Verfahrensgang
OVG Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 06.07.2022; Aktenzeichen 13 P 550/19 OVG) |
Tenor
Die Sperrerklärung des... vom 13. Juni 2019 ist rechtswidrig.
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 13. Senats des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 6. Juli 2022 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.
Gründe
I
Rz. 1
Gegenstand des dem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahrens ist das Begehren der Klägerin, Auskunft über die zu ihrer Person bei einer Landesverfassungsschutzbehörde gespeicherten Daten zu erhalten.
Rz. 2
1. Nachdem die Klägerin bei dem Beklagten als Landesverfassungsschutzbehörde Auskunft über die zu ihrer Person dort gespeicherten Daten beantragt hatte, teilte dieser ihr im März 2019 mit, dass von ihr personenbezogene Daten erfasst seien, weil Anhaltspunkte den Verdacht rechtfertigten, sie verfolge Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Neben der Kenntnis von ihren biografischen Daten, einem Lichtbild aus dem Internet, ihrer Tätigkeit als Studentin und Unterstützerin bestimmter Organisationen, ihrer Arbeit für einen Verein und als Rednerin auf einer Versammlung würden weitere Informationen - gestützt auf § 26 Abs. 2 Nr. 3 LVerfSchG M-V - nicht mitgeteilt werden. In dem von der Klägerin dagegen betriebenen Klageverfahren beantragte sie Akteneinsicht.
Rz. 3
2. Nachdem das Verwaltungsgericht den Beklagten aufgefordert hatte, sämtliche Verwaltungsvorgänge vorzulegen, erklärte dieser als oberste Landesbehörde mit Schriftsatz vom 13. Juni 2019 zum einen, über die vorgelegten Unterlagen hinaus werde die Vorlage weiterer Verwaltungsvorgänge gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verweigert (Sperrerklärung); zum anderen sei die Klage unbegründet, weil weitere Auskünfte nach § 26 Abs. 2 LVerfSchG M-V ermessensgerecht abgelehnt worden seien.
Rz. 4
a) Soweit es die Sperrerklärung betrifft, ist ausgeführt, die davon erfassten Erkenntnisse seien als Verschlusssache eingestuft. Das Bekanntwerden der Akteninhalte würde dem Wohl des Landes Nachteile bereiten, weil es geeignet sei, die künftige Arbeit des Verfassungsschutzes zu erschweren. Die Bekanntgabe dieser Unterlagen über nicht offenkundige Erkenntnisse würde Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation und auf die Arbeitsweise und Methodik des Verfassungsschutzes ermöglichen. Gleichzeitig würden das Umfeld und die Arbeitsweise derjenigen Personen bekannt werden, die die Informationen beschafft und zusammengetragen hätten. Dadurch könne auf deren Identität geschlossen und die Gesundheit, das Leben oder die Freiheit von Menschen gefährdet werden.
Rz. 5
In dem vorgelegten Verwaltungsvorgang seien Sachverhalte/Daten geschwärzt worden, die Bestandteil der Sperrerklärung seien. Der vorgelegte Verwaltungsvorgang untergliedere sich in die Abschnitte 1. Offene Dokumente und 2. Interne Dokumente. Die internen Dokumente seien unter Berücksichtigung der ursprünglichen VS-Einstufung teilweise geschwärzt worden, wie sich aus dem Vorblatt und den dort aufgeschlüsselten Kategorien A - D ergebe. In die Kategorie A fielen Aktenzeichen, Organisationskennzeichen, Signaturen, in die Kategorie B Verfügungen, in die Kategorie C namentliche Hinweise auf Sachbearbeiter, Durchwahlnummern und in die Kategorie D schutzwürdige Belange Dritter (Quellenbezeichnungen, Namen anderer Personen). Vollständig entnommen und nicht vorgelegt würden Dokumente wegen der möglichen Gefährdung von Informationsquellen. Zu Dokumenten der Kategorie A (interne Dokumente) sei anzumerken, dass eine relevante Beschneidung der Sachverhaltsaufklärung nicht ersichtlich sei. Zur Dokumentenkategorie B ist ausgeführt, dass Arbeitsanweisungen oder Beschaffungsaufträge nicht offengelegt würden, weil der Verfassungsschutz seinen verfassungsmäßigen Auftrag dann nicht mehr erfüllen könne. Zu Dokumenten der Kategorie D heißt es, beim Vorliegen schutzwürdiger Belange Dritter sei die Gewichtung zu deren Gunsten erfolgt, weil kein vorrangiges Aufklärungsinteresse oder ein schützenswertes Individualinteresse der Klägerin an der entsprechenden Auskunft feststellbar sei. Zu den Dokumenten aus Maßnahmen nach § 10 Abs. 1 LVerfSchG M-V heißt es zudem, über den gesetzlich definierten Auskunftsanspruch hinaus bestehe kein Anspruch der Klägerin, über den Umweg der Akteneinsicht faktisch eine Übersicht darüber zu erhalten, welche nachrichtendienstlichen Einzelmaßnahmen sie beträfen.
Rz. 6
b) Soweit es die sich zu den Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 Nr. 3 LVerfSchG M-V verhaltende Klageerwiderung betrifft, ist unter anderem ausgeführt, die Gefährdung von Personen reduziere das behördliche Ermessen auf nahezu Null, so dass das Interesse der Klägerin an einer dem Art. 19 Abs. 4 GG gerecht werdenden Prozessführung hinter dem Geheimhaltungsinteresse zurücktreten müsse.
Rz. 7
3. Unter dem 9. Juli 2019 beantragte die Klägerin festzustellen, dass die Sperrerklärung rechtswidrig ist. Sie lasse schon nicht die Würdigung ihrer rechtsschutzverkürzenden Wirkung erkennen. Wegen der rechtsschutzverkürzenden Wirkung stehe der obersten Aufsichtsbehörde indes auch in den Fällen Ermessen zu, in denen das Fachgesetz kein Ermessen einräume. Die Gründe für die Geheimhaltung einer Information seien von denen zu unterscheiden, die dafür im Hauptsacheverfahren vorgebracht werden könnten. Es treffe auch nicht zu, dass die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Informationen sowie von Informationen über Quellen, Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung pauschal zur Verweigerung der Aktenbestandteile berechtigten.
Rz. 8
4. Der Vorsitzende der Kammer des Verwaltungsgerichts hat dem Oberverwaltungsgericht am 16. Juli 2019 die Akten mit dem Hinweis vorgelegt, dass es nach Auffassung der Kammer keines vorherigen Beweisbeschlusses bedurft habe. Denn zweifelsfrei bestehe die Entscheidungserheblichkeit, wenn - wie vorliegend - die Entscheidung des Hauptsacheverfahrens allein von der Frage abhänge, ob die Akten geheimhaltungsbedürftig seien.
Rz. 9
5. Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag der Klägerin mit Beschluss vom 6. Juli 2022 abgelehnt.
Rz. 10
Der Antrag sei zulässig. Der Vermerk und das Schreiben des Kammervorsitzenden vom 16. Juli 2019 stellten eine ausreichende Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der verweigerten Akten dar. Obwohl der Vermerk nur vom Vorsitzenden unterschrieben sei, sei er der Kammer zuzurechnen. Zudem bedürfe es einer förmlichen Verlautbarung zur Entscheidungserheblichkeit dann nicht, wenn - wie vorliegend - die Pflicht zur Vorlage der Behördenakten allein Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens sei. Die Frage, ob der Auskunftsanspruch der Klägerin nach § 26 Abs. 2 Satz 1 LVerfSchG M-V ausgeschlossen sei, könne allein unter Rückgriff auf die Verwaltungsvorgänge beantwortet werden.
Rz. 11
Der Antrag sei indes unbegründet, weil die Sperrerklärung rechtmäßig sei. Die Sichtung der im Original vorgelegten Verwaltungsvorgänge habe ergeben, dass deren Vorlage tatsächlich dem Wohl des Landes Nachteile bereiten würde bzw. die Vorgänge ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssten. Die Sperrerklärung weise auch keine Ermessensfehler auf. Der Beklagte habe eine auf den Rechtsstreit bezogene und auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten im Hauptsacheverfahren beruhende Ermessensentscheidung getroffen. Er habe bereits in der streitgegenständlichen Verwaltungsentscheidung ausgeführt, dass eine Gegenüberstellung der insoweit miteinander konkurrierenden Rechtsgüter - in Form des individuellen Informationsinteresses der Klägerin auf der einen Seite sowie dem persönlichen Schutzbedürfnis von Quellen und dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Erfüllung des gesetzlichen Auftrages der Verfassungsschutzbehörde auf der anderen Seite - dazu führe, dass der Auskunftsanspruch zurückzustehen habe. Daneben lasse auch die Begründung der Sperrerklärung im (klageerwidernden) Schriftsatz erkennen, dass der Beklagte vor Abgabe der Sperrerklärung das Informationsinteresse der Klägerin auf der einen Seite sowie das persönliche Schutzbedürfnis von Quellen und das öffentliche Interesse an einer wirksamen Erfüllung des gesetzlichen Auftrages der Verfassungsschutzbehörde auf der anderen Seite in seine Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO einbezogen habe.
Rz. 12
6. Mit ihrer am 25. Juli 2022 eingelegten Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts.
II
Rz. 13
Die Beschwerde hat Erfolg.
Rz. 14
1. Die zulässige Beschwerde ist nicht schon deswegen begründet, weil das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen nicht in ordnungsgemäßer Form bejaht hat (BVerwG, Beschluss vom 18. November 2021 - 20 F 12.20 - juris Rn. 6 m. w. N.). Ob die schlichte Mitteilung des Kammervorsitzenden vom 16. Juli 2019 ausreicht, um die für die Zulässigkeit des Antrags nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Entscheidungserheblichkeit der begehrten Aktenvorlage für das Hauptsacheverfahren darzulegen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. September 2017 - 20 F 11.16 - juris Rn. 7 und vom 20. Dezember 2018 - 20 F 5.18 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 75 Rn. 12), begegnet zwar Zweifeln, da grundsätzlich ein der Sperrerklärung vorausgehender förmlicher Beweisbeschluss und dieser - wie vorliegend verwaltungsprozessual geboten - durch den Spruchkörper zu fassen ist. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat jedoch zutreffend ausgeführt, dass die Mitteilung des Kammervorsitzenden auf einen vorangegangenen Beschluss des Spruchkörpers schließen lässt. In diesem Fall kann ein Vorlageschreiben für die Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit jedenfalls dann ausreichen, wenn die Beiziehung der Behördenakte für die Entscheidung des Hauptsacheverfahrens - wie hier - unumgänglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. November 2021 - 20 F 12.20 - juris Rn. 7).
Rz. 15
2. Die Sperrerklärung ist rechtswidrig.
Rz. 16
a) Der Senat lässt dahingestellt, ob die - in der Sperrerklärung nicht nach ihren drei Varianten differenziert ausgewiesenen - Verweigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorliegen. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte die Relevanz einer Einstufung von Akten als VS-Sache im Verfahren nach § 99 VwGO richtig erkannt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juni 2017 - 20 F 12.16 - juris Rn. 10). Selbst wenn dies der Fall wäre, ist die Sperrerklärung jedenfalls ermessensfehlerhaft.
Rz. 17
b) Die oberste Aufsichtsbehörde ist im Rahmen einer Prüfung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gefordert, in besonderer Weise die rechtsschutzverkürzende Wirkung der Verweigerung der Aktenvorlage für den Betroffenen zu beachten. Darin liegt die Besonderheit ihrer Ermessensausübung nach dieser Regelung. Dementsprechend steht ihr selbst in den Fällen ein Ermessen zu, in denen das Fachgesetz es der jeweiligen Fachbehörde nicht einräumt (BVerwG, Beschluss vom 7. April 2020 - 20 F 2.19 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 89 Rn. 31). Eine darauf bezogene Ermessensentscheidung ist der - insoweit allein maßgeblichen - Sperrerklärung (Seite 1 - 4 Mitte) indes nicht entnehmbar, selbst wenn der klageerwidernde Teil des Schriftsatzes vom 13. Juni 2019 (Seite 4 Mitte - 6) zu ihrer Auslegung mit herangezogen wird.
Rz. 18
Die Sperrerklärung erwähnt zwar im Zusammenhang mit dem Dokumententyp D ein vorrangiges Aufklärungsinteresse oder ein schützenswertes Individualinteresse der Klägerin oder im Zusammenhang mit dem Dokumententyp B ein (weniger) schützenswertes Interesse der Klägerin an der Offenlegung; zugleich nimmt sie jedoch bezogen auf den Dokumententyp A an, dass eine relevante Beschneidung der Sachverhaltsaufklärung nicht ersichtlich sei. Die rechtlichen Interessen der Klägerin stellt sie indes allein wegen der gesetzlichen Verweigerungsgründe zurück, ohne - wie von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gefordert - zu erwägen, die streitigen Informationen gleichwohl (teilweise) freizugeben.
Rz. 19
Deutlich wird die Motivation dieses Ermessensnichtgebrauchs durch die - im Zusammenhang mit Maßnahmen nach § 10 Abs. 1 LVerfSchG M-V anzutreffende - Begründung, über den (fach-)gesetzlich definierten Auskunftsanspruch hinaus dürfe die Klägerin nicht über den Umweg der Einsicht in den Verwaltungsvorgang faktisch Kenntnis von der Übersicht nachrichtendienstlicher Einzelmaßnahmen erlangen. Damit hat der Beklagte aber den Charakter des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO als im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten Auskunftsansprüchen prozessrechtliche Spezialnorm verkannt, die eine Informationsfreigabe auch jenseits fachgesetzlicher Verweigerungsgründe eröffnet (BVerwG, Beschluss vom 21. August 2012 - 20 F 5.12 - juris Rn. 6). Aus diesem Grund können auch nicht, wie der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts meint, die Ermessenserwägungen des Beklagten in der vorangegangenen Verwaltungsentscheidung zu § 26 Abs. 2 LVerfSchG M-V in die prozessuale Ermessensentscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO hineingelesen werden.
Rz. 20
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Fundstellen