Verfahrensgang

Hessischer VGH (Aktenzeichen 9 UE 677/96)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Juni 2001 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese auf sich behält.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

1. Die Kläger rügen als Verfahrensmangel zunächst, das Berufungsgericht hätte einen Augenschein einnehmen sollen. Sie legen aber nichts dafür dar, welche für den Rechtsstreit erheblichen weiteren Erkenntnisse sich durch eine Besichtigung vor Ort hätten ergeben können. Ein Verfahrensmangel ist jedoch nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. November 1992 – BVerwG 3 B 52.92 – Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5). Zu dem von der Beschwerde behaupteten Aufklärungsmangel hätte dementsprechend substantiiert dargelegt werden müssen, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung des Augenscheins voraussichtlich getroffen worden wären. Dies versteht sich vorliegend auch nicht ohne weiteres von selbst; denn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs kam es nach seiner insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung auf die Berechnungen und geometrischen Darstellungen über das in den betroffenen Raum im Gebäude der Kläger einfallende Licht an; für derartige Beurteilungen können bildliche Darstellungen, wie sie auch vorliegend angefertigt worden sind, wesentlich besser, mindestens aber ebenso gut geeignet sein, wie eine Betrachtung der Verhältnisse an Ort und Stelle.

Weiterhin hätte dargelegt werden müssen, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, entweder auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1986 – BVerwG 8 C 10.84 – BVerwGE 74, 222 ≪223≫). Lediglich schriftsätzlich angekündigte Beweisanträge genügen den letztgenannten Anforderungen nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1995 – BVerwG 6 B 81.94 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Verwaltungsgerichtshof den Termin zur mündlichen Verhandlung in der betreffenden Gemeinde anberaumt hat und in der Ladung von einereventuellen Beweisaufnahme die Rede ist. Dieser Hinweis sowie der Schriftwechsel zu einer früheren Ladung stellen nicht in Frage, dass das Berufungsgericht erst nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, in der die Belichtungssituation ausweislich der darüber angefertigten Niederschrift eingehend erörtert worden ist, darüber zu entscheiden hatte, ob ein Augenschein (noch) notwendig ist oder nicht. Ausweislich der Niederschrift haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gemäß § 86 Abs. 2 VwGO gestellt; nur ein solcher löst die im Gesetz genannte Folge aus, dass er nur durch einen Gerichtsbeschluss, der zu begründen ist, abgelehnt werden kann.

Aus dem soeben Ausgeführten ergibt sich, dass auch die Rüge, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft kein Sachverständigengutachten eingeholt, nicht ordnungsgemäß dargelegt ist.

2. Ferner rügen die Kläger, es habe sich um eine Überraschungsentscheidung gehandelt. Dabei beziehen sie sich auf ein sehr ausführliches Hinweisschreiben des Berichterstatters vom 28. März 2000, in dem dieser die Frage behandelt, wie der Lichteinfall beim Grundstück der Kläger tatsächlich und rechtlich zu beurteilen ist. Hierauf hat der Beklagte jedoch bereits mit Schreiben vom 18. April 2000 geantwortet und unter Hinweis auf weitere Einzelheiten dargelegt, dass eine ausreichende Belichtung gewährleistet sei. Auch in der mündlichen Verhandlung am 7. Juni 2001 hat der Vertreter des Beklagten ausweislich der Niederschrift aus seiner Sicht „anhand vorgelegter Skizzen die Berechnung der Belichtungssituation” dargestellt. Im Anschluss daran konnten die Kläger nicht mehr davon ausgehen, dass der Verwaltungsgerichtshof seiner Entscheidung uneingeschränkt die früheren den Charakter einer Anfrage bzw. eines Hinweises tragenden Ausführungen des Berichterstatters zugrunde legen werde.

Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich nur dann als unzulässiges „Überraschungsurteil” dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher insbesondere der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1980 – BVerwG 4 C 87.77 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 30; Urteil vom 31. Mai 1983 – BVerwG 4 C 20.83 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 135; Urteil vom 10. April 1991 – BVerwG 8 C 106.89 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235; Beschluss vom 23. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 80.91 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241). Ein Überraschungsurteil liegt danach unter anderem vor, wenn die das angefochtene Urteil tragende Erwägung weder im gerichtlichen Verfahren noch im früheren Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erkennbar thematisiert worden war. Davon kann hier jedoch keine Rede sein. Die „Überraschung” der Kläger liegt vorliegend vielmehr darin begründet, dass das Berufungsgericht seine im Berichterstatterschreiben geäußerte vorläufige Einschätzung nach weiterer eingehender Befassung mit dem Sachverhalt und seiner rechtlichen Würdigung nicht aufrechterhalten und seinem Urteil als maßgeblich zugrunde gelegt hat. Das Verbot, eine Überraschungsentscheidung zu erlassen, schützt jedoch keinen Beteiligten davor, dass sich ein Gericht auf der Grundlage weiterer Ermittlung des Sachverhalts und Erörterung der Rechtslage von einer vom Berichterstatter nur vorläufig gefassten Einschätzung löst und im Ergebnis zu Ungunsten eines Beteiligten entscheidet, der zuvor eine für ihn günstigere Entscheidung erhofft hatte.

3. Die nach Ansicht der Kläger festzustellende Unvollständigkeit der Behördenakten begründet keinen Fehler des gerichtlichen Verfahrens und kann daher einer Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO von vornherein nicht zum Erfolg verhelfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Paetow, Rojahn, Jannasch

 

Fundstellen

Dokument-Index HI670726

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