Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 19.06.2013; Aktenzeichen 4 KS 3/08) |
Tenor
Die Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Juni 2013 werden zurückgewiesen.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen die der Beigeladenen von der Beklagten erteilte Genehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen im Standortzwischenlager B. Er ist Eigentümer eines zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks, das etwa 6 Kilometer von dem Zwischenlager entfernt liegt. Das Oberverwaltungsgericht hat der Klage zum ganz überwiegenden Teil stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass die angefochtene Genehmigung in mehrfacher Hinsicht mit § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG nicht in Einklang stehe.
Entscheidungsgründe
II
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützten Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision haben keinen Erfolg.
1. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision greift für den – hier gegebenen – Fall, dass das Urteil der Vorinstanz in je selbstständig tragender Weise mehrfach begründet ist, nur dann durch, wenn im Hinblick auf jeden der tragenden Begründungsteile ein Zulassungsgrund geltend gemacht worden ist und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1. Februar 1990 – 7 B 19.90 – Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 22 S. 2 und vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO (n.F.) Nr. 26 S. 15). Letzteres ist hier jedenfalls zu verneinen, soweit das Oberverwaltungsgericht den von ihm angenommenen Verstoß der angefochtenen Genehmigung gegen § 6 Abs. 2 Nr. 4 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz – AtG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 (BGBl I S. 1565), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 28. August 2013 (BGBl I S. 3313) damit begründet hat, dass die Beklagte die Risiken des Szenarios eines terroristischen Angriffs auf das Zwischenlager mit panzerbrechenden Waffen im Genehmigungsverfahren fehlerhaft ermittelt und bewertet habe, weil sie lediglich die Auswirkungen eines Angriffs mit bis zum Jahre 1992 auf dem Markt befindlichen panzerbrechenden Waffen berücksichtigt und eine Ermittlung der potentiell weitergehenden Auswirkungen moderner, zum Genehmigungszeitpunkt bereits existierender Waffen unterlassen habe.
Diese Begründung trägt entgegen der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen das angefochtene Urteil selbstständig. Gegenteiliges folgt insbesondere nicht aus den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu „temporären Maßnahmen” am Schluss seines Urteils. Dort ist das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass diese temporären Maßnahmen „die Schlussfolgerung des willkürfreien Ausschlusses des Szenarios eines Hohlladungsbeschusses jedenfalls nicht” tragen (UA Rn. 222). Im Lichte dieser Erwägung sind die vorangegangenen Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu sehen, nach denen die temporären Maßnahmen zwar durch einen von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erlassenen Verwaltungsakt „Gegenstand der Genehmigungslage” geworden seien, aber gleichwohl keiner abschließenden Entscheidung bedürfe, ob „deshalb” – wegen ihrer Einbeziehung in die angefochtene Genehmigung durch die Beklagte – ein Aufhebungsanspruch des Klägers entfallen sein könne. Mit dieser Formulierung hat das Oberverwaltungsgericht nur von einer Beantwortung der Rechtsfrage abgesehen, ob durch derartige temporäre Maßnahmen Einfluss auf eine sich aus anderen Gründen ergebende Rechtswidrigkeit einer atomrechtlichen Genehmigung genommen werden kann. Diese Frage war für das Oberverwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich, da es die hier in Rede stehenden temporären Maßnahmen aus tatsächlichen Gründen nicht für ausreichend erachtete.
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beklagte und die Beigeladene beimessen.
a) Die Fragen
„Setzt die Gewährleistung des erforderlichen Schutzes gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG voraus, dass der Einsatz sämtlicher zum Genehmigungszeitpunkt auf dem Markt für Streitkräfte befindlicher Waffensysteme, die als sog. „light weapons” in der Terminologie der Vereinten Nationen gehandelt werden, durch potenzielle Täter unterstellt wird? Oder ist im Rahmen des Funktionsvorbehalts der Exekutive eine Eingrenzung der zu unterstellenden Waffensysteme nach Maßgabe der Beurteilung durch die Sicherheitsund Fachbehörden zulässig, inwieweit solche Waffensysteme für potenzielle Täter verfügbar sind, bzw. inwieweit unterstellte Waffensysteme auch neuere verfügbare Waffensysteme konservativ abdecken?”
„Muss vor Erteilung einer Genehmigung für ein Standortzwischenlager zur Feststellung, ob die Genehmigungsvoraussetzung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG vorliegt, geprüft werden, wie sich ein Angriff mit sämtlichen zu diesem Zeitpunkt auf dem Markt für Streitkräfte befindlichen Waffen auswirken würde, ohne dass es darauf ankommt, ob diese Waffen für Terroristen überhaupt verfügbar sind, und ohne dass der Behörde insofern ein Einschätzungsspielraum verbleibt?”
würden sich, soweit sie nicht bereits geklärt sind, in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat ein zu einem Verstoß gegen § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG führendes Ermittlungsdefizit der Beklagten darin gesehen, dass diese nur die Auswirkungen eines Angriffs mit bis zum Jahr 1992 auf dem Markt befindlichen panzerbrechenden Waffen berücksichtigt und eine Ermittlung der potentiell weitergehenden Auswirkungen moderner, zum Genehmigungszeitpunkt bereits existierender Waffen unterlassen habe (UA Rn. 185). Dieser Beurteilung liegt ein zutreffendes Verständnis der hier maßgeblichen Vorschrift des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG zugrunde. Bei der gerichtlichen Kontrolle der Anwendung dieser Norm ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu beurteilen, ob die Genehmigungsbehörde willkürfrei annehmen durfte, dass der erforderliche Schutz gegen die Risiken für Leben oder Gesundheit des Klägers durch Beschuss der Castorbehälter mit verfügbaren panzerbrechenden Waffen gewährleistet ist (BVerwG, Urteil vom 10. April 2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 34). Diesen Maßstab hat das Oberverwaltungsgericht angewendet. Dabei hat es eine Berücksichtigung der zum Genehmigungszeitpunkt auf dem Markt befindlichen panzerbrechenden Waffen für erforderlich gehalten, unter anderem deswegen, weil hinsichtlich dieser Waffen nicht ausgeschlossen werden könne, dass auch terroristische Akteure sich ihrer bemächtigen könnten.
Bei dem Begriff der „verfügbaren panzerbrechenden Waffen” handelt es sich um ein Element des nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG maßgeblichen Prüfprogramms der Genehmigungsbehörde. Hierzu zeigen die Beschwerden keinen weiteren grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Schon aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich, dass die Bestimmung des im Genehmigungsverfahren in den Blick zu nehmenden Waffentyps nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen ist. Denn damit würden die Grenzen des Funktionsvorbehalts verkannt, der die Verwaltungsgerichte nicht von der Aufgabe freistellt zu prüfen, ob die Genehmigungsbehörde die Datenbasis, auf deren Grundlage sie entschieden hat, als ausreichend ansehen durfte und ob die damit verbundenen Bewertungen ihr als hinreichend konservativ erscheinen konnten; dies setzt einen Nachvollzug der gedanklichen Operationen der Genehmigungsbehörde voraus, die der angefochtenen atomrechtlichen Genehmigung zugrunde liegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1987 – 7 C 4.85 – BVerwGE 78, 177 ≪181≫). Das Oberverwaltungsgericht hat die Frage, welche panzerbrechenden Waffen verfügbar sind, ersichtlich der Datenbasis für die Entscheidung der Genehmigungsbehörde zugeordnet. Hierzu hat es eine umfassende Würdigung des Vorbringens der Beteiligten einschließlich der Stellungnahmen von ihnen benannter Sachverständiger sowie zusätzlich noch allgemein zugänglicher Quellen vorgenommen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte sich nicht auf Beschussversuche mit einem 1992 auf den Markt gekommenen Waffentyp hätte beschränken dürfen, da diese zum Genehmigungszeitpunkt nicht mehr repräsentativ gewesen seien. Hiermit hat es eine nicht ausreichende Datenbasis für die Genehmigung festgestellt. Die Beschwerden wenden sich in der Sache lediglich gegen diese Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts im tatsächlichen Bereich, die aber nicht zu einem grundsätzlichen Klärungsbedarf führt.
b) Die Frage
„Ist es in einer Drittanfechtungssituation hinsichtlich einer Genehmigung nach § 6 Abs. 2 AtG zulässig, bei Vorliegen eines berechtigten, durch eine höchstrichterliche Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO bestätigten Geheimhaltungsinteresses an für die gerichtliche Überprüfung relevanten Dokumenten den Konflikt zwischen drohendem Prozessverlust und geheimniswidriger Offenbarung einseitig zu Lasten der Behörde und der beigeladenen Grundrechtsträgerin dahingehend aufzulösen, dass das Gericht trotz erkanntermaßen fehlender Informationen seine Überzeugung auf Grundlage von Mutmaßungen trifft?”
ist nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Überzeugung nicht auf der Grundlage von Mutmaßungen gebildet, sondern auf der Grundlage des Vorbringens aller Beteiligten sowie eigener Recherchen. Dass das Oberverwaltungsgericht hierbei auch allgemein im Internet zugängliche Quellen genutzt hat, ist für sich genommen nicht zu beanstanden.
c) Die Frage
„Sind die Vorschriften des untergesetzlichen Regelwerks zum Schutz von kerntechnischen Zwischenlagern an Kraftwerksstandorten (SEWD-Richtlinie nebst Lastannahmen) normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften mit der Folge, dass diese auch für die Gerichte verbindlich und wie Normen auszulegen sind?”
würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren ebenfalls nicht stellen. Aus Sicht der Beigeladenen entfaltet das erwähnte „untergesetzliche Regelwerk” dergestalt Bindungswirkung, dass seine Vorgaben nicht nur für die Genehmigungsbehörde, sondern auch für die Verwaltungsgerichte verbindlich sind. Diese Verbindlichkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften gilt indessen nur innerhalb der von der Norm gesetzten Grenzen und wird durch ihren Anwendungsbereich bzw. ihren Aussagegehalt bestimmt (BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 1985 – 7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300 ≪320≫ und vom 10. Juli 2012 – 7 A 11.11 – BVerwGE 143, 249 Rn. 30). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage wäre daher allenfalls dann entscheidungserheblich, wenn die Berücksichtigung von Waffentypen, die nach 1992 auf den Markt gekommen sind, im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nach den Lastannahmen ausgeschlossen – und nicht nur, wie die Beschwerde meint, nicht erforderlich – wäre. Dies lässt sich der Beschwerde jedoch nicht entnehmen. Die Betroffenen könnten überdies den Regelungsgehalt der SEWD-Richtlinie mangels Bekanntmachung nicht zur Kenntnis nehmen; dies würde jedenfalls der Außenwirksamkeit dieser Richtlinie entgegenstehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 2004 – 5 CN 1.03 – BVerwGE 122, 264 ≪269 f.≫).
d) Mit den weiteren von der Beschwerde der Beigeladenen formulierten Fragen
„Sind die Gerichte bei der Kontrolle der Ermittlungen und Bewertungen von behördlichen Entscheidungen mit atomrechtlichem Funktionsvorbehalt insgesamt auf eine Willkürkontrolle beschränkt oder gilt diese Beschränkung nur für die Kontrolle der behördlichen Bewertungen?”
und
„Welche Voraussetzungen gelten für die Annahme einer Willkürlichkeit des behördlichen Handelns bei einer Entscheidung mit atomrechtlichem Funktionsvorbehalt? Genügt es insbesondere, dass die behördliche Vorgehensweise für das Gericht ‚nicht überzeugend’ oder ‚unplausibel’ ist, ohne dass eine positive Feststellung weiterer Kriterien erforderlich ist?”
wird kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt.
Der von den Verwaltungsgerichten bei der Überprüfung atomrechtlicher Genehmigungen anzuwendende Maßstab ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Über das Maß des erforderlichen Schutzes gegen terroristische Einwirkungen Dritter auf ein Zwischenlager entscheidet die Genehmigungsbehörde in eigener Verantwortung. Die Exekutive ist für die Risikoermittlung und -bewertung, also auch für die Entscheidung über Art und Ausmaß von Risiken, die hingenommen oder nicht hingenommen werden, allein verantwortlich. Die Gerichte sind darauf beschränkt zu überprüfen, ob die der behördlichen Beurteilung zugrunde liegende Risikoermittlung und -bewertung auf einer ausreichenden Datenbasis beruht und dem Stand von Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt der Behördenentscheidung Rechnung trägt, die Behörde also im Hinblick auf die Ergebnisse des von ihr durchgeführten Genehmigungsverfahrens „diese Überzeugung von Rechts wegen haben durfte” (BVerwG, Urteil vom 10. April 2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 25). Der Funktionsvorbehalt zugunsten der Genehmigungsbehörde betrifft vor allem den Inhalt der Risikoabschätzung, der letztlich nur politisch verantwortet werden kann. Sind die Ermittlungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik ausreichend und hat sie die Behörde ihren Bewertungen zugrunde gelegt, so muss sich das Gericht bei der Prüfung, ob diese Bewertungen hinreichend vorsichtig sind, wegen des Funktionsvorbehalts auf eine Willkürkontrolle beschränken (BVerwG, Urteile vom 14. Januar 1998 – 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115 ≪122≫ und vom 19. Januar 1989 – 7 C 31.87 – BVerwGE 81, 185 ≪192 f.≫). Hieraus folgt, dass die Verwaltungsgerichte jedenfalls im Bereich der auf die Datengrundlage bezogenen Ermittlungen nicht auf eine reine Willkürkontrolle beschränkt sind.
Im Übrigen ist die Frage einer Willkürlichkeit behördlichen Handelns ersichtlich auf den Einzelfall bezogen und entzieht sich einer weiteren Klärung. Das Oberverwaltungsgericht hat sich auch nicht darauf beschränkt, die behördliche Vorgehensweise als „unplausibel” oder „nicht überzeugend” zu kennzeichnen, sondern diese Aussagen – wie schon dargelegt – umfangreich begründet.
3. Die von der Beschwerde der Beigeladenen geltend gemachten Abweichungen im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 1985 – 7 C 65.82 – (BVerwGE 72, 300) und vom 10. April 2008 – 7 C 39.07 – (BVerwGE 131, 129) sowie von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 1982 – 2 BvR 1187/80 – (BVerfGE 61, 82) liegen nicht vor. Die Beschwerde räumt selbst ein, dass der vom Oberverwaltungsgericht formulierte Prüfungsmaßstab der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entnommen ist, meint aber, dass das Oberverwaltungsgericht in Wahrheit einen anderen Maßstab zugrunde lege, weil es sich hinsichtlich der von der Behörde durchzuführenden Ermittlungen nicht darauf beschränke, eine Willkürkontrolle durchzuführen. Unabhängig davon, ob die Beschwerde insoweit den Darlegungsanforderungen genügt, ergibt sich aus diesem Vorbringen keine zur Revisionszulassung führende Abweichung. Das Oberverwaltungsgericht hat – wie bereits dargelegt – den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstab hinsichtlich der gebotenen Ermittlungen nicht nur zutreffend wiedergegeben, sondern auch angewandt. Soweit im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 1982 – 2 BvR 1187/80 – (BVerfGE 61, 82 ≪114 f.≫) und im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 1985 – 7 C 65.82 – (BVerwGE 72, 300 ≪317≫) von „willkürfreien Ermittlungen” die Rede ist, bezieht sich diese Formulierung auf die Vorgehensweise der Genehmigungsbehörde, die ihrerseits an das für alle staatlichen Maßnahmen geltende Verbot willkürlichen Handelns gebunden ist, bedeutet aber nicht die von der Beschwerde der Beigeladenen für richtig gehaltene Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle der behördlichen Ermittlung der Datengrundlage für die jeweilige Genehmigung. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Risikoermittlung und -bewertung eng miteinander verflochten sein können. Dies trifft namentlich zu, soweit Unsicherheiten über Kausalzusammenhänge bestehen, die wertender Einordnung – etwa durch Zugrundelegung konservativer Annahmen – bedürfen. Das Erfordernis derartiger Bewertungen schon im Zuge der Risikoermittlung ändert jedoch nichts daran, dass die Ermittlung der Datengrundlage als solche gerichtlich voll überprüfbar ist.
4. Die von der Beklagten und der Beigeladenen geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
a) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht gegen den in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthaltenen Grundsatz verstoßen, wonach das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet. Die Beschwerden sehen einen solchen Verstoß in der Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, dass die Beklagte bei ihren Untersuchungen im Genehmigungsverfahren lediglich die Auswirkungen eines Angriffs mit bis zum Jahr 1992 auf dem Markt befindlichen panzerbrechenden Waffen berücksichtigt und eine Ermittlung der potentiell weitergehenden Auswirkungen moderner, zum Genehmigungszeitpunkt bereits existierender Waffen unterlassen habe.
Mit diesem Vorbringen wird der Sache nach indessen eine aus Sicht der Beschwerden fehlerhafte Würdigung des dem Oberverwaltungsgericht vorliegenden Tatsachenmaterials beanstandet, nicht jedoch ein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO bezeichnet. Mit der Rüge einer fehlerhaften Verwertung des dem Gericht vorliegenden Tatsachenmaterials wird zunächst nur ein – angeblicher – Fehler in der Sachverhaltswürdigung angesprochen. Ein solcher Fehler ist revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und kann deshalb einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. November 1995 – 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f. und vom 21. September 2011 – 5 B 11.11 – juris Rn. 9). Ausnahmefälle kommen bei einer Aktenwidrigkeit der getroffenen Feststellungen oder bei einer gegen die Denk- oder Naturgesetze verstoßenden oder sonst von Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung in Betracht.
Den Beschwerden lässt sich indessen weder eine Aktenwidrigkeit der Feststellung des Oberverwaltungsgerichts noch eine anderweitig willkürliche Sachverhaltswürdigung entnehmen. Eine auf diese Gesichtspunkte gestützte Verfahrensrüge setzt nämlich einen „zweifelsfreien”, also ohne weitere Beweiserhebung offensichtlichen Widerspruch zwischen den Feststellungen des Tatsachengerichts und dem Akteninhalt voraus (Beschluss vom 21. September 2011 – 5 B 11.11 – juris Rn. 10). Dies zeigen die Beschwerden nicht auf. Den Umstand, dass die Beklagte bei ihren Beschussversuchen eine im Jahr 1992 existierende Waffe verwendet hat, wird auch von den Beschwerden nicht in Zweifel gezogen. Sie wenden sich nur dagegen, dass das Oberverwaltungsgericht die Existenz und Verfügbarkeit von panzerbrechenden Waffen angenommen hat, die nach 1992 auf den Markt gekommen sind und bei einem Angriff auf ein atomares Transportbehälterlager weitergehende Auswirkungen haben können. Soweit es sich dabei um eine tatsächliche Feststellung handelt, ist diese jedenfalls nicht aktenwidrig, aufgrund selektiver Sachverhaltswürdigung oder in sonst willkürlicher Weise getroffen worden, sondern auf der Grundlage der vom Kläger eingereichten Studie der Diplomphysikerin B., des Vorbringens der übrigen Beteiligten und eigener Ermittlungen des Oberverwaltungsgerichts. Dass die Beschwerden die Schlüsse, die das Oberverwaltungsgericht aus diesem Tatsachenmaterial gezogen hat, für falsch halten, begründet keinen Verfahrensfehler.
b) Das Oberverwaltungsgericht hat auch den Anspruch der Beklagten und der Beigeladenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt. Ihr Vorbringen – einschließlich von Äußerungen des Sachverständigen Dr. B. – ist seitens des Oberverwaltungsgerichts ersichtlich zur Kenntnis genommen und erwogen worden, wie sich aus seiner zusammengefassten Wiedergabe in den Entscheidungsgründen ergibt. Die Beschwerden kritisieren der Sache nach lediglich die aus ihrer Sicht fehlerhafte Würdigung dieses Vorbringens, die aber nicht dem Verfahrensrecht zuzurechnen ist, weil sie den inneren Vorgang der richterlichen Rechtsfindung und nicht den äußeren Verfahrensgang betrifft (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 – 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266).
c) Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (Urteil vom 22. Januar 1969 – 6 C 52.65 – BVerwGE 31, 212 ≪217 f.≫; Beschluss vom 21. September 2011 – 5 B 11.11 – juris Rn. 15 m.w.N.). Die genannten Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Beschwerden beschränken sich zur Begründung ihrer Annahme, dem Oberverwaltungsgericht habe sich eine weitere Beweiserhebung aufdrängen müssen, der Sache nach im Wesentlichen auf eine inhaltliche Kritik an den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts und an dem Umstand, dass das Oberverwaltungsgericht sich im Ergebnis nicht ihrer Einschätzung angeschlossen hat. Auch soweit die Beklagte darauf verweist, dass der Sachverständige Dr. B. in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht die Durchschlagskraft der 1992 geprüften Waffe als „immer noch im vordersten Bereich” befindlich eingeordnet hat, ergab sich hieraus vor dem Hintergrund der vom Oberverwaltungsgericht im Übrigen getroffenen Feststellungen kein zwingender Anlass zu weiterer Aufklärung; denn ohne wenigstens beispielhafte Benennung konkreter Produkte, die einen solchen Entwicklungsstand bereits damals erreicht haben sollen, blieb diese Bekundung substanzlos.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Nolte, Krauß, Dr. Keller
Fundstellen
ZUR 2015, 287 |
ZNER 2015, 281 |
InTeR 2015, 106 |