Entscheidungsstichwort (Thema)
Studienberatung berechtigt Studierendenschaft nicht zu Normenkontrollantrag
Leitsatz (amtlich)
Die ihr gesetzlich zugewiesene Aufgabe der Studienberatung vermittelt einer Studierendenschaft keine Antragsbefugnis für einen Normenkontrollantrag gegen Vorschriften einer hochschulrechtlichen Prüfungsordnung.
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1 Alt. 1; VwGO § 47 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; HSchulG RP 1978 § 108 Abs. 2, 4 S. 2 Nrn. 2, 6
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.02.2016; Aktenzeichen 10 C 10948/15) |
Gründe
I
Rz. 1
Die Antragstellerin, eine landesrechtlich als Körperschaft des Öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltungsrecht verfasste Studierendenschaft, wendet sich im Wege der Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO gegen Vorschriften einer Prüfungsordnung ihrer Hochschule zur Anmeldepflicht und -frist bei der Wiederholung eines chemischen Praktikums. Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag mangels Antragsbefugnis der Antragstellerin abgelehnt. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass die Studierendenschaft durch die angegriffenen Rechtsvorschriften oder deren Anwendung weder in ihren subjektiven Rechten verletzt werden könne noch als Behörde mit der Ausführung dieser Normen befasst sei oder diese bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beachten habe. Die Aufgabe der Studienberatung vermittle der Antragstellerin kein hinreichendes prozessrechtliches Kontrollinteresse. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
II
Rz. 2
Die auf mehrere Zulassungsgründe gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Weder beruht die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Rz. 3
1. Die Beschwerde rügt als Verfahrensmangel, das Oberverwaltungsgericht habe den Normenkontrollantrag zu Unrecht durch Prozessurteil abgewiesen, da es die Anforderungen an die Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) überspannt habe. Dazu führt sie zur Begründung im Wesentlichen aus, die Studierendenschaft sei sowohl juristische Person als auch Behörde. Für ihre Antragsbefugnis reiche es deshalb aus, dass sie als Behörde ein aus ihrer Aufgabenstellung resultierendes Interesse an der Überprüfung der objektiven Rechtslage habe. Dieses ergebe sich aus ihrer gesetzlichen Aufgabe, die Studierenden u.a. in Prüfungsangelegenheiten zu beraten und deren fachliche Belange wahrzunehmen. Dem folgt der beschließende Senat nicht.
Rz. 4
Zutreffend ist der Ansatz der Beschwerde, dass ein Verfahrensfehler darin liegen kann wenn ein Gericht durch Prozessurteil anstatt durch Sachurteil entscheidet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 1968 - 8 B 110.67 - BVerwGE 30, 111 ≪113≫). Das ist der Fall, wenn eine solche Entscheidung auf einer fehlerhaften Anwendung der prozessualen Vorschriften beruht, z.B. einer Verkennung ihrer Begriffsinhalte und der zugrunde zu legenden Maßstäbe (vgl. zu § 42 Abs. 2 VwGO: BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1996 - 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1 S. 1 f.). Kein Verfahrensmangel liegt jedoch vor, wenn bei der Anwendung des Prozessrechts Vorfragen zur materiellen Rechtslage fehlerhaft bestimmt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. November 2009 - 7 B 25.09 - NVwZ 2010, 256 Rn. 30). Denn bei der Beurteilung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, hat das Revisionsgericht von der materiellrechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz auszugehen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 ≪119≫).
Rz. 5
Die Vorinstanz hat - in dem erstrebten Revisionsverfahren für den Senat gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO verbindlich - das rheinland-pfälzische Landeshochschulrecht dahingehend ausgelegt, dass § 108 Abs. 2 Satz 2 sowie § 108 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 und 6 HochSchG RP nicht die Befugnis der Antragstellerin zu entnehmen ist, unabhängig von einer eigenen Rechtsbetroffenheit einen Normenkontrollantrag zu stellen.
Rz. 6
Mit Blick auf § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VwGO hat das Oberverwaltungsgericht die Antragsbefugnis der Antragstellerin als juristische Person des öffentlichen Rechts verneint. Zwar dürften nach rheinland-pfälzischem Landeshochschulrecht mit den in § 108 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 und 6 HochSchG RP niedergelegten Aufgaben der Studierendenschaft, die Studierenden bei der Durchführung des Studiums zu beraten und ihre fachlichen Belange wahrzunehmen, entsprechende subjektive Rechte der Antragstellerin korrespondieren. Aber in diesen subjektiv öffentlichen Rechten könne die Antragstellerin nicht durch Rechtsvorschriften einer Prüfungsordnung verletzt werden, die die Anmeldepflicht und -frist bei der Wiederholung eines chemischen Praktikums zum nächstmöglichen Zeitpunkt beträfen. Durch diese Regelungen werde der gesetzlich begründete Aufgabenbereich der Antragstellerin nicht berührt. Die Rechtswirksamkeit der angegriffenen Regelungen sei lediglich für den Inhalt der Studienberatung und die Zielrichtung der Wahrnehmung fachlicher Belange der Studierenden von Interesse. Diese auf der Auslegung des irrevisiblen Landeshochschulrechts aufbauende Subsumtion der Vorinstanz ist aus dem Blickwinkel des bundesrechtlich geregelten prozessrechtlichen Maßstabs für die Antragsbefugnis in § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VwGO nicht zu beanstanden.
Rz. 7
Das Oberverwaltungsgericht hat auch die Antragsbefugnis der Antragstellerin als Behörde (§ 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO) verneint. Dabei ist es in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit eines behördlichen Normenkontrollantrags mit Blick auf die Antragsbefugnis und das Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt, dass die Behörde die von ihr angegriffene Norm zu beachten hat oder mit deren Ausführung befasst ist (BVerwG, Beschlüsse vom 15. März 1989 - 4 NB 10.88 - BVerwGE 81, 307 ≪310≫; vom 11. August 1989 - 4 NB 23.89 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 41 S. 41 f. und vom 1. Juli 2005 - 4 BN 26.05 - ZfBR 2005, 807 ≪808≫). Das sei bei den mit dem Normenkontrollantrag angegriffenen Vorschriften der Prüfungsordnung nicht der Fall, weil die Antragstellerin diesen Vorschriften in keiner Weise unterworfen und damit auch nicht mit deren Ausführung befasst sei.
Rz. 8
Zu Recht hat die Vorinstanz das der Antragstellerin durch ihre Beratungsaufgabe vermittelte generelle Interesse an der Gültigkeit untergesetzlicher hochschulrechtlicher Vorschriften nicht ausreichen lassen, um ihr ein Rechtsschutzinteresse für einen Normenkontrollantrag zuzubilligen. Denn auch die Antragsbefugnis einer Behörde setzt nach der Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. März 1989 eine Pflicht zur Beachtung der angegriffenen Norm im Sinne rechtlicher Bindung voraus (BVerwG, Beschluss vom 15. März 1989- 4 NB 10.88 - BVerwGE 81, 307 ≪310≫). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den sich daran in der genannten Entscheidung anschließenden Ausführungen zum erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Denn diese Aussagen treten nicht etwa neben die genannten Voraussetzungen der Antragsbefugnis, sondern schränken diese unter dem Aspekt des Rechtsschutzbedürfnisses weiter ein. Danach ist auch eine Behörde nicht schlechthin, sondern nur dann antragsbefugt, wenn ihr ein Rechtsschutzinteresse zur Seite steht. Das ist aber immer dann gegeben, wenn sie nur mit der Ausführung der von ihr beanstandeten Norm befasst ist, ohne selbst über die Norm verfügen - insbesondere sie aufheben oder ändern - zu können (BVerwG, Beschluss vom 15. März 1989- 4 NB 10.88 - a.a.O. S. 310 f.).
Rz. 9
Daraus wird deutlich, dass die Antragsbefugnis einer Behörde gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO deren normative Bindung an die angegriffene Vorschrift voraussetzt. Auch wenn die antragstellende Behörde selbst nicht Adressatin des angegriffenen Rechtssatzes ist, ist sie nur dann mit dessen Ausführung befasst, wenn sie für dessen Durchsetzung zumindest mitverantwortlich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Juli 2005 - 4 BN 26.05 - ZfBR 2005, 807 ≪808≫). Nur in einem solchen Fall ergibt sich für sie ein hinreichendes Interesse an einer gerichtlichen Normenkontrollentscheidung in der Sache, denn nur dann dient ein Normenkontrollverfahren der ökonomischen Gestaltung des Prozessrechts durch Vermeidung zahlreicher Einzelprozesse von durch Vollzugsakten Betroffenen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 1978 - 7 N 1.78 - BVerwGE 56, 172 ≪178≫; BT-Drs. 3/1094 S. 6 zu § 46 des Entwurfs; BT-Drs. 7/4324 S. 6 f.). Demgegenüber hätte die Auffassung der Antragstellerin, bereits ihre gesetzliche Aufgabe der Studienberatung führe zu einer behördlichen Befassung mit im Rang unter dem Landesgesetz stehenden hochschulrechtlichen Vorschriften und vermittele ihr die Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO zur Konsequenz, dass die Studierendenschaft ein Normenkontrollverfahren einleiten könnte, obwohl sie an dem durch die angegriffenen Vorschriften ausgestalteten Rechtsverhältnis in keiner Weise beteiligt ist. Das liefe im Ergebnis auf eine dem Verwaltungsprozessrecht grundsätzlich unbekannte prokuratorische Rechtsstellung hinaus.
Rz. 10
2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
Rz. 11
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne vom § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist.
Rz. 12
Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Fragen
"Ist eine Studierendenschaft als Behörde i.S. des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt für ein Normenkontrollverfahren, um die Wirksamkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm feststellen zu lassen, wenn durch die Rechtsnorm Belange ihrer Mitglieder betroffen sind, deren Wahrnehmung ihr gesetzlich zugewiesen sind oder setzt die Antragsbefugnis voraus, dass die Studierendenschaft selbst in Rechtsstreitigkeiten verwickelt werden kann, bei denen es auf die Wirksamkeit dieser Rechtsnorm ankommt?"
bzw.
"Setzt [die] Zulässigkeit des behördlichen Normenkontrollantrages nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO voraus, dass die Behörde ein aus ihrer Aufgabenstellung resultierendes Interesse an der Überprüfung der objektiven Rechtslage hat, weil die Klärung dieser Rechtsfrage ihre Aufgabenwahrnehmung erleichtert oder ist ein solches Interesse erst dann gegeben, wenn die Behörde in Rechtsstreitigkeiten verwickelt werden kann, bei denen es auf die Wirksamkeit dieser Rechtsnorm ankommt?"
rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie sind nach dem oben Gesagten in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach vermitteln die Aufgaben der Studienberatung sowie die Wahrnehmung fachlicher Belange ihrer Mitglieder einer Studierendenschaft nicht die Antragsbefugnis für einen Normenkontrollantrag.
Rz. 13
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 10222706 |
DÖV 2017, 428 |
JZ 2017, 216 |
VR 2017, 250 |