Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Zuständigkeitsbestimmung nach Abschluss des Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
1. Für einen Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 53 Abs. 3 VwGO ist nach Ergehen einer nicht mehr anfechtbaren instanzabschließenden Entscheidung kein Raum mehr.
2. Sind nach dem jeweiligen Landesrecht zur Begründung eines Gastschulverhältnisses in einem anderen Bundesland sowohl eine Entscheidung des abgebenden wie des aufnehmenden Landes erforderlich, liegen zwei Streitgegenstände vor und die Annahme einer notwendigen Streitgenossenschaft ist ausgeschlossen. In diesem Fall scheidet die Bestimmung eines für beide Verfahren zuständigen Gerichts aus.
Normenkette
GG Art. 30; VwGO § 52 Nr. 3 Sätze 1, 5, § 53 Abs. 3, § 121 Nr. 1, § 152 Abs. 1
Gründe
I
Rz. 1
Die in Niedersachsen wohnhafte Antragstellerin, bei der ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht, möchte gastweise die Förderschule E. in der Trägerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg besuchen.
Rz. 2
Ihre Eltern beantragten im Mai 2016 für die Antragstellerin bei der Niedersächsischen Landesschulbehörde die Zustimmung für den Besuch der Förderschule E. in Hamburg. Dieses Begehren lehnte die Behörde mit Bescheid vom 20. Juni 2016 ab. Über die Klage ist noch nicht entschieden; der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte im Beschwerdeverfahren Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat die Niedersächsische Landesschulbehörde mit Beschluss vom 14. Dezember 2016 (Az.: 2 ME 199/16) gemäß § 123 VwGO verpflichtet, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorläufig dem Besuch der Antragstellerin in der Schule E. in Hamburg zuzustimmen. Daraufhin erteilte die Niedersächsische Landesschulbehörde mit Bescheid vom 20. Dezember 2016 "vorbehaltlich der Gewährung des Gastschulrechts durch die Behörde für Schule und Berufsbildung in Hamburg" ihre vorläufige Zustimmung zum Besuch der Antragstellerin in der Schule E. in Hamburg.
Rz. 3
Die Schulbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg lehnte den Antrag auf gastweise Beschulung der Antragstellerin mit Bescheid vom 10. Januar 2017 ab. Zur Begründung führte sie aus, das zwischen den Ländern Niedersachsen und Hamburg geschlossene Gastschulabkommen sei auf den hier vorliegenden Förderbedarf nicht ausgerichtet. Über den dagegen erhobenen Widerspruch wurde noch nicht entschieden.
Rz. 4
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 16. Februar 2017 abgelehnt. Zwar sei das angerufene Gericht zuständig, da niedersächsische Verwaltungsgerichte über die Verpflichtung der Freien und Hansestadt Hamburg zur Aufnahme der Antragstellerin in die Schule E. als eigenem Streitgegenstand nicht zu entscheiden hätten. Der Antrag sei aber unbegründet, da die Antragstellerin nicht beanspruchen könne, gastweise in die Schule E. aufgenommen zu werden. Ein Anspruch ergebe sich weder aus der einstweiligen Anordnung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2016, der die Freie und Hansestadt Hamburg weder persönlich noch in der Sache binde, noch aus dem Bescheid der Niedersächsischen Landesschulbehörde vom 20. Dezember 2016. Das niedersächsische Schulgesetz vermöge die Freie und Hansestadt Hamburg nicht zu verpflichten und aus dem hamburgischen Schulgesetz könne die in Niedersachsen wohnende Antragstellerin keine Rechte herleiten. Das zwischen beiden Ländern geschlossene Verwaltungsabkommen über die Verbürgung der Gegenseitigkeit und Gleichbehandlung für den Besuch öffentlicher Schulen (Gegenseitigkeitsabkommen vom 10. Juli 1963) nebst Ergänzungsabkommen vom 13. Juni 1996 begründe mangels Qualität einer Außenrechtsnorm keine Ansprüche. Des Weiteren bestehe auch kein Anspruch aufgrund einer Selbstbindung der Verwaltung, da selbst Kinder aus Hamburg mit einem Förderschwerpunkt "geistige Entwicklung" nicht in die Schule E. mit dem Förderschwerpunkt "körperliche und motorische Entwicklung" aufgenommen würden. Schließlich vermittelten weder die Grundrechte der Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 GG noch das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention) der Antragstellerin den geltend gemachten Anspruch auf gastweise Aufnahme in die Schule E.
Rz. 5
Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde der Antragstellerin mit Beschluss vom 28. Februar 2017 zurückgewiesen. Es hat die Auffassung der Vorinstanz bestätigt, dass § 121 VwGO keine Rechtskrafterstreckung der Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts für die hamburgischen Behörden begründe. Eine Bindung bestehe auch nicht im Hinblick auf den Förderungsbedarf der Antragstellerin, da eine Körperbehinderung der Antragstellerin als leitender Förderschwerpunkt weder vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht noch von der Schulbehörde festgelegt worden sei.
Rz. 6
Die Antragstellerin beantragt nunmehr beim Bundesverwaltungsgericht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 und 4 VwGO
zu bestimmen, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Hamburg im Hinblick auf eine von der Antragstellerin beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht erfolgreich erteilte Zustimmung zum Besuch der Schule E. in Hamburg nicht zuständig ist, soweit die darüber hinaus von der Hamburger Schulbehörde verlangte ausdrückliche Antragstellung nebst Überprüfung einer ausreichenden Kapazität in der Schule E. in Hamburg nicht tangiert ist.
Rz. 7
Sie ist der Auffassung, die hamburgischen Verwaltungsgerichte hätten auf der Grundlage der vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht erlassenen einstweiligen Anordnung ihre Zustimmung zur Gastbeschulung erteilen müssen.
II
Rz. 8
Der Antrag ist unzulässig. Eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 oder 4 VwGO i.V.m. § 53 Abs. 3 VwGO kommt vorliegend nicht in Betracht. Für einen solchen Antrag ist nach Beendigung eines mit einer Sachentscheidung abgeschlossenen Verfahrens kein Raum (1.). Zudem enthält das Prozessrecht für die hier vorliegende Fallkonstellation eine widerspruchsfreie Zuweisung der gerichtlichen Zuständigkeit (2.).
Rz. 9
1. Der gestellte Antrag ist dahingehend auszulegen, dass sich die begehrte Zuständigkeitsbestimmung auf die (bereits abgeschlossenen) Verfahren der einstweiligen Anordnung beschränkt. Er bezieht sich - wie aus der Begründung ersichtlich - in seiner negativen Zielrichtung nur auf die Wirkungen des vor den hamburgischen Verwaltungsgerichten erfolglos durchgeführten Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Rz. 10
Für einen Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 53 Abs. 3 VwGO ist nach Ergehen einer nicht mehr anfechtbaren instanzabschließenden Entscheidung kein Raum mehr (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 53 Rn. 12). Denn die Bestimmung der Zuständigkeit ist immer nur mit Blick auf eine noch ausstehende gerichtliche Entscheidung in der Instanz möglich, nicht aber, wenn eine abschließende Entscheidung bereits getroffen worden oder die Zuständigkeitsfrage gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 5 GVG im Rechtsmittelverfahren nicht mehr zu prüfen ist. Damit ist der Antrag in diesem Stadium des Verfahrens bereits unzulässig.
Rz. 11
In Wahrheit versucht die Antragstellerin im Gewande eines Antrags auf Zuständigkeitsbestimmung, die Wirkungen der vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht erlassenen einstweiligen Anordnung nachträglich auf die hamburgischen Behörden und Gerichte zu erstrecken und die ihr nachteilige Sachentscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts auszublenden. Diesem Angriff nach Art eines Rechtsmittels gegen die vom Hamburgischen Oberverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren getroffene Entscheidung steht jedoch der in § 152 Abs. 1 VwGO geregelte Rechtsmittelausschluss entgegen.
Rz. 12
2. Im Übrigen sind die hamburgischen Verwaltungsgerichte zutreffend davon ausgegangen, dass die Verwaltungsgerichtsordnung für die hier vorliegende Fallkonstellation eine widerspruchsfreie Zuweisung der gerichtlichen Zuständigkeiten enthält. Für eine Zuständigkeitsbestimmung ist daher auch aus sachlichen Gründen kein Raum (BVerwG, Beschlüsse vom 10. Juli 1972 - 2 ER 400.72 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 5; vom 19. Juli 1979 - 6 ER 400.79 - BVerwGE 58, 225 ≪228≫ und vom 7. Februar 2006 - 1 AV 1.06 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 30). Die Antragstellerin widersetzt sich mit ihrem Begehren der Einsicht, dass in der vorliegenden länderübergreifenden Fallkonstellation, in der ein Gastschulverhältnis in einem anderen Bundesland begründet werden soll, sachlich zwei Rechtsverhältnisse und damit prozessrechtlich zwei Streitgegenstände vorliegen.
Rz. 13
Das Schulrecht unterliegt gemäß Art. 30 GG der Landesgesetzgebung. Solange aber die Begründung von Gastschulverhältnissen nicht staatsvertraglich oder gesetzlich koordiniert zwischen den betroffenen Ländern in normativ verbindlicher Weise geregelt und nicht zudem gesetzlich angeordnet ist, dass eine (gemeinsame) Stelle für beide Länder verbindlich entscheidet, erstrecken sich die Rechtswirkungen von Entscheidungen niedersächsischer Schulbehörden nur auf das Gebiet ihres Landes. Damit vermag eine Zustimmung der niedersächsischen Landesschulbehörde zur Begründung eines Gastschulverhältnisses in Hamburg keine rechtlich verbindliche Wirkung gegenüber den hamburgischen Schulbehörden zu entfalten. Daran ändern auch die zwischen den Ländern abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarungen nichts. Denn diese besitzen mangels gesetzlicher Transformation keine Rechtsnormqualität, so dass es auf die darauf aufbauende Frage der Begründung subjektiver Rechte für die betroffenen Antragsteller nicht ankommt. Vielmehr müssen im Bundesstaat - so unbefriedigend das für die Betroffenen in länderübergreifenden Fällen auch sein mag - (vermeintliche) Ansprüche gegenüber dem jeweils zuständigen Verwaltungsträger gesondert geltend gemacht werden.
Rz. 14
Nach den zwischen Hamburg und Niedersachsen gesetzlich nicht koordinierten Regelungen ist zur Begründung eines Gastschulverhältnisses in dem jeweils anderen Land sowohl eine Entscheidung des abgebenden wie auch des aufnehmenden Landes notwendig. Damit sind zwei begünstigende Verwaltungsakte in zwei selbständigen Rechtsverhältnissen erforderlich und nicht etwa nur eine Entscheidung, die den Ländern gemeinschaftlich obliegt. Dieser fachrechtliche Befund hat prozessrechtlich zur Konsequenz, dass zwei Streitgegenstände vorliegen und eine notwendige Streitgenossenschaft ausgeschlossen ist. Denn der Begriff des Streitgegenstands als Kern des Prozessrechtsverhältnisses enthält mit Blick auf den als Beklagten auszuwählenden Anspruchsgegner auch ein personales oder subjektives Element (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl 2014, § 91 Rn. 20).
Rz. 15
Die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ist bei einer Mehrheit von Ansprüchen für jeden Streitgegenstand gesondert zu prüfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. September 1975 - 7 ER 400.75 - Buchholz 310 § 53 Nr. 9; Kraft, in: Eyermann, a.a.O., § 52 Rn. 8). Sie richtet sich hier nach § 52 Nr. 3 Satz 1 und 5 VwGO. Demzufolge liegt, da eine notwendige Streitgenossenschaft nicht gegeben ist (vgl. dazu: BVerwG, Beschlüsse vom 1. Dezember 1993 - 2 AV 7.93 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 23 und vom 17. Juli 2002 - 6 AV 2.02 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 29), im vorliegenden Fall - wie vom Oberverwaltungsgericht Hamburg zutreffend bemerkt - kein Problem der örtlichen Zuständigkeit vor. Vielmehr verkennt die Antragstellerin die sachlich und persönlich gemäß § 121 Nr. 1 VwGO beschränkte Reichweite der Rechtskraft der vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg erlassenen einstweiligen Anordnung.
Fundstellen
Haufe-Index 10865471 |
DÖV 2017, 740 |