Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 01.04.2008; Aktenzeichen 4 LC 89.07) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 1. April 2008 wird zurückgewiesen.
Der Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
Rz. 1
1. Die auf die Zulassungsgründe der Grundsatzbedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund ergibt sich aus den von der Klägerin zur Begründung der Beschwerde angeführten Gesichtspunkten nicht.
Rz. 2
1.1 Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dies wäre nur dann zu bejahen, wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und deren höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr des BVerwG; vgl. Beschluss vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19). Das ist nicht der Fall.
Rz. 3
Die von der Beschwerde für klärungsbedürftig gehaltene Frage,
“ob nach den §§ 39 ff. BSHG ein individueller Anspruch auf Betreuung neben Pflegeleistungen und Eingliederungsleistungen in einer geschützten Einrichtung bestehen kann” (S. 4 der Beschwerdebegründung),
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
Rz. 4
Der Senat braucht nicht zu vertiefen, ob der Revisionszulassung insoweit bereits entgegensteht, dass die §§ 39 ff. BSHG ausgelaufenes Recht sind. Mit dem Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3022, 3071) ist das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) an die Stelle des BSHG getreten, ohne dass erkennbar ist, dass die Klärung noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung wäre (vgl. Beschluss vom 31. August 1993 – BVerwG 9 B 393.93 – Buchholz 412.3 § 11 BVFG Nr. 5). Für Rechtsstreitigkeiten, welche die mit den §§ 39 ff. BSHG nicht wortgleichen, aber in den maßgeblichen Punkten rechtsähnlichen Bestimmungen der §§ 53 ff. SGB XII betreffen, sind zudem nach dem Siebenten Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3302) die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG, eingefügt durch Art. 1 Nr. 10 Buchst. b des genannten Gesetzes) zuständig (vgl. etwa – für eine besondere Fallkonstellation – Beschluss vom 22. März 2005 – BVerwG 5 B 55.04).
Rz. 5
Der Revisionszulassung steht jedenfalls entgegen, dass die aufgeworfene Rechtsfrage sich bereits auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt und deshalb nicht klärungsbedürftig ist (stRspr, vgl. etwa Beschlüsse vom 22. Dezember 1994 – BVerwG 4 B 114.94 – Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 102 S. 10 und vom 28. Mai 1997 – BVerwG 4 B 91.97 – Buchholz 407.4 § 5 FStrG Nr. 10).
Rz. 6
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass Kosten, die entstehen, weil anders eine Eingliederungshilfemaßnahme im Sinne des § 40 Abs. 1 BSHG nicht durchgeführt werden kann, notwendiger Bestandteil dieser Maßnahme und deshalb dem Grunde nach wie diese vom Träger der Sozialhilfe zu tragen sind (stRspr, vgl. – zu Fahrtkosten – Beschluss vom 14. Oktober 1994 – BVerwG 5 B 114.93 – juris; Urteil vom 10. September 1992 – BVerwG 5 C 7.87 – Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr. 8 S. 5). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage wäre daher dahin zu beantworten, dass neben Pflegeleistungen und Leistungen für eine Eingliederungshilfemaßnahme in einer geschützten Einrichtung auch ein Anspruch auf Erstattung von Kosten für die Betreuung nach §§ 39 ff. BSHG bestehen kann, soweit die Betreuung – wenn sie nicht selbst Eingliederungsmaßnahme ist – zumindest als notwendiger Bestandteil der Eingliederungshilfemaßnahme anzusehen ist. Hiervon ist auch das Oberverwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil der Sache nach ausgegangen (UA S. 16 f.). Denn es hat einen Anspruch auf Erstattung der Betreuungskosten (hier der Kosten für die Tagesmutter) im Fall der Klägerin nicht deswegen abgelehnt, weil derartige Kosten aus Rechtsgründen nicht übernahmefähig seien, sondern weil die Betreuung nicht als notwendiger Bestandteil der durchgeführten Eingliederungsmaßnahme (hier der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, § 39 Abs. 1 Satz 1, § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG) anzusehen sei, es vielmehr an einem hinreichenden unmittelbaren bzw. inhaltlichen Zusammenhang zwischen der Hilfemaßnahme und der Betreuung fehle.
Rz. 7
Das ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden und wirft keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf, wenn – wie hier nach den nicht als verfahrensfehlerhaft angegriffenen und daher für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts sowie der hierauf aufbauenden Bewertung – feststeht und deshalb durch ein bloßes abweichendes Vorbringen der Klägerin im Zulassungsverfahren nicht mehr entkräftet werden kann, dass es sich bei der Betreuung durch die Tagesmutter “um eine reine Betreuung ohne spezielle Förderung der Klägerin im Hinblick auf den Eingliederungszweck” (UA S. 16) handelt. Der im Streit stehende Betreuungsbedarf der Klägerin beruhte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf ihrer Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit sowie der berufsbedingten Abwesenheit der Mutter und war unabhängig von dem Bedarf an Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung zu decken (UA S. 16 f.). Da die Betreuungskosten danach als solche weder notwendiger Bestandteil der in der Tagesbildungsstätte durchgeführten Eingliederungshilfemaßnahme noch nach Art und Ausrichtung auf einen anderen Bedarf der Eingliederungshilfe bezogen sind, liegt auch nach den dargestellten Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Fall der Eingliederungshilfe nicht vor.
Rz. 8
Soweit das Berufungsgericht einen Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Betreuungskosten aus weiteren gesetzlichen Bestimmungen mit einzelfallbezogener Begründung abgelehnt hat, hat die Beschwerde nicht dargelegt, dass sich insoweit eine klärungsbedürftige Rechtsfrage von fallübergreifender Bedeutung stelle. Dies gilt sowohl für die Ablehnung eines Anspruchs auf Gewährung eines entsprechenden Mehrbedarfs im Rahmen von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 23 Abs. 3 Satz 1 BSHG) als auch für die Ablehnung eines Anspruchs auf Übernahme der Betreuungskosten im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach § 69b Abs. 1 Satz 2 BSHG. Auch im Übrigen wendet sich die Beschwerde im Gewande der Grundsatzrüge lediglich gegen die einzelfallbezogene Auslegung und Anwendung von sozialhilferechtlichen Bestimmungen (insbesondere der §§ 39 ff. BSHG) durch das Berufungsgericht und zeigt einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf nicht auf. Die auf §§ 1, 3a BSHG bezogenen Erwägungen berücksichtigen nicht hinreichend, dass das Berufungsgericht aufgrund verfahrensfehlerfrei getroffener Feststellungen und Wertungen die Betreuung der Klägerin durch die Tagesmutter als Teil der häuslichen Pflege gewertet hat, welche die Klägerin mit dem ihr gewährten Pflegegeld selbst sicherzustellen hat.
Rz. 9
1.2 Die Revision ist auch nicht wegen Abweichung (Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Eine die Revisionszulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigende Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist von der Klägerin nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise bezeichnet worden. Eine solche Abweichung liegt nur vor, wenn sich das Oberverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der herangezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 68.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302 und 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19). Dafür fehlt jeder Anhalt. Das Vorbringen der Beschwerde, dem auch in der Sache nicht zu folgen ist, erschöpft sich darin zu begründen, warum das Oberverwaltungsgericht nach ihrer Auffassung sinngemäße Aussagen aus Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall fehlerhaft angewendet oder bestimmte Vorschriften nicht herangezogen habe.
Rz. 10
Darüber hinaus sind die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, auf welche die Beschwerde zur Begründung der Divergenz Bezug nimmt, auch nicht zu den hier entscheidungserheblichen Rechtsfragen ergangen. Dies gilt zunächst für den Hinweis auf das Urteil vom 14. September 1972 – BVerwG 5 C 62.72/5 B 35.72 – (BVerwGE 40, 343), das sich mit der Anerkennung eines Mehrbedarfs im Rahmen der Tuberkulosehilfe (nach § 53 Abs. 3 i.V.m. § 23 Abs. 3 BSHG) auseinandersetzt. Auch der zur Begründung einer Divergenz herangezogene Beschluss des Senats vom 6. August 1992 – BVerwG 5 B 97.91 – (Buchholz 436.0 § 2 BSHG Nr. 11) verhält sich nicht in Form eines divergenzfähigen Rechtssatzes zu einer hier entscheidungserheblichen Rechtsfrage, sondern geht auf den Nachranggrundsatz (§ 2 Abs. 1 BSHG), den Vorrang der offenen Hilfe (§ 3a BSHG) sowie auf den Grundsatz ein, dass Wünschen des Hilfeempfängers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten, entsprochen werden soll, soweit sie angemessen sind (§ 3 Abs. 2 BSHG). Ähnliches gilt schließlich für das von der Klägerin erwähnte Urteil vom 11. Februar 1982 – BVerwG 5 C 85.80 – (BVerwGE 65, 52), in dem der Senat ausgeführt hat, dass § 3 Abs. 3 BSHG keine gegenüber § 3 Abs. 2 BSHG derart verselbständigte Regelung enthält, dass es insbesondere nicht darauf ankäme, ob die Erfüllung des Wunsches unvertretbare Mehrkosten verursacht. Im vorliegenden Verfahren kam es auf die Frage der Auswahl von Hilfen schon deshalb nicht an, weil das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bereits einen Hilfeanspruch für die streitigen Betreuungskosten im Rahmen der Eingliederungshilfe abgelehnt und aufgrund einer einzelfallbezogenen Bewertung des verfahrensfehlerfrei festgestellten Sachverhalts darauf abgestellt hat, dass die Klägerin ihren hier allein in Rede stehenden Betreuungsbedarf als Teil der häuslichen Pflege selbst sicherzustellen habe. Insoweit ist auch nicht der Vorrang offener Hilfen gegenüber stationären Hilfen gefährdet, der durch den Einsatz der Mutter der Klägerin verwirklicht wird.
Entscheidungsgründe
Rz. 11
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung, wie sich aus den oben genannten Gründen ergibt, nicht die erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff., § 121 Abs. 1 ZPO).
Rz. 12
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
Unterschriften
Hund, Prof. Dr. Berlit, Dr. Störmer
Fundstellen