Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 19.07.2005; Aktenzeichen 20 D 40/04.AK) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen jeweils ihre eigenen Kosten. Im Übrigen trägt die Klägerin zu 27 5/30 und tragen die übrigen Kläger jeweils 1/30 der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 300 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr).
Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt. So liegt es hier.
1.1 Die Beschwerde wirft zunächst die Frage auf, ob die tatsächliche Vorbelastung eines Gebiets mit einer Flugroute dazu führt, dass in Folge einer neuen Flugroutenfestlegung zu erwartende unzumutbare Fluglärmbeeinträchtigungen hinzunehmen sind. Damit wird indes keine Frage aufgeworfen, die in einem Revisionsverfahren weiterer grundsätzlicher Klärung zugänglich wäre. Der beschließende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 24. Juni 2004 – BVerwG 4 C 11.03 – (BVerwGE 121, 152; vgl. auch das Urteil vom 24. Juni 2004 in der Parallelsache – BVerwG 4 C 15.03 – sowie die Beschlüsse vom 4. Mai 2005 – BVerwG 4 C 6.04 und 4 C 4.04 – Buchholz 442.42 § 27a LuftVO Nr. 4, Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen) die grundsätzlichen Maßstäbe formuliert, die das Luftfahrt-Bundesamt bei der Festlegung von Flugrouten zu beachten hat. Von ihnen gehen sowohl das Oberverwaltungsgericht als auch die Beteiligten ebenfalls aus. Danach ist das Luftfahrt-Bundesamt nicht daran gehindert, sich in dem Zielkonflikt zwischen Luftsicherheit und Lärmschutz für eine mit unzumutbaren Folgen verbundene Lösung zu entscheiden. Dabei unterliegt es allerdings einem besonderen Rechtfertigungszwang. Vorliegend stützt sich das Oberverwaltungsgericht auf Besonderheiten, die es zu der Schlussfolgerung führen, dass die mit der Routenverlegung verbundenen Lärmeinwirkungen in jenem Gebiet, in dem mit kritischen Lärmwerten zu rechnen war (nämlich etwa bis zum Kaarster Kreuz), letztlich hinzunehmen seien. Auf diese Besonderheiten geht die von der Beschwerde gestellte Frage nicht ein, so dass sie in der formulierten Allgemeinheit nicht entscheidungserheblich wäre. Zum einen wird nach der tatsächlichen Würdigung des Oberverwaltungsgerichts eine vorhandene Route nicht verändert, sondern in der Auslastung erhöht. Dabei ist der betroffene Flugverkehr bis zum Wegfall der NOR-Route bereits auf demselben Abschnitt abgewickelt worden. Schutzwürdiges Vertrauen, dass es bei der zeitweilig genutzten Nordroute bleiben werde, habe sich aus mehreren Gründen nicht entwickeln können (UA S. 37/38). Zum anderen sei zu berücksichtigen, dass betroffene Kläger in einem Gebiet mit (im Wesentlichen) bereits vorhandenem passivem Schallschutz wohnten. Für die Kläger realisiere sich im Grunde nur der Fluglärm in einer Höhe, wie er im Rahmen der Betriebsgenehmigung des Flughafens für jene Bereiche bereits prognostiziert und damit zugelassen worden sei. Es bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass diese Gesichtspunkte im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der (erneuten) Änderung einer Flugroute berücksichtigt werden dürfen. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass das Luftfahrt-Bundesamt bei seiner Abwägung die von der zuständigen Landesluftfahrtbehörde in der Planfeststellung und der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung des Flughafens getroffenen Entscheidungen zu beachten hat. Deren Ausnutzung darf es nicht vereiteln. Daher ist es gehindert, Regelungen zu treffen, die im Widerspruch zu bereits erlassenen Entscheidungen über den Betrieb des Flughafens stehen, und insoweit darauf beschränkt, den vorhandenen Lärm gleichsam zu “bewirtschaften” (Beschlüsse vom 4. Mai 2005 – BVerwG 4 C 6.04 und 4 C 4.04 – a.a.O.). Auf der anderen Seite dürfen Lärmbelastungen, die bereits bei der Planfeststellung oder der Betriebsgenehmigung auf der Grundlage früher genutzter oder prognostizierter Flugrouten berücksichtigt worden sind und die zur Anordnung von Maßnahmen des passiven Schallschutzes geführt haben, im Rahmen einer – hier im Hinblick auf den Wegfall einer Flugroute – später erforderlichen Änderung in die Abwägung einbezogen werden. Dies gilt auch, wenn zwischenzeitlich eine andere Routenführung – hier die Nordroute – praktiziert worden ist, gegen die aus verschiedener Sicht Bedenken erhoben worden sind. Somit kann entgegen der Formulierung in der Beschwerde auch nicht von einer “neuen” Flugroutenfestlegung gesprochen werden.
1.2 Auch die unter 1.2 bis 1.4 der Beschwerdebegründung zum Verhältnis der Entscheidung des Luftfahrt-Bundesamts über die Festlegung von Flugrouten zu bereits getroffenen Schutzmaßnahmen aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. In der Rechtsprechung des Senats ist, wie ausgeführt, geklärt, dass das Luftfahrt-Bundesamt die Entscheidungen der Luftverkehrsbehörde zu beachten hat. Sie hat durch die Bereitstellung von Flugrouten sicherzustellen, dass der genehmigte Flugverkehr auch stattfinden kann. Ob und wann eine Änderung der Festlegung von Flugrouten eine Änderung der Entscheidungen der Luftverkehrsbehörde nach sich zieht, ist nicht in einem Rechtsstreit, der die Festlegung von Flugrouten betrifft, zu klären. Im Übrigen stützt die Beschwerdebegründung sich auf eine Reihe von Feststellungen, die das Oberverwaltungsgericht in dieser Form nicht getroffen hat.
1.3 Die unter 1.5 formulierte Frage der Auswirkungen für außerhalb eines Tagschutzgebiets liegende Grundstücke ergibt ebenfalls nicht die grundsätzliche Bedeutung. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bereits näher zu der gebotenen Ermittlungstiefe geäußert. Eine parzellenscharfe Untersuchung ist nicht geboten. Die Festlegung einer Flugroute muss auch nicht davon abhängig gemacht werden, wie weit ein Tagschutzgebiet bereits reicht.
1.4 Die unter 1.6 formulierte Frage beruht auf Annahmen, die dem angegriffenen Urteil nicht zugrunde liegen. Denn das Oberverwaltungsgericht unterstellt lediglich, dass es zu unzumutbarem Lärm auf einzelnen Grundstücken kommen werde. Aus Rechtsgründen führe dies indes nicht zu einer Rechtsverletzung der Kläger (UA S. 37). Somit ersetzt das Gericht nicht die Abwägung der Behörde durch seine eigene, wie die Beschwerde in ihrer Begründung annimmt. Im Übrigen lässt sich die Frage nicht in grundsätzlicher Form beantworten.
2. Die Divergenzrüge bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Eine die Revision eröffnende Abweichung, also ein Widerspruch im abstrakten Rechtssatz, läge nur vor, wenn das Oberverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (stRspr). Die Beschwerde beruft sich insoweit auf das bereits angeführte Urteil des Senats vom 24. Juni 2004 – BVerwG 4 C 11.03 – (a.a.O.). Dort hat der Senat ausgeführt: “Ist das Luftfahrt-Bundesamt mithin nicht daran gehindert, sich in dem Zielkonflikt zwischen Luftsicherheit und Lärmschutz für eine mit unzumutbaren Folgen verbundene Lösung zu entscheiden, so unterliegt es nach der Konzeption des Gesetzgebers doch einem besonderen Rechtfertigungszwang. Den Nachweis, dass schonendere Mittel nicht in Betracht kommen, kann es nur dann führen, wenn ihm überwiegende Gründe der sicheren, geordneten und flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs zur Seite stehen.” Diesen Ausführungen hat das Oberverwaltungsgericht keinen entgegengesetzten Rechtssatz gegenübergestellt. Zum einen hat es diese Grundsätze seinem Urteil selbst vorangestellt (UA S. 18). Zum anderen geht es vorliegend in dem Bereich, in dem unzumutbarer Lärm allein in Betracht kommt, um die Verteilung der Verkehrsanteile zwischen mehreren Flugrouten – insbesondere Nordroute und MODRU –, die jeweils weiterhin genutzt werden sollen. Somit steht in der Gesamtschau ein schonenderes Mittel nicht zur Verfügung. Ferner hebt das Oberverwaltungsgericht, wie unter 1. bereits dargelegt wurde, auf mehrere Besonderheiten ab, darunter, dass im umstrittenen Bereich bereits passiver Schallschutz angeordnet worden ist. Auf eine derartige Konstellation beziehen sich die Ausführungen des Senats nicht.
3. Die Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch.
3.1 Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht sei nicht vorschriftsgemäß besetzt gewesen, da der Befangenheitsantrag hinsichtlich des Vorsitzenden Richters willkürlich abgelehnt worden sei, bleibt ohne Erfolg.
Die Ablehnung eines Befangenheitsantrags durch das Oberverwaltungsgericht stellt eine unanfechtbare Vorentscheidung (§ 146 Abs. 2 VwGO) dar, die gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt, so dass die Zurückweisung eines Befangenheitsantrags grundsätzlich auch nicht als Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend gemacht werden kann. Die Rüge der unrichtigen Ablehnung eines Befangenheitsantrags ist deshalb nur ausnahmsweise in dem Maße beachtlich, als mit ihr die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 138 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird (vgl. Beschluss vom 21. Dezember 2004 – BVerwG 1 B 66.04 – Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 65). Das ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Ablehnungsentscheidung auf Willkür oder einem vergleichbar schweren Mangel des Verfahrens beruht, der in der Sache die Rüge einer nicht vorschriftsgemäßen Besetzung des Gerichts rechtfertigt. Hierfür ist nichts ersichtlich.
Das Oberverwaltungsgericht hat sich in seinem Beschluss vom 13. Juli 2005 sehr eingehend mit der Anzeige des Vorsitzenden Richters vom 11. Juli 2005, dem Ablehnungsgesuch der Kläger vom 12. Juli 2005 und dem vorhandenen Kartenmaterial auseinander gesetzt und das Gesuch der Kläger abgelehnt. Dabei geht es unter anderem davon aus, dass das Grundstück des Richters außerhalb des maßgeblichen Streubereichs der Nordroute liegt. Diese Entscheidung beruht auf sachlichen und nachvollziehbaren Gesichtspunkten und lässt keine Anhaltspunkte für Willkür erkennen. Die Kläger tragen zu den tatsächlichen Verhältnissen umfänglich vor. Im Hinblick auf die Unanfechtbarkeit der Entscheidung über die Befangenheit, kann dieser Sachvortrag nicht mehr berücksichtigt werden. Der abgelehnte Richter hat hierzu eine Stellungnahme abgegeben. Die Richter, die am Beschluss mitgewirkt haben, haben sich erläuternd geäußert. Selbst wenn man den ergänzenden Vortrag der Kläger in der Beschwerdeschrift mit heranziehen würde, würde dieser zwar die Schwierigkeiten, das Ausmaß einer Betroffenheit durch Fluglärm deutlich abzugrenzen, verdeutlichen, jedoch weiterhin keine Anhaltspunkte für Willkür im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, also einer groben Missachtung oder groben Fehlanwendung der gesetzlichen Vorschriften (zum Maßstab vgl. z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 – NJW 2005, 3410 m.w.N.), begründen.
3.2 Auch die Aufklärungsrügen und damit zusammenhängenden weiteren Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg.
3.2.1 Hinsichtlich des Beweisantrags zu 3. (Beschwerdebegründung unter 3.2) legt die Beschwerde nicht dar, dass es für die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, auf die insoweit maßgeblich abzustellen ist, auf die unter Beweis gestellte Tatsache überhaupt angekommen wäre.
3.2.2 Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem Wegfall der NOR-Route und der Einführung der MODRU-Route (Beschwerdebegründung unter 3.3) setzt die Beschwerde lediglich der Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht ihre eigene Würdigung entgegen. Der Umstand, dass beide Ereignisse zeitlich auseinander fallen, steht der Annahme eines sachlichen Zusammenhangs nicht entgegen. Soweit die Beschwerde eingehend ausführt, es habe keiner Entlastung der von der Nordroute Betroffenen (mehr) bedurft, zeigt sie keinen Verfahrensfehler auf.
3.2.3 Zu den flugbetrieblichen und flugsicherungstechnischen Fragen, den Betroffenheiten, der Bewertung der Vorbelastung sowie der Bewertung der Zumutbarkeit werden ebenfalls keine Verfahrensfehler in zulässiger Weise dargelegt. Insbesondere fehlt es an Darlegungen, dass das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung nach weiterer Sachaufklärung oder dem Gewähren einer Schriftsatzfrist und der Würdigung des entsprechenden Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Halama, Gatz, Dr. Jannasch
Fundstellen