Verfahrensgang

OVG Berlin (Aktenzeichen 3 B 22.95)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 10. Januar 2000 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

Die allein auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers ist nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargetan und liegt im übrigen auch nicht vor.

Die Beschwerde sieht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers zunächst darin, daß das Berufungsgericht durch Beschluß nach § 130 a VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, obwohl auch im erstinanzlichen Verfahren eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden hat, weil die Prozeßbeteiligten gegenüber dem Verwaltungsgericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben. Die Beschwerde meint, diese Verfahrensweise verstoße gegen den Grundsatz, daß der Rechtssuchende wenigstens einmal Gelegenheit haben solle, sich in einer mündlichen Verhandlung zu äußern. Im Falle eines Gerichtsbescheides sei dies durch das 6. VwGOÄndG dadurch sichergestellt, daß es den Rechtsbehelf des Antrags auf mündliche Verhandlung nach § 84 Abs. 2 VwGO gäbe. Ein entsprechender Rechtsbehelf sei gegen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 VwGO nicht gegeben. Zwar könne nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Oberverwaltungsgericht grundsätzlich auch dann im vereinfachten Berufungsverfahren durch Beschluß entscheiden, wenn erstinstanzlich im Einverständnis mit den Beteiligten eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergangen sei. Hier habe aber ein Ausnahmefall vorgelegen, in dem die Anwendung von § 130 a VwGO ermessensfehlerhaft sei. Denn der Kläger habe auf mündliche Verhandlung seinerzeit nur deshalb verzichtet, weil er gewußt habe, daß die zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts in seinem Fall eine Gruppenverfolgung bejahen und der Klage stattgeben würde. Es sei deshalb nicht erforderlich gewesen, sich Gehör zu verschaffen und das individuelle Schicksal vorzutragen. Diese Notwendigkeit sei erst im Berufungsverfahren entstanden, als dem Kläger bekanntgeworden sei, daß das Berufungsgericht die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht teile. Mit dem Grundsatz, daß das rechtliche Gehör im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch mündliche Verhandlung zu gewähren sei, sei es nicht vereinbar, wenn der Kläger einen fast sechsjährigen Asylrechtsstreit führe, ohne einmal einen der damit befaßten Richter gesehen oder mit ihm gesprochen zu haben.

Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht schlüssig dargetan. Ob das Berufungsgericht den ihm nach § 130 a VwGO eröffneten Weg der Entscheidung durch Beschluß ohne mündliche Verhandlung beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist (st. Rspr., z. B. BVerwG, Beschluß vom 10. April 1992 – BVerwG 9 B 142.91 – Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 5). Die Beschwerde zeigt einen solchen Ermessensfehler nicht auf. Der Umstand, daß die Beteiligten in erster Instanz auf mündliche Verhandlung verzichtet haben, hindert das Berufungsgericht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht daran, im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO zu entscheiden (vgl. Beschluß vom 22. Dezember 1998 – BVerwG 9 B 347.98 – Buchholz § 130 a VwGO Nr. 31 und Urteil vom 22. Januar 1998 – BVerwG 2 C 4.97 – Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 113 m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör garantiert nämlich entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht, daß in jedem Fall eine mündliche Verhandlung tatsächlich stattfindet, sondern gewährleistet nur, daß den Beteiligten die Gelegenheit zu einer mündlichen Verhandlung eröffnet ist, wenn eine solche – wie hier vor einer erstinstanzlichen Entscheidung durch Urteil – in der Prozeßordnung vorgeschrieben ist. Verzichten die Beteiligten darauf freiwillig, indem sie ihr Einverständnis mit einer Entscheidung nach § 101 Abs. 2 VwGO erteilen, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz geheilt werden müßte, nicht vor. Auf die Motive für den Verzicht kommt es dabei nicht an. Der Hinweis der Beschwerde auf die prozessuale Lage in Fällen eines Gerichtsbescheides, gegen den ein Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellt werden kann, geht fehl. Denn dieser Rechtsbehelf stellt nur sicher, daß die Beteiligten auch bei einem Gerichtsbescheid eine mündliche Verhandlung in erster Instanz erzwingen können. Bei einer Entscheidung durch Urteil ist dies nach § 101 VwGO ohnehin der Fall. Die Entscheidung für das vereinfachte Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO wäre deshalb nur dann ermessensfehlerhaft, wenn sich dem Berufungsgericht aus anderen Gründen die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung hätte aufdrängen müssen, etwa weil es nicht ohne einen persönlichen Eindruck von dem Kläger in der Sache hätte entscheiden dürfen, da es auf dessen Glaubwürdigkeit ankam. Derartige Umstände legt indessen die Beschwerde nicht dar. Insbesondere setzt sie sich nicht mit den Ausführungen des Berufungsgerichts auseinander, daß der Kläger auch auf die Anhörung zu § 130 a VwGO im Berufungsverfahren keine entscheidungserheblichen Tatsachen zu seinem individuellen Verfolgungsschicksal vorgetragen habe, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung geboten erscheinen ließen (BA S. 6 f.). Aus welchen Gründen die Gelegenheit zum schriftsätzlichen Vorbringen bei dieser Sachlage zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht ausreichend gewesen sein soll, läßt sich der Beschwerde nicht entnehmen.

Soweit die Beschwerde außerdem rügt, daß zur Begründung der Berufungsentscheidung auf zum Teil 30 Seiten lange Passagen einer anderen Entscheidung des Berufungssenats verwiesen sei, und auch darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers und zugleich einen Begründungsmangel im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO sieht, ist ein Verfahrensmangel ebenfalls nicht schlüssig aufgezeigt. Abgesehen davon, daß die mehr als sieben Seiten umfassende Begründung des Beschlusses die wesentlichen Gründe der Entscheidung aus sich selbst heraus nachvollziehbar darlegt, ist eine Bezugnahme auf den Beteiligten bekannte oder ohne weiteres zugängliche vorausgegangene Entscheidungen des Berufungsgerichts, die hier überdies zuvor in das Verfahren eingeführt worden sind, eine zulässige Form der Wiedergabe der tragenden Erwägungen des Gerichts (stRspr z.B. Beschluß vom 3. April 1990 – BVerwG 9 CB 5.90 – Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 31).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.

 

Unterschriften

Dr. Paetow, Beck, Dr. Eichberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI566965

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