Verfahrensgang
EuGH (Aktenzeichen C-461/13) |
Tenor
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-461/13 ausgesetzt.
Es wird darauf hingewiesen, dass gegen die Rechtmäßigkeit der Planfeststellungsbeschlüsse für die Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe vom 23. April 2012 in der Gestalt der 1. Ergänzungsbeschlüsse vom 1. Oktober 2013 und der Protokollerklärungen in der mündlichen Verhandlung Bedenken bestehen.
Tatbestand
Im vorliegenden Rechtsstreit kann derzeit noch kein abschließendes Urteil ergehen. Der Senat hat im Anschluss an die mündliche Verhandlung über den gesamten Streitstoff beraten. Danach kommt es entscheidungserheblich u.a. auf die Fragen zur Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) an, die der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Beschluss vom 11. Juli 2013 – BVerwG 7 A 20.11 – im Verfahren über den Ausbau der Weser vorgelegt hat. Von einer erneuten Vorlage dieser Fragen sieht der Senat ab, weil der EuGH in der Rechtssache C-461/13 am 8. Juli 2014 bereits mündlich verhandelt hat. Die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung zusätzlich aufgeworfenen Vorlagefragen sind entweder nicht entscheidungserheblich oder lassen sich eindeutig beantworten, so dass es einer Vorlage nach Art. 267 AEUV nicht bedarf. Das Verfahren wird daher in entsprechender Anwendung von § 94 VwGO bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-461/13 ausgesetzt (I.). Im Übrigen leiden die Planfeststellungsbeschlüsse (in der Gestalt der 1. Ergänzungsbeschlüsse und der in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Protokollerklärungen) nach der vorläufigen Einschätzung des Senats an Mängeln, die weder einzeln noch in ihrer Summe zur Aufhebung der Beschlüsse führen würden, aber die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit zur Folge hätten (II.).
I. Die Beklagten haben das Vorhaben im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit dem Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot des § 27 i.V.m. § 44 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) einer zweifachen Prüfung unterzogen. Die in den Planfeststellungsbeschlüssen vom 23. April 2012 (S. 2029 ff.) vorgenommene Prüfung gelangt zu dem Ergebnis, dass es ausbaubedingt weder zu erheblichen Verschlechterungen des Zustands/Potenzials von Qualitätskomponenten oder Oberflächenwasserkörpern der Tideelbe noch zu einem Wechsel in eine niedrigere Zustandsklasse kommt (PFB S. 2040), und legt damit Rechtsmaßstäbe an (Erheblichkeit, Zustandsklassenwechsel), die Gegenstand des Vorlagebeschlusses vom 11. Juli 2013 sind. Im Hinblick darauf hat der Senat den Beteiligten Anfang August 2013 angekündigt, im vorliegenden Verfahren ebenfalls eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.
Die Vorhabenträger reichten bei den Beklagten daraufhin weitere Unterlagen, u.a. eine Ergänzung des Fachbeitrags zur Wasserrahmenrichtlinie vom 9. August 2013, ein. Auf dieser Grundlage nahmen die Beklagten ausweislich der 1. Ergänzungsbeschlüsse vom 1. Oktober 2013 in einem ergänzenden Verfahren „hilfsweise” eine weitere wasserrechtliche Prüfung vor, die der sog. „strengen” Statusquo-Theorie folgt. Danach werden alle Vorhabenwirkungen, die geeignet sein können, den Zustand von Qualitätskomponenten der WRRL theoretisch (nicht mess- und beobachtbar) oder tatsächlich (mess- und beobachtbar) nachteilig zu verändern, als Zustandsverschlechterung bewertet (1. PEB S. 5). Als Ergebnis der „Hilfsprüfung” werden „äußerst hilfsweise und vorsorglich” sehr geringe bis mäßige Verschlechterungen der fünf Oberflächenwasserkörper (OWK) Elbe (Ost), Hafen, Elbe (West), Übergangsgewässer und Küstengewässer sowie ein Verstoß gegen das Verbesserungsgebot angenommen und vorsorglich eine Ausnahme nach § 31 Abs. 2 WHG erteilt.
Die in den Ergänzungsbeschlüssen angestellte „Hilfsprüfung” ist nicht tragfähig, weil es dem zugrunde gelegten Bewertungssystem an der erforderlichen fachlichen Untersetzung fehlt.
Der Senat verkennt nicht, dass der Vollzug der Wasserrahmenrichtlinie bzw. der diese umsetzenden Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes die Rechtsanwender vor erhebliche Probleme stellt. Im Zuge der Gemeinsamen Umsetzungsstrategie (Common Implementation Strategy – CIS) sind zwar eine Reihe von Leitfäden, Positionspapieren etc. herausgegeben worden. Nicht zuletzt wegen der noch ungeklärten Rechtsmaßstäbe fehlt es aber an anerkannten Standardmethoden und Fachkonventionen. An diesem Befund wird auch die anstehende Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-461/13 kurzfristig nichts ändern, denn die vom EuGH als richtig erkannten Rechtsmaßstäbe werden in der Praxis ebenfalls noch konkretisiert werden müssen.
Der Umstand, dass es derzeit noch keine anerkannte Standardmethode gibt, erweitert den Spielraum der Behörden bei der Entwicklung einer eigenen, fallbezogenen Methode. Er befreit aber nicht davon, diese Methode transparent, funktionsgerecht und in sich schlüssig auszugestalten. Das erfordert weder ein „rechnerisches Baukastensystem” noch ein bis in alle Verästelungen ausdifferenziertes Bewertungsraster. Unverzichtbar ist aber, dass die angewandten Bewertungskriterien im Planfeststellungsbeschluss definiert werden und ihr fachlich untersetzter Sinngehalt nachvollziehbar dargelegt wird. Dies übersehen die Beklagten, wenn sie in den Ergänzungsbeschlüssen (S. 27) darauf hinweisen, dass für die Ergänzung des Fachbeitrags gutachterliche Setzungen herangezogen worden seien und eine Methodenkritik mangels Leitfaden oder behördlicher Empfehlung nicht angemessen sei.
Der Notwendigkeit, die Bewertungskriterien fachlich zu „unterfüttern”, waren die Beklagten nicht deshalb enthoben, weil sie alle vorhabenbedingten Auswirkungen auf die Qualitätskomponenten bzw. Oberflächenwasserkörper als Verschlechterungen im Sinne des § 27 WHG qualifiziert haben und damit „auf der sicheren Seite liegen”. Die Ausnahmeprüfung nach § 31 Abs. 2 WHG setzt ebenso wie die Abweichungsprüfung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG voraus, dass das Gewicht, mit dem das Integritätsinteresse der Oberflächenwasserkörper in die Prüfung einzustellen ist, fehlerfrei ermittelt worden ist. Die dafür notwendige Bewertung der Schwere der Verschlechterung kann unabhängig davon, auf welcher Stufe sie vorgenommen wird, nicht losgelöst von fachlichen Untersetzungen erfolgen. Welche fachlichen Erwägungen dem Bewertungssystem der Ergänzungsbeschlüsse zugrunde liegen, bleibt indessen unklar.
Die Ergänzungsbeschlüsse bewerten die Auswirkungen auf den Zustand der Oberflächenwasserkörper in zwei Schritten: Zunächst werden die möglichen nachteiligen Auswirkungen auf die Qualitätskomponenten mithilfe der Kategorien „Grad der nachteiligen Auswirkung” (deutlich, schwach, nicht mess- und beobachtbar), „Dauer” (langfristig = ≫ 3 Jahre, mittelfristig = 3 Monate bis 3 Jahre, kurzfristig = ≪ 3 Monate) sowie „räumliche Ausdehnung” (großräumig = ≫ 20 % der Fläche des OWK, mittelräumig = 10 bis 20 % der Fläche des OWK, kleinräumig ≪ 10 % der Fläche des OWK) bewertet. Im Anschluss wird die Schwere der Verschlechterung mittels Aggregation dieser drei Kategorien als „sehr gering”, „gering”, „mäßig”, „stark” und „sehr stark” eingestuft. Alle nicht mess- und beobachtbaren nachteiligen Veränderungen führen unabhängig von ihrer Dauer und räumlichen Ausdehnung zu einer „sehr geringen” Schwere der Verschlechterung. Die Schwere der Verschlechterung des Oberflächenwasserkörpers richtet sich nach derjenigen Qualitätskomponente mit der deutlichsten Verschlechterung.
Nähere Ausführungen zu den Kriterien, die den Grad der Auswirkung erfassen sollen, finden sich nur hinsichtlich des Kriteriums „nicht mess- und beobachtbar”. Dieses umfasst nach den Erläuterungen auf Seite 30 der Ergänzungsbeschlüsse auch solche Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, die Hydromorphologie und das Tidegeschehen, die von der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) mithilfe eines hydronumerischen Rechenmodells prognostiziert worden sind, in der Natur aber wegen der Komplexität und Variabilität des Tideästuars nicht unmittelbar beobachtbar sind. Solche Auswirkungen werden, obwohl sie nach den Prognosen der BAW tatsächlich zu erwarten sind, ungeachtet ihrer Dauer und räumlichen Ausdehnung als nur rechnerische Veränderungen unterschiedslos der Kategorie „sehr gering” zugeordnet. Das ist mit dem Anspruch eines höchst vorsorglichen Maßstabs umso weniger vereinbar, als diese Zuordnung unabhängig vom Ist-Zustand erfolgt, also auch für solche Auswirkungen gelten soll, die auf eine schon kritische Vorbelastung treffen.
Die Kriterien „schwach” und „deutlich” werden in den Ergänzungsbeschlüssen in keiner Weise erläutert, geschweige denn fachlich untersetzt. Damit bleibt die Einstufung der Vorhabenwirkungen aber vor allem im Grenzbereich von „schwach” zu „deutlich” nicht nachvollziehbar. Soweit die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, sie hätten sich an der UVU-Wertstufenskala orientiert und bei Wertstufenänderungen „deutliche” und ohne Wertstufenänderung „schwache” Auswirkungen angenommen, ist dies weder in den Ergänzungsbeschlüssen selbst noch in der zugrunde liegenden Ergänzung des Fachbeitrags dokumentiert. Vielmehr fehlt es an Ausführungen dazu, wie die schutzgutbezogenen Wertstufen auf die Wasserkörper bzw. Qualitätskomponenten übertragen wurden. In den Planergänzungsbeschlüssen ist lediglich ausgeführt, dass die Sachinformationen zu den für die Qualitätskomponenten in den Oberflächenwasserkörpern zu erwartenden Vorhabenwirkungen aus der Umweltverträglichkeitsuntersuchung entnommen wurden. Die Bewertung im ergänzenden Fachbeitrag sei anhand dieser Sachinformationen erfolgt, folge aber einem anderen Bewertungsmaßstab und lasse daher die Bewertung der Vorhabenwirkungen, die in der Umweltverträglichkeitsuntersuchung vorgenommen worden sei, unberücksichtigt (S. 23). Auch die – mit wenigen Ausnahmen – pauschalen Hinweise auf Gutachten der BAW bzw. sonstige UVU-Teilgutachten in der Ergänzung des Fachbeitrags reichen nicht aus. Der Senat hat bereits in seinem Hinweisbeschluss im Weser-Verfahren vom 11. Juli 2013 – BVerwG 7 A 20.11 – (Rn. 67) betont, dass die Übertragung von schutzgutbezogenen Erkenntnissen aus der UVU auf die Qualitätskomponenten der WRRL eine von den Planfeststellungsbehörden zu erbringende Transferleistung darstellt und die dafür erforderlichen Zwischenschritte im Planfeststellungsbeschluss nachvollziehbar darzulegen sind. Das erfordert hier wie auch sonst, dass bei Bezugnahmen und Querverweisungen innerhalb der Planunterlagen und im Planfeststellungsbeschluss grundsätzlich seitengenau zu zitieren ist.
Die Kriterien, die die Auswirkungen des Vorhabens in ihrer zeitlichen und räumlichen Dimension erfassen sollen, sind zwar im Ansatz verlässlich und nachvollziehbar, weil sie an objektiv messbare Umstände anknüpfen. Die gesetzten raumbezogenen Schwellenwerte sind jedenfalls nicht unvertretbar. Bedenken begegnet allerdings, dass die Beklagten bei den räumlichen Auswirkungen durchgängig einen flächenbezogenen Maßstab gewählt haben. Ob ein flächenoder ein volumenbezogener Maßstab sachangemessen ist, hängt von der jeweiligen Qualitätskomponente ab. Wird – wie hier – ein einheitlicher Maßstab verwendet, muss dargelegt werden, welche Sachgründe für ein einheitliches, rein flächenbezogenes System sprechen und warum eine nach Qualitätskomponenten differenzierende Bezugsgröße (Fläche, Volumen) nicht sachgerechter und vorsorglicher wäre. Dazu kann den Ausführungen auf Seite 26 der Ergänzungsbeschlüsse nichts Substantielles entnommen werden.
Um die Auswirkungen sachgerecht bewerten zu können, hätte zudem der IstZustand der Qualitätskomponenten ordnungsgemäß erfasst werden müssen. Auch daran fehlt es teilweise. In der Ergänzung des Fachbeitrags und in den Ergänzungsbeschlüssen findet sich bei den hydromorphologischen, den chemischen sowie den physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten in der Spalte „Einstufung der QK im Ist-Zustand für den OWK” die Eintragung „relevant aber ohne Bewertung im Ist-Zustand”. Die Einstufung des ökologischen Zustands/ Potenzials eines Oberflächenwasserkörpers erfolgt nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Oberflächengewässerverordnung (OGewV) zwar vorrangig unter Betrachtung der biologischen Qualitätskomponenten. Bei deren Bewertung sind die hydromorphologischen und die allgemeinen physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten aber zur Einstufung unterstützend heranzuziehen (§ 5 Abs. 4 Satz 3 OGewV).
Ausweislich der Ergänzungsbeschlüsse sind die Auswirkungen auf die hydromorphologischen Qualitätskomponenten Morphologie und Tideregime sowie die chemisch-physikalischen Qualitätskomponenten Sauerstoff und Salzgehalte untersucht worden (S. 22). Wie diese Untersuchung und namentlich die Bewertung der Ergebnisse ohne Erfassung des Ist-Zustands bewerkstelligt werden konnte, ist nicht dargelegt. Anhaltspunkte dafür, dass die fehlenden Daten zum Ist-Zustand nicht verfügbar waren, sind nicht ersichtlich. Nach Darstellung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung fehlte es nicht an hinreichendem Datenmaterial, sondern nur an dessen Einstufung durch die Flussgebietsgemeinschaft (FGG) Elbe. Dann hätte diese Einstufung durch den Vorhabenträger bzw. die Planfeststellungsbehörden nachgeholt werden müssen. Der Einwand der Beklagten, die Einstufung des Ist-Zustands sei unerheblich gewesen, weil jede Änderung als Verschlechterung bewertet worden sei, greift nicht durch. Diese Argumentation übersieht, dass es für die Ausnahmeprüfung auf das Maß der Verschlechterung ankommt und eine Verschlechterung bei mäßigem IstZustand regelmäßig gravierender sein dürfte als bei einem guten. Überdies kann der Ist-Zustand unter Umständen bei der Prüfung des Verbesserungsgebots relevant werden.
Ob die „Hilfsprüfung” auch deshalb Bedenken begegnet, weil bei gleichzeitiger Verschlechterung verschiedener Qualitätskomponenten nur auf die am stärksten beeinträchtigte Qualitätskomponente abgestellt wird und dies mit dem höchstvorsorglichen Maßstab unvereinbar ist, kann angesichts der vorgenannten Mängel dahinstehen.
Mangels Tragfähigkeit der „Hilfsprüfung” kommt es entscheidungserheblich daher (wieder) darauf an, ob die ursprüngliche wasserrechtliche Prüfung rechtmäßig erfolgt ist. Für die Beantwortung dieser Frage ist die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-461/13 vorgreiflich.
Entscheidungsgründe
II. Die Umweltverträglichkeitsprüfung und die FFH-Verträglichkeitsprüfung weisen – im ergänzenden Verfahren voraussichtlich behebbare – Mängel auf.
1. UVU/UVP
1.1 Gefährdete Pflanzenarten
In der UVU/UVP (PFB S. 459/460 und 680) werden vorhabenbedingte erhebliche Auswirkungen auf die terrestrischen Biotoptypen über die Wirkpfade „Tidewasserstände”, „Strömungsgeschwindigkeiten”, „Schwebstoffregime und Geschiebetransport” und „Salinität” verneint. Hinsichtlich der gefährdeten Pflanzenarten fehlt es dafür an der erforderlichen Tatsachengrundlage.
Keinen Bedenken begegnet es, im Rahmen der Auswirkungsprognose zunächst die relevanten Wirkfaktoren zu identifizieren und festzustellen, womit wann, wo und in welcher Intensität gerechnet werden muss. Scheiden danach – was nachvollziehbar darzulegen ist – Beeinträchtigungen auf bestimmten Wirkpfaden von vornherein aus, sind nähere artenbezogene Untersuchungen nicht erforderlich. Anders verhält es sich aber dann, wenn eine negative Betroffenheit von Arten nicht schon aufgrund des Wirkpfads ausgeschlossen werden kann. In diesem Fall ist zu prüfen, welche Arten im Untersuchungsgebiet direkt oder indirekt betroffen sein können. Das kann Feststellungen zu deren örtlichen Vorkommen erfordern. Besonderes Augenmerk ist dabei – auch im Hinblick auf das Schutzgut der Artenvielfalt – auf die gefährdeten Arten zu richten. Unter diesen sind wiederum vorrangig solche Arten zu behandeln, für die unter biogeografischen Aspekten eine besondere Schutzverantwortung besteht.
Diesen Anforderungen genügt die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht. Von den in der Liste der gefährdeten Arten im UVU-Teilgutachten H.4a zur terrestrischen Flora (S. 105 ff.) aufgeführten 131 gefährdeten Arten ist lediglich der an der Elbe endemische Schierlings-Wasserfenchel einer näheren Betrachtung unterzogen worden. Für die dort weiter genannte, an der Elbe ebenfalls endemische Wiebelschmiele sind erhebliche Beeinträchtigungen in der mündlichen Verhandlung verbal-argumentativ ausgeschlossen worden, in den Planfeststellungsbeschlüssen sind diese Erwägungen allerdings nicht dokumentiert. Auch zu den anderen in der Liste aufgeführten gefährdeten Arten kann weder der UVU noch der UVP Näheres entnommen werden. Die Auflistung der gefährdeten Arten im Untersuchungsgebiet bleibt aber ohne Wert, wenn im Rahmen der Auswirkungsprognose nicht geprüft wird, ob bzw. welchen der gelisteten Arten vorhabenbedingte Beeinträchtigungen drohen. Diese Prüfung setzt weder eine flächendeckende artenbezogene Kartierung des gesamten Untersuchungsgebiets voraus noch muss jede einzelne der 131 aufgeführten gefährdeten Arten einer detaillierten Bestandserfassung unterzogen werden. Erforderlich ist aber, dass die Liste – nachvollziehbar – daraufhin gesichtet wird, welche Arten unter den Gesichtspunkten Schutzverantwortung, Gefährdung (auf verschiedenen Bezugsraumebenen), Verbreitung/Seltenheit und Sensitivität ggf. einer näheren Betrachtung auch im Hinblick auf ihre örtliche Verbreitung unterzogen werden müssen. Daran fehlt es.
1.2 Artenvielfalt
Die Umweltverträglichkeitsprüfung begegnet zudem im Hinblick auf das Schutzgut der biologischen Vielfalt (Artenvielfalt) Bedenken. In den Planfeststellungsbeschlüssen (S. 462 und 697) werden Auswirkungen auf die Artenvielfalt mit der Begründung verneint, dass ein Totalverlust oder ein relevanter Rückgang von Populationen auszuschließen seien, weil die Verluste nur lokal und/oder zeitweise aufträten und in der Regel weit verbreitete Arten beträfen. Die an der Tideelbe vorkommenden endemischen Pflanzenarten Wiebelschmiele und Schierlings-Wasserfenchel seien vorhabenbedingt ebenfalls nicht gefährdet, da direkte Wirkungen auf die Standorte dieser Arten nicht aufträten und die indirekten Wirkungen, z.B. durch die Veränderung der Salinität, der Strömungsgeschwindigkeiten, des Sedimenttransports und des Wellenschlags, zwar negative Einflüsse auf die Habitateignung hätten, jedoch nicht zu einem Totalverlust der Standorte in dem schon im Ist-Zustand suboptimalen Lebensraum führten.
Dieser Bewertungsmaßstab greift zu kurz. Das Schutzgut der biologischen Vielfalt ist nicht erst bei einem Totalverlust von Standorten oder der relevanten Abnahme von Populationen betroffen, sondern kann auch durch eine erhebliche Verschlechterung der Habitateignung für eine einzelne Art beeinträchtigt werden. Allerdings dürfte die bloße Verschlechterung der Habitateignung einzelner Standorte für eine Beeinträchtigung der Artenvielfalt in der Regel nicht genügen. Bei der Artenvielfalt kommt es auf den konkreten Bezug zu Naturraum und Lebensraumtyp an. Zu berücksichtigen ist daher immer die Abhängigkeit von der Flächengröße sowie der standörtlichen und vor diesem Hintergrund möglichen strukturellen Ausstattung. Dies gilt vor allem dann, wenn limitierende Standortfaktoren vorhanden sind, die keinem anthropogenen Einfluss unterliegen bzw. nicht auf einen solchen zurückzuführen sind (vgl. Trautner, UVP-report 17, 2003, S. 155). Welche Bedeutung danach ein einzelner Standort für eine Art bzw. die Artenvielfalt im Untersuchungsgebiet hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Ohne nähere Erkenntnisse zu den gefährdeten Arten, für die vorhabenbedingte Beeinträchtigungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden können, sowie zu deren Verbreitung im Untersuchungsgebiet und den jeweiligen Habitatanforderungen ist eine solche Prüfung nicht möglich.
2. FFH
2.1 Überwachung der Schiffsgeschwindigkeiten
Die Auflage A.II.5.3.3 (PFB S. 65) ist ergänzungsbedürftig. Gemäß A.II.5.3.1 müssen die Vorhabenträger durch geeignete Regelungen sicherstellen, dass die von der BAW für die verschiedenen Streckenabschnitte als unkritisch eingeschätzten Geschwindigkeiten durchs Wasser nicht überschritten werden. Zur Überwachung der tatsächlichen Geschwindigkeiten durchs Wasser haben die Vorhabenträger umgehend geeignete Maßnahmen zu entwickeln (A.II.5.3.3).
Mithilfe der Geschwindigkeitsbegrenzung sollen Beeinträchtigungen durch sog. schiffserzeugte Belastungen (Schiffswellen) reduziert bzw. ausgeschlossen werden. Von der Wirksamkeit dieser Maßnahme und der Möglichkeit, ihre Einhaltung effektiv zu überwachen, sind die Planfeststellungsbehörden im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung ausdrücklich ausgegangen (vgl. PFB S. 917 und 932). Wegen der Schutz- und Vermeidungswirkung, die von der Geschwindigkeitsbegrenzung ausgehen soll, stellt die Überwachung ihrer Einhaltung keine nachrangige Frage des Planvollzugs, sondern einen grundsätzlich im Planfeststellungsbeschluss regelungsbedürftigen Aspekt dar.
Die Beklagten konnten zwar davon absehen, die Überwachungsmaßnahmen schon in den Planfeststellungsbeschlüssen vom 23. April 2012 zu regeln, weil ein geeignetes Überwachungsverfahren noch nicht zur Verfügung stand, sie jedoch im Erlasszeitpunkt davon ausgehen durften, dass die zeitnahe Entwicklung eines solchen Verfahrens durch die Vorhabenträger ohne Weiteres möglich sein würde. Anderenfalls hätte auch die FFH-Verträglichkeitsprüfung hinsichtlich des Wirkpfads „Schiffswellen” nicht mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen werden dürfen. Um dem Erfordernis gerecht zu werden, das Überwachungsproblem im Wege der Planfeststellung zu bewältigen, hätte die Auflage A.II.5.3.3 aber mit dem Vorbehalt versehen werden müssen, dass die Überwachungsmaßnahmen durch Planergänzung festgelegt werden.
2.2 Finte
2.2.1 Sauerstoffmangel
In den Planfeststellungsbeschlüssen werden erhebliche Beeinträchtigungen der Finte durch eine vorhabenbedingte Verschlechterung der Sauerstoffsituation im Hauptlaichgebiet verneint (S. 1043, 1100/1101 und 1708). Nach Auswertung der aktuellen wissenschaftlichen Literatur durch Bioconsult im „Gutachten zur FFH-Erheblichkeit bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung zur Fahrrinnenanpassung Unter- und Außenelbe” vom 5. Mai 2010 sei im Ergebnis kein Zusammenhang sicher nachweisbar, dass Sauerstoffmangelsituationen den Rekrutierungserfolg tatsächlich reduzierten (S. 1766).
Diese Bewertung geht von einem fehlerhaften rechtlichen Ansatz aus. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf die Verträglichkeitsprüfung nur dann mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen werden, wenn keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden (Urteil vom 14. Juli 2011 – BVerwG 9 A 12.10 – BVerwGE 140, 149 Rn. 59 = Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 13). Ist der Erhaltungszustand geschützter Arten in einem FFH-Gebiet schlecht, sind hinzutretende Beeinträchtigungen eher als erheblich einzustufen als bei einem guten Erhaltungszustand. Davon ausgehend bestehen zumindest vernünftige Zweifel daran, dass erhebliche Beeinträchtigungen der Finte durch eine Verschlechterung der ohnehin kritischen Sauerstoffsituation in ihrem Hauptlaichgebiet ausgeschlossen werden können:
Nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ist der Erhaltungszustand der Finte in den FFH-Gebieten „SchleswigHolsteinisches Elbästuar und angrenzende Flächen” und „Unterelbe” einheitlich mit „C” zu bewerten. Zudem ist unstreitig, dass es in Teilen des Hauptlaichgebiets der Finte unterhalb des Hamburger Hafens (Schwingemündung bis zum Mühlenberger Loch) in den Sommermonaten zu Sauerstoffmangelsituationen kommt, in denen der Sauerstoffgehalt unter den Wert von 3 mg/l sinkt. Der (Mindest-)Sauerstoffbedarf der Finte liegt nach den Feststellungen in den Planfeststellungsbeschlüssen bei ca. 3 bis 4 mg/l (vgl. S. 1043), nach dem von den Planfeststellungsbehörden eingeholten Gutachten von Bioconsult (2010, S. 100) liegt der Optimalwert mit ≫ 7 mg/l jedoch deutlich höher. Die frühen Entwicklungsstadien der Finte gelten laut Integriertem Bewirtschaftungsplan für das Elbeästuar (IBP 2012) als besonders empfindlich gegenüber Sauerstoffmangel (S. 62). Nach Einschätzung des IBP gefährdet die Lage des Laichgebiets im Sauerstofftal der Tideelbe die Reproduktion der Finte (S. 21 und 64).
Bioconsult (2010) verweist darauf, dass keine konkreten Daten darüber vorlägen, ob und in welchem Ausmaß der Faktor „Sauerstoffdefizit” den Reproduktionserfolg der Finte tatsächlich reduziere. Es sei nicht auszuschließen, dass die Sauerstoffdefizite die Reproduktion beeinträchtigen könnten, deutliche Effekte seien bisher jedoch nicht beschrieben worden (S. 101). Die Auswirkungen des geplanten Vorhabens auf den Rekrutierungserfolg der Finte seien insgesamt auf der verfügbaren Daten- und Erkenntnislage nicht sicher zu beurteilen. Ein Zusammenhang sei nicht sicher auszuschließen; es erscheine allerdings plausibel, dass eine mögliche vorhabenbedingte Beeinträchtigung der Finte über diesen Wirkpfad nur schwach sei. Es bestehe Untersuchungsbedarf (S. 107).
Die Erkenntnislage zum Einfluss von Sauerstoffmangel auf die Reproduktion der Finte war danach bei Erlass der Planfeststellungsbeschlüsse zu dürftig, um vernünftige Zweifel auszuschließen. Die spezifische Wasseroberfläche ist im Abschnitt von km 635 bis km 639 schon im Ist-Zustand besonders ungünstig und wird durch die Anlage der Begegnungsstrecke (km 636 bis km 644) zusätzlich negativ beeinflusst. Selbst wenn dies nur zu einer geringen Zunahme der Zahl und Intensität von Sauerstoffmangelsituationen führt (vgl. Bioconsult 2010, S. 104), können diese Auswirkungen angesichts der dargestellten Erkenntnisdefizite zur Beeinflussung des Rekrutierungserfolgs durch Sauerstoffmangel und des ungünstigen Erhaltungszustands der Art nicht ohne Weiteres als unerhebliche Bagatelle gewertet werden.
Der Wirkpfad „Sauerstoff” bedarf daher genauerer Betrachtung. Soweit die Beklagten in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht haben, aufgrund neuerer Erkenntnisse aus dem dreijährigen Monitoring von Bioconsult könne ein Einfluss von Sauerstoffmangelsituationen auf die Reproduktion der Finte nunmehr ausgeschlossen werden, mögen sie diese Erkenntnisse in das ergänzende Verfahren einbringen.
2.2.2 Feststellung von Laichaktivität
Die Auflage unter A.II.4.2.4 (PFB S. 62) zum Schutz des Fintenlaichs vor Unterhaltungsbaggerungen mit Hopperbaggern begegnet auch in der Neufassung, die sie durch Protokollerklärung in der mündlichen Verhandlung erhalten hat, durchgreifenden Bedenken. Die Neufassung sieht vor, dass die Methodik zur Ermittlung von Laichaktivitäten in Abstimmung mit den zuständigen Naturschutzbehörden der Länder festzulegen ist und der Zustimmung der Planfeststellungsbehörden bedarf. Bis zu dieser Zustimmung dürfen im Zeitraum vom 15. April bis 30. Juni im Hauptlaichgebiet der Finte keine Unterhaltungsbaggerungen mit Hopperbaggern stattfinden.
Die Festsetzung der Methode zur Ermittlung von Laichaktivität durch Planergänzung ist nicht vorgesehen. Diese Verfahrensweise ist unabhängig davon, ob die Auflage unter A.II.4.2.4 rein vorsorglich wirken oder erhebliche Beeinträchtigungen mindern bzw. ausschließen soll, zu beanstanden.
Die Auflage A.II.4.2.4 trägt dem Umstand Rechnung, dass es bei Erlass der Planfeststellungsbeschlüsse noch keine anerkannte Methode zur Ermittlung von Laichaktivität der Finte in der Elbe gab; nach Darstellung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung hat sich daran bis heute nichts geändert. Ebenso wie für die Maßnahmen zur Überwachung der Geschwindigkeitsbegrenzung gilt auch hier, dass sie anderenfalls schon in den Planfeststellungsbeschlüssen hätte geregelt werden müssen. Die Verschiebung der Konfliktbewältigung auf einen späteren Zeitpunkt darf nicht dazu führen, dass die durch ein Planergänzungsverfahren vermittelten Beteiligungsrechte und die an einen Planergänzungsbeschluss anknüpfenden Klagerechte abgeschnitten werden. Die Auflage ist daher entsprechend zu ändern.
2.3 Brutvögel
Die FFH-Verträglichkeitsprüfung ist zudem hinsichtlich möglicher Beeinträchtigungen von Brutvögeln in den VS-Gebieten „Unterelbe bis Wedel” und „Unterelbe” durch einen vorhabenbedingten Anstieg der Überflutungshäufigkeit auf den Vorländern defizitär.
In den Planfeststellungsbeschlüssen werden Beeinträchtigungen der Habitatbedingungen für Brutvögel durch vorhabenbedingte Wasserstandsänderungen mit der Begründung ausgeschlossen, dass die geringen hydrodynamischen Veränderungen nicht in die Schutzgebiete hineinwirkten bzw. von ihrer Intensität her zu gering seien, um die natürlich ablaufenden Prozesse zu prägen und zu überlagern (S. 1467 und 1578). Diese nicht näher begründeten Feststellungen haben die Kläger unter Vorlage einer gutachterlichen Stellungnahme substantiiert angegriffen. Danach ist auf der Grundlage der von der BAW prognostizierten Wasserstandsänderungen z.B. im April auf tiefliegendem Grünland mit einer Erhöhung der Überflutungswahrscheinlichkeit um 6,2 %, auf normalem Grünland im Juni um 6,7 % sowie im Juli um 7,9 % zu rechnen (Cimiotti/Hötker/ Behrends, Tab. 10, S. 22). Diese Änderungen und die daraus folgende relative Abnahme der Überlebenschancen (a.a.O., Tab. 12, S. 25) sind keine Bagatellen.
Es mag sein, dass der Anstieg des MThw – wie die Beklagten in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht haben – durch Aufsedimentation ausgeglichen wird und die Überflutungshäufigkeit daher faktisch nicht zunimmt. Eine solche saldierende Betrachtung scheitert nicht von vornherein an der zeitlichen Lücke zwischen dem Anstieg des MThw und der Aufsedimentation. Abgesehen davon, dass Sedimentation und Erosion in der Natur ständig ablaufende Vorgänge darstellen, wird auch das Ausbauvorhaben zeitlich gestreckt umgesetzt.
Für die Behauptung der Beklagten, dass den Brutgebieten trotz Anstiegs des MThw aufgrund der Aufsedimentation der Vorländer keine Gefahr droht, fehlt es aber bisher an der fachlichen Untersetzung. Aus dem UVU-Teilgutachten H.3 zum Schutzgut Boden ergibt sich zwar, dass die Sedimentationsrate größenordnungsmäßig ausreicht, um den natürlichen säkularen Anstieg wie auch den anthropogen durch Flussausbaumaßnahmen hervorgerufenen Anstieg des Wasserspiegels zu kompensieren, so dass von einer „Überflutung” ufernaher Bereiche nicht ausgegangen werden könne (S. 141). Für die FFH-Verträglichkeitsprüfung reicht eine generalisierende Betrachtung der Entwicklung der Vordeichflächen aber nicht aus. Vielmehr muss für die von den Klägern als betroffen bezeichneten Vordeichflächen in den VS-Gebieten „Unterelbe bis Wedel” und „Unterelbe” jeweils konkret nachvollziehbar dargelegt werden, warum ein (relevanter) Anstieg der Überflutungswahrscheinlichkeit während der Brutperiode ausgeschlossen werden kann.
2.4 Schierlings-Wasserfenchel
Die FFH-Verträglichkeitsprüfung setzt sich nicht mit der von Bioconsult 2010 (S. 83) angesprochenen langfristigen Verschlechterung der Standorteigenschaften für den Schierlings-Wasserfenchel stromab von Hamburg durch verstärkte Sedimentation auseinander. Nach dem Vorbringen der Kläger begünstigt diese vor allem in den Nebenelben Konkurrenzpflanzen und befördert die Entstehung von Fließschlick, in dem die Wurzeln des Schierlings-Wasserfenchels keinen Halt mehr finden. Die Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die Sedimentation zwar grundsätzlich einen möglichen Wirkpfad darstelle und bei den zurückliegenden Fahrrinnenanpassungen auch so behandelt worden sei, vorliegend könnten relevante Beeinträchtigungen aber in der Summe der Zu- und Abnahmen ausgeschlossen werden.
In den Planfeststellungsbeschlüssen sind entsprechende Erwägungen bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung für die FFH-Gebiete „Schleswig-Holsteinisches Elbästuar und angrenzende Flächen”, „Unterelbe” und „Neßsand und Mühlenberger Loch” nicht dokumentiert. Insbesondere fehlt es an konkreten Darlegungen dazu, in welchen Bereichen mit aktuellen oder potenziellen Standorten des Schierlings-Wasserfenchels mit einer Zu- bzw. Abnahme der Sedimentation zu rechnen ist und warum mögliche Veränderungen ohne Relevanz für die Standortbedingungen des Schierlings-Wasserfenchels sind. Nach dem UVU-Teilgutachten H.3 (S. 142) ist die räumliche Verteilung von Röhricht (der den Schierlings-Wasserfenchel verdrängt) in stromexponierten Bereichen tendenziell rückläufig, in geschützten Bereichen (Nebenelben) breitet sich das Röhricht dagegen aus. Gerade vor diesem Hintergrund bedarf es nachvollziehbarer Ausführungen dazu, warum die Änderungen der Schwebstoffkonzentration und der Sedimentationstendenzen weder die Konkurrenzpflanzen noch die Entstehung von Fließschlick begünstigen.
2.5 Kohärenz
2.5.1 „Sowieso”-Maßnahmen
Die Planfeststellungsbeschlüsse (S. 1865) nehmen zu Recht an, dass Maßnahmen zur Kohärenzsicherung auch im betroffenen oder einem anderen FFH-Gebiet vorgesehen werden dürfen (EuGH, Urteil vom 15. Mai 2014 – Rs. C-521/12 – NVwZ 2014, Rn. 38). Sie müssen aber über die Standardmaßnahmen zur Erhaltung (Art. 6 Abs. 1 FFH-RL) und zur Vermeidung von Verschlechterungen und Störungen (Art. 6 Abs. 2 FFH-RL) im Rahmen des Gebietsmanagements hinausgehen (Urteil vom 12. März 2008 – BVerwG 9 A
3.06 – BVerwGE 130, 299, Rn. 203 = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 30). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, haben die Planfeststellungsbehörden zu prüfen und im Planfeststellungsbeschluss nachvollziehbar darzulegen. Daran fehlt es.
Die Leitlinien und Ziele der Gebietsentwicklung für die Natura 2000-Gebiete im Elbeästuar sind im IBP festgelegt, der im Februar 2012 und damit noch vor Erlass der Planfeststellungsbeschlüsse vorgelegt wurde. Der IBP stellt eine Vielzahl von Maßnahmen dar, die geeignet sind, den Erhaltungszustand von Lebensraumtypen und Arten zu erhalten oder zu verbessern. Ein Teil dieser Maßnahmen kann laut IBP unter bestimmten Voraussetzungen auch als Kohärenzsicherungsmaßnahmen anerkannt werden. Maßnahmen, die aus Sicht der Fachbehörden Hamburgs und Schleswig-Holsteins als Maßnahmen zur Kohärenzsicherung in Frage kommen, sind in den Maßnahmenblättern des IBP-Beitrags beider Länder entsprechend gekennzeichnet (vgl. Teil C, Materialband). Maßnahmentypen des niedersächsischen IBP-Beitrags, die sich potenziell zur Kohärenzsicherung eignen, sind in Tabelle A22 aufgelistet. Der Hinweis auf eine Eignung als Kohärenzsicherungsmaßnahme bedeutet nicht, dass diese Maßnahmen ausschließlich auf diesem Weg umgesetzt werden sollen. Es soll lediglich deutlich gemacht werden, dass die Maßnahme auch auf diesem Weg umgesetzt werden kann (IBP S. 78 f.).
Bezeichnet ein Bewirtschaftungsplan – wie hier – bestimmte Maßnahmen als kohärenzgeeignet, darf diese Einstufung in der Regel zugrunde gelegt werden. Abweichendes gilt dann, wenn der Plan bei der Abgrenzung von Standard- und Kohärenzmaßnahmen von einem unzutreffenden Maßstab ausgeht oder „Etikettenschwindel” betreibt. Anhaltspunkte dafür sind vorliegend nicht ersichtlich. Den Planfeststellungsbeschlüssen kann aber nicht entnommen werden, dass und warum die festgelegten Kohärenzsicherungsmaßnahmen über die nach Maßgabe des Bewirtschaftungsplans (S. 79) durch die zuständige Behörde festzulegenden Standardmaßnahmen hinausgehen. Eine Auseinandersetzung mit dem IBP Elbeästuar ist nicht erfolgt, sie ist jedenfalls nicht dokumentiert. Daran ändert auch die im Schriftsatz der Beklagten zu 2 vom 11. April 2014 nachträglich vorgenommene Zuordnung der Maßnahmen zu den Maßnahmenblättern des IBP-Beitrags SH/HH und zu der Tabelle A22 auf Seite 79 des IBP nichts. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, ob und wenn ja, welche Standardmaßnahmen für den Schierlings-Wasserfenchel und den Lebensraumtyp Ästuar in den für die Kohärenzsicherungsmaßnahmen ausgewählten FFH-Gebieten vorgesehen sind und worin das „Überschießende” der Kohärenzsicherungsmaßnahmen liegt.
2.5.2 Schierlings-Wasserfenchel
Bei der Entscheidung über Kohärenzsicherungsmaßnahmen verfügen die Planfeststellungsbehörden namentlich dann, wenn naturschutzfachlich allgemein anerkannte standardisierte Maßstäbe und rechenhaft handhabbare Verfahren fehlen, über eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative. Die gerichtliche Überprüfung ist auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt. Diese setzt voraus, dass die Eingriffs- und Kompensationsbilanz im Planfeststellungsbeschluss nachvollziehbar offengelegt wird. Dafür genügt eine verbal-argumentative Darstellung, sofern sie rational nachvollziehbar ist und erkennen lässt, ob der Bilanzierung naturschutzfachlich begründbare Erwägungen zugrunde liegen (Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 202).
Davon ausgehend begegnen die Kohärenzsicherungsmaßnahmen für den Schierlings-Wasserfenchel nicht schon deshalb Bedenken, weil die Beklagten keinen rein flächenbezogenen Maßstab zugrunde gelegt haben. Auch die gewählte Kombination von Individuen- und Flächenbezug ist vertretbar. Maßgeblich ist allein, ob die bei der Ausfüllung des jeweiligen Maßstabs zugrunde gelegten Annahmen hinreichend vorsorglich sind. Dies lässt sich derzeit nicht feststellen.
Die Beklagten haben nicht dargelegt, dass der zur Quantifizierung des Kohärenzbedarfs von IBL/BfBB (S. 1) zugrunde gelegte Ansatz von fünf Exemplaren je potenziellem Standort vorsorglich ist. Ausweislich der Kartierung von Obst, Köhler & Kurz (Anhang 4 zum UVU-Teilgutachten H.4a) finden sich stromab von Hamburg potenzielle Standorte (z.B. in der Haseldorfer Binnenelbe, auf Neßsand und Hanskalbsand, in der Hahnöfer Nebenelbe und im Fährmannsander Watt) in der Nähe von aktuellen Standorten, die teilweise deutlich mehr als fünf Pflanzen aufweisen. Dies könnte dafür sprechen, dass dort an den potenziellen Standorten ebenfalls mit mehr als fünf Pflanzen zu rechnen ist. Abgesehen davon ist die Skalierung in der Kartierung relativ grob, so dass sich allein daraus keine belastbaren Schlüsse auf die potenzielle Besiedlungsdichte ziehen lassen.
Wie die auf Seite 1377 der Planfeststellungsbeschlüsse bei der Darstellung des flächenbezogenen Ansatzes angegebenen 9 ha aktueller und potenzieller Standorte im Wirkraum des Vorhabens sowie 28,7 ha aktueller und potenzieller Standorte im gesamten Verbreitungsgebiet zustande gekommen sind, erschließt sich ebenfalls nicht. Die Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass diese Zahlen sich nicht aus den Planunterlagen herleiten lassen, sondern bei Obst, Köhler & Kurz telefonisch abgefragt wurden. Unklar geblieben ist auch, warum der angenommene Faktor für die Besiedlungsdichte von 13:1 und der Faktor von 0,2 für Beeinträchtigungen unter dem Totalverlust (S. 1378) vorsorglich sind.
Die Eingriffs- und Ausgleichsbilanz ist weiterhin deshalb unzulänglich, weil nicht nachvollziehbar dargelegt ist, welche Flächen in den Maßnahmengebieten Zollenspieker und Spadenlander Busch/Kreetsand für eine Besiedlung durch den Schierlings-Wasserfenchel geeignet sind. Die Beklagten konnten nicht schlüssig erläutern, wie sich die in den Planfeststellungsbeschlüssen (S. 1377 und 1868) angegebenen 13,65 ha zusätzlicher Standorte bzw. neuer Wuchsortfläche für den Schierlings-Wasserfenchel in den beiden Maßnahmengebieten errechnen. Im Schreiben vom 7. Dezember 2010 an die EU-Kommission ist auf Seite 41 abweichend von den Zahlenangaben in den Planfeststellungsbeschlüssen von rund 8,89 ha Wuchsortfläche die Rede, die sich offensichtlich aus der Addition von 1,67 ha neuer Ansiedlungsfläche im Zollenspieker und 7,22 ha im Gebiet Spadenlander Busch/Kreeetsand ergeben.
Die Lücken und Mängel der Eingriffs- und Ausgleichsbilanzierung sind nicht dadurch hinfällig geworden, dass die Beklagten in der mündlichen Verhandlung die Größenangaben zu den Kohärenzflächen korrigiert und für die gesondert planfestgestellte Maßnahme Spadenlander Busch/Kreetsand eine aktualisierte Karte aus der Ausführungsplanung vorgelegt haben.
Nach der Begründung, die der durch Protokollerklärung in der mündlichen Verhandlung erfolgten Änderung der Nebenbestimmungen unter A.II.3.6, A.II.3.14.2 und A.II.3.14.4 beigefügt ist, gehen die Beklagten nunmehr von insgesamt 14 190 m² „Optimalfläche” im Bereich von – 0,2 bis – 1,1 m unter MThw für den Schierlings-Wasserfenchel in den Maßnahmengebieten Zollenspieker (5 790 m²) und Spadenlander Busch/Kreetsand (8 400 m²) aus. Auch diese Zahlen sind – abgesehen davon, dass sie mangels Änderung der Begründung der Planfeststellungsbeschlüsse nicht zu den darin genannten Flächenangaben passen – nicht schlüssig untersetzt. So stimmen die Höhenangaben zu den Optimalflächen in der Begründung zur Protokollerklärung nicht mit den Angaben in der Legende der Karte aus der Ausführungsplanung überein. Überdies bleiben Unklarheiten hinsichtlich der Böschungsgradienten. Für das Maßnahmengebiet Zollenspieker ist keine aktualisierte Karte vorgelegt worden.
Daneben fehlt es nach wie vor an substantiierten Darlegungen dazu, warum ein Aufwuchsschlüssel von 0,1 Individuen/m² realistisch und hinreichend vorsorglich ist. Die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, welche Samenmenge für die Aussaat benötigt wird und ob diese verfügbar ist, stellt zwar keinen zwingenden Bestandteil der Eingriffs- und Ausgleichsbilanz dar. Hierzu konnten die Beklagten aber ebenfalls keine zufriedenstellenden Angaben machen.
Im Rahmen der notwendigen Überarbeitung der Eingriffs- und Ausgleichsbilanz werden sich die Beklagten mit den von den Klägern in der mündlichen Verhandlung schriftlich formulierten Einwänden zu den neuen Flächenangaben etc. im Einzelnen auseinandersetzen müssen.
Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass die Beklagten sich der Aufgabe, auch die dem flächenbezogenen Ansatz zugrunde gelegten Annahmen und Setzungen nachvollziehbar darzulegen, nicht mit dem Hinweis entziehen können, der flächenbezogene Ansatz sei nur hilfsweise angewandt worden. Dass die Eingriffs-Ausgleichs-Bilanzierung „hilfsweise” auf der Grundlage eines rein flächenbezogenen Ansatzes vorgenommen wurde, geht auf eine Anregung der EU-Kommission zurück (PFB S. 1377). Diese ist bei ihrer Zustimmung vom 6. Dezember 2011 (abgedruckt im PFB S. 1935 ff.) davon ausgegangen, dass der Umfang der für den Schierlings-Wasserfenchel vorgeschlagenen Ausgleichsmaßnahmen mindestens dem Dreifachen der potenziell beeinträchtigten Flächen und der Stückzahl der betroffenen Art entspricht (S. 1940). Für die Kommission war demnach auch der flächenbezogene Ansatz relevant.
Sollte sich die Eingriffs-/Ausgleichsbilanz in ihren der Kommission unterbreiteten wesentlichen Annahmen nicht plausibel unterlegen lassen, werden die Beklagten ggf. deren erneute Beteiligung in Erwägung ziehen müssen.
Die Änderung der Nebenbestimmung in A.II.3.14.2 Satz 5 durch Protokollerklärung in der mündlichen Verhandlung begegnet keinen Bedenken. Der Senat versteht sie dahingehend, dass die Überwachung nunmehr mindestens über einen Zeitraum von 16 Jahren erfolgt. Die Beklagten werden allerdings prüfen müssen, ob weitere Folgeänderungen erforderlich sind, weil die Auflagen in A.II.3.14.2 Satz 5 und A.II.3.14.4 auf ein zehnjähriges Mittel abstellen, dies aber möglicherweise mit den in A.II.3.14.1 Satz 2 genannten Zeiträumen „kollidiert”.
Im Übrigen bestehen nach vorläufiger Einschätzung des Senats keine beachtlichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Planfeststellungsbeschlüsse.
Unterschriften
Dr. Nolte, Krauß, Dr. Philipp, Schipper, Brandt
Fundstellen
NuR 2014, 785 |
ZUR 2015, 43 |
DVBl. 2014, 3 |
DVBl. 2015, 95 |
SächsVBl. 2014, 2 |
UVP-report 2015, 52 |