Entscheidungsstichwort (Thema)
Bau- und Bodenrecht, einschließlich der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für Windkraftanlagen, sofern der Schwerpunkt der Sache im Bau- und Bodenrecht liegt. Bordell. Gewerbebetrieb. Vergnügungsstätte.
Leitsatz (amtlich)
Bordelle oder bordellähnliche Betriebe sind als in der sozialen und ökonomischen Realität vorkommende Nutzungen eine Unterart der „Gewerbebetriebe aller Art” im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO.
Normenkette
BauNVO § 7 Abs. 2 Nr. 2, § 8 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 3
Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Urteil vom 06.05.2015; Aktenzeichen 2 Bf 2/12) |
VG Hamburg (Entscheidung vom 22.11.2011; Aktenzeichen 11 K 1237/09) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. Mai 2015 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
Rz. 2
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫ und vom 9. April 2014 – 4 BN 3.14 – ZfBR 2014, 479 Rn. 2).
Rz. 3
Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob ein Bordell als „Gewerbebetrieb aller Art” im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO anzusehen ist oder Bordelle dem Begriff der Vergnügungsstätte im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO unterfallen.
Rz. 4
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Nach der Rechtsprechung des Senats sind Bordelle oder bordellähnliche Betriebe „Gewerbebetriebe aller Art” im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO (BVerwG, Beschluss vom 5. Juni 2014 – 4 BN 8.14 – ZfBR 2014, 574 Rn. 10). Ungeachtet der Neubestimmung des Verhältnisses von Vergnügungsstätten und Gewerbebetrieben durch die Vierte Verordnung zur Änderung der Baunutzungsverordnung vom 23. Januar 1990 (BGBl. I S. 127) (dazu BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 1990 – 4 B 120.90 – Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 4) hält der Senat insoweit an seinem Urteil vom 25. November 1983 – 4 C 21.83 – (BVerwGE 68, 213 ≪215≫) fest, dass Bordellbetriebe Einrichtungen sind, für die sich im Hinblick auf die sich aus dem „Milieu” ergebenden Begleiterscheinungen eher ein Standort eignet, der außerhalb oder allenfalls am Rande des „Blickfeldes” und der Treffpunkte einer größeren und allgemeinen Öffentlichkeit liegt und auch nicht in der Nachbarschaft von Wohnungen. In Übereinstimmung hiermit hat das Oberverwaltungsgericht tatrichterlich festgestellt, dass bei gewerblicher Prostitution bei der gebotenen typisierenden Betrachtung mit milieutypischen Begleiterscheinungen wie Belästigungen durch alkoholisierte oder unzufriedene Kunden, organisierte Kriminalität, Menschen- und Drogenhandel, ausbeutender Zuhälterei, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Verstößen gegen das Waffenrecht und Gewaltkriminalität bis hin zu Tötungsdelikten zu rechnen sei (UA S. 19). An diese Feststellungen wäre das Bundesverwaltungsgericht in einem Revisionsverfahren nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht worden sind.
Rz. 5
Die Beschwerdeführerin zeigt mit ihrem nicht weiter ausgeführten Hinweis auf abweichende Rechtsprechung (VGH Kassel, Beschluss vom 30. April 2009 – 3 A 1284/08 – BRS 74 Nr. 58 = juris Rn. 8; OVG Saarlouis, Beschlüsse vom 30. Juni 2009 – 2 B 367/09 – juris Rn. 13 und vom 8. Januar 2014 – 2 A 437/13 – juris Rn. 16) und Literatur (Stühler, BauR 2010, 1013 ≪1021 f.≫; ders., NVwZ 1997, 861 ≪866 f.≫; Schlichter/Friedrich, WiVerw 1988, 199 ≪209, 225 f.≫; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, Stand: Februar 2015, § 4a BauNVO Rn. 74; Knaup/Stange, BauNVO, 8. Aufl. 1997, § 4a Rn. 51), welche den Beschluss des Senats vom 5. Juni 2014 – 4 BN 8.14 – (a.a.O.) noch nicht berücksichtigen konnte, keinen Klärungsbedarf auf. Die „Nähe” von Bordellen und bordellartigen Betrieben zu anderen Stätten „sexuellen Amüsements” (so insb. Stühler, BauR 2010, 1013 ≪1022≫) führt nicht zu einer bauplanungsrechtlichen Gleichbehandlung solcher Einrichtungen. Denn maßgeblich für die Rechtsprechung des Senats ist nicht die Motivation der Besucher, sondern sind die städtebaulich bedeutsamen Begleiterscheinungen der Prostitutionsausübung in Bordellen. Hiermit übereinstimmend hat der überwiegende Teil der Rechtsprechung (VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2013 – 15 N 12.1020 – juris Rn. 25; VGH Mannheim, Beschluss vom 5. März 2012 – 5 S 3239/11 – BRS 79 Nr. 87 = juris Rn. 5 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2005 – OVG 10 S 3.05 – juris Rn. 8; OVG Hamburg, Beschluss vom 13. August 2009 – 2 Bs 102/09 – NordÖR 2009, 453 = juris Rn. 9; OVG Koblenz, Urteil vom 11. Mai 2005 – 8 C 10053/05 – BRS 69 Nr. 35 = juris Rn. 15) und der Literatur (Schiller, in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 8. Aufl. 2014, Rn. 1635; Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 3. Aufl. 2014, § 8 Rn. 22; Kämper, in: BeckOK BauNVO, Stand 1. September 2015, § 9 Rn. 40; Mampel/Schmidt-Bleker, in: BeckOK BauNVO, Stand 1. März 2015, § 8 Rn. 106; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 2015, § 8 BauNVO Rn. 24a; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 5. Aufl. 2015, Rn. 614; Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 4a Rn. 23.71; Wolf, Die prostitutive Einrichtung und ihre Mitarbeiter im öffentlichen Recht – Rechtslage und Perspektiven, 2013, S. 88; von Galen, Rechtsfragen der Prostitution, 2004, Rn. 499 f.) bereits vor dem Senatsbeschluss vom 5. Juni 2014 – 4 BN 8.14 – (a.a.O.) Bordelle und bordellartige Betriebe als „Gewerbebetriebe aller Art” im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO angesehen.
Rz. 6
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Dr. Külpmann
Fundstellen
Haufe-Index 8775543 |
BauR 2016, 477 |
DÖV 2016, 226 |
GewArch 2016, 122 |
VR 2016, 179 |
ZfBR 2016, 150 |
BayVBl. 2016, 276 |
RÜ 2016, 257 |
UPR 2016, 39 |
BBB 2016, 61 |
FSt 2017, 21 |
FuB 2016, 46 |