Verfahrensgang

Niedersächsisches OVG (Aktenzeichen 12 K 1303/99)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Frage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Eine solche Frage zeigt die Beschwerde nicht auf.

Sie will zunächst folgende Frage geklärt wissen:

„Ist es für Einwendungserheber eine Rechtsverletzung, wenn eine gebotene öffentliche Auslegung nebst Anhörung zu Planungsunterlagen unterbleibt und nicht auszuschließen ist, dass dieses zu einer geringen Zahl von Einwendungen geführt hat?”

Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, denn sie würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht dargelegt, dass sich der Kläger nicht darauf berufen könne, bei erfolgter Auslegung bestimmter Gutachten hätte sich eine größere Anzahl von Einwendern gebildet, was sich auf das Abwägungsergebnis niedergeschlagen hätte; insoweit mache er nämlich Rechte Dritter geltend. Diesen Ausführungen kommt jedoch nur im Rahmen der Erörterungen des Gerichts Bedeutung zu, ob ein (unterstellter) Auslegungsmangel geheilt sei. Das Oberverwaltungsgericht hat sich aber insoweit auch – selbständig tragend (vgl. UA S. 20) – ausdrücklich und nicht lediglich auf den Kläger bezogen darauf gestützt, dass ein Auslegungsmangel nicht gegeben ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Revision gegen ein Urteil, dass nebeneinander auf mehrere, je selbständig tragende Begründungen gestützt ist, nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 28. September 1990 – BVerwG 9 B 107.90 – NVwZ 1991, 376 m.w.N.). Das ist hier im Hinblick auf die zuletzt genannte Begründung nicht der Fall.Aus demselben Grund rechtfertigt auch die zweite von der Beschwerde aufgeworfene Frage –

„Wird durch die Ausweisung von Luftfrachtgebäuden die Fluglärmfrage erneut aufgeworfen?” –

die Zulassung der Revision nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat die allein unter dem Gesichtspunkt der Fluglärmbelastung in Betracht kommende Betroffenheit des Klägers zum einen deswegen verneint, weil der Fluglärm ausbaubedingt keine ihn rechtlich belastende Steigerung erfahre (UA S. 44), zum anderen – wiederum selbständig tragend – deswegen, weil durch den Ausbau des Luftfrachtzentrums die Fluglärmfrage insoweit mangels Erhöhung der luft seitigen Kapazität nicht erneut aufgeworfen werde (UA S. 53). Gegen die zuerst genannte Begründung macht der Kläger – wie auch noch zu zeigen sein wird – keinen durchgreifenden Zulassungsgrund geltend.

Darüber hinaus wirft die Beschwerde folgende Frage auf:

„Ist bei der Verkehrsprognose eines uneingeschränkt genehmigten Flughafens der von der DFS festgelegte mögliche Flugverkehr zugrunde zu legen?”

Auch hiermit vermag die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht darzulegen. Die Frage lässt sich vielmehr bereits auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verneinen, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte. Die Berücksichtigung von Lärmschutzbelangen sowie der Schutz vor Beeinträchtigungen durch Lärm kann danach im Rahmen planerischer Entscheidungen über emittierende (Verkehrs-)Anlagen nur beansprucht werden, soweit dies erforderlich ist. Das schließt eine Orientierung an bloß theoretisch denkbaren Beeinträchtigungen aus. Maßgeblich muss vielmehr sein, welche Lärmbeeinträchtigung realistischerweise in einem überschaubaren Zeitraum zu erwarten ist. Auf die Vollauslastung einer Anlage ist deswegen nur abzustellen, wenn – etwa im gewerblichen Bereich – die Annahme nahe liegt, dass vorhandene Nutzungsmöglichkeiten auch voll ausgenutzt werden (BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 – BVerwG 4 A 10.95 – Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 13 S. 37 m.w.N.). In diesen Fällen ist gerade die Vollauslastung als realistischer Nutzungsumfang anzusehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat einen solchen Zusammenhang nicht nur für Straßen (BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 – a.a.O.), sondern auch für Schienenwege verneint (Urteil vom 3. März 1999 – BVerwG 11 A 9.97 – Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 26 S. 24). Für Flughäfen kann sich im Grundsatz nichts anderes ergeben. Zwar mögen für Straßen und Schienenwege Besonderheiten gelten. So ist es erfahrungsgemäß von vornherein unwahrscheinlich, dass eine Straße ohne eine nennenswerte Kapazitätsreserve geplant wird, die einen Verkehrskollaps verhindert, wenn das Verkehrsaufkommen den prognostizierten durchschnittlichen Verkehrsbedarf übersteigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 1996, a.a.O., S. 37). Bei einem Flughafen ist es dagegen eher denkbar, dass aus wirtschaftlichen Gründen eine Vollauslastung der geplanten Kapazität angestrebt wird. Ob dies zutrifft und deswegen als Einwand erfolgreich einer Prognose entgegengehalten werden kann, die von überwiegend ungenutzten luftseitigen Kapazitätsreserven ausgeht, ist eine Frage des Einzelfalles, die der Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich ist.

Grundsätzliche Bedeutung misst die Beschwerde schließlich folgender Frage bei:

„Muss bei Planungen, welche zu deutlich mehr als 16 Nachtflügen zwischen 0 und 4 Uhr führen können, ein über dem Jansen-Kriterium liegendes Schutzziel gewählt werden?”

Auch sie rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie sich im angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen würde. Zum einen ist nach den nicht mit einer durchgreifenden Zulassungsrüge angegriffenen und somit gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts davon auszugehen, dass es durch den Ausbau nicht zu einer Änderung der Zahl der Nachtflugbewegungen kommen wird. Somit „führen” nicht die „Planungen”, wie die Beschwerde unterstellt, zu einer Erhöhung des Verkehrsaufkommens, sondern die „allgemeine Zunahme des Flugverkehrs” unabhängig vom Ausbau (UA S. 44). Zum anderen sind nach den wiederum nicht mit einer durchgreifenden Verfahrensrüge angegriffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts unabhängig hiervon auf dem Flughafen der Beigeladenen nicht „deutlich mehr als 16 Nachtflüge zwischen 0 und 4 Uhr” zu erwarten. Die Beschwerde gelangt zum entgegengesetzten Ergebnis, weil sie von einer nächtlichen Vollauslastung des Flughafens ausgeht. Auf unterstelltem Sachverhalt beruhende Rechtsfragen können die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung jedoch nicht begründen.

Soweit der Kläger in seiner Nichtzulassungsbeschwerdeschrift – wie bereits im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht – beantragt, dem EuGH insgesamt fünf Fragen zur Vorabentscheidung nach Art. 234 EG vorzulegen, macht er keine Zulassungsgründe im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend, sondern formuliert lediglich entsprechende Anträge für den Fall der Zulassung der Revision. Sollte dagegen auch insoweit die Erhebung von Grundsatzrügen beabsichtigt gewesen sein, was allerdings die späteren Ausführungen des Klägers zur eine Grundsatzrüge insoweit verneinenden Stellungnahme der Beigeladenen nicht nahe legen, wäre ein solcher Zulassungsgrund nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dargelegt. Die Beschwerdeschrift enthält nämlich zu den Anträgen auf Vorabentscheidung keinerlei Begründung. Wollte man in den Ausführungen der Beschwerde im Schriftsatz vom 3. Januar 2001 die dazugehörige Begründung sehen, wäre sie jedenfalls nicht innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO, die bereits am 30. August 2000 abgelaufen war, erfolgt und somit nicht zu berücksichtigen.

2. Die von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.

Die Beschwerde rügt zunächst, der Kläger habe vorgetragen, dass der in der Lärmprognose der Beklagten zugrunde gelegte Prognosezeitraum bis zum Jahr 2010 erheblich zu kurz sei. Hierauf gehe das Urteil des Oberverwaltungsgerichts jedoch nicht ein. Darin liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs lässt sich deswegen nur feststellen, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Vorbringen eines Beteiligten bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. z.B. BVerfGE 86, 133 ≪145 f.≫). An solchen Umständen fehlt es hier. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr im Rahmen seiner Diskussion, ob die Vollauslastung des Flughafens oder das prognostizierte Flugverkehrsaufkommen für die Beurteilung des Lärmschutzes maßgeblich sei, ausdrücklich auf die seiner Auffassung widersprechende Ansicht des Klägers hingewiesen. Die Prognose selbst hat das Oberverwaltungsgericht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Prognosehorizont von 2010 als rechtlich nicht zu beanstanden bezeichnet (UA S. 27) und insoweit hinsichtlich der rechtlichen Maßstäbe dieser Prüfung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen, mit der die Annahme eines bis 2010 reichenden Prognosezeitraums in Einklang steht (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 21. März 1996, a.a.O. S. 35 f.).

Soweit die Beschwerde im Zusammenhang mit dieser Verfahrensrüge „auf den Antrag auf Tatbestandsberichtigung” verweist und hiermit möglicherweise weitere Verstöße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs geltend machen will, erfüllt dieses Vorbringen nicht die Mindestanforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Bezeichnung eines Zulassungsgrundes stellt. Hierzu reicht eine pauschale Verweisung auf früheres Vorbringen nämlich nicht aus (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 15 m.w.N.). Das gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – ohne weitere Ausführungen auf einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung verwiesen wird, dessen Voraussetzungen mit denjenigen einer Gehörsrüge im Nichtzulassungsverfahren nicht deckungsgleich sind, und darüber hinaus auf eine Auseinandersetzung mit dem auf den Antrag ergangenen Beschluss der Vorinstanz verzichtet wird. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts, sich aus diesem ungefilterten Prozessstoff mögliche Zulassungsgründe herauszusuchen.

Einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs rügt die Beschwerde auch, wenn sie geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe sich mit dem Einwand der Nichtigkeit der Planung nicht auseinandergesetzt. Auch insoweit sind besondere Umstände, die – wie dargelegt – im Einzelfall deutlich machen, dass das Vorbringen eines Beteiligten nicht erwogen worden ist, nicht gegeben. In der Sache macht der Kläger mit seinem Argument der Nichtigkeit der Planung geltend, dass die Grundkonzeption der Planung, es werde trotz Zunahme des Flugverkehrs nicht lauter, undurchführbar sei. Auf diese Frage ist das Oberverwaltungsgericht zum einen bei der Erörterung von Verfahrensfehlern im Zusammenhang mit den erst nachträglich vorgelegten fluglärmtechnischen und -medizinischen Gutachten (UA S. 20 f.), auf die sich der Kläger bei seinem Nichtigkeitsvorwurf selbst bezieht, zum anderen bei der rechtlichen Überprüfung der Prognose der Beklagten (UA S. 27 ff.) eingegangen.

Schließlich rügt der Kläger, im Urteil des Oberverwaltungsgerichts sei ausgeführt, es sei nicht mit der Ansiedlung eines Verkehrsfrachtumschlagsknotenpunktes auf dem Flughafen der Beigeladenen zu rechnen, weil die Funktion der extrem verkehrsträchtigen Umschlagsknotenpunkte fest auf einige europäische Standpunkte konzentriert sei; das Urteil lasse jedoch Ausführungen vermissen, warum die Luftfrachtzentren fest konzentriert seien und welchen Sinn die Genehmigung eines so großen Luftfrachtzentrums wie in Köln-Bonn mache, wenn nach Meinung des Gerichts nicht mit einer entsprechenden Nutzung zu rechnen sei. Damit macht er in der Sache entgegen der Bezeichnung in der Beschwerdeschrift nicht einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO), sondern gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend. Die bereits erwähnte Darlegungspflicht des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt insoweit u.a. die substantiierte Darlegung, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – a.a.O. S. 14 f.). Diesen Anforderungen genügt es nicht, wenn die Beschwerde zur Begründung ihrer Verfahrensrüge lediglich auf ein – nicht bei den Akten befindliches – Schreiben vom 3. März 2000 sowie auf ein Schreiben vom 11. Februar 2000, das 22 unterschiedliche Anlagen enthält, Bezug nimmt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Storost, Vallendar, Prof. Dr. Rubel

 

Fundstellen

ZLW 2001, 455

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