Tenor
Der Antrag des Klägers wird abgelehnt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger ist Journalist. Im Verfahren der Hauptsache begehrt er gestützt auf § 5 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 8 BArchG von der Beklagten, vertreten durch das Bundeskanzleramt, Zugang zu Unterlagen, die im Zusammenhang mit der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer und der Entführung der Lufthansa-Maschine “Landshut” im Herbst 1977 stehen.
Rz. 2
Mit Verfügung des Berichterstatters forderte das Gericht der Hauptsache die Beklagte auf, die im Bescheid vom 22. Dezember 2011 unter III. Nr. 1 – 405 und Nr. 419 – 420 aufgeführten Unterlagen mit Ausnahme der Unterlagen vorzulegen, deren Offenlegung zwischenzeitlich zugestanden worden sei. Daraufhin gab das Bundeskanzleramt in seiner Eigenschaft als oberste Aufsichtsbehörde unter dem 20. August 2012 eine Sperrerklärung ab.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 3. September 2012 hat das Gericht der Hauptsache unter Bezugnahme auf den Antrag des Klägers vom 15. Juni 2012 die Sache dem Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung wird ausgeführt, eines förmlichen Beweisbeschlusses habe es nicht bedurft, weil die Entscheidung von der allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden Frage abhänge, ob die Dokumente, wie vom Bundeskanzleramt geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig seien.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 4
Der Antrag des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung festzustellen, hat keinen Erfolg. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Rz. 5
1. Der Antrag des Klägers gemäß § 99 Abs. 2 VwGO ist zulässig. Der Fachsenat kann über den Antrag in der Sache entscheiden. Dem steht nicht entgegen, dass das Gericht der Hauptsache vor Abgabe der Sperrerklärung auf eine förmliche Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit verzichtet und lediglich – unter Hinweis auf die Entbehrlichkeit eines Beweisbeschlusses – einen Vorlagebeschluss an das Bundesverwaltungsgericht in seiner Eigenschaft als Fachsenat im Sinne des § 189 VwGO gefasst hat.
Rz. 6
Ein – grundsätzlich erforderlicher – Beweisbeschluss oder eine vergleichbare förmliche Äußerung des Hauptsachegerichts zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit des Akteninhalts ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind. Das ist immer dann der Fall, wenn die Pflicht zur Vorlage der Behördenakten bereits Streitgegenstand des Verfahrens zur Hauptsache ist und die dortige Entscheidung von der allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden Frage abhängt, ob die Akten, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind (vgl. Beschluss vom 19. April 2010 – BVerwG 20 F 13.09 – BVerwGE 136, 345 Rn. 4 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 58).
Rz. 7
An diesem Maßstab hat sich das Gericht der Hauptsache orientiert und zu Recht die Notwendigkeit der Einsicht bejaht, soweit mit der Sperrerklärung als Geheimhaltungsgrund dem Wesen nach auf das Persönlichkeitsrecht, den Schutz personenbezogener Daten sowie den Informantenschutz verwiesen wird. Ob es einer Einsicht in die aufgelisteten Protokolle bedarf, um beurteilen zu können, ob Gründe des Staatswohls die Geheimhaltung rechtfertigen, erscheint dagegen zweifelhaft. An die Auffassung des Gerichts der Hauptsache, das die Sache – wie die Begründung des Beschlusses deutlich macht – beraten und damit die Einschätzung des Berichterstatters als Kammer bestätigt hat, ist der Fachsenat aber gebunden. Eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist (Beschlüsse vom 28. März 2006 – BVerwG 20 F 1.05 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 40 Rn. 6, vom 21. Februar 2008 – BVerwG 20 F 2.07 – BVerwGE 130, 236 Rn. 13, vom 22. Juli 2010 – BVerwG 20 F 11.10 – BVerwGE 137, 318 Rn. 7 und vom 3. Juli 2012 – BVerwG 20 F 12.11 – juris Rn. 9).
Rz. 8
Es ist jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhaft, auf die inhaltliche Relevanz der Protokolle zur Beurteilung des absoluten Versagungsgrunds einer Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland abzustellen. Das Gericht der Hauptsache hat sich offensichtlich an der Rechtsprechung des Senats orientiert, der zu einer ebenfalls auf § 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG gestützten Verweigerung der Akteneinsicht ausgeführt hat, es bedürfe “ohne Weiteres” der Kenntnis des Akteninhalts (Beschlüsse vom 10. Januar 2012 – BVerwG 20 F 1.11 – juris Rn. 9 und vom 19. April 2010 a.a.O. Rn. 5). In der Rechtsprechung findet sich überdies der allgemein gehaltene Hinweis, bei einer solchen Konstellation – wenn die Behörde die Akten etwa aus Gründen der Staatssicherheit zurückhalte – sei eine förmliche Verlautbarung zur Entscheidungserheblichkeit entbehrlich (Beschluss vom 13. April 2011 – BVerwG 20 F 25.10 – juris Rn. 8). Der fachgesetzliche Versagungsgrund gemäß § 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG enthält seinerseits keine besonderen tatbestandlichen Vorgaben, die dem Gericht der Hauptsache Anlass gegeben hätten, sich von der inhaltlichen Betrachtungsweise, auf die auch die Sperrerklärung abhebt, zu lösen und zu fragen, ob die Protokolle generell, d.h. unabhängig von ihrem konkreten Inhalt der Geheimhaltung unterliegen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht offensichtlich fehlerhaft, dass das Gericht der Hauptsache die streitigen Unterlagen insgesamt als zweifelsfrei rechtserheblich betrachtet hat.
Rz. 9
2. Der Antrag ist unbegründet. Die Weigerung der Beklagten, dem Gericht der Hauptsache die von ihm angeforderten Archivunterlagen vorzulegen, ist rechtmäßig.
Rz. 10
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Rz. 11
2.1 Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 – BVerfGE 101, 106 ≪127 f.≫; BVerwG, Beschluss vom 7. November 2002 – BVerwG 2 AV 2.02 – NVwZ 2003, 347 ≪348≫), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Nachteile für das Wohl des Bundes fordern gewichtige Gründe und setzen Beeinträchtigungen wesentlicher Bundesinteressen voraus. Dazu zählen namentlich Gefährdungen des Bestandes oder der Funktionsfähigkeit des Bundes sowie Bedrohungen der äußeren oder inneren Sicherheit. Es gilt auch hier ein strenger Maßstab (Beschluss vom 23. Juni 2011 – BVerwG 20 F 21.10 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 64 Rn. 19 m.w.N.). Ein Nachteil in diesem Sinne ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats insbesondere dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich ihrer Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (vgl. nur Beschlüsse vom 29. Juli 2002 – BVerwG 2 AV 1.02 – BVerwGE 117, 8 und vom 25. Februar 2008 – BVerwG 20 F 43.07 – juris Rn. 10).
Rz. 12
Nach diesem Maßstab hat das Bundeskanzleramt die Vorlage der im Bescheid vom 22. Dezember 2011 unter III. Nr. 1 – 27, 29 – 44, 48 – 80, 82 – 91, 97 – 102, 105 – 112, 116 – 122, 125 – 227 und 229 – 400 aufgeführten Protokolle zu Recht verweigert. Einer Offenlegung steht entgegen, dass die Beratungsrunden (Großer Krisenstab und Kleine Lage), die im Herbst 1977 vom Bundeskanzler zur Bewältigung der außergewöhnlichen Krisensituation aus Anlass der Entführung von Hanns Martin Schleyer einberufen worden waren, auch heute noch dem Schutz der Vertraulichkeit unterliegen. Die Vertraulichkeit der Beratungen erschöpft sich nicht darin, in der damaligen Situation zu verhindern, dass mögliche Reaktionen des Staates für Terroristen kalkulierbar würden. In einer für die innere Sicherheit geradezu existentiellen Ausnahmesituation ist mit dem Großen Krisenstab und der Kleinen Lage eine auch parteiübergreifende Beratung und Koordination praktiziert worden, die unverbrüchliche Vertraulichkeit voraussetzt. Denn in solchen Situationen ist es von besonderer Bedeutung, dass sich die Mitglieder bei ihren Erwägungen frei fühlen. Zu Recht weist das Bundeskanzleramt darauf hin, dass fortdauernde Vertraulichkeit von entscheidender Bedeutung für die Funktionsfähigkeit und Effektivität der Beratung ist. Die Eigenart des Schutzes gegen lebensbedrohende terroristische Erpressungen ist dadurch gekennzeichnet, dass die gebotenen Maßnahmen der Vielfalt singulärer Lagen angepasst sein müssen. Die zuständigen staatlichen Organe müssen in der Lage sein, auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles angemessen zu reagieren (BVerfG, Urteil vom 16. Oktober 1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 ≪164≫). Alle Handlungsoptionen des Staates müssen ausgelotet werden. Es liegt auf der Hand, dass dabei auch rechtliche Grauzonen beleuchtet werden müssen. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die Mitglieder der Beratungsrunden unter einem extrem hohen politischen, aber auch menschlichemotionalen Druck standen. Auch aus diesem Grund bedarf es der Gewissheit, dass Äußerungen und Erwägungen zur Bandbreite möglicher Reaktionen nicht nur während der Ereignisse einer öffentlichen Diskussion entzogen sind. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass eine Zurückhaltung geübt würde, die dem Sinn und Zweck effektiver Beratung im Krisenstab widerspräche. Dabei muss grundsätzlich von der Möglichkeit ausgegangen werden, dass geschützte Beratungen wegen des Wissens um eine nach Abschluss der Arbeit erfolgende Offenlegung der einzelnen Beiträge und Meinungsbekundungen im Beratungsprozess beeinträchtigt werden können (Beschluss vom 18. Juli 2011 – BVerwG 7 B 14.11 – Buchholz 400 IFG Nr. 5 Rn. 5 zu § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG). Das Wissen um eine spätere Publizität kann sich zudem negativ auf die Bereitschaft zur Mitarbeit in künftigen Ausnahmesituationen auswirken. Das gilt jedenfalls für die Personen, deren Einbindung nicht aus Zuständigkeit und Amtsaufgabe folgt, sondern der Herstellung einer parteiübergreifenden Koordination und Abstimmung dient, was in einer staatspolitischen Krisensituation von herausragender Bedeutung ist. Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz gegen lebensbedrohende terroristische Erpressungen des Staates, die von einem parteiübergreifenden Gesamtkonsens getragen sind, können jedenfalls zu einer gewissen Befriedung und Akzeptanz beitragen. Dass eine solche staatspolitische Krisensituation äußerst selten ist, ändert nichts daran, dass sie eintreten kann, es also nicht lediglich um die bloße Möglichkeit eines Nachteils geht (vgl. dazu Beschluss vom 19. April 2010 – BVerwG 20 F 13.09 – BVerwGE 136, 345 Rn. 12 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 58). Insofern ist unerheblich, dass seit den Ereignissen im Herbst 1977 mehr als 35 Jahre vergangen sind. Die Geheimhaltungsbedürftigkeit hat sich durch den zeitlichen Ablauf nicht vermindert (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2009 – 2 BvE 5/06 – BVerfGE 124, 161 ≪194≫).
Rz. 13
2.2 Für die Dokumente Nr. 405 und Nr. 419 – 420 besteht ebenfalls ein Geheimhaltungsgrund im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
Rz. 14
Allein die Tatsache der Einstufung der Dokumente als Verschlusssache ist allerdings ohne Bedeutung. Denn Unterlagen sind nicht schon deswegen ihrem Wesen nach oder nach einem Gesetz geheim zu halten. Vielmehr kommt es darauf an, ob sich nach den materiellen Maßstäben des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine Geheimhaltungsbedürftigkeit ergibt, ob also der Grund für die Einstufung als Verschlusssache noch fortbesteht (Beschlüsse vom 19. April 2010 a.a.O. Rn. 21, 23, vom 20. September 2010 – BVerwG 20 F 9.10 – NVwZ-RR 2011, 135 Rn. 7 f. und vom 14. Juni 2012 – BVerwG 20 F 10.11 – juris Rn. 7). Ebenso wenig genügt der Umstand, dass die Sicherheitsbehörden, von denen die Dokumente stammen, eine Aufhebung des Geheimnisschutzes abgelehnt haben. In der Sperrerklärung wird jedoch darüber hinaus auf den wesensmäßigen Geheimhaltungsgrund des Informantenschutzes verwiesen und (zu Dokument Nr. 420) erläutert, dass dieser Schutz auch Voraussetzung für die Kooperation mit anderen Sicherheitsbehörden, vor allem mit ausländischen Partner-Diensten sei.
Rz. 15
Im Falle des Informantenschutzes tritt neben das grundrechtlich abgesicherte Interesse des Betroffenen, seine persönlichen Daten geheim zu halten, das öffentliche Interesse, die Wahrnehmung der behördlichen Aufgaben sicherzustellen. Sind Behörden – wie dies namentlich auf den Bundesnachrichtendienst zutrifft – bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben auf Angaben Dritter angewiesen, dürfen sie zum Schutz des Informanten dessen Identität geheim halten (Beschlüsse vom 17. Januar 2012 – BVerwG 20 F 4.11 – juris Rn. 14, vom 22. Juli 2010 – BVerwG 20 F 11.10 – BVerwGE 137, 318 Rn. 10 und vom 10. Januar 2012 – BVerwG 20 F 1.11 – juris Rn. 26). Das gilt auch, soweit es sich um Angaben handelt, die im internationalen Austausch einer deutschen Sicherheitsbehörde zur Verfügung gestellt worden sind. Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert und dadurch ein Nachteil für das Wohl des Bundes begründet werden, wenn die von anderen Stellen vertraulich übermittelten Informationen unter Missachtung einer zugesagten oder vorausgesetzten Vertraulichkeit gleichwohl an Dritte bekannt gegeben werden.
Rz. 16
2.3 Die Vermerke über Telefongespräche mit Angehörigen (Nr. 28, 81, 104 und 402) und die in Nr. 96 angeführten Gesprächsmitschnitte sind Vorgänge, die ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen. Allerdings ist die in der Sperrerklärung angeführte Begründung, der Schutz ergebe sich aus dem grundrechtlich geschützten Recht am gesprochenen Wort ungenau. Das fortdauernde Geheimhaltungsinteresse ergibt sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Angehörigen.
Rz. 17
Gesprächsvermerke fallen nicht in den Schutzbereich des Rechts am eigenen Wort. Bei einem Gesprächsvermerk wird in der Regel kein (schriftliches) Wortprotokoll gefertigt, sondern der Inhalt des Gesprächs sinngemäß zusammengefasst und gekürzt wiedergegeben. So liegt der Fall auch hier. Das hat die Einsicht ergeben. Das bedeutet indes nicht, dass die Gesprächsvermerke offen zu legen wären. Einer Offenlegung steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Angehörigen entgegen. Vom Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit ist neben dem Recht am eigenen Wort auch der Schutz der Privatsphäre umfasst. In thematischer Hinsicht betrifft der Schutz insbesondere solche Angelegenheiten, die von dem Grundrechtsträger einer öffentlichen Erörterung oder Zurschaustellung entzogen zu werden pflegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 – 1 BvR 1602/07, 1 BvR 1606/07, 1 BvR 1626/07 – BVerfGE 120, 180 ≪199≫). Die Gesprächsvermerke betreffen die Privatsphäre der Angehörigen. Der Schutz hängt dabei nicht davon ab, welchen Inhalt die Gespräche hatten. Welche Gefühle und Reaktionen die dramatischen Ereignisse ausgelöst und wie sich Angehörige zu den telefonischen Mitteilungen zum aktuellen Stand der Entwicklungen verhalten haben, ist Ausdruck der persönlichen Betroffenheit und gehört zum absolut geschützten Kernbereich der Privatsphäre. Daher ist auch eine teilweise Offenlegung ausgeschlossen. Spielraum für Ermessenserwägungen besteht angesichts der grundrechtlichen Wertung nicht.
Rz. 18
Ob die in amtlicher Eigenschaft geführten Gespräche (Nr. 96), von deren Aufzeichnung die Beteiligten gewusst haben werden, in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fallen, erscheint zweifelhaft, bedarf aber keiner Vertiefung. Die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Mitschnitte folgt aus der Vertraulichkeit der Beratungen. Generalbundesanwalt Kurt Rebmann und der Chef des Bundeskanzleramts Manfred Schüler waren Mitglieder des Krisenstabs. Die Vertraulichkeit der Beratungen umfasst nicht nur die Beratung selbst, also den Austausch bei der Zusammenkunft, sondern auch Gespräche, die Mitglieder des Krisenstabs zur Umsetzung der Beratungen und Abklärung des weiteren Vorgehens geführt haben. Denn solche Gespräche geben zugleich Auskunft über den Stand der Beratungen. Soll ein Krisenstab effektiv arbeiten, müssen sich die Beteiligten darauf verlassen können, dass ihnen Äußerungen, die sie gleichsam im Auftrag des Krisenstabs getätigt haben und die der besonderen Ausnahmesituation geschuldet sind, nicht zu einem späteren Zeitpunkt entgegen gehalten werden. Dabei kommt es hier nicht auch darauf an, ob sich das Gespräch nach Inhalt oder Form für eine aus dem Zusammenhang gerissene Entstellung und Verfremdung eignet.
Rz. 19
3. Die Sperrerklärung genügt auch den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Ganz überwiegend war die Ermessensbetätigung rechtlich vorgezeichnet. Unabhängig davon hat das Bundeskanzleramt eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene Ermessensentscheidung über die Aktenvorlage vorgenommen. Das zeigt sich unter anderem daran, dass der Kläger mit der Klageerwiderung in Bezug auf einige der streitigen Unterlagen klaglos gestellt worden ist und das Bundeskanzleramt erkennbar bemüht war, möglichst großzügig Zugang zum Archivgut zu gewähren. Es hat auch – soweit dies überhaupt in Betracht kam – konkret in Bezug auf die Unterlagen und ihre Inhalte geprüft, ob eine teilweise Schwärzung oder Zurückhaltung bestimmter Teile ausreicht, um den Geheimhaltungsinteressen in Abwägung mit den auf die Aktenvorlage gerichteten Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Dass es die Möglichkeit der Teilschwärzung verneint hat, ist nicht zu beanstanden.
Rz. 20
4. Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht (vgl. dazu Beschluss vom 16. Dezember 2010 – BVerwG 20 F 15.10 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 62 Rn. 11). Eine Streitwertfestsetzung ist ebenfalls entbehrlich, da Gerichtsgebühren mangels Gebührentatbestand im Verfahren vor dem Fachsenat nicht anfallen.
Unterschriften
Neumann, Dr. Bumke, Brandt
Fundstellen