Verfahrensgang
VG Schwerin (Urteil vom 13.11.2003; Aktenzeichen 3 A 655/99) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 13. November 2003 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 80 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Beigeladene war zunächst als Eigentümerin des streitigen Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Nach ihrer Flucht aus der DDR wurde im Jahr 1973 das Grundstück in staatliche Verwaltung genommen. Der staatliche Verwalter verkaufte es anschließend an eine LPG. Deren Rechtsnachfolgerin veräußerte das Grundstück im Dezember 1990 trotz eines anhängigen Restitutionsantrags der Beigeladenen an die Kläger, die das Grundstück seit 1984 als Mieter bewohnten; hierfür war zunächst eine Grundstücksverkehrsgenehmigung erteilt worden. Ob diese noch Bestand hat, ist zwischen den Beteiligten streitig. Mit Bescheid vom 12. Februar 1999 lehnte der Beklagte den Antrag der Beigeladenen auf Rückübertragung des Grundstücks ab, übertrug ihr aber den Anspruch auf Rückübereignung des Grundstücks, den die Rechtsnachfolgerin der LPG infolge der – in einem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren nach Ansicht des Beklagten durch Prozesserklärung erfolgten – Aufhebung der Grundstücksverkehrsgenehmigung gegenüber den Klägern erlangt habe. Ferner ordnete der Beklagte an, dass das zwischen den Klägern und der damaligen LPG begründete Mietverhältnis wieder auflebe und mit der Beigeladenen fortzusetzen sei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil u.a. die Voraussetzungen gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 GVO für die angeordnete Übertragung des Rückübereignungsanspruchs nach bestandskräftiger Aufhebung der Grundstücksverkehrsgenehmigung vorlägen und die Rückübertragung wegen des erst 1995 wirksam gewordenen Eigentumswechsels nicht infolge redlichen Erwerbs ausgeschlossen sei. Als Aufhebung der Genehmigung hat das Verwaltungsgericht die in dem vorangegangenen Gerichtsverfahren – an dem die Kläger beteiligt gewesen seien – abgegebenen Prozesserklärung des Beklagten gewertet. Mit dieser Prozesserklärung hatte der Beklagte den Bescheid vom 10. August 1994 aufgehoben, mit dem seinerseits ein Bescheid aufgehoben worden war, der die ursprünglich erteilte Genehmigung zurückgenommen hatte. Mit der Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Verwaltungsgericht.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde der Kläger ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Weder beruht das angefochtene Urteil auf dem gerügten Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), noch weicht es im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab.
Die Kläger rügen, das anstelle einer Verkündung zugestellte Urteil (§ 116 Abs. 2 VwGO) sei im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, weil es erst am 19. Februar 2004 und damit mehr als drei Monate nach der mündlichen Verhandlung vom 13. November 2003 zugestellt worden sei. Die Rüge ist nicht berechtigt. Zwar ist das Urteil entgegen § 116 Abs. 2 VwGO nicht innerhalb von zwei Wochen vollständig abgefasst der Geschäftsstelle übergeben und auch nicht “alsbald” nachträglich dort niedergelegt worden (vgl. § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO). Dies ist vielmehr erst am 12. Februar 2004 geschehen; entgegen der Auffassung der Kläger kommt es in diesem Zusammenhang auf den Zeitpunkt der Übergabe an die Geschäftsstelle und nicht der Zustellung an die Beteiligten an (Beschluss vom 11. Juni 2001 – BVerwG 8 B 17.01 – Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 26). Auf diesem Mangel beruht das angefochtene Urteil aber nicht, weil die Vermutung des § 138 Nr. 6 VwGO den vorliegenden Fall nicht erfasst.
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. GmS-OGB, Beschluss vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – BVerwGE 92, 367; Urteil vom 10. November 1999 – BVerwG 6 C 30.98 – BVerwGE 110, 40 ≪47≫) ist davon auszugehen, dass ein bei seiner Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil als nicht mit Gründen versehen gilt, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind; dasselbe ist in den Fällen des § 116 Abs. 2 VwGO anzunehmen, in denen das Urteil anstelle der Verkündung zugestellt wird (Beschluss vom 20. September 1993 – BVerwG 6 B 18.93 – Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 21; Beschluss vom 11. Juni 2001, a.a.O.). Diese Fünf-Monats-Frist stützt sich auf die in §§ 516, 552 ZPO zum Ausdruck kommende Wertung und stellt zur Vermeidung von Fehlerinnerungen und zur Sicherung der Beurkundungsfunktion des Urteils die äußerste zeitliche Grenze für die Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle dar. Bei ihrer Überschreitung greift die Kausalitätsvermutung des § 138 Nr. 6 VwGO ein. Diese äußerste Grenze ist nach dem eigenen Vorbringen der Kläger vom Verwaltungsgericht hier nicht überschritten worden.
Allerdings kann auch bei Einhaltung dieser Fünf-Monats-Frist ein kausaler Verfahrensmangel vorliegen, wenn sich aus den Umständen des Falles ergibt, dass infolge der verzögerten Abfassung der Urteilsgründe die zuverlässige Wiedergabe des Beratungsergebnisses und der für die Entscheidungsfindung leitenden Erwägungen nicht mehr gewährleistet ist (Beschluss vom 25. April 2001 – BVerwG 4 B 31.01 – Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 47). Dabei ist u.a. die Dauer der Verzögerung, aber auch der konkrete Verfahrensablauf – etwa die Maßgeblichkeit einer aufwändigen Beweisaufnahme – von Bedeutung. Solche konkreten fallbezogenen Anhaltspunkte dafür, dass die rund dreimonatige Verzögerung der Urteilsabfassung im vorliegenden Fall Zweifel an der Übereinstimmung von Beratungsergebnis und Entscheidungsbegründung rechtfertigt, hat die Beschwerde nicht aufgezeigt. Sie beschränkt sich vielmehr darauf, allein aus dem Zeitablauf von drei Monaten zwischen mündlicher Verhandlung und Urteilszustellung bzw. – richtigerweise – der Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle zu schließen, dass das Urteil das Beratungsergebnis und die tragenden Gründe nicht mehr zuverlässig wiedergebe. Für derartige Mängel im Erinnerungsvermögen der beteiligten Richter bestehen angesichts der von der Beschwerde nicht in Zweifel gezogenen ausführlichen Sachverhaltsdarstellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils und des nicht aus dem Rahmen fallenden Ablaufs der mündlichen Verhandlung keinerlei Anhaltspunkte.
Die Divergenzrüge hat ebenfalls keinen Erfolg. Die Kläger haben zwar umfangreich vorgetragen, dass das erstinstanzliche Urteil mit seiner Auslegung der Prozesserklärung des Beklagten in dem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren als abschließende, auch gegenüber den Klägern wirksame Aufhebung der Grundstücksverkehrsgenehmigung im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehe. Ihr Vorbringen genügt aber nicht den Anforderungen an die Darlegung einer Abweichung im revisionsrechtlichen Sinne. Denn sie haben es versäumt, einander widersprechende und jeweils entscheidungstragende Rechtssätze sowohl der angegriffenen als auch der herangezogenen Entscheidung herauszuarbeiten. Stattdessen belegt die Beschwerde allenfalls, dass das Verwaltungsgericht einen vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatz fehlerhaft angewendet habe oder sie setzt der Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht ihre gegenteilige Wertung entgegen. Solche Subsumtionsfehler oder Bewertungsunterschiede begründen aber keine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Sailer, Krauß, Neumann
Fundstellen