Entscheidungsstichwort (Thema)

Früherer Beamter. Ausnahme von der Verpflichtung zur intensiven Suche einer neuen Arbeitsstelle wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit. Vorlage einer amtsärztlichen Bescheinigung

 

Normenkette

BDG § 85 Abs. 3 S. 1; BDO § 77 Abs. 1, §§ 79, 110 Abs. 2; SGB II § 20 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Beschwerde des früheren Beamten wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts … (…) vom 17. Mai 2005 aufgehoben.

Dem früheren Beamten wird ab dem 1. Juni 2005 bis einschließlich 31. Mai 2006 ein Unterhaltsbeitrag i.H.v. 75 v.H. des erdienten Ruhegehalts bewilligt.

Die Kosten des Verfahrens und die dem früheren Beamten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

 

Tatbestand

I.

Durch Urteil des Bundesdisziplinargerichts vom 13. November 2002 wurde der 1951 geborene frühere Beamte wegen eines Dienstvergehens aus dem Dienst entfernt. Gleichzeitig wurde ihm gemäß § 77 BDO ein Unterhaltsbeitrag i.H.v. 65 v.H. des erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von sechs Monaten bewilligt. Die hiergegen eingelegte Berufung wurde durch Urteil des beschließenden Senats vom 26. Februar 2004 – BVerwG 1 D 3.03 – mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Unterhaltsbeitrag für die Dauer von neun Monaten auf 75 v.H. des erdienten Ruhegehalts festgesetzt wird. Dementsprechend erhielt der frühere Beamte, der kinderlos geschieden ist, monatliche Unterhaltsleistungen i.H.v. 1 150 € netto.

Antragsgemäß bewilligte das Verwaltungsgericht … mit Beschluss vom 11. November 2004 dem früheren Beamten für die Zeit vom 1. Dezember 2004 bis einschließlich 31. Mai 2005 erneut einen Unterhaltsbeitrag i.H.v. 75 v.H. des erdienten Ruhegehalts. In den Gründen des Beschlusses heißt es u.a., ein zukünftiger Antrag auf Weiterbewilligung eines Unterhaltsbeitrags werde nur dann Erfolg haben, wenn der frühere Beamte nachweise, dass er sich entweder intensiv aber erfolglos um eine neue Arbeitsstelle bemüht habe oder wenn ihm durch einen Amts-, Bahn- oder Vertrauensarzt bescheinigt werde, dass er aufgrund seines Gesundheitszustandes im Zeitraum der Weiterbewilligung nicht in der Lage gewesen sei und auch zukünftig nicht sein werde, nur einfachste Arbeiten auszuführen und deshalb jede Bewerbung von vornherein aussichtslos (gewesen) wäre. Die Vorlage eines solchen qualifizierten Attests werde ihm für den Fall der erneuten Antragstellung bereits jetzt aufgegeben.

Mit Schriftsatz vom 5. April 2005 hat der frühere Beamte die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags ab dem 1. Juni 2005 für weitere sechs Monate beantragt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgebracht, sein Rentenantrag sei … abgelehnt worden, da weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vorliege. Er habe sich bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet, bisher aber noch kein Vermittlungsangebot erhalten. Mit verschiedenen potenziellen Arbeitgebern habe er, letztlich erfolglos, korrespondiert. Durchgängig befinde er sich in allgemeinmedizinischer und psychiatrischer Behandlung. Die Beteiligte ist dem Antragsbegehren entgegengetreten.

Durch Beschluss vom 17. Mai 2005 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf erneute Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags mit der Begründung ab, der frühere Beamte habe seine Bedürftigkeit selbst zu vertreten, da er nicht nachgewiesen habe, sich in ausreichendem Maße um die Erschließung anderer Erwerbsquellen bemüht zu haben.

Hiergegen hat der frühere Beamte rechtzeitig Beschwerde eingelegt und sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Attest seines ihn seit März 2004 behandelnden Arztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, Dr. R…, vom 14. Juni 2005 berufen. Dieser habe ihm bescheinigt, dass er aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht auf absehbare Zeit nicht in der Lage sei, eine regelmäßig vollschichtige Tätigkeit auszuüben. Ergänzend hat der frühere Beamte eine amtsärztliche Stellungnahme des Gesundheitsamts K… vom 5. Januar 2006 vorgelegt, die folgenden Wortlaut hat:

“Herr X… stellte sich am 26.09.05 zur amtsärztlichen Begutachtung und Untersuchung im Gesundheitsamt vor. Dies erfolgte zur Klärung der Fragestellung, ob Herr X… nach seiner Entlassung aus … sowohl im Zeitraum der Weiterbewilligung eines Unterhaltsbeitrages wie auch zukünftig nicht in der Lage sein wird, auch nur einfachste Arbeiten auszuführen.

Im Vordergrund standen bei der obengenannten Untersuchung überwiegend psychiatrische Diagnosen. Dem Ergebnis einer hier am 11.11.05 durchgeführten psychiatrischen Zusatzbegutachtung nach handelt es sich bei Herrn X… um eine chronisch wiederkehrende depressive Störung, derzeit mittelgradig ausgeprägt (ICD-10 F33.1). Hinzu kommt eine Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten (ICD-10 F43.25) bei ängstlich vermeidender und abhängiger Persönlichkeitsausprägung (ICD-10 F60.6, F60.7).

Herr X… befindet sich hierfür sporadisch in ambulanter Behandlung bei einem Psychiater, die Einnahme einer Dauermedikation ist erforderlich. Die dringend nötige stationäre Behandlung und Gesprächstherapie konnten bislang nicht wahrgenommen werden, da die Kostenübernahme durch die Beihilfe nicht geregelt war.

Weiterhin konnten an Nebendiagnosen Bluthochdruck (ICD-10I10) sowie leichte Verschleißerscheinungen der Hals- und Lendenwirbelsäule festgestellt werden (ICD-10 M54.1, M54.2). Ersteres wird ebenfalls medikamentös behandelt, letzteres verursacht derzeit keine schwerwiegenden Beschwerden, so dass eine fachärztliche Behandlung momentan nicht notwendig ist.

Aus amtsärztlicher Sicht war Herr X… im Zeitraum der Weiterbewilligung des Unterhaltszuschusses nicht in der Lage, auch nur einfachste Arbeiten auszuführen. Ob dies zukünftig der Fall sein wird, ist abhängig davon, ob er sich möglichst kurzfristig in eine notwendige stationäre Rehabilitationsbehandlung begibt, ohne die eine aussagekräftige Beurteilung seiner Arbeitsfähigkeit in Zukunft nicht möglich ist.”

Ferner hat der frühere Beamte mitgeteilt, er habe beim Verwaltungsgericht … inzwischen einen erneuten Antrag auf Gewährung eines Unterhaltsbeitrags gestellt. Ab 1. Februar 2006 beziehe er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch II.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 110 Abs. 6 i.V.m. § 79 BDO zulässig.

Das Verfahren auf Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags (§ 110 Abs. 2 BDO) ist nach Inkrafttreten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 als Annex-Verfahren zum abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfahren gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG nach dem bisherigen Recht der Bundesdisziplinarordnung “fortzuführen” (vgl. Beschluss vom 15. Januar 2002 – BVerwG 1 DB 34.01 – Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 10).

Die Beschwerde ist auch begründet. Dem früheren Beamten ist ab dem 1. Juni 2005 bis einschließlich 31. Mai 2006 ein Unterhaltsbeitrag i.H.v. 75 v.H. seines erdienten Ruhegehalts zu bewilligen.

Zwar hat der frühere Beamte ursprünglich nur die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags für weitere sechs Monate, d.h. bis zum 30. November 2005, beantragt. Mit der zeitlich darüber hinausgehenden Anerkennung eines entsprechenden Anspruchs trägt der Senat jedoch von Amts wegen den Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens Rechnung, die der frühere Beamte nicht zu vertreten hat. Denn seine von Anfang des Beschwerdeverfahrens an vorhanden gewesene Bereitschaft, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, konnte erst im Spätherbst 2005 realisiert werden; die abschließende amtsärztliche Stellungnahme vom 5. Januar 2006 wurde dem Senat am 19. Januar 2006, d.h. fast zwei Monate nach Ablauf des Antragszeitraums vorgelegt. Eine längere Bewilligungsdauer ist daher zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes notwendig (vgl. Beschluss vom 27. Juli 2005 – BVerwG 1 DB 2.05 –). Dass die Längerbewilligung des Unterhaltsbeitrags auch dem Antragsbegehren des früheren Beamten entspricht, zeigt sich an dem bereits anhängigen Folgeverfahren beim Verwaltungsgericht … Der Längerbewilligung steht schließlich nicht entgegen, dass der frühere Beamte ab 1. Februar 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezieht. Denn der Rechtsanspruch auf einen Unterhaltsbeitrag tritt nach bisherigem Recht weder hinter Sozialhilfeleistungen noch hinter Leistungen der Arbeitsförderung zurück (vgl. Urteil vom 8. März 2005 – BVerwG 1 D 15.04 – m.w.N.), weil diese Leistungen ihrerseits auch im Verhältnis zum alimentären Unterhaltsbeitrag nur subsidiär zu gewähren sind.

Die Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags richtet sich nach Inkrafttreten des Bundesdisziplinargesetzes materiellrechtlich ebenfalls nach den Vorschriften der Bundesdisziplinarordnung, wenn – wie hier – die Erstbewilligung auf § 77 BDO beruhte (Senatsbeschluss vom 15. Januar 2002 a.a.O.). Nach § 110 Abs. 2 Satz 2 BDO kann ein Unterhaltsbeitrag erneut bewilligt werden, wenn die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 Satz 1 BDO vorliegen. Danach muss der frühere Beamte nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedürftig und darf ihrer nicht unwürdig sein. So liegt es hier. Das Bundesdisziplinargericht hat in seinem vom Senat bestätigten Urteil dargelegt, dass der frühere Beamte eines Unterhaltsbeitrags nicht unwürdig ist. An dieser Beurteilung hat sich inzwischen nichts geändert. Der frühere Beamte ist auch i.H.v. 75 v.H. seines erdienten Ruhegehalts eines Unterhaltsbeitrags bedürftig.

Die Bedürftigkeit und mit ihr die Höhe des Unterhaltsbeitrags richten sich nach den gegenwärtigen finanziellen Verhältnissen des früheren Beamten. Als Maßstab für die Bedarfsberechnung stellt der Senat nunmehr – nach Außerkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes am 1. Januar 2005 – auf die pauschalierten Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Arbeitsuchende (§§ 20, 28 SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende –) ab, ergänzt um die tatsächlichen monatlichen Aufwendungen insbesondere für Unterkunft und Heizung sowie Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. dazu Urteil vom 8. März 2005 a.a.O.). Nach § 20 Abs. 2 SGB II beträgt die monatliche Regelleistung für den früheren Beamten 345 € (Eckregelsatz). Hinzu kommen Unterhaltsleistungen an die geschiedene Ehefrau von 540 €, Warmmietkosten von 419,73 €, Kosten für Strom, Telefon, Kraftfahrzeug-, Rechtsschutz-, Hausrat- und Privathaftpflichtversicherung von insgesamt etwa 150,40 € sowie für die Pflegeversicherung von 37,51 €. Dies ergibt einen monatlichen Gesamtbedarf von etwa 1 493 €, der gemessen an dem bisher gewährten Unterhaltsbeitragshöchstsatz gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 BDO von 1 150 €, auch weiterhin die Bewilligung dieses Beitragshöchstsatzes rechtfertigt.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat der frühere Beamte seine Bedürftigkeit auch nicht selbst zu vertreten (§ 110 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Halbsatz 2 BDO). Er ist seinen unterhaltsbeitragsrechtlich gebotenen Pflichten im erforderlichen Umfang nachgekommen.

Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Beschluss vom 5. Oktober 2000 – BVerwG 1 DB 18.00 – Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 7 m.w.N.) ausgeführt hat, setzt eine erneute Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags – entsprechend seinem Zweck als Übergangsleistung – voraus, dass sich der frühere Beamte intensiv um die Aufnahme einer anderweitigen Erwerbstätigkeit bemüht hat. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Verurteilung des früheren Beamten müssen höhere Anforderungen an seine Darlegungs- und Nachweispflicht sowie an die Intensität seines Bemühens um eine das Auskommen sichernde Einkommensquelle gestellt werden.

Diese strengen Voraussetzungen gelten allerdings nur dann, wenn der frühere Beamte dem Arbeitsmarkt zumindest eingeschränkt zur Verfügung steht; denn Bewerbungen eines arbeitsunfähigen Bewerbers sind in aller Regel von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wegen seiner nunmehr auch vom Amtsarzt nachgewiesenen – zumindest vorübergehenden – Arbeitsunfähigkeit, die gerade auch für die dem Antragszeitraum vorangegangene Zeitspanne zugrunde gelegt werden kann, war der frühere Beamte daher ausnahmsweise berechtigt, von den ansonsten gebotenen Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle abzusehen (vgl. Beschluss vom 24. März 2004 – BVerwG 1 DB 2.04 –).

Auf die Notwendigkeit der Beibringung einer amts-, bahn- oder vertrauensärztlichen Bestätigung seiner Arbeitsunfähigkeit war der frühere Beamte im verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 11. November 2004 zu Recht hingewiesen worden; diesen Hinweis wird er gegebenenfalls auch zukünftig zu beachten haben. Da aufgrund des angegriffenen Gesundheitszustands schon seit Jahren die Dienstfähigkeit des damals aktiven Beamten eingeschränkt war, wie im Senatsurteil vom 26. Februar 2004 a.a.O. (Urteilsabdruck S. 20) festgestellt ist, ist das Verlangen nach einer amtsärztlichen Untersuchung nicht unbillig. Dem Gutachten eines Arztes mit öffentlich-rechtlichem Status kommt, was die Objektivität des Gutachters anlangt, in der Regel ein erhöhter Beweiswert zu. Im Vergleich zu dem jeweils behandelnden (Privat-)Arzt verfügt der Amtsarzt über mehr Distanz zu dem Probanden, was der Objektivität seines Gutachtens zugute kommt. Die für eine solche Begutachtung erforderliche behördliche Anordnung wird durch eine entsprechende Anforderung in einem Gerichtsbeschluss ersetzt (vgl. Beschluss vom 24. März 2004 a.a.O.).

Nach der amtsärztlichen Stellungnahme vom 5. Januar 2006 war der frühere Beamte im Zeitraum des weiterbewilligten Unterhaltsbeitrags nicht in der Lage, auch nur einfachste Arbeiten auszuführen. Dieser Zustand dauert offensichtlich auch derzeit noch an, wie sich der gutachterlichen Schlussaussage entnehmen lässt. Danach hängt eine aussagekräftige Beurteilung der zukünftigen Arbeitsfähigkeit des früheren Beamten davon ab, ob dieser sich möglichst kurzfristig in eine notwendige stationäre Rehabilitationsbehandlung begibt. Nicht nur im eigenen gesundheitlichen Interesse, sondern auch zur Wahrung eines etwaigen weiteren Anspruchs auf Unterhaltsbeitrag sollte er sich – entsprechend dem amtsärztlichen Rat – unverzüglich einer solchen stationären Behandlung unterziehen, zumal er gegenwärtig bei der AOK Rheinland pflichtversichert ist. Nach deren erfolgreichem Abschluss ist er dann gehalten, sich umgehend und fortlaufend intensiv um eine Arbeitsstelle zu bemühen und dies zu dokumentieren, sofern ihm nicht der örtlich zuständige Amtsarzt – insoweit wirkt der Hinweis in dem verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 11. November 2004 fort – aus anderen Gründen weiterhin Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 ff. BDO.

 

Unterschriften

Albers, Müller, Heitz

 

Fundstellen

NPA 2007

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