 GG voraus (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪199≫; zum Verweis auf die innerstaatlichen Ratifikationserfordernisse siehe auch die Entscheidung Nr. 2007-560 DC des Conseil constitutionnel vom 20. Dezember 2007, Nr. 26 ff.). Der Bezug eines Beschlusses nach Art. 48 Abs. 6 EUV-Lissabon zur Zuständigkeitsordnung der Europäischen Union zwingt dazu, das vereinfachte Änderungsverfahren generell wie eine Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG zu behandeln (vgl. auch Pernice, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 86), ohne dass es einer näheren Eingrenzung der möglichen Änderungen bedarf. Änderungen der Verträge, durch die das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, machen die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates erforderlich (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG; vgl. BVerfGE 89, 155 ≪199≫).
(bb) Den Verträgen werden durch den Vertrag von Lissabon weitere Bestimmungen eingefügt, die Art. 48 Abs. 6 EUV-Lissabon nachgebildet sind, aber auf einen bestimmten Sachbereich begrenzt und durch den Vertrag von Lissabon erweitert werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV-Lissabon – Einführung einer Gemeinsamen Verteidigung; Art. 25 Abs. 2 AEUV – Erweiterung der Rechte der Unionsbürger; Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 Satz 2 AEUV – Beitritt der Europäischen Union zur EMRK; Art. 223 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV – Einführung eines einheitlichen Wahlverfahrens zum Europäischen Parlament; Art. 262 AEUV – Zuständigkeit der Europäischen Union zur Schaffung europäischer Rechtstitel für geistiges Eigentum; Art. 311 Abs. 3 AEUV – Festlegung der Eigenmittel der Europäischen Union).
Die verfassungsrechtlichen Erwägungen zum vereinfachten Änderungsverfahren gelten auch für diese in einzelnen Vertragsbestimmungen enthaltenen Vertragsänderungsverfahren, soweit Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ohnehin bereits deshalb anwendbar ist, weil die Änderungsvorschriften kein Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV-Lissabon entsprechendes Verbot enthalten, die im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten der Europäischen Union auszudehnen.
(c) Neben dem ordentlichen und dem vereinfachten Änderungsverfahren sieht der Vertrag von Lissabon als weiteres Vertragsänderungsverfahren das sogenannte allgemeine Brückenverfahren vor (Art. 48 Abs. 7 EUV-Lissabon). Darüber hinaus enthält der Vertrag von Lissabon in einzelnen Vertragsbestimmungen spezielle Brückenklauseln (vgl. Art. 31 Abs. 3 EUV-Lissabon – Beschlüsse über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in anderen als den in Art. 31 Abs. 2 EUV-Lissabon genannten Fällen; Art. 81 Abs. 3 UAbs. 2 und UAbs. 3 AEUV – Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug; Art. 153 Abs. 2 UAbs. 4 AEUV – Maßnahmen in den Bereichen Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrags, Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen sowie Beschäftigungsbedingungen der Staatsangehörigen dritter Länder; Art. 192 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV – Maßnahmen im Bereich der Umweltpolitik; Art. 312 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV – Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens; Art. 333 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV – Abstimmungsverfahren im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit gemäß Art. 326 ff. AEUV). Mit dem Brückenverfahren können die Abstimmungsmodalitäten im Rat und das anzuwendende Gesetzgebungsverfahren geändert werden.
Nach der allgemeinen und den speziellen Brückenklauseln kann der Europäische Rat oder der Rat beschließen, dass der Rat in einem Bereich oder in einem bestimmten Fall mit qualifizierter Mehrheit statt mit Einstimmigkeit beschließt (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon; Art. 31 Abs. 3 EUV-Lissabon; Art. 312 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 333 Abs. 1 AEUV) oder dass Gesetzgebungsakte im Anwendungsbereich des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nach dem ordentlichen statt nach dem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 2 EUV-Lissabon; Art. 81 Abs. 3 UAbs. 2, Art. 153 Abs. 2 UAbs. 4, Art. 192 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 333 Abs. 2 AEUV). Auch der Übergang vom besonderen zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hat in der überwiegenden Zahl der Fälle zur Folge, dass im Rat nicht mehr einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird (vgl. Art. 289 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 294 Abs. 8 und Abs. 13 AEUV). Beschlüsse mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen werden von der Möglichkeit, im Rat auf die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit überzugehen, ausdrücklich ausgenommen (Art. 31 Abs. 4, Art. 48 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 2 EUV-Lissabon). Der Europäische Rat oder der Rat entscheiden über die Vertragsänderung einstimmig und – im Anwendungsbereich der allgemeinen Brückenklausel – nach Zustimmung des Europäischen Parlaments (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 4 EUV-Lissabon). Zusätzlich sehen sowohl die allgemeine Brückenklausel als auch die spezielle Brückenklausel im Bereich des Familienrechts mit grenzüberschreitendem Bezug die Beteiligung der nationalen Parlamente vor. Jedes nationale Parlament kann den Beschlussvorschlag des Europäischen Rates oder des Rates innerhalb von sechs Monaten nach der Übermittlung ablehnen mit der Folge, dass der Beschluss auf europäischer Ebene nicht erlassen werden darf (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon; Art. 81 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV).
Anders als das vereinfachte Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV-Lissabon ermöglichen die allgemeine und die speziellen Brückenklauseln Vertragsänderungen nur im Hinblick auf die beiden dargestellten Verfahrensvorschriften im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und im Titel V des Vertrags über die Europäische Union. Darüber hinaus besitzen der Europäische Rat oder der Rat keinen Gestaltungsfreiraum. Da die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Rat und das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nach dem Vertrag von Lissabon die Regelverfahren für die Rechtssetzung sind (Art. 16 Abs. 1 und Abs. 3; Art. 14 Abs. 1 EUV-Lissabon, Art. 289 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 294 AEUV), ist der Gesamtumfang, in dem der Einfluss des deutschen Vertreters im Rat durch die Einführung der qualifizierten Mehrheit abnimmt, zumindest allgemein erkennbar. Nicht möglich ist aber eine vollständige Betätigung der Integrationsverantwortung im Hinblick auf die Frage, ob das demokratische Legitimationsniveau der Unionsgewalt dem Umfang der übertragenen Zuständigkeiten und vor allem des im Brückenverfahren erhöhten Grades der Verselbständigung europäischer Entscheidungsverfahren noch entspricht.
Der mit der Ausübung der allgemeinen und speziellen Brückenklauseln einhergehende Verlust des deutschen Einflusses im Rat muss in dem Zeitpunkt der Ratifikation des Vertrags von Lissabon durch den deutschen Gesetzgeber auch für Einzelfälle vorhersehbar sein. Nur in diesem Fall ist die vorverlagerte Zustimmung des Mitgliedstaates zu einer späteren Vertragsänderung ausreichend demokratisch legitimiert. Die in den Brückenklauseln für die Änderung der Verfahrensvorschriften vorausgesetzte Einstimmigkeit im Europäischen Rat oder Rat bietet hierfür keine ausreichende Gewähr, weil für die mitgliedstaatlichen Vertreter im Europäischen Rat oder Rat womöglich nicht immer hinreichend erkennbar ist, in welchem Umfang dadurch für zukünftige Fälle auf die mitgliedstaatliche Vetomöglichkeit im Rat verzichtet wird. Über das Erfordernis der Einstimmigkeit im Europäischen Rat oder Rat hinaus stellen die Brückenklauseln unterschiedliche verfahrensrechtliche Anforderungen. Im Gegensatz zu der allgemeinen Brückenklausel in Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon sehen die speziellen Brückenklauseln – mit Ausnahme von Art. 81 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV – kein Ablehnungsrecht der mitgliedstaatlichen Parlamente vor.
Soweit die allgemeine Brückenklausel des Art. 48 Abs. 7 EUV-Lissabon den Übergang vom Einstimmigkeitsprinzip zum qualifizierten Mehrheitsprinzip in der Beschlussfassung des Rates oder den Übergang vom besonderen zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren ermöglicht, handelt es sich um eine nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG zu beurteilende primärrechtliche Änderung der Verträge. Bereits in dem Urteil zum Vertrag von Maastricht hat das Bundesverfassungsgericht gegenüber der dort erhobenen „Entstaatlichungsrüge” in dem für den Grundrechtsträger zentralen Bereich der Innen- und Rechtspolitik darauf hingewiesen, dass in der „Dritten Säule” nur einstimmig entschieden und durch diese Beschlüsse kein in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares und Vorrang beanspruchendes Recht gesetzt werde (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪176≫). Der Vertrag von Lissabon überführt nun aber genau diesen Bereich in die supranationale Unionsgewalt, indem er vorsieht, dass durch Beschluss des Europäischen Rates im allgemeinen Brückenverfahren zwar mit einem Ablehnungsrecht der nationalen Parlamente, jedoch ohne mitgliedstaatlichen Ratifikationsvorbehalt Sachbereiche von der Einstimmigkeit in den qualifizierten Mehrheitsentscheid oder vom besonderen in das ordentliche Gesetzgebungsverfahren übertragen werden können. Damit wird die zitierte rechtfertigende Argumentation aus dem Urteil zum Vertrag von Maastricht im Kern berührt. Das Ablehnungsrecht der nationalen Parlamente (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon) ist kein ausreichendes Äquivalent zum Ratifikationsvorbehalt; eine Zustimmung des deutschen Regierungsvertreters im Europäischen Rat erfordert deshalb in Deutschland jeweils ein Gesetz im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und gegebenenfalls Satz 3 GG. Erst auf diese Weise betätigen die deutschen Gesetzgebungsorgane jeweils ihre Integrationsverantwortung und entscheiden auch über die Frage, ob das demokratische Legitimationsniveau jeweils noch ausreichend hoch ist, um die Mehrheitsentscheidung zu akzeptieren. Der deutsche Regierungsvertreter im Europäischen Rat darf einer Vertragsänderung durch Anwendung der allgemeinen Brückenklausel nur zustimmen, wenn der Deutsche Bundestag und der Bundesrat innerhalb einer noch auszugestaltenden Frist, die an die Zwecksetzung des Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon angelehnt ist, ein Gesetz nach Art. 23 Abs. 1 GG erlassen haben. Dies gilt ebenso für den Fall, dass von der speziellen Brückenklausel nach Art. 81 Abs. 3 UAbs. 2 AEUV Gebrauch gemacht wird.
Ein Gesetz im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht erforderlich, soweit spezielle Brückenklauseln sich auf Sachbereiche beschränken, die durch den Vertrag von Lissabon bereits hinreichend bestimmt sind. Auch in diesen Fällen obliegt es allerdings dem Bundestag und, soweit die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, dem Bundesrat die Integrationsverantwortung in anderer geeigneter Weise wahrzunehmen. Das Vetorecht im Rat darf auch bei sachlich in den Verträgen bereits bestimmten Gegenständen nicht ohne Beteiligung der zuständigen Gesetzgebungsorgane aufgegeben werden. Der deutsche Regierungsvertreter im Europäischen Rat oder Rat darf deshalb einer Änderung des Primärrechts durch Anwendung einer der speziellen Brückenklauseln nur dann für die Bundesrepublik Deutschland zustimmen, wenn der Deutsche Bundestag und, soweit die Regelungen über die Gesetzgebung dies erfordern, der Bundesrat innerhalb einer noch auszugestaltenden Frist, die an die Zwecksetzung des Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon angelehnt ist, ihre Zustimmung zu diesem Beschluss erteilt haben (vgl. hierzu auch den konstitutiven Parlamentsvorbehalt nach Section 6 des britischen European Union ≪Amendment≫ Act 2008 ≪c. 7≫, der allerdings nicht fristgebunden ist). Mit dem verfassungsrechtlichen Erfordernis einer parlamentarischen Entscheidung wäre es unvereinbar, wenn die konkrete Ausgestaltung des Fristerfordernisses ein mögliches Schweigen der gesetzgebenden Körperschaften als Zustimmung verstehen würde. Unter Einhaltung dieser Voraussetzung können die entsprechenden Bestimmungen des Vertrags von Lissabon in Deutschland angewendet werden.
Diese verfassungsrechtliche Anforderung gilt für die Anwendung von Art. 31 Abs. 3 EUV-Lissabon, Art. 312 Abs. 2 UAbs. 2 und Art. 333 Abs. 1 AEUV, die den Übergang von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit erlauben. Sie ist aber auch auf die Vertragsbestimmungen zu erstrecken, die wie Art. 153 Abs. 2 UAbs. 4, Art. 192 Abs. 2 UAbs. 2 und Art. 333 Abs. 2 AEUV den Übergang vom besonderen zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zum Gegenstand haben, da auch in diesen Fällen der Rat nicht mehr einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann (vgl. Art. 289 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 294 Abs. 8 und Abs. 13 AEUV).
(d) Der Vertrag von Lissabon stattet die Europäische Union schließlich nicht mit Vorschriften aus, die dem europäischen Integrationsverband die Kompetenz-Kompetenz verschaffen. Sowohl Art. 311 Abs. 1 AEUV (aa) als auch Art. 352 AEUV (bb) können in einer Weise ausgelegt werden, dass das in den Vorschriften in Aussicht genommene Integrationsprogramm durch die deutschen Gesetzgebungsorgane noch vorhersehbar und bestimmbar ist.
(aa) Die Europäische Union stattet sich nach Art. 311 Abs. 1 AEUV mit den erforderlichen Mitteln aus, um ihre Ziele erreichen und ihre Politik durchführen zu können. Die Vorschrift ist identisch mit Art. 6 Abs. 4 EUV, der durch den Vertrag von Maastricht unter der Bezeichnung Art. F Abs. 3 in das Primärrecht eingeführt worden war. Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner Entscheidung zum Vertrag von Maastricht nach umfassender Auslegung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift zu dem Ergebnis gekommen, dass Art. F Abs. 3 EUV die Europäische Union nicht ermächtige, sich aus eigener Macht die Finanzmittel und sonstigen Handlungsmittel zu verschaffen, die sie zur Erfüllung ihrer Zwecke für erforderlich erachte (BVerfGE 89, 155 ≪194 ff.≫; vgl. auch Puttler, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 6 EUV Rn. 59 f.; Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I ≪EUV/EGV≫, 37. Ergänzungslieferung, November 2008, Art. 6 EUV Rn. 113).
Art. 311 Abs. 1 AEUV ist auch weiterhin als eine politisch-programmatische Absichtserklärung zu verstehen, die keine Zuständigkeit der Europäischen Union und damit erst recht keine Kompetenz-Kompetenz derselben begründet (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪194≫). Die Ausstattung der Europäischen Union mit den zur Erreichung ihrer Ziele und zur Durchführung ihrer Politiken erforderlichen Mitteln muss im Rahmen der vorhandenen Zuständigkeiten erfolgen. Die durch den Vertrag von Lissabon begründete neue Systematik der Vorschrift bestätigt die Auslegung, dass sich die Vorschrift nur auf finanzielle Mittel der Europäischen Union, nicht aber zusätzlich auf die Handlungsmittel bezieht.
(bb) Eine rechtliche Regelungswirkung hat hingegen Art. 352 AEUV, der die bestehenden Zuständigkeiten der Europäischen Union zielgebunden abrunden soll (vgl. zum früheren Art. 235 EWGV BVerfGE 89, 155 ≪210≫). Der Vertrag von Lissabon übernimmt diese Vorschrift – mit Änderungen im Hinblick auf den Anwendungsbereich und die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen – aus dem bestehenden Primärrecht (jetzt Art. 308 EGV).
Art. 352 AEUV begründet nicht nur eine Handlungszuständigkeit für die Europäische Union, sondern lockert zugleich das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Denn ein Tätigwerden der Europäischen Union soll in einem vertraglich festgelegten Politikbereich auch dann möglich sein, wenn eine konkrete Zuständigkeit nicht vorhanden, ein Tätigwerden der Europäischen Union aber erforderlich ist, um die Ziele der Verträge zu erreichen (Art. 352 Abs. 1 AEUV).
Nach der bisherigen Rechtslage erschien Art. 308 EGV als „Vertragsabrundungskompetenz” (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪210≫), die eine „vertragsimmanente Fortentwicklung” des Unionsrechts „unterhalb der förmlichen Vertragsänderung” ermöglichte (vgl. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 6 Rn. 68). Die durch den Vertrag von Lissabon bewirkten Änderungen müssen zu einer Neubewertung der Vorschrift führen. Art. 352 AEUV ist nicht mehr auf die Zielverwirklichung im Rahmen des Gemeinsamen Marktes beschränkt, sondern nimmt nunmehr auf die „in den Verträgen festgelegten Politikbereiche” (Art. 352 Abs. 1 AEUV) mit Ausnahme der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Art. 352 Abs. 4 AEUV) Bezug. Die Vorschrift kann also dazu dienen, im nahezu gesamten Anwendungsbereich des Primärrechts eine Zuständigkeit zu schaffen, die ein Handeln auf europäischer Ebene ermöglicht. Diese Erweiterung des Anwendungsbereichs wird teilweise durch verfahrensrechtliche Absicherungen kompensiert. So setzt die Inanspruchnahme der Flexibilitätsklausel weiterhin einen einstimmigen Beschluss des Rates auf Vorschlag der Kommission voraus, dem nunmehr das Europäische Parlament zustimmen muss (Art. 352 Abs. 1 Satz 1 AEUV). Außerdem wird die Kommission verpflichtet, die mitgliedstaatlichen Parlamente im Rahmen der Subsidiaritätskontrolle über entsprechende Rechtssetzungsvorschläge zu informieren (Art. 352 Abs. 2 AEUV). Ein solcher Rechtssetzungsvorschlag darf ferner nicht mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften harmonisieren, wenn die Verträge im Übrigen eine solche Harmonisierung ausschließen (Art. 352 Abs. 3 AEUV). Eine Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften gehört nicht zu den Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Beschlusses.
Die Vorschrift stößt im Hinblick auf das Verbot zur Übertragung von Blankettermächtigungen oder zur Übertragung der Kompetenz-Kompetenz auf verfassungsrechtliche Bedenken, weil es die neu gefasste Regelung ermöglicht, Vertragsgrundlagen der Europäischen Union substantiell zu ändern, ohne dass über die mitgliedstaatlichen Exekutiven hinaus gesetzgebende Organe konstitutiv beteiligt werden müssen (vgl. zur Abgrenzung der Zuständigkeiten Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union vom 15. Dezember 2001, Bulletin EU 12-2001, I.27 ≪Anlage I≫). Die in Art. 352 Abs. 2 AEUV vorgesehene Pflicht zur Information der nationalen Parlamente kann hieran nichts ändern; denn die Kommission muss die nationalen Parlamente nur auf einen entsprechenden Rechtssetzungsvorschlag aufmerksam machen. In Anbetracht der Unbestimmtheit möglicher Anwendungsfälle der Flexibilitätsklausel setzt ihre Inanspruchnahme verfassungsrechtlich die Ratifikation durch den Deutschen Bundestag und den Bundesrat auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GG voraus. Der deutsche Vertreter im Rat darf die förmliche Zustimmung zu einem entsprechenden Rechtssetzungsvorschlag der Kommission für die Bundesrepublik Deutschland nicht erklären, solange diese verfassungsrechtlich gebotenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
(3) Das mit dem Zustimmungsgesetz erfasste Vertragswerk macht das bestehende Verbundprinzip im System verantwortlicher Hoheitsrechtsübertragung unter Fortbestand der Souveränität der Mitgliedstaaten deutlich und genügt damit verfassungsrechtlichen Anforderungen. Der Vertrag von Lissabon macht erstmals das bestehende Recht jedes Mitgliedstaates zum Austritt aus der Europäischen Union im Primärrecht sichtbar (Art. 50 EUV-Lissabon). Dieses Austrittsrecht unterstreicht die Souveränität der Mitgliedstaaten und zeigt ebenfalls, dass mit dem derzeitigen Entwicklungsstand der Europäischen Union die Grenze zum Staat im Sinne des Völkerrechts nicht überschritten ist (vgl. Jouanjan, Monodisziplinäre Stellungnahmen, in: Kreis, Der Beitrag der Wissenschaften zur künftigen Verfassung der EU, 2003, S. 12 ≪16≫). Kann ein Mitgliedstaat aufgrund einer selbstverantworteten Entscheidung austreten, ist der europäische Integrationsprozess nicht unumkehrbar. Die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland hängt vielmehr von ihrem dauerhaften und fortbestehenden Willen ab, der Europäischen Union anzugehören. Die rechtlichen Grenzen dieses Willens richten sich nach dem Grundgesetz.
Jeder Mitgliedstaat kann auch gegen den Willen der anderen Mitgliedstaaten aus der Europäischen Union austreten (vgl. Art. 54 Buchstabe a des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge ≪Wiener Vertragsrechtsübereinkommen≫ vom 23. Mai 1969, BGBl 1985 II S. 926 ff.). Die Entscheidung, auszutreten, muss nicht zwingend durch ein Austrittsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem betreffenden Mitgliedstaat umgesetzt werden. Für den Fall, dass ein Abkommen nicht zustandekommt, wird der Austritt zwei Jahre nach Mitteilung der Austrittsentscheidung wirksam (Art. 50 Abs. 3 EUV-Lissabon). Das Austrittsrecht kann auch ohne weitere Bindungen ausgeübt werden, weil der austrittswillige Mitgliedstaat seine Entscheidung nicht begründen muss. Art. 50 Abs. 1 EUV-Lissabon verweist lediglich darauf, dass der Austritt des Mitgliedstaates „im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften” erfolgen muss. Ob diese im Einzelfall eingehalten wurden, kann jedoch nur durch den Mitgliedstaat selbst, nicht aber durch die Europäische Union oder die anderen Mitgliedstaaten überprüft werden.
(4) Mit der dem Vertrag von Lissabon beigefügten Erklärung Nr. 17 zum Vorrang erkennt die Bundesrepublik Deutschland keinen verfassungsrechtlich bedenklichen unbedingten Geltungsvorrang des Unionsrechts an, sondern bestätigt allein die geltende Rechtslage in der bisherigen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht. Die Behauptung des Beschwerdeführers zu III., dass mit der Zustimmung zum Vertrag von Lissabon der Sache nach der im gescheiterten Verfassungsvertrag geplante „uneingeschränkte” Vorrang des von den Organen der Union gesetzten Rechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten zum Vertragsinhalt würde und damit im Ergebnis ein unzulässiger bundesstaatlicher Geltungsvorrang bis hin zur Derogation entgegenstehenden mitgliedstaatlichen Verfassungsrechts eingeräumt würde, ist unzutreffend. Unzutreffend ist auch die Annahme, dass wegen flächendeckender Kompetenzgewinne die Einhaltung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung durch die Europäische Union und die damit verbundenen Rechtswirkungen in Deutschland praktisch nicht mehr durch das Bundesverfassungsgericht überprüfbar wären und es nicht mehr möglich wäre, die verfassungsrechtliche Identität und den deutschen Grundrechtsschutz in der Substanz zu wahren (so aber Murswiek, Die heimliche Entwicklung des Unionsvertrages zur europäischen Oberverfassung, NVwZ 2009, S. 481 ff.).
Da es beim Vorrang kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung verbleibt, können auch die in Art. 2 EUV-Lissabon normierten Werte, deren Rechtscharakter hier keiner Klärung bedarf, im Kollisionsfall keinen Vorrang gegenüber der von Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV-Lissabon geschützten und verfassungsrechtlich über die Identitätskontrolle nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherten Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten beanspruchen. Die Werte des Art. 2 EUV-Lissabon, die teilweise bereits als Grundsätze im geltenden Art. 6 Abs. 1 EUV enthalten sind, verschaffen dem europäischen Integrationsverband keine Kompetenz-Kompetenz, sodass auch insoweit das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung fortgilt.
(a) Das europäische Vertragswerk hat die Auslegung sowohl des Primärrechts wie des Sekundärrechts der eigenen europäischen Gerichtsbarkeit zugewiesen. Der Gerichtshof und das Gericht erster Instanz sichern auf der Grundlage des geltenden Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und – zu einem geringeren Teil – des Vertrags über die Europäische Union im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten die Wahrung des Rechts bei der Auslegung der Verträge (Art. 220 EGV; Art. 35 EUV). Im Rahmen der Vorabentscheidung steht es dem Gerichtshof zu, über die Auslegung des Vertrags und über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft und der Europäischen Zentralbank verbindlich zu entscheiden (Art. 234 EGV). Das Vertragsrecht bindet demnach über die innerstaatlich durch Zustimmungsgesetz zu dem jeweiligen Vertrag erteilten Rechtsanwendungsbefehle die Gerichte der Mitgliedstaaten an die Rechtsprechung der europäischen Gerichte, insbesondere an die des Gerichtshofs.
Aus der fortbestehenden, mitgliedstaatlich verankerten Volkssouveränität und aus dem Umstand, dass die Staaten die Herren der Verträge bleiben, folgt – jedenfalls bis zur förmlichen Gründung eines europäischen Bundesstaates und dem damit ausdrücklich zu vollziehenden Wechsel des demokratischen Legitimationssubjekts –, dass den Mitgliedstaaten das Recht zur Prüfung der Einhaltung des Integrationsprogramms nicht entzogen sein kann.
Das Bundesrecht bricht aufgrund der grundgesetzlichen Anordnung entgegenstehendes Landesrecht (vgl. Art. 31 GG). Eine solche rechtsvernichtende, derogierende Wirkung entfaltet das supranational begründete Recht nicht. Der europarechtliche Anwendungsvorrang lässt entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht in seinem Geltungsanspruch unberührt und drängt es nur in der Anwendung soweit zurück, wie es die Verträge erfordern und nach dem durch das Zustimmungsgesetz erteilten innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl auch erlauben (vgl. BVerfGE 73, 339 ≪375≫). Gemeinschafts- und unionswidriges mitgliedstaatliches Recht wird lediglich soweit unanwendbar, wie es der entgegenstehende gemeinschafts- und unionsrechtliche Regelungsgehalt verlangt.
Diese im Alltag der Rechtsanwendung eher theoretische, weil in den Rechtswirkungen häufig nicht zu praktischen Unterschieden führende Konstruktion hat allerdings Konsequenzen für das Verhältnis der mitgliedstaatlichen zur europäischen Gerichtsbarkeit. Mitgliedstaatlichen Rechtsprechungsorganen mit verfassungsrechtlicher Funktion kann im Rahmen der ihnen übertragenen Zuständigkeit – dies ist jedenfalls der Standpunkt des Grundgesetzes – nicht die Verantwortung für die Grenzen ihrer verfassungsrechtlichen Integrationsermächtigung und die Wahrung der unverfügbaren Verfassungsidentität genommen werden.
Der Integrationsauftrag des Grundgesetzes und das geltende europäische Vertragsrecht fordern mit der Idee einer unionsweiten Rechtsgemeinschaft die Beschränkung der Ausübung mitgliedstaatlicher Rechtsprechungsgewalt. Es sollen keine die Integration gefährdenden Wirkungen dadurch eintreten, dass die Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung durch unterschiedliche Anwendbarkeitsentscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte in Frage gestellt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat seine ursprünglich angenommene generelle Zuständigkeit, den Vollzug von europäischem Gemeinschaftsrecht in Deutschland am Maßstab der Grundrechte der deutschen Verfassung zu prüfen (vgl. BVerfGE 37, 271 ≪283≫), zurückgestellt, und zwar im Vertrauen auf die entsprechende Aufgabenwahrnehmung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (vgl. BVerfGE 73, 339 ≪387≫; bestätigt in BVerfGE 102, 147 ≪162 ff.≫). Die Endgültigkeit der Entscheidungen des Gerichtshofs konnte es mit Rücksicht auf die völkervertraglich abgeleitete Stellung der Gemeinschaftsorgane allerdings nur „grundsätzlich” anerkennen (BVerfGE 73, 339 ≪367≫).
Soweit Beschwerdeführer im Verfahren über die Verfassungsmäßigkeit des deutschen Zustimmungsgesetzes zum Vertrag von Maastricht aus dieser Endgültigkeit des Richterspruchs des Gerichtshofs eine vollständige Verfügungsbefugnis von Gemeinschaftsorganen über das Vertragsrecht und damit eine verfassungsrechtlich unzulässige Übertragung nicht von einzelnen Hoheitsrechten, sondern der Souveränität sahen, hat das Bundesverfassungsgericht dieses Argument bereits in der Entscheidung zum Vertrag von Maastricht entkräftet. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass es prüfe, ob Rechtsakte der europäischen Einrichtungen und Organe sich in den Grenzen der eingeräumten Hoheitsrechte halten oder aber eine vertragsausdehnende Auslegung der Verträge durch die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit vorliege, die einer unzulässigen autonomen Vertragsänderung gleichkomme (BVerfGE 89, 155 ≪188, 210≫; ähnlich zuletzt Tschechisches Verfassungsgericht, Urteil vom 26. November 2008, Aktenzeichen Pl. ÚS 19/08, Vertrag zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Rn. 139).
Der europarechtliche Anwendungsvorrang bleibt auch bei Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ein völkervertraglich übertragenes, demnach abgeleitetes Institut, das erst mit dem Rechtsanwendungsbefehl durch das Zustimmungsgesetz in Deutschland Rechtswirkung entfaltet. Dass das Institut des Anwendungsvorrangs nicht ausdrücklich in den Verträgen vorgesehen ist, sondern in der Frühphase der europäischen Integration durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs durch Auslegung gewonnen worden ist, ändert diesen Ableitungszusammenhang nicht. Es ist eine Konsequenz der fortbestehenden Souveränität der Mitgliedstaaten, dass jedenfalls dann, wenn es ersichtlich am konstitutiven Rechtsanwendungsbefehl mangelt, die Unanwendbarkeit eines solchen Rechtsaktes für Deutschland vom Bundesverfassungsgericht festgestellt wird. Diese Feststellung muss auch erfolgen, wenn innerhalb oder außerhalb der übertragenen Hoheitsrechte diese mit Wirkung für Deutschland so ausgeübt werden, dass eine Verletzung der durch Art. 79 Abs. 3 GG unverfügbaren und auch durch das europäische Vertragsrecht, namentlich Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV-Lissabon, geachteten Verfassungsidentität die Folge ist.
Das Grundgesetz erstrebt die Einfügung Deutschlands in die Rechtsgemeinschaft friedlicher und freiheitlicher Staaten. Es verzichtet aber nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität als Recht eines Volkes, über die grundlegenden Fragen der eigenen Identität konstitutiv zu entscheiden. Insofern widerspricht es nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit, wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise Völkervertragsrecht – allerdings unter Inkaufnahme entsprechender Konsequenzen im Staatenverkehr – nicht beachtet, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist (vgl. BVerfGE 111, 307 ≪317 f.≫). Eine entsprechende Auffassung hat auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit seiner Entscheidung vom 3. September 2008 in der Rechtssache Kadi zugrundegelegt, wonach dem völkerrechtlichen Geltungsanspruch einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen grundlegende Rechtsprinzipien der Gemeinschaft entgegengehalten werden können (EuGH, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P, EuR 2009, S. 80 ≪100 ff.≫). Damit hat der Gerichtshof in einem Grenzfall die Selbstbehauptung eigener Identität als Rechtsgemeinschaft über die ansonsten respektierte Bindung gestellt: Eine solche Rechtsfigur ist nicht nur im Völkerrechtsverkehr als Berufung auf den ordre public als Grenze vertraglicher Bindung vertraut; sie entspricht jedenfalls bei einem konstruktiven Umgang auch der Idee von nicht strikt hierarchisch gegliederten politischen Ordnungszusammenhängen. Es bedeutet in der Sache jedenfalls keinen Widerspruch zu dem Ziel der Europarechtsfreundlichkeit, das heißt zu der von der Verfassung geforderten Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Verwirklichung eines vereinten Europas (Präambel, Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG), wenn ausnahmsweise, unter besonderen und engen Voraussetzungen, das Bundesverfassungsgericht Recht der Europäischen Union für in Deutschland nicht anwendbar erklärt (vgl. BVerfGE 31, 145 ≪174≫; 37, 271 ≪280 ff.≫; 73, 339 ≪374 ff.≫; 75, 223 ≪235, 242≫; 89, 155 ≪174 f.≫; 102, 147 ≪162 ff.≫).
(b) Die verfassungsrechtlich gebotene Reservekompetenz des Bundesverfassungsgerichts wird entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu III. nicht durch die der Schlussakte zum Vertrag von Lissabon beigefügte Erklärung Nr. 17 zum Vorrang berührt. Diese Erklärung weist darauf hin, dass die Verträge und das von der Europäischen Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Sekundärrecht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten haben.
Der Anwendungsvorrang setzt zunächst die unmittelbare Anwendbarkeit des europäischen Rechts in den Mitgliedstaaten voraus (vgl. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 7 Rn. 8 ff. mit weiteren Nachweisen). Im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind keine Rechtsakte vorgesehen, auf die die Erklärung Nr. 17 zum Vorrang anwendbar wäre. Der Vertrag vermittelt der Europäischen Union keine Hoheitsrechte, die einen supranationalen „Durchgriff” in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gestatten (vgl. Art. 24 Abs. 1, Art. 40 EUV-Lissabon und die der Schlussakte zum Vertrag von Lissabon beigefügte Erklärung Nr. 14).
Der Grund und die Grenze für die Geltung des Rechts der Europäischen Union in der Bundesrepublik Deutschland ist der im Zustimmungsgesetz enthaltene Rechtsanwendungsbefehl, der nur im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung erteilt werden kann (vgl. BVerfGE 73, 339 ≪374 ff.≫). Es ist insoweit nicht von Bedeutung, ob der Anwendungsvorrang des Unionsrechts, den das Bundesverfassungsgericht bereits für das Gemeinschaftsrecht im Grundsatz anerkannt hat (vgl. BVerfGE 31, 145 ≪174≫), in den Verträgen selbst oder in der der Schlussakte zum Vertrag von Lissabon beigefügten Erklärung Nr. 17 vorgesehen ist. Denn der Vorrang des Unionsrechts gilt in Deutschland nur kraft des durch Zustimmungsgesetz zu den Verträgen erteilten Rechtsanwendungsbefehls. Der Anwendungsvorrang reicht für in Deutschland ausgeübte Hoheitsgewalt nur so weit, wie die Bundesrepublik Deutschland dieser Kollisionsregel zugestimmt hat und zustimmen durfte (vgl. Nettesheim, Die Kompetenzordnung im Vertrag über eine Verfassung für Europa, EuR 2004, S. 511 ≪545 f.≫; Sauer, Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 162 ff.; Streinz, Europarecht, 8. Aufl. 2008, Rn. 224 ff.). Damit steht aber zugleich fest, dass aus dem Gesichtspunkt des gemeinschafts- und künftig unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs sich kein stichhaltiges Argument für einen Verzicht auf souveräne Staatlichkeit oder auf Verfassungsidentität bei Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gewinnen lässt.
bb) Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon gibt das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht auf. Das begrenzende Element des Staatsgebiets, das insbesondere durch die Territorialgrenzen verdeutlicht wird, die eine Ausübung fremder Herrschaftsgewalt auf dem Staatsgebiet grundsätzlich verhindern sollen, hat zwar an Bedeutung verloren. Durch völkerrechtliche Änderungs- und Zusatzverträge zum bestehenden Primärrecht sind insbesondere der Binnenmarkt (Art. 14 Abs. 2 EGV) geschaffen und die Grenzkontrollen im sogenannten Schengen-Raum abgeschafft worden. Auch der Vertrag von Lissabon setzt diese Relativierung des begrenzenden Elements fort, indem ein einheitliches Grenzschutzsystem bezüglich der „Außengrenzen” der Europäischen Union eingeführt wird (Art. 77 Abs. 1 Buchstabe c und Abs. 2 Buchstabe d AEUV). Die Europäische Union übt jedoch Hoheitsgewalt in Deutschland auf der Grundlage der im Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon übertragenen Zuständigkeiten und damit nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis der Bundesrepublik Deutschland aus. Eine gebietsbezogene Staatsgewalt (vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1921, S. 394) besteht unter den gewandelten Verhältnissen grenzüberschreitender Mobilität unverändert fort.
Dem steht nicht entgegen, dass durch den „Raum ohne Binnengrenzen” (Art. 14 Abs. 2 EGV, Art. 154 Abs. 1 EGV) und den durch den Vertrag von Lissabon supranationalisierten „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts” (Art. 67 ff. AEUV) auch die Gebietshoheit als Element des Staatsgebiets eingeschränkt wird. Die Europäische Union verfügt nach dem Vertrag von Lissabon nicht über eine umfassende Gebietshoheit, die diejenige der Bundesrepublik Deutschland ersetzt. Dass sie diese auch nach dem Vertrag von Lissabon nicht beansprucht, kommt darin zum Ausdruck, dass nur von einem „räumlichen Geltungsbereich” der Verträge (Art. 52 EUV-Lissabon; Art. 355 AEUV) die Rede ist. Dieser räumliche Geltungsbereich ist akzessorisch zum Staatsgebiet der Mitgliedstaaten, das in seiner Summe den Anwendungsbereich des Unionsrechts bestimmt (Art. 52 EUV-Lissabon; Art. 355 AEUV). Es gibt kein unionsunmittelbares Territorium, das von einer solchen Akzessorietät frei wäre (zur Ausdehnung des Geltungsbereichs durch Vergrößerung eines mitgliedstaatlichen Territoriums vgl. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 4 Rn. 36).
cc) Die Bundesrepublik Deutschland wird nach der Ratifikation des Vertrags von Lissabon weiterhin auch über ein Staatsvolk verfügen. Der inzwischen im Unionsrecht stärker ausgebildete Begriff des Unionsbürgers gründet ausschließlich im Vertragsrecht. Die Unionsbürgerschaft ist allein von dem Willen der Mitgliedstaaten abgeleitet und konstituiert kein Unionsvolk, das als sich selbst verfassendes Rechtssubjekt zur eigenen Selbstbestimmung berufen wäre.
Insbesondere kann aus der Einführung der Unionsbürgerschaft nicht auf die Begründung bundesstaatlicher Föderalität geschlossen werden. Historische Vergleiche zur deutschen Bundesstaatsgründung über den Norddeutschen Bund von 1867 (vgl. etwa Schönberger, Unionsbürger, 2005, S. 100 ff.) führen in diesem Zusammenhang nicht weiter. Nach der Verwirklichung des Prinzips der Volkssouveränität in Europa können nur die Völker der Mitgliedstaaten über ihre jeweilige verfassungsgebende Gewalt und die Souveränität des Staates verfügen. Ohne den ausdrücklich erklärten Willen der Völker sind die gewählten Organe nicht befugt, in ihren staatlichen Verfassungsräumen ein neues Legitimationssubjekt zu schaffen oder die vorhandenen zu delegitimieren.
Die Unionsbürgerschaft ist in diesem Sinne nichts kulturell oder normativ dem geltenden Vertragsrecht Vorausliegendes, aus dem heraus verfassungsgestaltende Rechtswirkungen entstehen könnten. Die bereits durch zurückliegende Vertragsänderungen in das Primärrecht eingefügte Unionsbürgerschaft bleibt ein abgeleiteter und die mitgliedstaatliche Staatsangehörigkeit ergänzender Status (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 EGV; Art. 9 Satz 3 EUV-Lissabon). Dieser Status wird auch nicht durch die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte verändert, wenngleich der Vertrag von Lissabon diese Rechte erweitert. Die Unionsbürger erhalten ein Recht auf Teilhabe am demokratischen Leben der Europäischen Union (Art. 10 Abs. 3, Art. 11 Abs. 1 EUV-Lissabon), womit ein notwendig bestehender Strukturzusammenhang zwischen bürgerschaftlichem Gemeinwesen und hoheitlicher Gewalt betont wird. Zudem wird die Ausübung bereits bestehender Rechte der Unionsbürger im Bereich des diplomatischen und konsularischen Schutzes sowie der Legitimationsdokumente erleichtert (vgl. Art. 23 Abs. 2, Art. 77 Abs. 3 AEUV).
Weitere Änderungen des Primärrechts führen ebenfalls nicht zu einer Überlagerung des primären Staatsangehörigkeitsstatus durch die Unionsbürgerschaft. Aus dem Gesamtzusammenhang des Vertrags von Lissabon wird deutlich, dass mit der sprachlichen Änderung des Art. 9 Satz 3 EUV-Lissabon im Vergleich zu Art. 17 Abs. 1 Satz 2 EGV (vgl. Schrauwen, European Citizenship in the Treaty of Lisbon: Any Change at all?, MJECL 2008, S. 55 ≪59≫), der Verwendung des Unionsbürgerbegriffs im Zusammenhang mit dem Europäischen Parlament (Art. 14 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon) und der vorgesehenen entscheidenden Rolle der Unionsbürger bei der europäischen Bürgerinitiative (Art. 11 Abs. 4 EUV-Lissabon) kein selbständiges personales Legitimationssubjekt auf europäischer Ebene geschaffen werden soll.
Auch angesichts des Ausbaus der Rechte der Unionsbürger bewahrt das deutsche Staatsvolk solange seine Existenz, wie die Unionsbürgerschaft die Staatsangehörigkeit der Mitgliedstaaten nicht ersetzt oder überlagert. Der abgeleitete Status der Unionsbürgerschaft und die Wahrung der mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeit bilden die Grenze für die in Art. 25 Abs. 2 AEUV angelegte Entwicklung der Unionsbürgerrechte und für die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. zur Bedeutung der Unionsbürgerschaft EuGH, Urteil vom 12. Mai 1998, Rs. C-85/96, Martínez Sala, Slg. 1998, S. I-2691 Rn. 62 f.; EuGH, Urteil vom 20. September 2001, Rs. C-184/99, Grzelczyk, Slg. 2001, S. I-6193 Rn. 31 f.; EuGH, Urteil vom 17. September 2002, Rs. C-413/99, Baumbast, Slg. 2002, S. I-7091 Rn. 82; EuGH, Urteil vom 7. September 2004, Rs. C-456/02, Trojani, Slg. 2004, S. I-7573 Rn. 31; EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2004, Rs. C-200/02, Zhu, Slg. 2004, S. I-9925 Rn. 25). So bestehen mitgliedstaatliche Möglichkeiten der Differenzierung aufgrund der Staatsangehörigkeit fort. Das Wahlrecht in den Mitgliedstaaten zu den jeweiligen Vertretungskörperschaften oberhalb der Kommunalebene ist weiterhin den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten wie auch die Pflicht zur finanziellen Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten in Form von Sozialleistungen gegenüber Unionsbürgern weiterhin eingeschränkt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 18. November 2008, Rs. C-158/07, Förster, EuZW 2009, S. 44 ≪45≫).
c) Mit dem Vertrag von Lissabon erweitern die Mitgliedstaaten den Kompetenzumfang und die politischen Handlungsmöglichkeiten des europäischen Integrationsverbundes. Die bestehenden und neu übertragenen Zuständigkeiten werden nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon von der Europäischen Union wahrgenommen, die an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft tritt. Namentlich die neu übertragenen Zuständigkeiten in den Bereichen der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (aa) und Zivilsachen (bb), der Außenwirtschaftsbeziehungen (cc), der Gemeinsamen Verteidigung (dd) sowie in sozialen Belangen (ee) können und müssen von den Organen der Europäischen Union in einer Weise ausgeübt werden, dass auf mitgliedstaatlicher Ebene sowohl im Umfang als auch in der Substanz noch Aufgaben von hinreichendem Gewicht bestehen, die rechtlich und praktisch Voraussetzung für eine lebendige Demokratie sind. Die neu begründeten Zuständigkeiten sind – jedenfalls bei der gebotenen Auslegung – keine „staatsbegründenden Elemente”, die auch in der Gesamtschau die souveräne Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht in verfassungsrechtlich bedeutsamer Weise verletzen. Für die Beurteilung der Rüge einer verfassungswidrigen Entleerung der Aufgaben des Deutschen Bundestages kann dahinstehen, wie viele mitgliedstaatliche Gesetzgebungsakte bereits europäisch beeinflusst, präformiert oder determiniert sind (vgl. zuletzt Hoppe, Die Europäisierung der Gesetzgebung: Der 80-Prozent-Mythos lebt, EuZW 2009, S. 168 f.). Es kommt für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Rüge nicht auf quantitative Relationen, sondern darauf an, dass der Bundesrepublik Deutschland für zentrale Regelungs- und Lebensbereiche substantielle innerstaatliche Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben.
aa) (1) Mit dem Vertrag von Lissabon werden die Zuständigkeiten der Europäischen Union im Bereich der Strafrechtspflege erheblich erweitert. Die Europäische Union wird ermächtigt, „Mindestvorschriften” zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen „besonders schwerer Kriminalität” festzulegen, die „aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten” oder „aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen”, eine grenzüberschreitende Dimension haben (Art. 83 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV). Die Kriminalitätsbereiche, die für diese Zusammenarbeit in Frage kommen, werden exemplarisch aufgezählt, können jedoch durch einstimmigen Beschluss des Rates und mit Zustimmung des Europäischen Parlaments erweitert werden (Art. 83 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV). Über diese Zuständigkeit zur Rechtsangleichung im Strafrecht der grenzüberschreitenden schweren Kriminalität hinaus erhält die Union eine bereits in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs angenommene (vgl. EuGH, Urteil vom 13. September 2005, Rs. C-176/03, Kommission/Rat, Slg. 2005, S. I-7879 Rn. 47 f.) strafrechtliche Annexzuständigkeit in allen Politikbereichen, in denen Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind oder noch erfolgen werden (Art. 83 Abs. 2 Satz 1 AEUV).
Im Strafverfahrensrecht kann die Europäische Union Mindestvorschriften erlassen zur Zulassung von Beweismitteln „auf gegenseitiger Basis” zu den Rechten des Beschuldigten, des Zeugen und des Opfers von Straftaten sowie zu sonstigen spezifischen Aspekten, die zuvor vom Rat durch einstimmigen Beschluss nach Zustimmung des Europäischen Parlaments bestimmt worden sind (Art. 82 Abs. 2 UAbs. 1 und UAbs. 2 AEUV). Ferner dürfen Maßnahmen erlassen werden, die die Kriminalprävention fördern und unterstützen (Art. 84 AEUV).
Schließlich können auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon die Befugnisse von Eurojust erweitert werden. Eurojust kann im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren insbesondere die Aufgabe übertragen werden, strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten und zu koordinieren (Art. 85 Abs. 1 AEUV), wobei förmliche Prozesshandlungen den nationalen Strafverfolgungsbehörden vorbehalten bleiben (Art. 85 Abs. 2 AEUV). Außerdem kann die Einrichtung durch einstimmigen Beschluss des Rates und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments zu einer Europäischen Staatsanwaltschaft ausgebaut werden, die für die strafrechtliche Untersuchung und Verfolgung bis hin zur Anklageerhebung vor den nationalen Gerichten zuständig wäre, vorerst beschränkt auf die Bekämpfung von Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union (Art. 86 Abs. 1 AEUV).
(2) Die Sicherung des Rechtsfriedens in Gestalt der Strafrechtspflege ist seit jeher eine zentrale Aufgabe staatlicher Gewalt. Bei der Aufgabe, ein geordnetes menschliches Zusammenleben durch Schutz der elementaren Werte des Gemeinschaftslebens auf der Grundlage einer Rechtsordnung zu schaffen, zu sichern und durchzusetzen, ist das Strafrecht ein unverzichtbares Element zur Sicherung der Unverbrüchlichkeit dieser Rechtsordnung (vgl. Sellert/Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band 1, 1989, S. 49). Jede Strafnorm enthält ein mit staatlicher Autorität versehenes sozialethisches Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise. Der konkrete Inhalt dieses Unwerturteils ergibt sich aus Straftatbestand und Strafandrohung (vgl. BVerfGE 25, 269 ≪286≫; 27, 18 ≪30≫). Es ist eine grundlegende Entscheidung, in welchem Umfang und in welchen Bereichen ein politisches Gemeinwesen gerade das Mittel des Strafrechts als Instrument sozialer Kontrolle einsetzt. Eine Rechtsgemeinschaft gibt sich durch das Strafrecht einen in ihren Werten verankerten Verhaltenskodex, dessen Verletzung nach der geteilten Rechtsüberzeugung als so schwerwiegend und unerträglich für das Zusammenleben in der Gemeinschaft gewertet wird, dass sie Strafe erforderlich macht (vgl. Weigend, Strafrecht durch internationale Vereinbarungen – Verlust an nationaler Strafrechtskultur?, ZStW 1993, S. 774 ≪789≫).
Der Gesetzgeber übernimmt mit der Entscheidung über strafwürdiges Verhalten die demokratisch legitimierte Verantwortung für eine Form hoheitlichen Handelns, die zu den intensivsten Eingriffen in die individuelle Freiheit im modernen Verfassungsstaat zählt. Der Gesetzgeber ist bei der Entscheidung, ob er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen und wie er dies gegebenenfalls tun will, grundsätzlich frei (vgl. BVerfGE 50, 142 ≪162≫; 120, 224 ≪240≫; zur Grenzziehung zwischen kriminellem Unrecht und Ordnungsunrecht BVerfGE 27, 18 ≪30≫; 96, 10 ≪26≫). Er kann zudem innerhalb der verfassungsrechtlichen Bindungen frei entscheiden, mit welcher Strafandrohung er schuldhaftes Handeln sanktionieren will. Die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung obliegen den Organen der Strafrechtspflege, die zu diesem Zweck unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen Strafverfahren einzuleiten und durchzuführen sowie erkannte Strafen zu vollstrecken haben (vgl. BVerfGE 51, 324 ≪343≫).
Die Handlungsfreiheit des Gesetzgebers kann aufgrund der Eingliederung des deutschen Verfassungsstaates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft von Verfassungs wegen durch die Verpflichtung eingeschränkt sein, überstaatliches Recht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen. So kann es geboten sein, bestimmte Handlungen auch zu dem Zweck unter Strafe zu stellen, wesentliche Normen des allgemeinen Völkerrechts gegenüber dem Einzelnen durchzusetzen (vgl. BVerfGE 112, 1 ≪26≫). Dies gilt vor allem für den Prozess der Herausbildung einer internationalen Strafjustiz für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen (vgl. BVerfGE 113, 273 ≪296 f.≫; BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Dezember 2000 – 2 BvR 1290/99 –, NJW 2001, S. 1848 ff.). Als Mitgliedstaat der Europäischen Union ist Deutschland weitere Verpflichtungen eingegangen. Mit dem Auf- und Ausbau des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts”, der bislang im Wesentlichen nach den Vorschriften für die intergouvernementale „Dritte Säule” des Rechts der Europäischen Union erfolgte, verfolgt die Europäische Union das Ziel, den Prozess des Zusammenwachsens und die Öffnung der Grenzen für Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital mit einer besseren Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden zu verbinden. Die Mitgliedstaaten haben sich in einzelnen Bereichen darauf verständigt, Straf- und Strafverfahrensvorschriften zu schaffen, die den Bedingungen europäischer grenzüberschreitender Sachverhalte Rechnung tragen.
Wegen der besonders empfindlichen Berührung der demokratischen Selbstbestimmung durch Straf- und Strafverfahrensnormen sind die vertraglichen Kompetenzgrundlagen für solche Schritte strikt – keinesfalls extensiv – auszulegen und ihre Nutzung bedarf besonderer Rechtfertigung. Das Strafrecht in seinem Kernbestand dient nicht als rechtstechnisches Instrument zur Effektuierung einer internationalen Zusammenarbeit, sondern steht für die besonders sensible demokratische Entscheidung über das rechtsethische Minimum. Dies erkennt auch der Vertrag von Lissabon ausdrücklich an, wenn er die neu begründeten Kompetenzen der Strafrechtspflege mit einer sogenannten Notbremse versieht, die es dem – letztlich parlamentarisch verantwortlichen – Vertreter eines Mitgliedstaates im Rat erlaubt, gestützt auf „grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung” mit seinem Veto strafrechtsbedeutsame Richtlinien jedenfalls für sein Land zu verhindern (Art. 83 Abs. 3 AEUV).
(3) Die Bekämpfung besonders schwerer Kriminalität, die sich die territoriale Beschränkung staatlicher Strafverfolgung zunutze macht oder, wie im Fall der Korruption, die Funktionsfähigkeit von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der Europäischen Union bedroht, kann ein besonderer Rechtfertigungsgrund für die Übertragung von Hoheitsrechten auch in diesem Bereich sein. Der Vertrag von Lissabon spricht in diesem Zusammenhang davon, dass solche Kriminalität eine grenzüberschreitende Dimension haben müsse (Art. 83 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV), und zwar aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftat oder einer besonderen Notwendigkeit, die Straftat auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen (Art. 83 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV). Eine solche besondere Notwendigkeit liegt nicht bereits dann vor, wenn die Organe einen entsprechenden politischen Willen gebildet haben. Sie lässt sich von Art und Auswirkungen der Straftat auch nicht trennen, da unerfindlich ist, woraus, wenn nicht aus der Art oder den Auswirkungen der betreffenden Straftaten, sich die besondere Notwendigkeit ihrer Bekämpfung auf gemeinsamer Grundlage ergeben sollte.
Die demnach zum Schutz des nach dem Verständnis des Grundgesetzes demokratischen Primärraums gebotene enge Auslegung ist auch der Entscheidung des deutschen Vertreters im Rat zugrundezulegen, wenn ein Beschluss im Bereich der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen sowie allgemein des Strafverfahrensrechts gefasst werden soll (Art. 82 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV).
Im Hinblick auf den Bereich der Annexzuständigkeit, die eine Angleichung des Strafrechts in bereits harmonisierten Politikbereichen ermöglicht (Art. 83 Abs. 2 AEUV), kann das Zustimmungsgesetz nur deshalb als verfassungskonform beurteilt werden, weil diese Zuständigkeit nach dem Vertrag eng auszulegen ist. Hinter der Annexzuständigkeit verbirgt sich eine gravierende Ausdehnung der Zuständigkeit zur Strafrechtspflege im Vergleich zur bislang geltenden Rechtslage. Überall dort, wo die Union Zuständigkeiten zur Rechtsharmonisierung besitzt, kann sie danach zur „wirksamen Durchführung der Politik der Union” Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen durch Richtlinien erlassen. Wegen drohender Uferlosigkeit dieses die Strafrechtssetzung betreffenden Kompetenztitels ist eine solche Kompetenzvorschrift mit dem Prinzip einer sachlich bestimmten und nur begrenzten Übertragung von Hoheitsrechten an sich ebenso wenig zu vereinbaren wie mit dem gebotenen Schutz des demokratisch an die Mehrheitsentscheidung des Volkes besonders rückgebundenen nationalen Gesetzgebers.
Der Vertrag von Lissabon bietet jedoch hinreichende Anhaltspunkte für eine verfassungskonforme Auslegung. Zum einen ist der zur Strafrechtsetzung ermächtigende Tatbestand bereits vom Wortlaut eng gefasst. Danach muss sich die Angleichung entsprechender Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten „als unerlässlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union” auf dem harmonisierten Rechtsgebiet erweisen (Art. 83 Abs. 2 Satz 1 AEUV). Damit dieser Ausnahmetatbestand erfüllt ist und die Ermächtigung zur Strafgesetzgebung im Annex als übertragen angenommen werden kann, muss nachweisbar feststehen, dass ein gravierendes Vollzugsdefizit tatsächlich besteht und nur durch Strafandrohung beseitigt werden kann. Diese Voraussetzungen gelten auch für die von der europäischen Gerichtsbarkeit bereits angenommene Existenz einer strafrechtlichen Annexzuständigkeit.
Entsprechend begrenzend ist die allgemeine Ermächtigung zur Festlegung von Straftaten und Strafen nach Art. 83 Abs. 1 AEUV auszulegen. Dafür steht bereits der Katalog besonders schwerer Straftaten des Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV und die Voraussetzung, dass es sich um besonders schwere Kriminalität handeln muss, die aufgrund der Art oder der Auswirkung der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Der Katalog macht deutlich, dass es sich um typischerweise grenzüberschreitende schwere Kriminalitätsbereiche handelt, für die Mindestvorschriften, die den Mitgliedstaaten substantielle Ausgestaltungsspielräume belassen müssen, festgelegt werden dürfen. Die demokratische Selbstbestimmung ist allerdings in einer besonders empfindlichen Weise berührt, wenn eine Rechtsgemeinschaft gehindert wird, über die Strafbarkeit von Verhaltensweisen und gar die Verhängung von Freiheitsstrafen nach Maßgabe eigener Wertvorstellungen zu entscheiden. Das gilt umso mehr, je enger diese Wertvorstellungen mit historischen Erfahrungen, Glaubenstraditionen und anderen für das Selbstgefühl der Menschen und ihrer Gemeinschaft wesentlichen Faktoren verknüpft sind. Daher ist es in diesen Bereichen nur eingeschränkt erlaubt, die Strafgesetzgebungskompetenz zu übertragen, und jedenfalls erforderlich, bei der Ausdehnung des Katalogs der der Unionsgesetzgebung zustehenden Kriminalitätsbereiche die Anforderungen für eine einzelne Hoheitsrechtsübertragung (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG) einzuhalten. Die Nutzung der dynamischen Blankettermächtigung nach Art. 83 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV, „je nach Entwicklung der Kriminalität” eine Ausdehnung des Katalogs besonders schwerer grenzüberschreitender Straftaten vorzunehmen, entspricht in der Sache einer Erweiterung der geschriebenen Kompetenzen der Union und unterliegt deshalb dem Gesetzesvorbehalt des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG. Bei der Umsetzung der Mindestvorgaben ist ferner darauf zu achten, dass nur die grenzüberschreitende Dimension eines konkreten Straftatbestands von den europäischen Rahmenvorschriften angesprochen wird. Die im Grundsatz integrationsfeste mitgliedstaatliche Strafkompetenz ließe sich dadurch schonen, dass die Mindestvorschriften nicht einen vollständigen Deliktsbereich (vgl. Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl Nr. L 190/1), sondern lediglich eine Tatbestandsvariante erfassen.
Die Zuständigkeiten der Europäischen Union im Bereich der Strafrechtspflege müssen zudem in einer Weise ausgelegt werden, die den Anforderungen des Schuldprinzips genügt. Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz. Dieser setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich zu entfalten (vgl. BVerfGE 45, 187 ≪227≫). Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG die Auffassung vom Wesen der Strafe und das Verhältnis von Schuld und Sühne (vgl. BVerfGE 95, 96 ≪140≫). Der Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt, hat seine Grundlage damit in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪275≫; 80, 367 ≪378≫; 90, 145 ≪173≫). Das Schuldprinzip gehört zu der wegen Art. 79 Abs. 3 GG unverfügbaren Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt ist.
Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Strafrechts für die individuelle Freiheit sind deshalb jedenfalls zusätzlich besondere Anforderungen an die Regelung zu stellen, die einem Mitgliedstaat spezielle Rechte im Gesetzgebungsverfahren einräumt (Art. 82 Abs. 3, Art. 83 Abs. 3 AEUV). Das notwendige Maß an demokratischer Legitimation über die mitgliedstaatlichen Parlamente lässt sich aus dem Blickwinkel des deutschen Verfassungsrechts nur dadurch gewährleisten, dass der deutsche Vertreter im Rat die in Art. 82 Abs. 3 und Art. 83 Abs. 3 AEUV genannten mitgliedstaatlichen Rechte nur nach Weisung des Deutschen Bundestages und, soweit die Regelungen über die Gesetzgebung dies erfordern, des Bundesrates ausübt (vgl. auch die Begleitresolution des Deutschen Bundestages vom 24. April 2008 zum Vertrag von Lissabon ≪BTDrucks 16/8917, S. 6, BTPlenprot 16/157, S. 16482 B≫). Insgesamt nähert sich die konkretisierende Ausfüllung der Ermächtigungen nach Art. 82 Abs. 2 sowie Art. 83 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV in der Bedeutung einer Vertragsänderung an und verlangt nach einer entsprechenden Ausübung der Integrationsverantwortung der Gesetzgebungsorgane im Rahmen des Notbremseverfahrens.
Soweit die Europäische Union im Bereich der Strafrechtspflege auf die nach Art. 82 Abs. 2 UAbs. 2 Buchstabe d AEUV vorgesehene Ermächtigung zum Erlass von Mindestvorschriften für sonstige spezifische Aspekte des Strafverfahrens das allgemeine Brückenverfahren nach Art. 48 Abs. 7 EUV-Lissabon anwenden möchte, um von der im Rat erforderlichen Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit überzugehen, müssen die für das allgemeine Brückenverfahren dargestellten Erfordernisse gelten. Der deutsche Regierungsvertreter im Europäischen Rat darf einer Vertragsänderung nur zustimmen, wenn der Deutsche Bundestag und der Bundesrat innerhalb einer noch auszugestaltenden, an die Zwecksetzung des Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon angelehnten Frist ein Gesetz im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG erlassen haben. Dies gilt gleichermaßen für den Fall, dass der Sachbereich der Bestimmung weiterer Kriminalitätsbereiche nach Art. 83 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV über das allgemeine Brückenverfahren von der Einstimmigkeit in den qualifizierten Mehrheitsentscheid überführt werden sollte.
bb) (1) Der Vertrag von Lissabon erweitert auch die bestehenden Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Union im Bereich der Justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen. Mittelpunkt der Regelung in Art. 81 AEUV ist der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen. Der Grundsatz spielte schon in der bisherigen Praxis eine bedeutende Rolle und wird nunmehr als Grundlage der justiziellen Zusammenarbeit vertraglich verankert. Die bislang auf Art. 65 EGV beruhende Zuständigkeit zur Rechtsangleichung wird durch den Vertrag von Lissabon um die Zuständigkeit für Maßnahmen, die einen effektiven Zugang zum Recht, die Entwicklung von alternativen Methoden für die Beilegung von Streitigkeiten sowie die Förderung der Weiterbildung von Richtern und Justizbediensteten sicherstellen sollen (Art. 81 Abs. 2 Buchstaben e, g und h AEUV) ergänzt. Die Fallgruppen für eine Harmonisierung, die die Existenz grenzüberschreitender Bezüge voraussetzt, sind in der Vorschrift abschließend aufgezählt. Ob das Kriterium der Erforderlichkeit einer Harmonisierung dahin zu deuten ist, dass es nur das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts betrifft (vgl. BTDrucks 16/8300, S. 175), kann offenbleiben. Denn dass der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union eine Harmonisierung nur unter der Voraussetzung der Erforderlichkeit zulässt, ergibt sich bereits aus dem Subsidiaritätsgrundsatz (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 EUV-Lissabon). Soweit die Harmonisierungsmaßnahmen das Familienrecht betreffen, gilt für die Beschlussfassung, dass der Rat nach Anhörung des Parlaments einstimmig entscheidet (Art. 81 Abs. 3 UAbs. 1 AEUV). Der Rat kann in diesem Sachbereich für bestimmte Aspekte des Familienrechts einstimmig den Übergang zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschließen (Art. 81 Abs. 3 UAbs. 2 AEUV). Die nationalen Parlamente können einer solchen Überleitung widersprechen (Art. 81 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV).
(2) Die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Rechtspflege gehört zu den Sachbereichen, die im föderalen Verbund der Europäischen Union grundsätzlich den Mitgliedstaaten zugeordnet sind. Die Mitgliedstaaten sind zwar aus dem Gemeinschaftsrecht verpflichtet, einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren, der durch nationale Rechtsvorschriften nicht beeinträchtigt werden darf (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Mai 1986, Rs. 222/84, Johnston, Slg. 1986, S. 1651 Rn. 17 ff.; EuGH, Urteil vom 11. September 2003, Rs. C-13/01, Safalero, Slg. 2003, S. I-8679 Rn. 50). Diese Rechtslage lässt die mitgliedstaatliche Zuständigkeit für die Organisation des Gerichtswesens sowie seine Personal- und Finanzausstattung jedoch unberührt. Der Gesamtzusammenhang des 3. Kapitels in Teil V des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zeigt, dass mit Art. 81 Abs. 2 AEUV keine entsprechende Zuständigkeit auf die Europäische Union übertragen wurde, die diese mitgliedstaatliche Verantwortung beschränken würde. Auch die Garantie des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG und der im Rechtsstaatsprinzip verwurzelte Justizgewährungsanspruch, die zugleich vom Unionsrecht anerkannt sind (vgl. Nowak, in: Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, 2006, § 51), werden etwa durch die Verpflichtung, alternative Methoden für die Streitbeilegung zu entwickeln (Art. 81 Abs. 2 Buchstabe g AEUV), nicht eingeschränkt. Der Zugang des Bürgers zu einem Gericht kann grundsätzlich nicht durch das Primär- und Sekundärrecht eingeschränkt oder durch die Einführung von nicht-justiziellen Vorverfahren erschwert werden.
Soweit in Art. 81 Abs. 3 UAbs. 1 AEUV abweichend von Art. 81 Abs. 2 AEUV Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren festgelegt werden, ist darin lediglich eine verfahrensrechtliche, die Befugnisse der Mitgliedstaaten stärkende Abweichung gegenüber den Regeln für das allgemeine Zivilrecht zu sehen, nicht aber die Möglichkeit einer inhaltlichen Ausdehnung der Kompetenzen des Rates für familienrechtliche Maßnahmen, die nicht im Katalog gemäß Art. 81 Abs. 2 AEUV ihre Entsprechung finden. Sollte dies allerdings anders gesehen werden, müsste – unbeschadet des identitätsgeschützten Kerns der Verfassung – sichergestellt werden, dass die Kompetenz nach Art. 81 Abs. 3 UAbs. 1 AEUV nicht ohne konstitutive Befassung der deutschen Gesetzgebungsorgane in Anspruch genommen wird.
cc) Der Vertrag von Lissabon ändert ferner die Bestimmungen über die Gemeinsame Handelspolitik. Dies betrifft insbesondere ausländische Direktinvestitionen sowie den Handel mit Dienstleistungen und die Handelsaspekte des geistigen Eigentums (Art. 207 Abs. 1 AEUV).
Die Gemeinsame Handelspolitik, das heißt die handelspolitische weltweite Außenvertretung des Binnenmarktes, zählt bereits nach geltendem Gemeinschaftsrecht zum ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Europäischen Gemeinschaft (EuGH, Gutachten 1/94 vom 15. November 1994, Slg. 1994, I-5267 Rn. 22 ff.). Dies schließt bislang allerdings nicht die ausländischen Direktinvestitionen, den Handel mit Dienstleistungen und die Handelsaspekte des geistigen Eigentums ein. Für die Direktinvestitionen besitzt die Europäische Gemeinschaft bislang keine und für den Handel mit Dienstleitungen und für die Handelsaspekte des geistigen Eigentums nur eine konkurrierende Zuständigkeit (Art. 133 Abs. 5 EGV). Dies soll sich mit dem Vertrag von Lissabon ändern. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe e) AEUV in Verbindung mit Art. 207 Abs. 1 AEUV soll künftig die Europäische Union für die Gemeinsame Handelspolitik unter Einschluss der genannten Bereiche ausschließlich zuständig sein.
(1) Der ausschließlichen Zuständigkeit der Union unterfallen danach unter anderem Abkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) wie das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) und das Abkommen über die handelsbezogenen Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS). Damit entfällt die Grundlage für die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, nach der wegen der insoweit bislang gemischten Zuständigkeit das Übereinkommen über die Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO-Übereinkommen) vom 15. April 1994 (ABl 1994 Nr. L 336/3) als sogenanntes gemischtes Abkommen sowohl von der Europäischen Gemeinschaft als auch von den Mitgliedstaaten zu schließen und zu ratifizieren war (vgl. EuGH, Gutachten 1/94 vom 15. November 1994, Slg. 1994, S. I-5267 Rn. 98 und 105; zum Status eines völkerrechtlichen Vertrags als gemischtes Abkommen vgl. auch EuGH, Gutachten 1/78 vom 4. Oktober 1979, Slg. 1979, S. 2871 Rn. 2; EuGH, Gutachten 2/91 vom 19. März 1993, Slg. 1993, S. I-1061 Rn. 13 und 39).
Für den Abschluss und die Ratifikation völkerrechtlicher Verträge im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik, einschließlich solcher zu den in Art. 207 Abs. 1 AEUV neu aufgenommenen Bereichen, soll danach künftig ausschließlich die Union zuständig sein; die Notwendigkeit und die Möglichkeit des Vertragsschlusses (auch) durch die Mitgliedstaaten und die damit verbundene Beteiligung der mitgliedstaatlichen Parlamente gemäß deren verfassungsrechtlichen Vorschriften (Art. 59 Abs. 2 GG) entfällt. Die Rolle des Europäischen Parlaments, das nach den derzeit geltenden Bestimmungen beim Abschluss von Verträgen im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik nicht einmal angehört werden muss, wird demgegenüber gestärkt. Ein Rahmen für die Umsetzung der Gemeinsamen Handelspolitik wird gemäß Art. 207 Abs. 2 AEUV durch Verordnung im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens gesetzt. Vertragsschlüssen muss das Europäische Parlament nach Maßgabe des Art. 218 Abs. 6 UAbs. 2 Buchstabe a Nr. v AEUV zustimmen (vgl. zum noch ungeklärten Umfang der Zustimmungsbedürftigkeit Krajewski, Das institutionelle Gleichgewicht in den auswärtigen Beziehungen, in: Herrmann/Krenzler/Streinz, Die Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Union nach dem Verfassungsvertrag, 2006, S. 63 ≪69 ff.≫).
Mit der dargestellten ausschließlichen Kompetenz wächst der Union die alleinige Dispositionsbefugnis über internationale Handelsabkommen zu, von denen wesentliche Umgestaltungen der inneren Ordnung der Mitgliedstaaten ausgehen können. Die dargestellte Kompetenzverschiebung durch den Vertrag von Lissabon betrifft die Mitgliedstaaten über den Verlust der eigenen Kompetenz zum Abschluss internationaler Handelsabkommen – und die damit verbundene Ausschaltung der gesetzgeberischen Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat nach Art. 59 Abs. 2 GG – hinaus auch insofern, als die Mitgliedschaft der Mitgliedstaaten in der Welthandelsorganisation dadurch auf einen nur noch formellen Status reduziert werden könnte. Das Stimmrecht in den Organen der Welthandelsorganisation würde nur noch von der Europäischen Union ausgeübt werden können. Darüber hinaus würden die Mitgliedstaaten in den Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation ihre formelle Parteifähigkeit verlieren. Die Mitgliedstaaten würden zudem von den globalen Verhandlungen über neue oder geänderte Übereinkommen im Rahmen der erweiterten gemeinsamen Handelspolitik – den sogenannten Welthandelsrunden – ausgeschlossen (vgl. zu den Einzelheiten Tietje, Das Ende der parallelen Mitgliedschaft von EU und Mitgliedstaaten in der WTO?, in: Herrmann/Krenzler/Streinz, Die Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Union nach dem Verfassungsvertrag, 2006, S. 161 ≪171 ff.≫).
Es kann offenbleiben, ob und inwieweit die Mitgliedschaft der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in der Welthandelsorganisation nicht mehr substantiell-materiell, sondern nur noch institutionell-formell bestehen würde. Jedenfalls kann der Vertrag von Lissabon die Mitgliedstaaten nicht zur Aufgabe ihres Mitgliedsstatus zwingen. Das gilt insbesondere für die Verhandlungen über multilaterale Handelsbeziehungen im Sinne des Art. III Abs. 2 WTO-Übereinkommen, deren möglicher zukünftiger Inhalt durch das Recht der Europäischen Union nicht bestimmt wird und für die sich daher in Zukunft – je nach dem Verlauf zukünftiger Handelsrunden – eine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ergeben kann. Zu einer unzulässigen Einschränkung der vom Grundgesetz vorausgesetzten und geschützten Staatlichkeit und des Prinzips der Volkssouveränität durch einen Verlust der Handlungsfähigkeit in nicht unwesentlichen Teilbereichen des internationalen Staatenverkehrs kann es daher nicht kommen. Die Welthandelsorganisation ist weiterhin das zentrale Forum für den weltweiten Dialog über Handelsfragen und das Aushandeln entsprechender Handelsübereinkommen. Auch wenn die Mitgliedstaaten in der Praxis sich regelmäßig durch die Kommission vertreten lassen, ist ihre rechtliche und diplomatische Präsenz zudem die Voraussetzung dafür, am Diskurs über gesellschafts-, wirtschafts- und sozialpolitische Grundfragen teilzunehmen und die Argumente und die Ergebnisse dann auf nationaler Ebene verständlich zu machen und zu debattieren. Wenn die Bundesregierung den Deutschen Bundestag und den Bundesrat über die Themen der Welthandelsrunden und die vom Rat festgelegten Verhandlungsrichtlinien (Art. 218 Abs. 2 AEUV) unterrichtet und ihm dadurch die Prüfung der Einhaltung des Integrationsprogramms durch die Europäische Union und die Kontrolle der Tätigkeit der Bundesregierung ermöglicht, handelt es sich nicht nur um die selbstverständliche Wahrnehmung ihrer allgemeinen Informationsaufgabe (vgl. BVerfGE 57, 1 ≪5≫; 70, 324 ≪355≫; 105, 279 ≪301 ff.≫; 110, 199 ≪215≫); sie ist hierzu angesichts der gemeinsamen Integrationsverantwortung und der gewaltenteilenden Aufgabendifferenzierung unter den Verfassungsorganen auch verfassungsrechtlich verpflichtet.
Die Vorstellung eines allmählichen Zurücktretens der Rechtssubjektivität der Mitgliedstaaten in den auswärtigen Beziehungen zugunsten einer immer deutlicher staatsanalog auftretenden Europäischen Union entspricht auch keineswegs einem voraussehbaren und durch den Vertrag von Lissabon unumkehrbar gemachten Trend im Sinne einer jedenfalls faktisch notwendigen Bundesstaatsbildung. Die bislang vollzogene Entwicklung einer kooperativ gemischten und parallel wahrgenommenen Mitgliedschaft könnte im Gegenteil sogar ein Modell für andere internationale Organisationen und für andere Staatenverbindungen sein. Sofern jedoch auf der Grundlage des insofern entwicklungsoffenen Vertrags von Lissabon die staatsanaloge Entwicklung der Europäischen Union fortgesetzt würde, geriete dies in Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Grundlagen. Ein solcher Schritt ist aber mit dem Vertrag von Lissabon nicht gemacht.
(2) Auf einer anderen rechtlichen Grundlage ist der Rahmen für ausländische Direktinvestitionen zu beurteilen. Der völkerrechtliche Investitionsschutz ist eine eigenständige Kategorie des internationalen Rechts, für den der welthandelsrechtliche Kontext nur am Rande von Bedeutung ist (vgl. das Abkommen über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen, ABl 1994 Nr. L 336/100). In der institutionellen Eigenständigkeit spiegeln sich die Meinungsverschiedenheiten über den Eigentumsschutz auf internationaler Ebene wider (vgl. Dolzer/Schreuer, Principles of International Investment Law, 2008, S. 11 ff.). Über die sozial- und gesellschaftspolitische Bedeutung des Freiheitsgrundrechts auf Eigentum bestanden über Jahrzehnte weitreichende ideologisch motivierte Gegensätze (vgl. BVerfGE 84, 90 ff.; 94, 12 ff.; 112, 1 ff.).
Zahlreiche Staaten haben auf bilateraler Ebene völkerrechtliche Verträge geschlossen, die den Eigentumsschutz des Auslandsvermögens zum Gegenstand haben. Dieses Auslandsvermögen, das für die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2007 5.004 Milliarden Euro betrug (Bundesbank, Das deutsche Auslandsvermögen seit Beginn der Währungsunion: Entwicklung und Struktur, Monatsbericht 10.2008, S. 19 ≪Tabelle≫), fällt weit überwiegend in den Anwendungsbereich von derzeit 126 in Kraft getretenen bilateralen Investitionsschutzverträgen (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Übersicht über die bilateralen Investitionsförderungs- und -schutzverträge ≪IFV≫ der Bundesrepublik Deutschland, Stand: 27. Mai 2009). Weltweit bestanden Ende des Jahres 2007 insgesamt 2.608 bilaterale Investitionsschutzverträge (vgl. UNCTAD, World Investment Report 2008, Transnational Corporations, and the Infrastructure Challenge, S. 14).
Mit der Erweiterung der gemeinsamen Handelspolitik auf „ausländische Direktinvestitionen” (Art. 207 Abs. 1 AEUV), wird der Europäischen Union auch für diesen Bereich eine ausschließliche Kompetenz zugewiesen. Allerdings spricht vieles dafür, dass der Begriff „ausländische Direktinvestitionen” nur diejenigen Investitionen umfasst, die dem Kontrollerwerb eines Unternehmens dienen (vgl. Tietje, Die Außenwirtschaftsverfassung der EU nach dem Vertrag von Lissabon, 2009, S. 15 f.). Dies hätte zur Folge, dass die ausschließliche Kompetenz nur für Investitionen dieses Typs besteht, während darüber hinausgehende Investitionsschutzverträge als gemischte Abkommen geschlossen werden müssten.
Der rechtliche Fortbestand der bereits geschlossenen Verträge ist nicht gefährdet. Völkerrechtliche Verträge der Mitgliedstaaten, die vor dem 1. Januar 1958 geschlossen wurden, bleiben vom Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft grundsätzlich unberührt (Art. 307 Abs. 1 EGV; Art. 351 Abs. 1 AEUV). Diese Regelung ist zwar vielfach nicht unmittelbar anwendbar, weil bilaterale Investitionsschutzverträge regelmäßig jüngeren Datums sind, allerdings ist der Vorschrift der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass ein rechtstatsächlicher Zustand in den Mitgliedstaaten durch einen späteren Integrationsschritt grundsätzlich nicht beeinträchtigt wird (vgl. Bernhardt, Die Europäische Gemeinschaft als neuer Rechtsträger im Geflecht der traditionellen zwischenstaatlichen Beziehungen, EuR 1983, S. 199 ≪205≫; Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 307 EGV Rn. 5). Mit Blick auf die gemischte Zuständigkeit in Investitionsfragen sind die bestehenden Investitionsschutzverträge der Mitgliedstaaten seitens der Europäischen Union zu genehmigen (vgl. Entscheidung des Rates 2001/855/EG vom 15. November 2001 zur Genehmigung der stillschweigenden Verlängerung oder der Aufrechterhaltung derjenigen Bestimmungen von Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträgen sowie Handelsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten und Drittländern, deren Gegenstand unter die gemeinsame Handelspolitik fällt, ABl Nr. L 320/13). Dies entspricht der derzeit – ausdrücklich erklärten oder stillschweigend geübten – Praxis in Bezug auf die Fortgeltung völkerrechtlicher Verträge der Mitgliedstaaten.
dd) Der konstitutive Parlamentsvorbehalt für den Auslandseinsatz der Streitkräfte besteht auch nach einem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon fort. Der Vertrag von Lissabon überträgt der Europäischen Union keine Zuständigkeit, auf die Streitkräfte der Mitgliedstaaten ohne Zustimmung des jeweils betroffenen Mitgliedstaates oder seines Parlaments zurückzugreifen.
(1) Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt des Grundgesetzes greift ein, wenn nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist. Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes sind darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern sie als „Parlamentsheer” in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen (vgl. BVerfGE 90, 286 ≪381 f.≫; 121, 135 ≪153 ff.≫).
Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt begründet ein wirksames Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der auswärtigen Gewalt. Ohne parlamentarische Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte unter dem Grundgesetz grundsätzlich nicht zulässig; nur ausnahmsweise ist die Bundesregierung – bei Gefahr im Verzug – berechtigt, vorläufig den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu beschließen, damit die Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland durch den Parlamentsvorbehalt nicht in Frage gestellt werden (vgl. BVerfGE 90, 286 ≪388 f.≫).
(2) Der Wortlaut des Vertrags von Lissabon verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, nationale Streitkräfte für militärische Einsätze der Europäischen Union bereitzustellen. Der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Art. 42 ff. EUV-Lissabon zeigen deutlich das Bestreben der Mitgliedstaaten, die in dem letzten Wort der Verfassung liegende souveräne Entscheidung über den Einsatz ihrer Streitkräfte beizubehalten. Dieser Auslegung des Vertrags von Lissabon steht Art. 42 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon nicht entgegen, der erstmals eine kollektive Beistandspflicht der Mitgliedstaaten einführt. Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates „schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen”.
Es kann offenbleiben, ob in der Literatur zu Recht bereits die rechtliche Bindungswirkung dieser kollektiven Beistandspflicht in Frage gestellt wird (vgl. Dietrich, Die rechtlichen Grundlagen der Verteidigungspolitik der Europäischen Union, ZaöRV 2006, S. 663 ≪694≫; Regelsberger, Von Nizza nach Lissabon – das neue konstitutionelle Angebot für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, integration 2008, S. 266 ≪271≫; Missiroli, The Impact of the Lisbon Treaty on ESDP, European Parliament, January 2008, S. 15; Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration, 2005, S. 186; Thym, Außenverfassungsrecht nach dem Lissaboner Vertrag, in: Pernice, Der Vertrag von Lissabon: Reform der EU ohne Verfassung?, 2008, S. 173 ≪184 f.≫).
Aus Wortlaut und Systematik des Art. 42 EUV-Lissabon wird jedenfalls deutlich, dass die Beistandspflicht der Mitgliedstaaten nicht über die Beistandspflicht nach Art. 5 des Nordatlantikvertrags vom 4. April 1949 (BGBl 1955 II S. 289) hinausgeht. Diese umfasst nicht zwingend den Einsatz militärischer Mittel, sondern gewährt den NATO-Mitgliedstaaten einen Beurteilungsraum hinsichtlich des Inhalts des zu leistenden Beistands (vgl. BVerfGE 68, 1 ≪93≫). Hinzu kommt, dass die kollektive Beistandspflicht den „besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten” ausdrücklich unberührt lässt (Art. 42 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 2 EUV-Lissabon), eine Aussage, die der Vertrag auch an anderen Stellen enthält (vgl. Art. 42 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 1 EUV-Lissabon und die der Schlussakte zum Vertrag von Lissabon beigefügten Erklärungen Nr. 13 und 14 zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik). Die Mitgliedstaaten haben dadurch die primärrechtlich abgesicherte Möglichkeit, sich gegenüber der Beistandspflicht auf prinzipielle inhaltliche Vorbehalte zu berufen (vgl. Graf von Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, 2005, S. 396 ff.). Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt des Grundgesetzes kann seine Wirksamkeit im Anwendungsbereich dieses Vorbehalts entfalten.
(3) Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt kann auch nicht aufgrund von sekundärrechtlich begründeten Handlungspflichten der Mitgliedstaaten umgangen werden. Der Vertrag von Lissabon ermächtigt den Rat zwar zu Beschlüssen über Missionen, „bei deren Durchführung die Union auf zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann” (Art. 43 Abs. 1 und Abs. 2 EUV-Lissabon). Die Formulierung „zivile und militärische Mittel” könnte auch konkrete mitgliedstaatliche Streitkräftekontingente einschließen. Das bisherige Verständnis der Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik spricht allerdings gegen diese Sichtweise. Danach waren militärische Beiträge niemals rechtlich, sondern allenfalls politisch „geschuldet”.
Selbst wenn aber Art. 43 Abs. 2 EUV-Lissabon weit ausgelegt würde, müsste der Rat einen entsprechenden Beschluss einstimmig fassen (vgl. Art. 31 Abs. 1 und Abs. 4, Art. 42 Abs. 4 EUV-Lissabon). Der deutsche Vertreter im Rat wäre in diesem Fall von Verfassungs wegen verpflichtet, jeder Beschlussvorlage die Zustimmung zu verweigern, die den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt des Grundgesetzes verletzen oder umgehen würde. Das Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat kann in diesem Fall auch nicht durch einen Beschluss des Rates in die qualifizierte Mehrheit übergeleitet werden (vgl. Art. 31 Abs. 2 und Abs. 3 EUV-Lissabon). Beschlüsse „mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen” sind vom Anwendungsbereich der allgemeinen Brückenklausel nach Art. 48 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 2 EUV-Lissabon und der speziellen Brückenklausel nach Art. 31 Abs. 4 EUV-Lissabon ausgenommen. Eine mögliche politische Einigung zwischen den Mitgliedstaaten, Streitkräfte im europäischen Bündnis einzusetzen, wäre nicht in der Lage, auf rechtlicher Ebene eine Handlungspflicht zu erzeugen, die den insoweit gegenüber Art. 23 GG spezielleren konstitutiven Parlamentsvorbehalt nach Art. 24 Abs. 2 GG überspielen könnte.
(4) Der Vertrag von Lissabon ermächtigt die Mitgliedstaaten zur schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik. Eine solche gemeinsame Verteidigungspolitik, die bereits nach der geltenden Fassung des Art. 17 Abs. 1 EUV möglich ist, führt zu einer gemeinsamen Verteidigung, „sobald der Europäische Rat dies einstimmig beschlossen hat” und die Mitgliedstaaten einen entsprechenden Beschluss „im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften” erlassen haben (Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV-Lissabon).
Der Ratifikationsvorbehalt verdeutlicht, dass der Schritt der Europäischen Union zu einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit durch die geltende Fassung des Primärrechts und durch die Rechtslage nach einem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon noch nicht gegangen wird. Sollten sich die Mitgliedstaaten entschließen, einen entsprechenden Beschluss zu fassen, bestünde eine Pflicht zur militärischen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten nur im Rahmen des Völkerrechts. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, unterfällt auch nach dem Vertrag von Lissabon nicht dem supranationalen Recht (vgl. Art. 24 Abs. 1, Art. 40 EUV-Lissabon; Art. 2 Abs. 4 AEUV und die der Schlussakte zum Vertrag von Lissabon beigefügte Erklärung Nr. 14 zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik).
Sollte der Europäische Rat eine gemeinsame Verteidigung einstimmig beschließen, würde das im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik geltende Einstimmigkeitsprinzip (vgl. Art. 31 Abs. 1 und Abs. 4; Art. 42 Abs. 4 EUV-Lissabon) garantieren, dass kein Mitgliedstaat gegen seinen Willen zu einer Beteiligung an einer militärischen Operation der Europäischen Union verpflichtet werden könnte. Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt könnte in diesem Fall auch nicht durch eine ordentliche Vertragsänderung (Art. 48 Abs. 2 bis Abs. 5 EUV-Lissabon), die das Einstimmigkeitsprinzip zugunsten einer Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit beseitigte, umgangen werden. Die Bundesrepublik Deutschland dürfte sich von Verfassungs wegen nicht an einer solchen Vertragsänderung beteiligen.
ee) Der Vertrag von Lissabon beschränkt die sozialpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages nicht in einem solchen Umfang, dass das Sozialstaatsprinzip (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG) in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise beeinträchtigt und insoweit notwendige demokratische Entscheidungsspielräume unzulässig vermindert wären.
Die von den Beschwerdeführern zu V. vorgetragene Behauptung, die europäische Wirtschaftspolitik sei reine Marktpolitik ohne sozialpolitische Ausrichtung und beschränke mit ihrem funktionellen Ansatz die Möglichkeiten der Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten, eine selbstbestimmte Sozialpolitik zu betreiben, ist unzutreffend. Weder ist die Europäische Union sozialpolitisch ohne Kompetenzen, noch ist sie auf diesem Gebiet untätig. Zugleich verfügen die Mitgliedstaaten über einen ausreichenden Zuständigkeitsraum, um sozialpolitisch wesentliche Entscheidungen selbstverantwortlich zu treffen.
Die Europäische Union muss sich seit dem Beginn des Integrationsprozesses mit dem Vorwurf auseinandersetzen, die soziale Dimension der Gesellschaft zu vernachlässigen und mit ihrem marktintegrativen Ansatz die demokratische Gestaltungsfähigkeit der Mitgliedstaaten auf sozialpolitischem Gebiet unzulässig zu beschränken. Der These von einem Ausschluss des Sozialen aus den Zielen des Integrationsprozesses lag dabei ein unausgesprochener Vergleich mit einer staatlichen Ordnung zugrunde, wenngleich die funktionale Integration, deren Ziel die Herstellung eines Gemeinsamen Marktes ist, nicht zwingend die Einheitserwartungen der Gesellschaft erfüllen musste (vgl. aber Scharpf, The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, JCMS 2002, S. 645 ff.). Bereits in den Verhandlungen über den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurden soziale Fragestellungen angesprochen und fanden, etwa im Bereich der Agrarmarktordnung und des gleichen Entgelts für Frauen und Männer (Art. 141 EGV; Art. 157 AEUV), ihren Weg in den Vertragstext. Seit dieser Zeit hat das Sozialthema mit jeder Reform der Rechtsgrundlagen der europäischen Integration an Bedeutung zugenommen und eine entsprechende Verstärkung im Primärrecht erfahren (vgl. zum europäischen Sozialrecht: Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht: eine Einführung, 1999; Hanau/Steinmeyer/Wank, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, 2002; Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl. 2005; Marhold, Das neue Sozialrecht der EU, 2005; de Búrca, EU Law and the Welfare State, 2005; Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006).
So wurde das Sozialabkommen, das wegen fehlenden politischen Konsenses zunächst als völkerrechtlich eigenständiges Instrument neben dem Vertrag von Maastricht entstand, im Jahr 1997 durch den Vertrag von Amsterdam in das Gemeinschaftsrecht übernommen. Art. 136 bis Art. 150 EGV enthalten Zuständigkeiten unter anderem in den Bereichen Arbeitsrecht, soziale Sicherung, Aus- und Fortbildung, Mitbestimmung, Dialog mit den Sozialpartnern sowie Arbeitsbedingungen (zu den Einzelheiten etwa Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 295 ff.). Diese Regelungen werden ergänzt durch Art. 13 EGV, der Rechtsgrundlage für die Anti-Diskriminierungsrichtlinien ist, Art. 39 EGV, der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer regelt, sowie durch die sozialen Grundrechte der Grundrechtecharta, denen unter der Überschrift „Solidarität” der gesamte Titel IV der Grundrechtecharta gewidmet ist (Art. 27 bis Art. 38 GRCh). Insbesondere aber hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Unionsbürgerschaft seit einigen Jahren als Nukleus einer europäischen Solidarität verstanden und auf der Grundlage von Art. 18 in Verbindung mit Art. 12 EGV in seiner Rechtsprechung entwickelt. Diese Rechtsprechungslinie steht für den Versuch, eine europäische soziale Identität zu stiften, indem die Teilhabe der Unionsbürger an den jeweiligen Sozialsystemen der Mitgliedstaaten gefördert wird (siehe die Beiträge in Hatje/Huber, Unionsbürgerschaft und soziale Rechte, 2007, sowie Kadelbach, Unionsbürgerrechte, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, S. 553 ff.; Hailbronner, Unionsbürgerschaft und Zugang zu den Sozialsystemen, JZ 2005, S. 1138 ff.).
Der Vertrag von Lissabon steht in dieser Entwicklungslinie: Die Präambel des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union bekundet in ihrem zweiten Erwägungsgrund die Entschlossenheit, durch „gemeinsames Handeln den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt” der Mitgliedstaaten zu sichern. Die Zielbestimmungen des Vertrags über die Europäische Union werden dahingehend angepasst, dass die Union auf eine in „hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt” hinwirkt (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV-Lissabon). Zugleich wird das Ziel eines „freien und unverfälschten Wettbewerbs” aus dem operativen Teil des Vertrags über die Europäische Union gestrichen und in das Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb ausgelagert. Eine neue Querschnittsklausel (Art. 9 AEUV) soll sicherstellen, dass der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, der Gewährleistung angemessenen sozialen Schutzes, der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung, einem hohen Bildungsniveau und dem Gesundheitsschutz in allen Politiken und Maßnahmen der Union Rechnung getragen wird (weitere Neuerungen im sozialen Bereich führt der Vertrag von Lissabon ein durch Art. 5 Abs. 3 ≪Koordinierung mitgliedstaatlicher Sozialpolitik≫, Art. 21 Abs. 3 ≪Unionsbürgerschaft und soziale Sicherheit≫, Art. 152 ≪Rolle der Sozialpartner≫ und Art. 165 Abs. 2 AEUV ≪soziale Funktion des Sports≫; das Protokoll Nr. 29 benennt die Verbindung der Existenz eines öffentlichrechtlichen Rundfunks mit den sozialen Bedürfnissen jeder Gesellschaft).
Dem rechtlichen Handlungsrahmen entsprechen politische Initiativen und Programme, die das Recht ausfüllen und konkretisieren. Der Europäische Rat von Brüssel hat in den Schlussfolgerungen seines Vorsitzes vom 11. und 12. Dezember 2008 ausdrücklich anerkannt, dass die Themen sozialer Fortschritt und Schutz der Arbeitnehmerrechte, öffentliche Dienstleistungen als unverzichtbares Instrument des sozialen und regionalen Zusammenhalts, Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für die Bereitstellung von Bildungs- und Gesundheitsdiensten, die Rolle und der Ermessensspielraum nationaler, regionaler und lokaler Behörden in Fragen der Daseinsvorsorge von großer Bedeutung seien (Bulletin EU 12-2008, I-17 ≪Anlage 1≫).
Schließlich ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen, die zwar bis in die jüngste Zeit hinein auch Anlass für die Kritik an einer „einseitigen Marktorientierung” der Europäischen Union war, zugleich aber eine Reihe von Elementen für ein „soziales Europa” aufgezeigt hat. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung Grundsätze entwickelt, die die soziale Dimension der Europäischen Union stärken. So hat der Gerichtshof zahlreiche wichtige soziale Anliegen als zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls anerkannt, die Einschränkungen der Marktfreiheiten des Gemeinschaftsrechts rechtfertigen können. Zu ihnen gehören beispielsweise der Schutz der Arbeitnehmer (EuGH, Urteil vom 15. März 2001, Rs. C-165/98, Mazzoleni, Slg. 2001, S. I-2189 Rn. 27), das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit (EuGH, Urteil vom 13. Mai 2003, Rs. C-385/99, Müller-Fauré, Slg. 2003, S. I-4509 Rn. 73), die Erfordernisse des Systems der Sozialhilfe (EuGH, Urteil vom 17. Juni 1997, Rs. C-70/95, Sodemare, Slg. 1997, S. I-3395 Rn. 32) und der Sozialordnung (EuGH, Urteil vom 21. Oktober 1999, Rs. C-67/98, Zenatti, Slg. 1999, S. I-7289 Rn. 31) sowie der Schutz vor Sozialdumping (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2007, Rs. C-341/05, Laval, Slg. 2007, S. I-11767 Rn. 103). In der Entscheidung vom 11. Dezember 2007 stellte der Gerichtshof sogar die Existenz eines europäischen Streik-Grundrechts fest (EuGH, Rs. C-438/05, Viking, Slg. 2007, S. I-10779 Rn. 44; zur Kritik vgl. Rebhahn, Grundfreiheit vor Arbeitskampf – der Fall Viking, ZESAR 2008, S. 109 ff.; Joerges/Rödl, Informal Politics, Formalised Law and the „Social Deficit” of European Integration: Reflections after the Judgments of the ECJ in Viking and Laval, ELJ 2009, S. 1 ff.; sowie die Beiträge auf dem Symposium „Die Auswirkung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auf das Arbeitsrecht der Mitgliedstaaten” des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales am 26. Juni 2008, http://www.bmas.de/).
In Anbetracht der geschilderten Rechtslage, der Entwicklungen und der politischen Grundrichtung in der Europäischen Union ist der weit bemessene Gestaltungsfreiraum, der in sozialen Fragen auch auf europäischer Ebene besteht, jedenfalls nicht überschritten. Es ist aber auch anders, als die Beschwerdeführer zu V. befürchten, nichts dafür ersichtlich, dass den Mitgliedstaaten das Recht und die praktischen Handlungsmöglichkeiten genommen wären, für soziale Sicherungssysteme und andere Maßnahmen der Sozial- oder Arbeitsmarktpolitik konzeptionelle Entscheidungen in ihren demokratischen Primärräumen zu treffen.
Soweit Art. 48 Abs. 1 AEUV die Europäische Union ermächtigt, die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen zu beschließen, besteht für ein Mitglied des Rates die Möglichkeit, über das Notbremseverfahren die Befassung des Europäischen Rates zu beantragen, um auf diese Weise die Aussetzung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens zu erlangen (Art. 48 Abs. 2 AEUV). Ebenso wie im Notbremseverfahren im Bereich der Strafrechtspflege (Art. 82 Abs. 3 und Art. 83 Abs. 3 AEUV) darf der deutsche Regierungsvertreter im Rat dieses mitgliedstaatliche Recht nur nach Weisung des Deutschen Bundestages und, soweit die Regelungen über die Gesetzgebung dies erfordern, des Bundesrates ausüben.
2. Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93) (Änderungsgesetz), bei dem es sich um ein verfassungsänderndes Gesetz handelt, stößt weder auf formelle noch auf materielle Bedenken und ist deshalb verfassungsgemäß.
Im Fall eines verfassungsändernden Gesetzes prüft das Bundesverfassungsgericht, ob die Anforderungen gewahrt sind, die Art. 79 Abs. 3 GG an Verfassungsänderungen stellt (vgl. BVerfGE 30, 1 ≪24≫; 94, 12 ≪33 f.≫; 109, 279 ≪310≫). Nach dem Regelungsinhalt des Änderungsgesetzes ist nicht erkennbar, wodurch die in Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt sein könnten.
a) Das gilt insbesondere für Art. 1 Nr. 1 des Änderungsgesetzes, durch den das Recht zur Erhebung der Subsidiaritätsklage als Minderheitenrecht in die Verfassung eingefügt wird (Art. 23 Abs. 1a Satz 2 GG n.F.). Sinn und Zweck der vorgesehenen Klagepflicht des Deutschen Bundestages liegen darin, der Parlamentsminderheit die Befugnis zur Geltendmachung der Rechte des Deutschen Bundestages auch dann zu erhalten, wenn dieser seine Rechte, insbesondere im Verhältnis zu der von ihm getragenen Bundesregierung, nicht wahrnehmen will. Den Oppositionsfraktionen und damit der organisierten parlamentarischen Minderheit als dem Gegenspieler der Regierungsmehrheit soll der Rechtsweg zum Gerichtshof der Europäischen Union eröffnet werden, um die tatsächliche Geltendmachung der dem Parlament im europäischen Integrationsgefüge vorbehaltenen Rechte zu ermöglichen (vgl. zum Organstreitverfahren: BVerfGE 90, 286 ≪344≫; 117, 359 ≪367 f.≫; vgl. zur Ausgestaltung der Subsidiaritätsklage als parlamentarisches Minderheitenrecht auch Art. 88-6 § 3 der französischen Verfassung vom 4. Oktober 1958 in der Fassung vom 21. Juli 2008).
Auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken stößt die Einfügung eines Absatzes 1a in Art. 23 GG auch im Hinblick auf das Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Zwar weicht die Verpflichtung des Bundestages, die Subsidiaritätsklage bereits dann zu erheben, wenn ein Viertel seiner Mitglieder diesen Schritt verlangt (Art. 23 Abs. 1a Satz 2 GG n.F.), vom Mehrheitsprinzip des Art. 42 Abs. 2 GG ab. Dies ist jedoch schon deshalb unbedenklich, weil es hier nicht um Entscheidungen mit regelnder Wirkung, sondern um die Befugnis zur Anrufung eines Gerichts geht (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG).
b) Die in Art. 1 Nr. 2 des Änderungsgesetzes vorgesehene Delegationsbefugnis nach Art. 45 Satz 3 GG n.F. verstößt nicht gegen demokratische Grundsätze im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG. Der Bundestag bestellt einen Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Er kann ihn ermächtigen, die Rechte des Bundestages gemäß Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Er kann ihn auch ermächtigen, die Rechte wahrzunehmen, die dem Bundestag in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind. Nicht die Einräumung dieser Befugnisse, sondern allein ihre Ausübung kann im Einzelfall verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sein.
3. Das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (Ausweitungsgesetz) verstößt insoweit gegen Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 GG, als Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages und des Bundesrates nicht in dem erforderlichen Umfang ausgestaltet worden sind.
a) Mit dem bislang vom Bundespräsidenten noch nicht ausgefertigten Ausweitungsgesetz sollen die innerstaatlichen Voraussetzungen geschaffen werden, nach denen der Bundestag und der – insoweit als Kammer eines nationalen Parlaments anzusehende – Bundesrat die durch den Vertrag von Lissabon eingeräumten Rechte wahrnehmen (BTDrucks 16/8489, S. 7). Das Gesetz regelt die Ausübung der Rechte im Rahmen der Subsidiaritätskontrolle (Art. 1 § 2 und § 3 des Ausweitungsgesetzes) sowie das ausdrücklich im Vertrag von Lissabon vorgesehene Recht, über das Brückenverfahren nach Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon und Art. 81 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV geplante vertragsändernde Rechtsakte der Europäischen Union abzulehnen (Art. 1 § 4 des Ausweitungsgesetzes).
Das Gesetz ermöglicht ferner dem Plenum des Bundestages, den von ihm nach Art. 45 GG bestellten Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu ermächtigen, seine Rechte – mit den sich aus den Anforderungen des Ausweitungsgesetzes an die Beschlussfassung ergebenden Einschränkungen bei der Subsidiaritätsklage und den Ablehnungsrechten im Rahmen der Brückenverfahren (vgl. hierzu BTDrucks 16/8489, S. 8) – gegenüber den Organen der Europäischen Union wahrzunehmen (Art. 1 § 5 des Ausweitungsgesetzes).
b) Gestalten die Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung das europäische Vertragsrecht in einer Art und Weise aus, dass eine Veränderung des Vertragsrechts bereits ohne Ratifikationsverfahren allein oder maßgeblich durch die Organe der Europäischen Union – wenngleich unter dem Einstimmigkeitserfordernis im Rat – herbeigeführt werden kann, obliegt den nationalen Verfassungsorganen eine besondere Verantwortung im Rahmen der Mitwirkung. Diese Integrationsverantwortung muss in Deutschland innerstaatlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen insbesondere des Art. 23 Abs. 1 GG genügen. Das Ausweitungsgesetz genügt diesen Anforderungen nicht, soweit dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat im Rahmen von Vertragsänderungs- und Rechtsetzungsverfahren keine hinreichenden Beteiligungsrechte eingeräumt wurden.
aa) Das Ausweitungsgesetz hat die Funktion, die verfassungsrechtlich gebotenen Beteiligungsrechte der gesetzgebenden Körperschaften am europäischen Integrationsprozess im nationalen Recht auf der Ebene des einfachen Gesetzes abzubilden und zu konkretisieren. Hierzu ist die Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 28. September 2006 (BGBl I S. 2177) weder ihrer nicht eindeutigen Rechtsnatur (vgl. Hoppe, Drum prüfe, wer sich niemals bindet – Die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union, DVBl 2007, S. 1540 ≪1540 f.≫) noch ihrem Inhalt nach (vgl. unter anderem die Begleitresolution des Deutschen Bundestages vom 24. April 2008 zum Vertrag von Lissabon ≪BTDrucks 16/8917, S. 6, BTPlenprot 16/157, S. 16482 B≫) ausreichend. Der Bundestag und der Bundesrat müssen daher die Gelegenheit haben, nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung erneut über Verfahren und Formen ihrer Beteiligung zu entscheiden.
bb) Bundestag und Bundesrat müssen bei dieser erneuten gesetzgeberischen Entscheidung berücksichtigen, dass sie ihre Integrationsverantwortung in zahlreichen Fällen der dynamischen Vertragsentwicklung wahrnehmen müssen:
(1) Während das ordentliche Vertragsänderungsverfahren (Art. 48 Abs. 2 bis Abs. 5 EUV-Lissabon) unter dem klassischen Ratifikationsvorbehalt für völkerrechtliche Verträge steht, bedürfen von Verfassungs wegen auch primärrechtliche Änderungen im vereinfachten Verfahren (Art. 48 Abs. 6 EUV-Lissabon) eines Zustimmungsgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und gegebenenfalls Satz 3 GG. Dieselbe Voraussetzung gilt für die Art. 48 Abs. 6 EUV-Lissabon entsprechenden Änderungsvorschriften (Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV-Lissabon; Art. 25 Abs. 2, Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 Satz 2, Art. 223 Abs. 1 UAbs. 2, Art. 262 und Art. 311 Abs. 3 AEUV).
(2) Im Anwendungsbereich des allgemeinen Brückenverfahrens nach Art. 48 Abs. 7 EUV-Lissabon und der speziellen Brückenklauseln darf der Gesetzgeber durch das Ausweitungsgesetz seine notwendige und konstitutive Zustimmung zu einer Initiative des Europäischen Rates oder des Rates zum Übergang von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit für die Beschlussfassung im Rat und zum Übergang von einem besonderen Gesetzgebungsverfahren zu dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren weder aufgeben noch in abstrakter Vorwegnahme „auf Vorrat” erteilen. Mit der Zustimmung zu einer primärrechtlichen Änderung der Verträge im Anwendungsbereich der allgemeinen Brückenklausel und der speziellen Brückenklauseln bestimmen Bundestag und Bundesrat den Umfang der auf einem völkerrechtlichen Vertrag beruhenden Bindungen und tragen dafür die politische Verantwortung gegenüber dem Bürger (vgl. BVerfGE 104, 151 ≪209≫; 118, 244 ≪260≫; 121, 135 ≪157≫). Die rechtliche und politische Verantwortung des Parlaments erschöpft sich – auch im Fall der europäischen Integration – insoweit nicht in einem einmaligen Zustimmungsakt, sondern erstreckt sich auch auf den weiteren Vertragsvollzug. Ein Schweigen von Bundestag und Bundesrat reicht daher nicht aus, diese Verantwortung wahrzunehmen.
(a) Soweit das allgemeine Brückenverfahren nach Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon sowie die spezielle Brückenklausel nach Art. 81 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV den nationalen Parlamenten ein Ablehnungsrecht einräumen, ist dies kein ausreichendes Äquivalent zum Ratifikationsvorbehalt. Es ist daher erforderlich, dass der deutsche Regierungsvertreter im Europäischen Rat oder Rat dem Beschlussvorschlag nur dann zustimmen darf, wenn er zuvor von dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat innerhalb einer noch auszugestaltenden, an die Zwecksetzung des Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon angelehnten Frist durch Gesetz im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG dazu ermächtigt wurde.
Art. 1 § 4 Abs. 3 Nr. 3 des Ausweitungsgesetzes steht insoweit im Widerspruch zu der Funktion des Ablehnungsrechts, die Mitgliedstaaten vor weiteren – nicht vorhersehbaren – Vertragsänderungen effektiv zu schützen, als er für diese Klauseln vorsieht, dass die Entscheidungskompetenz über die Ausübung des Ablehnungsrechts in Fällen konkurrierender Gesetzgebung dem Bundestag nur dann obliegen soll, wenn der Bundesrat nicht widerspricht. Eine differenzierte Ausgestaltung der Ausübung des Ablehnungsrechts, wie sie sich in Art. 1 § 4 Abs. 3 Nr. 3 des Ausweitungsgesetzes findet, wird der allgemeinen Integrationsverantwortung des Deutschen Bundestages nicht gerecht. Es ist daher von Verfassungs wegen erforderlich, dem Bundestag die Entscheidungskompetenz über die Ausübung des Ablehnungsrechts in diesen Fällen unabhängig von einer Entscheidung des Bundesrates einzuräumen.
(b) Auf der Grundlage der weiteren speziellen Brückenklauseln in Art. 31 Abs. 3 EUV-Lissabon, Art. 153 Abs. 2 UAbs. 4, Art. 192 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 312 Abs. 2 UAbs. 2 sowie Art. 333 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV, die für die nationalen Parlamente ein Ablehnungsrecht nicht vorsehen, kann in der Europäischen Union für die Bundesrepublik Deutschland nur dann verbindlich Recht gesetzt werden, wenn der Deutsche Bundestag und, soweit die Regelungen über die Gesetzgebung dies erfordern, der Bundesrat zuvor innerhalb einer ebenfalls noch auszugestaltenden, an die Zwecksetzung des Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 EUV-Lissabon angelehnten Frist ihre Zustimmung zu einem entsprechenden Beschlussvorschlag erteilt haben, wobei ein Schweigen des Bundestages oder des Bundesrates nicht als Zustimmung gewertet werden darf.
(3) Soweit von der Flexibilitätsklausel in Art. 352 AEUV Gebrauch gemacht werden soll, erfordert dies jeweils ein Gesetz im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG.
(4) Im Rahmen der Notbremseverfahren nach Art. 48 Abs. 2, Art. 82 Abs. 3 und Art. 83 Abs. 3 AEUV kann die Bundesregierung im Rat nur auf entsprechende Weisung des Deutschen Bundestages und, soweit die Regelungen über die Gesetzgebung dies erfordern, des Bundesrates handeln.
(5) Im Bereich der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen setzt die Ausübung von Art. 83 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV ein Gesetz im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG voraus. Soweit im Rahmen von Art. 82 Abs. 2 UAbs. 2 Buchstabe d und Art. 83 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV die allgemeine Brückenklausel zur Anwendung kommen soll, bedarf dies – wie in den übrigen Anwendungsfällen der allgemeinen Brückenklausel – der vorherigen Zustimmung von Bundestag und Bundesrat in Form eines Gesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG. Gegebenenfalls gilt Entsprechendes in den Fällen des Art. 86 Abs. 4 AEUV (Befugnisse der Europäischen Staatsanwaltschaft) und des Art. 308 Abs. 3 AEUV (Satzung der Europäischen Investitionsbank).
D.
Mit Rücksicht darauf, dass das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon nur nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung mit dem Grundgesetz vereinbar und die Begleitgesetzgebung teilweise verfassungswidrig ist, sind den Beschwerdeführern und Antragstellern nach § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG die notwendigen Auslagen anteilig nach ihrem Erfolg zu erstatten. Danach sind die notwendigen Auslagen dem Beschwerdeführer zu III. zur Hälfte, den Beschwerdeführern zu IV. und VI. jeweils zu einem Viertel sowie den Beschwerdeführern zu V. und der Antragstellerin zu II. jeweils zu einem Drittel zu erstatten.
E.
Diese Entscheidung ist im Ergebnis einstimmig, hinsichtlich der Gründe mit 7:1 Stimmen ergangen.
Unterschriften
Voßkuhle, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 2182042 |
NJW 2009, 2267 |
NWB 2009, 2130 |
ZAP 2009, 782 |
DÖV 2009, 680 |
DÖV 2010, 84 |
DAR 2009, 452 |
DuD 2009, 505 |
EWS 2009, 319 |
EuR 2010, 89 |
EuZW 2009, 552 |
JZ 2009, 890 |
KrV 2009, 177 |
RIW 2009, 537 |
ZfSH/SGB 2009, 469 |
BayVBl. 2009, 660 |
GV/RP 2009, 545 |
KomVerw 2009, 259 |
NWB direkt 2009, 736 |
RÜ 2009, 519 |
BGBl. I 2009, 2127 |
Blätter 2009, 118 |
EuR-Beih 2010, 211 |
FSt 2009, 561 |
FuBW 2009, 706 |
FuNds 2009, 649 |
LL 2009, 618 |
NRÜ 2009, 369 |