Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 22.11.2007; Aktenzeichen 23 B 07.1723) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. November 2007 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 90 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin möchte im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage die Rechtswidrigkeit eines Bescheids über die Rückführung und Beseitigung von Tiermehl festgestellt wissen, das sie als von der Firma K… beauftragte Frachtführerin zur Erprobung seiner Eignung zur Brennstoffherstellung für ein Kraftwerk in Bulgarien ohne Notifizierung aus der Bundesrepublik Deutschland transportiert hatte. Die Firma P… hatte Ende 2000 bis Anfang 2001 1 111 t Tiermehl von der O… GmbH P…, der Tierkörperbeseitigungsanstalt W… (Landkreis B…) und dem Zweckverband Tierkörperbeseitigung H… (Landkreis M…) erworben und eingelagert. Das von der Firma P… Anfang April 2003 verzollte Tiermehl wurde im Auftrag der Firma K… am 24. April 2003 in S… von dem Frachtschiff MS … der Klägerin zum Transport nach Bulgarien geladen. Das Schiff wurde am 28. April 2003 in Serbien an der Weiterfahrt gehindert. Die serbischen Behörden hielten das Tiermehl für Abfall. Auf der Rückfahrt nach Deutschland wurde der Schiffstransport am 1. Juni 2003 vom Zoll in Wien gestoppt.
Das österreichische Umweltministerium stufte das Tiermehl mit Bescheid vom 6. Juni 2003 als nicht in den Anhängen II bis IV der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 gelisteten Abfall ein. Es machte die Rückführung des Tiermehls auf der MS … nach S… u.a. von einer entsprechenden Genehmigung der Regierung von Niederbayern abhängig. Mit an die Klägerin und an die Firma P… gerichteten Bescheiden vom 28. Juli 2003 stimmte die Regierung von Niederbayern der Rückführung des Tiermehls auf der Donau nach S… zu und verpflichtete die Bescheidadressaten zur Rückführung und ordnungsgemäßen Entsorgung. Nach Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die Bescheide vom 28. Juli 2003 verpflichtete die Regierung von Niederbayern mit dem angefochtenen Bescheid vom 18. September 2003 die Klägerin, die Firma P… und die Firma K… als Gesamtschuldner zur Rückführung und Entsorgung des als Abfall bezeichneten Tiermehls und ordnete für den Fall der Nichterfüllung die Rückführung und Entsorgung auf deren Kosten an. Die Bescheidadressaten hatten bereits mit Schriftsatz vom 10. September 2003 “ohne Anerkennung einer Rechtspflicht” der Rückführung und Entsorgung des Tiermehls durch die Regierung von Niederbayern zugestimmt. Nach Zustimmung der Republik Österreich am 19. September 2003 veranlasste die Regierung von Niederbayern die Rückführung des Tiermehls nach P… und dessen Verbrennung in Zementwerken außerhalb Bayerns.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die zugelassene Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof die Klage abgewiesen, weil die zuständige Behörde im September 2003 davon habe ausgehen müssen, dass das Tiermehl spezifiziertes Risikomaterial enthalte und infolgedessen als Abfall einzustufen sei, dessen sich die Klägerin habe entledigen und den sie in einer zugelassenen Verbrennungsanlage habe verbrennen lassen müssen. Als spezifiziertes Risikomaterial werden tierische Bestandteile verstanden, in denen mit hoher Wahrscheinlichkeit BSE-Erreger vorkommen, die beim Menschen eine Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit auslösen können. Die Verbringung sei mangels der für Abfall zur Beseitigung erforderlichen Notifizierung illegal gewesen, so dass die zuständige Behörde die zur Erfüllung der Wiedereinfuhrpflicht gebotenen Maßnahmen habe treffen dürfen. Als Besitzerin des Tiermehls und damit als notifizierende Person sei die Klägerin richtiger Adressat der behördlichen Anordnungen gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen der allein geltend gemachten Verfahrensmängel zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Beschwerde bemängelt die Annahme des Verwaltungsgerichthofs, das Tiermehl sei in einem solchen Ausmaß durch spezifiziertes Risikomaterial kontaminiert gewesen, dass es nicht mehr der Grünen Liste (Anhang II zur Verordnung ≪EWG≫ Nr. 259/93, GM 130) unterfallen sei. Mit diesem Vorbringen wird kein Verfahrensmangel gerügt. Die Beschwerde wendet sich vielmehr gegen die gerichtliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die dem materiellen Recht zugeordnet ist und deshalb die Verfahrensrevision nicht eröffnet. Dasselbe gilt für die Rügen, der Verwaltungsgerichtshof habe zu Unrecht die Beweispflicht der Klägerin dafür angenommen, dass das Tiermehl frei von spezifiziertem Risikomaterial sei.
Abgesehen davon ist die Würdigung des Verwaltungsgerichtshofs materiellrechtlich nicht zu beanstanden. Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, das Ende 2000/Anfang 2001 aus P… gelieferte Tiermehl sei noch im Jahr 2000 hergestellt worden. Da der Anwendungsbereich spezifizierten Risikomaterials ab 1. Januar 2001 erweitert und seitdem außer Schädel, Tonsillen, Rückenmark und Ileum über zwölfjähriger Rinder zusätzlich der Darm von Duodenum bis Rektum sämtlicher Rinder als spezifiziertes Risikomaterial eingestuft wurde, beruht die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, das Tiermehl sei unter Verwendung tierischer Bestandteile hergestellt worden, die erst nach dem Herstellungszeitpunkt als spezifiziertes Risikomaterial anzusehen waren, auf einem Anscheinsbeweis, den die Klägerin nach seiner Überzeugung nicht erschüttert hat. Infolgedessen kann entgegen der Ansicht der Beschwerde keine Rede davon sein, dass der Verwaltungsgerichtshof die Kontamination des Tiermehls mit spezifiziertem Risikomaterial für eine offene Frage gehalten habe (non liquet). Die Rüge der Beschwerde, der Verwaltungsgerichtshof habe einen unzutreffenden Zeitraum für die Lieferung des Tiermehls zugrunde gelegt, lässt außer Acht, dass der Verwaltungsgerichtshof auch für den von der Beschwerde angegebenen Zeitraum angenommen hat, jedenfalls das Tiermehl aus P… sei dort noch vor Ablauf des Jahres 2000 hergestellt worden.
Ohne Bezug zu einem Verfahrensfehler ist auch die Behauptung der Beschwerde, der Verwaltungsgerichtshof habe übersehen, dass der Beklagte den angefochtenen Bescheid nur deshalb erlassen habe, weil Österreich das Tiermehl fälschlich als Abfall eingestuft habe. Die Motive des Beklagten für den Erlass des angefochtenen Bescheids waren für den Verwaltungsgerichtshof nicht entscheidungserheblich. Davon abgesehen kommt es nicht darauf an, ob die Behauptung der Beschwerde einen “kompletten Ermessensausfall” beim Beklagten rechtfertigt. Aus den Gründen des angefochtenen Bescheids ergibt sich, dass der Beklagte selbst davon ausgegangen ist, das Tiermehl sei als Abfall zu behandeln. Im Übrigen stand die Entscheidung, das illegal verbrachte Tiermehl nach Deutschland zurückzuführen und die Kosten der Klägerin sowie den beiden übrigen an der illegalen Verbringung beteiligten Firmen aufzuerlegen, nach Sachlage nicht im Ermessen des Beklagten (Art. 26 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a der Verordnung ≪EWG≫ Nr. 259/93; § 6 Abs. 2 Satz 1 und 3 AbfVerbrG).
Einen Verfahrensfehler ergibt auch nicht das Vorbringen der Beschwerde zu den veterinäramtlichen Bestätigungen, aus denen nach ihrer Ansicht hervorgeht, dass das gelieferte Tiermehl frei von spezifiziertem Risikomaterial gewesen sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Bestätigungen berücksichtigt, aber für nicht entscheidungserheblich gehalten, weil ihre Auslegung ergebe, dass sie auf der Rechtslage im Zeitpunkt der Herstellung des Tiermehls beruhten und die zum 1. Januar 2001 eingetretene Rechtsänderung außer Acht ließen. Die Auslegung der amtlichen Schriftstücke durch den Verwaltungsgerichtshof ist dem materiellen Recht zuzuordnen und lässt keinen Verstoß gegen die Denkgesetze erkennen. Ein Denkfehler liegt nicht bereits dann vor, wenn die tatrichterliche Würdigung auch anders hätte ausfallen können. Denkgesetze werden durch unrichtige Schlussfolgerungen nur dann verletzt, wenn nach dem gegebenen Sachverhalt nur eine einzige Folgerung gezogen werden kann, jede andere Folgerung aus Gründen der Logik schlechterdings unmöglich ist und das Gericht die allein mögliche Folgerung nicht gezogen hat (Beschluss vom 18. Februar 1972 – BVerwG 8 B 3.72/8 C 7.72 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 62; stRspr).
Auch das Vorbringen, in der Berufungserwiderung sei Beweis dafür angeboten worden, dass die O… GmbH bei der Tiermehlproduktion bereits Ende 2000 in Kenntnis der bevorstehenden Änderung der Rechtslage spezifiziertes Risikomaterial getrennt und die Firma P… entgegen den Angaben des leitenden Amtstierarztes Dr. S… vor dem Landesgericht Wien keine Altbestände an Tiermehl aus der Zeit von September bis November 2000 erworben habe, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers. Da ein entsprechender Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht gestellt wurde, läge der sinngemäß geltend gemachte Verstoß gegen die gerichtliche Pflicht zur Sachaufklärung nur dann vor, wenn sich die Beweiserhebung dem Verwaltungsgerichtshof auf der Grundlage seiner materiellrechtlichen Auffassung hätte aufdrängen müssen. Daran fehlt es. Nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs muss die Frage, ob das verbrachte Tiermehl frei von spezifiziertem Risikomaterial war, anhand der im maßgeblichen Zeitpunkt Sommer/Herbst 2003 vorhandenen Unterlagen oder konkreten Anhaltspunkte beantwortet werden; auf nachträgliche Beweisangebote komme es deshalb nicht entscheidungserheblich an. Dabei ließ sich der Verwaltungsgerichtshof offenbar vom Recht der Gefahrenabwehr leiten, bei dem für die Annahme einer Gefahr die ex-ante-Beurteilung maßgeblich bleibt, auch wenn sich nachträglich herausstellt, dass keine Gefahr vorlag. Aus dieser rechtlichen Sicht musste sich dem Verwaltungsgerichtshof weder eine Vernehmung des ehemaligen Prokuristen S…, des Geschäftsführers H… der O… GmbH und des Frachtführers S… noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens aufdrängen. Das gilt auch dann, wenn die materiellrechtliche Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs fehlerhaft sein sollte.
Soweit die Beschwerde beanstandet, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt habe, ob mit spezifiziertem Risikomaterial kontaminiertes Tiermehl bei seiner Verwertung als Brennstoff zu einem gegenüber nicht kontaminiertem Tiermehl erhöhten Umweltrisiko führe, das den Ausschluss des hier in Rede stehenden Tiermehls von der Grünen Liste zu Folge hätte, übersieht sie ebenfalls die fehlende Entscheidungserheblichkeit einer solchen Feststellung. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, dass das Tiermehl als Abfall zur Beseitigung einzustufen sei. Es bedurfte deshalb aus der rechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichtshofs nicht der Feststellung, die der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 1. März 2007 – Rs. C-176/05 – für den Fall zu treffen anheim gegeben hatte, dass das Tiermehl zur Verwertung bestimmt sei.
Die von der Beschwerde sinngemäß erhobene Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ist unbegründet. Die Beschwerde sieht in der angegriffenen Entscheidung ein Überraschungsurteil, weil sich schon aus der Verhandlungsniederschrift ergebe, dass dessen tragende Gründe in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof “gänzlich unerwähnt” geblieben seien. Nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen seien die Bestätigung, dass das Tiermehl kein spezifiziertes Risikomaterial enthalten habe, die Rechtsbehauptung, dass das Tiermehl als Material der Kategorie 1 im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1774/2002 vom 3. Oktober 2002 der Beseitigungspflicht nach Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung unterfalle, und die erstmals im Urteil aufgestellte Behauptung, das Tiermehl sei in einem Ausmaß kontaminiert, dass es von der Grünen Liste ausgeschlossen sei.
Das Beschwerdevorbringen ergibt den geltend gemachten Verfahrensfehler nicht. Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich als unzulässiges Überraschungsurteil dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der insbesondere der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (Beschluss vom 23. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 80.91 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241; stRspr). Ein Überraschungsurteil liegt danach vor, wenn die das angefochtene Urteil tragenden Erwägungen weder im gerichtlichen Verfahren noch im früheren Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erkennbar thematisiert worden waren. Das trifft auf die von der Beschwerde bezeichneten Gründe schon deshalb nicht zu, weil diese allesamt Gegenstand des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (a.a.O.) sind, das sich in den Akten des Verwaltungsgerichtshofs befindet und in den Gründen der angegriffenen Entscheidung in Bezug genommen wird. Die angeblich nicht erörterten Gründe waren außerdem Gegenstand des Berufungsvorbringens des Beklagten. Überdies wurden sie bereits im erstinstanzlichen Urteil behandelt, das allerdings andere rechtliche Schlüsse gezogen hat als der Verwaltungsgerichtshof. Dass die Gründe nicht in dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof wiedergegeben werden, besagt nichts anderes; denn die in der mündlichen Verhandlung zu erörternden Rechtsfragen gehören nicht zu den Vorgängen, die im Verhandlungsprotokoll zu dokumentieren sind. Angesichts dessen kann von einem Überraschungsurteil keine Rede sein.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Sailer, Herbert, Guttenberger
Fundstellen