Verfahrensgang
VG Köln (Beschluss vom 27.09.2004; Aktenzeichen 1 L 1871/04) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 27. September 2004 aufgehoben. Der Antrag der Antragstellerin auf Vorlage von Unterlagen wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Gründe
Die nach § 138 Abs. 3 Satz 4 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) vom 22. Juni 2004 (BGBl I S. 1190) zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach § 138 Abs. 1 Satz 1 TKG ist für die Vorlage von Unterlagen durch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post § 99 Abs. 1 VwGO anzuwenden. An die Stelle der obersten Aufsichtsbehörde tritt die Regulierungsbehörde (§ 138 Abs. 1 Satz 2 TKG). Die Regulierungsbehörde ist zur Vorlage von Unterlagen verpflichtet (§ 138 Abs. 1 Satz 1 TKG i.V.m. § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Müssen die Unterlagen ihrem Wesen nach geheim gehalten werden, kann die Regulierungsbehörde die Vorlage der Unterlagen verweigern (§ 138 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 TKG i.V.m. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO). In diesem Fall entscheidet auf Antrag eines Beteiligten das Gericht der Hauptsache durch Beschluss, ob die Unterlagen vorzulegen sind oder nicht vorgelegt werden dürfen (§ 138 Abs. 2 Satz 1 TKG). Werden durch die Vorlage von Unterlagen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse betroffen, verpflichtet das Gericht die Behörde zur Vorlage, soweit es für die Entscheidung darauf ankommt, andere Möglichkeiten der Sachaufklärung nicht bestehen und nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls das Interesse an der Vorlage der Unterlagen das Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung überwiegt (§ 138 Abs. 2 Satz 2 TKG). § 138 TKG findet auch im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Anwendung. Es liegt insoweit nicht anders als bei § 99 VwGO (vgl. Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 99 Rn. 6 b; Kuntze, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO 2. Auflage, § 99 Rn. 3).
Verweigert die Regulierungsbehörde die Vorlage von Unterlagen in einem Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alternative VwGO – wie hier – und wird dagegen die gerichtliche Entscheidung im Sinne von § 138 Abs. 2 TKG beantragt, hat sich die Prüfung des Gerichts der Hauptsache auszurichten an der gerichtlichen Beurteilung des Rechtsschutzbegehrens, das der die Entscheidung nach § 138 Abs. 2 TKG begehrende Beteiligte im Eilverfahren verfolgt. Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der Aktenvorlage und des Zwischenverfahrens.
Die in § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO geregelte Verpflichtung der Behörde zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften soll sicherstellen, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt so umfassend wie möglich aufgeklärt wird und dass alle Verfahrensbeteiligten von entscheidungserheblichen Vorgängen Kenntnis erlangen, um diese zur Grundlage ihres Vorbringens in dem Rechtsstreit machen zu können (vgl. Beschluss vom 24. November 2003 – BVerwG 20 F 13.03 – BVerwGE 119, 229 ≪230≫ m.w.N.). Die Vorlagepflicht beschränkt sich auf solche Akten und Urkunden, deren Inhalt der umfassenden Sachaufklärung durch das Gericht der Hauptsache und der Gewinnung von Grundlagen für die Prozessführung der Beteiligten überhaupt dienlich sein können. Sie ist also auf den konkreten Streitgegenstand des Rechtsstreits bezogen (vgl. Beschluss vom 9. November 1962 – BVerwG 7 B 91.62 – BVerwGE 15, 132 ≪132 f.≫). Indem § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO der umfassenden Aufklärung des Sachverhalts durch das Gericht und der Kenntnis der Beteiligten von den maßgeblichen Vorgängen dient, bildet er eine Konkretisierung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 – BVerfGE 101, 106 ≪124≫). Verweigert die Behörde die Vorlage von Unterlagen in einem Verwaltungsrechtsstreit, ist das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes berührt. Mithin dient das Zwischenverfahren nach § 138 Abs. 2 TKG der Prüfung, ob durch die Vorlage der Unterlagen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Geltung zu verschaffen ist oder ob ein Fall vorliegt, bei dem in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die Unterlagen nicht offen zu legen sind. Ebenso wie die Vorlagepflicht ist das Zwischenverfahren auf das im Ausgangsverfahren verfolgte Rechtsschutzbegehren bezogen, also auf den Streitgegenstand des Rechtsstreits. Wird das Zwischenverfahren im Rahmen eines Verfahrens auf Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alternative VwGO geführt, bezieht es sich auf den Streitgegenstand jenes Ausgangsverfahrens und damit auf die erstrebte Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Dies hat Auswirkungen auf Maßstab und Dichte der gerichtlichen Kontrolle im Zwischenverfahren. So setzt die Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen nach § 138 Abs. 2 Satz 2 TKG voraus, dass es für die Entscheidung auf die Vorlage ankommt. Zu prüfen ist insoweit, ob die Vorlage der Unterlagen für die Entscheidung über den im Hauptsacheverfahren verfolgten Klageanspruch erheblich ist. Diese Frage lässt sich nicht ohne Prüfung des jeweils einschlägigen materiellen Rechts beantworten, dessen abschließende Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist. Demgegenüber findet im Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen dessen begrenzten Streitgegenstands regelmäßig nur eine summarische Prüfung der Rechtslage statt. In dem aus einem solchen Verfahren hervorgegangenen Zwischenverfahren nach § 138 Abs. 2 TKG kann in Anbetracht der dienenden Funktion dieses Verfahrens für die effektive Durchsetzung des im Ausgangsverfahren verfolgten Rechtsschutzbegehrens keine weitergehende Prüfung geboten sein. Mithin ist das Zwischenverfahren hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit der Informationen, die in den vorenthaltenen Unterlagen enthalten sind, grundsätzlich auf eine summarische Prüfung beschränkt.
Dies gilt hingegen nicht für die Prüfung, ob durch die Vorlage Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse betroffen sind (§ 138 Abs. 2 Satz 2 TKG). Nur wenn feststeht, dass die vorenthaltenen Unterlagen solche Geheimnisse enthalten, ist Raum für eine Interessenabwägung. Dies kann nicht auf der Grundlage einer nur summarischen Prüfung entschieden werden. Vielmehr muss insoweit Gewissheit bestehen, um dem Geheimnisschutz gegebenenfalls Geltung zu verschaffen.
Nach den vorstehenden Grundsätzen beurteilt, erweist sich die Beschwerde als begründet. Die Unterlagen, um deren Vorlage im Beschwerdeverfahren gestritten wird, enthalten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Unternehmens stehende Umstände oder Vorgänge, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt, für Außenstehende aber wissenswert sind, die nach dem bekundeten Willen des Betriebs- oder Geschäftsinhabers geheim zu halten sind und deren Kenntnis durch Außenstehende dem Geheimnisschutzträger zu einem Nachteil gereichen kann. Allgemein bekannte Umstände und Vorgänge sind auch dann keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, wenn der Inhaber sie als solche bezeichnet (vgl. BAG, Urteil vom 15. Dezember 1987 – 3 AZR 474/86 – BAGE 57, 159 ≪167 f.≫, Urteil vom 16. März 1982 – 3 AZR 83/79 – BAGE 41, 21 ≪29≫; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. November 2000 – 13 B 15/00 – RTkom 2001, 168). Daran gemessen ist nicht zweifelhaft, dass durch die Vorlage der streitigen Unterlagen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen betroffen wären. Die umstrittenen Teile der Verwaltungsvorgänge beziehen sich auf den so genannten 10-Cent-Tarif, dessen Genehmigung die Beigeladene zunächst beantragt hatte. Sie enthalten zum Teil detaillierte Angaben aus der Sphäre der Beigeladenen, deren Kenntnis durch die Antragstellerin für die Beigeladene nachteilig sein kann.
Der beschließende Senat geht ferner ohne weitere Prüfung davon aus, dass die Informationen in den umstrittenen Unterlagen vom Verwaltungsgericht für seine Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin benötigt werden. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss in Übereinstimmung mit dem Prüfungsprogramm in § 138 Abs. 2 Satz 2 TKG auch diese Frage erörtert und mit näherer Begründung bejaht. Ob die den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zugrunde liegende Würdigung der materiellen Rechtslage der Überprüfung durch das Beschwerdegericht unterliegt oder ob dieses an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts gebunden ist, weil es im Zwischenverfahren nach § 138 Abs. 2 TKG nur um die Feststellung der behördlichen Pflicht zur Aktenvorlage und nicht um eine dem Rechtsmittelverfahren vorgreifende Kontrolle des Verwaltungsgerichts in materiellrechtlicher Hinsicht geht (vgl. zur Rechtslage im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO Beschluss des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. August 2003 – BVerwG 20 F 3.03 – BVerwGE 118, 352 ≪354 f.≫), mag dahinstehen, weil – wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt – der Beschwerde der Beigeladenen unabhängig davon stattzugeben ist. Dementsprechend kann auch zugunsten der Antragstellerin unterstellt werden, dass dem Verwaltungsgericht anstelle der Einsichtnahme in die umstrittenen Unterlagen andere Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung nicht zur Verfügung stehen.
Die streitigen Unterlagen sind jedenfalls deswegen nicht im Eilverfahren vorzulegen, weil sich nicht gemäß § 138 Abs. 2 TKG feststellen lässt, dass das Interesse der Antragstellerin an der Vorlage der Unterlagen das Interesse der Beigeladenen an der Geheimhaltung überwiegt. Zu diesem Ergebnis ist der Senat aufgrund folgender Erwägungen gelangt:
Mit welchem Gewicht der der Beigeladenen grundsätzlich zukommende verfassungsrechtliche Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in die nach § 138 Abs. 2 TKG vorzunehmende Interessenabwägung eingestellt werden muss, ist derzeit offen. Zwar hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO in seinem Beschluss vom 15. August 2003 – BVerwG 20 F 8.03 – (DVBl 2004, 62) ausgeführt, dass das Interesse der Beigeladenen am Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse hinter dem Interesse der Wettbewerber der Beigeladenen an der effektiven gerichtlichen Kontrolle der Entscheidungen der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zurücktreten müsse, weil die Beigeladene das Eigentum an ihren Telekommunikationsnetzen von vornherein nur mit den ihrer Herkunft aus einem früheren Staatsmonopolbetrieb entsprechenden Pflichten erworben habe und die Verfassung selbst und in Übereinstimmung damit das Telekommunikationsgesetz das Ziel vorgäben, in einem monopolistisch strukturierten Markt chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerb herzustellen. Dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss gefolgt. Die Entscheidung des Fachsenats vom 15. August 2003 (a.a.O.) betrifft allerdings die gerichtliche Kontrolle von Entgelten für den Zugang der Wettbewerber zum Netz der Beigeladenen, und die Erwägungen die der Fachsenat in diesem Zusammenhang angestellt hat, lassen sich nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen, in der es um die Kontrolle der Genehmigung eines Endkundentarifs der Beigeladenen geht. Es kommt hinzu, dass die Beigeladene die genannte Entscheidung des Fachsenats mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen hat, über die das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden hat. Das Bundesverfassungsgericht (Kammer) hat in der Begründung seines Beschlusses vom 5. Februar 2004 (– 1 BvR 2087 und 2111/03 – NVwZ 2004, 719 ≪720≫), mit dem es Anträgen der Beigeladenen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben hat, dargelegt, dass im Rahmen der noch ausstehenden Entscheidungen über die Verfassungsbeschwerden 1 BvR 2087 und 2011/03 die Reichweite des Schutzes der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse auch im Hinblick darauf zu klären sei, dass die Geheimnisse sich auf einen nach Telekommunikationsrecht regulierten Bereich beziehen und dabei ein in der Zeit eines staatlichen Monopols entstandenes Betätigungsfeld betroffen ist, auf dem Wettbewerb gegenwärtig nur beschränkt besteht.
Die sonach gebotene weitere Abwägung ergibt, dass das Interesse an dem Vorenthalten der Unterlagen dasjenige an ihrer Offenlegung überwiegt. Werden die Unterlagen im Eilverfahren vorgelegt, wären die in ihnen enthaltenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bei Gewährung von Akteneinsicht nach § 100 VwGO der Antragstellerin auch für das Hauptsacheverfahren bekannt. Die der Beigeladenen dadurch entstehenden Nachteile könnten nicht mehr rückgängig gemacht werden. Würden die Unterlagen im Eilverfahren vorenthalten und erfolgte ihre Offenlegung erst im Hauptsacheverfahren, würde dies den Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes in dem Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung berühren. Die Kenntnis der in den streitigen Unterlagen enthaltenen Angaben könnte ihr möglicherweise bei der Verfolgung ihres Begehrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes von Nutzen sein. Ihrem Interesse an der Offenlegung der Unterlagen ist aber geringeres Gewicht beizumessen als dem Interesse der Beigeladenen an der Geheimhaltung ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich die Antragstellerin in der Lage sieht, die von ihr behauptete Verletzung des Abschlagsverbots selbst auf der Grundlage der von ihr abgelehnten Formel “IC+25%”, von der die Antragsgegnerin ausgeht, auch ohne Kenntnis der vorenthaltenen Unterlagen zu begründen, wie der Antragschrift vom 28. Juni 2004 zu entnehmen ist. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des Umstandes, dass im Eilverfahren eine umfassende Sachverhaltsaufklärung ohnehin oft nicht möglich ist, sind die nachteiligen Folgen für die Beigeladene, die durch die irrevisible Offenlegung der Unterlagen im Eilverfahren entständen, gravierender als die Nachteile für die Antragstellerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auf § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Vormeier
Fundstellen