Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 18.01.2010; Aktenzeichen 12 S 687/07) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 18. Januar 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist schon nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt worden.
Rz. 3
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (s. etwa Beschluss vom 11. Mai 2006 – BVerwG 5 B 23.06 – juris) genügt für die Darlegung nicht die bloße Benennung einer Rechtsfrage in Verbindung mit der Behauptung, diese Rechtsfrage sei von grundsätzlicher Bedeutung. Vielmehr erfordert die Darlegung der Grundsatzbedeutung, dass die Beschwerde konkret auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht (vgl. etwa Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26).
Rz. 4
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht, wenn sie die “Grundsatzrevision” aus dem “Gesichtspunkt der angesprochenen Revancherechtsprechung der Verweigerung jeglicher Schutz- und Sicherungsfunktionen der Haftung des Jugendlichen für angebliche Fehler oder Risikoinkaufnahmen der Eltern” als “begründet” ansieht. Auch in Verbindung mit dem weiteren Vorbringen bezeichnet dies nicht eine fallübergreifend beantwortbare, abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung einer Rechtsnorm des revisiblen Bundesrechts, sondern rügt der Sache nach eine – vermeintlich – fehlerhafte einzelfallbezogene Entscheidung. Dies wird dadurch unterstrichen, dass in diesem Zusammenhang auch vorgetragen wird, “die extreme Diskrepanz zwischen dem, was das Berufungsurteil produziert und dem, was in sachgerechter Zugrundelegung auch der obergerichtlichen Rechtsprechung in erster Instanz festgestellt wurde, springt ins Gesicht”. Ob bzw. mit welchem Gewicht der allgemeine sozialhilferechtliche Gesichtspunkt der nachgehenden Hilfe (§ 6 Abs. 2 BSHG = § 14 Abs. 2 SGB XII) im Rahmen der (jugendhilferechtlichen) Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a SGB VIII zu berücksichtigen wäre, wäre ebenfalls nicht in einer verallgemeinerungsfähigen Weise klärungsfähig. Den vorliegenden Fall kennzeichnet, dass Leistungen der Jugendhilfe für den Besuch der in Schottland gelegenen Internatsschule, die der Kläger im streitbefangenen Zeitraum tatsächlich besucht hatte, lediglich aufgrund von Entscheidungen gewährt worden sind, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen sind, und der Beklagte die Betreuung des Klägers in dieser Einrichtung weder selbst veranlasst noch dieser zugestimmt hatte, sich mithin ein schutzwürdiges Vertrauen in die Fortgewährung der Hilfe in dieser Einrichtung nicht bilden konnte.
Rz. 5
2. Die Revision kann nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Divergenz zugelassen werden. Das Vorbringen des Klägers genügt insoweit bereits nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Zudem lässt sich eine Divergenz auch in der Sache nicht feststellen.
Rz. 6
Die Divergenzrüge setzt die Darlegung voraus, dass dem angefochtenen Urteil ein entscheidungstragender Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 9. Februar 2010 – BVerwG 7 B 41.09 – juris m.w.N.).
Rz. 7
Daran fehlt es hier. Selbst wenn vernachlässigt wird, dass der Kläger bei seiner Gegenüberstellung (Beschwerdebegründung S. 10 f.) nicht unter Angabe von Aktenzeichen und Entscheidungsdatum eine Entscheidung nennt, von dem die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts abweichen soll, sondern insoweit auf das an anderer Stelle herangezogene Urteil des Senats vom 28. September 1995 – BVerwG 5 C 21.93 – (Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr. 16) hat zurückgreifen wollen, fehlt es an einer Gegenüberstellung möglicherweise voneinander abweichender Rechtssätze, die zu derselben Rechtsnorm aufgestellt worden sind. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) ist nicht zu einer Gewährung von Jugendhilfe nach § 35a SGB VIII ergangen; es betrifft zudem die Frage, inwieweit einem Hilfeempfänger die Einstellung einer längerfristig bewilligten Hilfeleistung zur Unzeit zuzumuten ist und ist zu § 6 Abs. 2 Satz 1 BSHG ergangen, nach dem Sozialhilfe auch nach Beseitigung einer Notlage (hier der seelischen wesentlichen Behinderung) gewährt werden soll, wenn dies geboten ist, um die Wirksamkeit der zuvor gewährten Hilfe zu sichern. Überdies werden lediglich einzelne Passagen aus der Begründung der Entscheidung herangezogen, die bezogen sind auf die Subsumtion im Einzelfall.
Rz. 8
3. Die Revision ist schließlich auch nicht wegen der behaupteten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Rz. 9
3.1 Die Beschwerde legt die geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör schon nicht entsprechend den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dar. Jedenfalls liegt der behauptete Verfahrensfehler in der Sache nicht vor.
Rz. 10
Der grundrechtlich verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verlangt von den Gerichten, das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2003 – 2 BvR 624/01 – NVwZ-RR 2004, 3). Dementsprechend erfordert eine entsprechende Rüge die substantiierte Angabe, welches tatsächliche Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder ersichtlich nicht in Erwägung gezogen worden ist. Das Prozessgrundrecht auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte indessen nicht, dem zur Kenntnis genommenen tatsächlichen Vorbringen oder der Rechtsansicht eines Beteiligten auch in der Sache zu folgen (vgl. bezüglich des Anspruchs auf rechtliches Gehör etwa BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1994 – 2 BvR 894/94 – NJW 1995, 2839). Ebenso wenig gewährleistet es, dass die angegriffene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern ergeht. Es stellt vielmehr grundsätzlich nur sicher, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (Beschluss vom 3. Januar 2006 – BVerwG 7 B 103.05 – ZOV 2006, 40). Einen solchen Fehler legt die Beschwerde nicht dar.
Rz. 11
Die Rüge, das Berufungsgericht habe “den Gegenstand der Anfechtungsklage im Sinne des § 79 VwGO verkannt”, es habe auch vernachlässigt, dass das Verwaltungsgericht davon ausgegangen sei, der Beklagte habe nicht darlegt, dass konkrete geeignete Maßnahmen vorhanden gewesen seien, die mit geringeren Kosten verbunden gewesen wären (und auch nicht feststellen können, dass zum streitgegenständlichen Zeitraum überhaupt eine geeignete Alternative zur Verfügung gestanden habe), weist nicht auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das Berufungsgericht hat ausweislich des Tatbestands offenkundig zur Kenntnis genommen, dass der Kläger die Erstattung von Leistungen für den Besuch einer Schule in Schottland begehrt, die er von Mai 2004 bis zu deren Schließung Ende Juli 2006 besuchte, und hat auch erkannt, dass die schulbehördliche “Testung” des Klägers erst nach dem streitbefangenen Zeitraum erfolgt ist; dies ergibt sich aus seiner Formulierung, es sei nicht hinreichend ersichtlich, dass “ein solches Ergebnis sich bei entsprechend früher ermöglichter Testung nicht entsprechend früher ergeben hätte” (Beschlussabdruck S. 4).
Rz. 12
Soweit der Kläger diese Bewertung für unzutreffend hält, wird damit ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO schon deshalb nicht dargelegt, weil die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung jedenfalls in aller Regel revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzuordnen sind (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 und vom 22. Juli 2009 – BVerwG 5 B 45.09 – juris). Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (“Überzeugungsgrundsatz”) im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO betrifft die Feststellung aller für die Entscheidung des Gerichts erheblichen Tatsachen und deren “freie Würdigung”. Es geht hier also um die ausreichende Erforschung und Würdigung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen wie etwa des Akteninhalts, des Vortrags der Beteiligten, eingeholter Auskünfte oder gerichtskundiger Tatsachen (Beschluss vom 30. Juni 2003 – BVerwG 4 B 35.03 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26). Die Einhaltung der aus § 108 Abs. 1 VwGO folgenden verfahrensmäßigen Verpflichtung ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter – wie der Sache nach hier der Beschwerdeführer – eine aus seiner Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als die angefochtene Entscheidung. Denn damit wird ein – angeblicher – Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung angesprochen, der einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen kann (vgl. etwa Beschlüsse vom 10. Oktober 2001 – BVerwG 9 BN 2.01 – Buchholz 401.65 Hundesteuer Nr. 7 und vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 ≪S. 18 f.≫). So liegt es auch hier, wenn der Kläger die Bewertung des Berufungsgerichts als unzutreffend bestreitet, es wäre von den Schulbehörden – bei frühzeitigerer Untersuchung – ein für den Kläger geeigneter Lernort benannt worden.
Rz. 13
3.2 Der Kläger kann auch nicht mit dem Vorbringen durchdringen, das Berufungsgericht habe verkannt, dass sich die Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Beklagten bereits aus dem Fehlen eines Hilfeplanes, das das Berufungsgericht nicht angesprochen habe, ergebe, und dieses habe durch den Verzicht auf eine umfängliche Rechtsdiskussion zur Zumutbarkeit einer Alternative u.a. seine Aufklärungspflicht und den Untersuchungsgrundsatz verletzt.
Rz. 14
Diese Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO entspricht bereits nicht den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können (Urteil vom 22. Januar 1969 – BVerwG 6 C 52.65 – BVerwGE 31, 212 ≪217 f.≫; Beschlüsse vom 13. Juli 2007 – BVerwG 9 B 1.07 – juris, vom 21. Februar 2008 – BVerwG 5 B 122.07 – juris und vom 2. Juni 2008 – BVerwG 4 B 32.08 – juris).
Rz. 15
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Sie trägt zwar umfangreich u.a. zu einem Gutachten des Departements Psychologie einer Universität, zur Eignung der vom Kläger besuchten Schule und zu der – nach seiner Auffassung – fehlenden Eignung und Zumutbarkeit eines Schulbesuches an einer Schule in Deutschland vor. Dies geht aber an der für die Beurteilung einer Verfahrensrüge maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die an Rechtsprechung des Senats (u.a. Urteile vom 28. April 2005 – BVerwG 5 C 20.04 – BVerwGE 123, 316 und 26. Oktober 2007 – BVerwG 5 C 35.06 – BVerwGE 130, 1) anknüpft, vorbei, dass die Sicherstellung einer angemessenen Schulbildung primär Aufgabe der Schulverwaltung, der jeweiligen Stammschule und des Trägers dieser Stammschule sei und die verantwortliche Fachbehörde – das zuständige Schulamt – dargelegt habe, dass sie eine Beschulung des Klägers an einer bestimmten Schule für angemessen und geboten halte. Das Berufungsgericht ist hierbei erkennbar davon ausgegangen, dass das schulrechtliche Bestimmungsrecht der Schulbehörde grundsätzlich auch den zuständigen Jugendhilfeträger bindet (s.a. Senat, Urteil vom 11. August 2005 – BVerwG 5 C 18.04 – BVerwGE 124, 83 ≪93≫); es belegt daher nicht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, der Aufklärungspflicht und des Überzeugungsgrundsatzes, wenn das Berufungsgericht bei der Überprüfung der Entscheidung des Jugendhilfeträgers aus diesem Grund des materiellen Rechts nicht auf das gegen die sachliche Richtigkeit und Qualität der Bewertungen der Schulbehörde gerichtete Vorbringen des Klägers eingegangen ist.
Rz. 16
3.3 Das Vorbringen des Klägers, die Argumentation des Berufungsgerichts, dass “Unzuträglichkeiten und etwaige Probleme im Zusammenhang mit der ‘Rückkehr’ aus dem schottischen in das deutsche Schulsystem (…) sich ggf. als auf die Vorgehensweise des Klägers zurückzuführendes Risiko realisiert haben (würden)”, sei “zwingend dem Jugendhilferecht fremd”, bewirke eine sachwidrige “Revancherechtsprechung” und sei jedenfalls in einem Fall unhaltbar, “in dem klar die Zugehörigkeit zu § 35a (SGB VIII) feststeht, aber jede Hilfe verweigert wurde”, wendet sich gegen die sachliche Richtigkeit der Berufungsentscheidung und weist jedenfalls nicht auf einen Verfahrensfehler (zur fehlenden grundsätzlichen Bedeutung s.o. 1., zur Divergenz s. 2.).
Rz. 17
4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 18
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.
Unterschriften
Hund, Prof. Dr. Berlit, Dr. Störmer
Fundstellen