Verfahrensgang

OVG für das Land Brandenburg (Aktenzeichen 1 A 197/98)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 27.03.2002; Aktenzeichen 2 BvR 636/01)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg vom 20. September 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 59 589,60 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO) liegen nicht vor.

1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Grundsätzlich bedeutsam in diesem Sinne ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

Die Beschwerde führt zwar umfangreich vermeintliche Verstöße gegen verschiedene Rechtsvorschriften an, übersieht jedoch weitgehend, dass ihre Einwände im Wesentlichen irrevisibles Landesrecht betreffen und deshalb eine rechtliche Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht nicht zu erwarten ist. Dies betrifft zunächst die von ihr in Zweifel gezogene Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Beschluss der beklagten Stadtverordnetenversammlung über die Abberufung des Klägers aus seinem kommunalen Wahlamt stelle keinen Verwaltungsakt dar. Das Berufungsgericht hat die Beurteilung der Rechtsnatur der angefochtenen Maßnahme aus dem brandenburgischen Kommunalrecht abgeleitet und ihr den rechtlichen Maßstab des § 35 des brandenburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes – der mit § 35 VwVfG übereinstimmt – zugrunde gelegt. Ob danach einer Maßnahme Regelungs- und Außenwirkungscharakter zukommt, wird maßgeblich durch die einschlägigen Vorschriften des irrevisiblen Kommunalverfassungsrechts bestimmt. Die darauf beruhende Wertung des Berufungsgerichts wird auch nicht über den in seinen rechtlichen Vorgaben zutreffend erkannten § 35 VwVfG revisibel. Das Gleiche gilt für den Hinweis der Beschwerde auf § 127 BRRG; denn das Berufungsgericht hat sich ausschließlich mit der kommunalverfassungsrechtlichen Abberufungsentscheidung durch die Gemeindevertretung und nicht mit der daran anschließenden beamtenrechtlichen Folgeentscheidung befasst. Entgegen der Annahme der Beschwerde – die sich für ihre Auffassung zu Unrecht auf den Beschluss vom 4. Februar 1993 – BVerwG 7 B 93.92 – (NVwZ 1993, 378 f.) beruft – gehören Vorschriften aus Gemeindeordnungen über Wahlen und Abberufungen in Gemeindevertretungen auch dann nicht dem Recht der Landesbeamten an, wenn es dabei um kommunale Wahlbeamte geht. Derartige Vorschriften der Gemeindeordnung regeln die interne Willensbildung der Gemeindevertretungen und – soweit es sich um Wahlbeamte handelt – deren Berufung oder Abberufung in oder aus Positionen eines Gemeindeorgans; sie unterfallen deshalb – wie das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) ausdrücklich hervorgehoben hat – ungeachtet ihrer beamtenrechtlichen Folgen „dem nach § 137 Abs. 1 VwGO irrevisiblen Kommunalverfassungsrecht des Landes”. Sie rechtfertigen deshalb die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung mangels Klärungsfähigkeit nicht. Da der Rechtscharakter derartiger Abberufungsentscheidungen maßgeblich vom jeweiligen Landesrecht bestimmt wird, ist auch der Hinweis der Beschwerde auf die unterschiedliche Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte auf der Grundlage ihrer jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen ungeeignet, die grundsätzliche Bedeutung aus bundesrechtlicher Sicht zu begründen.

Die von der Beschwerde ferner aufgeworfene Frage, ob die Abberufung eines kommunalen Wahlbeamten durch einen Abwahlbeschluss bei gesetzlich geregeltem Eintritt in den beamtenrechtlichen Ruhestand ausschließlich kommunalrechtlich und nicht zumindest auch beamtenrechtlich zu prüfen ist, betrifft in erster Linie die landesrechtliche Regelung des § 92 Abs. 2 LBG und wird gegebenenfalls im Rahmen des hierzu noch anhängigen gesonderten Klageverfahrens unter dem Blickwinkel der Rechtsnatur dieser Regelung und ihrer von dem Kläger offenbar in Zweifel gezogenen Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu prüfen sein (vgl. zur grundsätzlichen Vereinbarkeit kommunalverfassungsrechtlicher Abwahlregelungen mit Beamtenrecht: BVerwGE 56, 163 ≪165 ff., 171≫). Dass der kommunalverfassungsrechtliche Akt der Abberufung unabhängig davon eine rein kommunalverfassungsrechtliche Maßnahme bleibt und deshalb auch den hierfür gegebenen revisionsrechtlichen Beschränkungen unterliegt, bedarf angesichts der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keiner erneuten Klärung. Ist aber nach Maßgabe des irrevisiblen Landesrechts die Abberufung eines Wahlbeamten kein Verwaltungsakt, so steht ohne weiteres zugleich fest, dass insoweit auch kein Widerspruchsverfahren durchzuführen ist. Die darauf fußende weitere Annahme des Berufungsgerichts, für die Zurückweisung eines unzulässigen Widerspruchs bedürfe es der nach Landesrecht für die Abberufung erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit nicht, ist ebenfalls im irrevisiblen Landesrecht verankert; Bundesrecht gibt insoweit nichts vor. Auch die darauf bezogenen Fragen der Beschwerde werfen deshalb aus bundesrechtlicher Sicht keinen Klärungsbedarf auf.

Die von der Beschwerde des Weiteren gerügte Verletzung der Anhörungspflicht im Zusammenhang mit der Beantragung der Abberufung bezeichnet ebenfalls keine grundsätzlich bedeutsame Frage. Die Beschwerde übersieht, dass das Bundesverwaltungsgericht in dem vom Oberverwaltungsgericht zitierten Urteil vom 14. Juli 1978 – BVerwG 7 C 45.76 – (BVerwGE 56, 163 ≪171≫) diese Frage bereits im Sinne des Berufungsurteils entschieden hat. Aus bundesrechtlicher Sicht ist unter den gegebenen Umständen eine von der Beschwerde begehrte förmliche Anhörung nicht geboten, weil der Kläger in der Zeit zwischen Beantragung der Abberufung und der Beschlussfassung hierüber angesichts der zwingenden gesetzlichen Fristen ausreichend Zeit zur Verschaffung rechtlichen Gehörs hatte. § 28 VwVfG vermittelt der aufgeworfenen Frage entgegen der Ansicht der Beschwerde keine grundsätzliche Bedeutung. Abgesehen davon, dass hierzu eine vielfältige Rechtsprechung vorliegt, geht dieser Hinweis deshalb fehl, weil die genannte Vorschrift mangels Verwaltungsaktes von vornherein unmittelbar keine Anwendung findet. „Fundamentale Elemente des Rechtsstaats” sind entgegen der Ansicht der Beschwerde im vorliegenden Fall auch bei Ablehnung eines förmlichen Anhörungserfordernisses nicht gefährdet, weil nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts und den kommunalverfassungsrechtlichen Fristenregelungen von Gesetzes wegen eine ausreichende Möglichkeit der Einflussnahme durch den Kläger auf die Beschlussfassung bestand.

Im Zusammenhang mit § 124 a Abs. 1 Satz 2 VwGO ergeben sich schließlich entgegen der Annahme der Beschwerde ebenfalls keine klärungsfähigen Rechtsfragen. Da das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 152 Abs. 1 VwGO an den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts über die Zulassung der Berufung gebunden ist, deren Statthaftigkeit also nicht mehr infrage stellen könnte, sind die Einwände der Beschwerde gegen die Rechtmäßigkeit dieser Zulassungsentscheidung einer Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht in dem beabsichtigten Revisionsverfahren entzogen (§ 173 VwGO in Verbindung mit § 548 ZPO; Beschlüsse vom 23. April 1998 – BVerwG 4 B 40.98NVwZ 1998, 1179 und vom 4. Dezember 2000 – BVerwG 9 B 413.00 – Abdruck S. 2 f.).

2. Die Revision kann auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zugelassen werden.

Soweit sich die Beschwerde hierzu auf vermeintlich abweichende Urteile anderer Oberverwaltungsgerichte beruft, ist ihr schon im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht weiter nachzugehen. Angebliche Divergenzen zu anderen Oberverwaltungsgerichten eröffnen auch nicht gemäß § 127 Nr. 1 BRRG den Zugang zur Revisionsinstanz, weil es sich hier – wie dargelegt – nicht um eine Streitigkeit aus dem Beamtenverhältnis, sondern um eine kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit handelt.

Erfolglos bleibt die Divergenzrüge auch insoweit, als sie sich auf verschiedene Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts beruft. Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass das angefochtene Urteil auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der von einem ebensolchen entscheidungstragenden abstrakten höchstrichterlichen Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift abweicht; ein bloßer Subsumtions- oder Anwendungsfehler reicht nicht aus. Den entsprechenden Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt die Beschwerde nicht, weil sie die Gegenüberstellung der vermeintlich divergierenden abstrakten Rechtssätze vermissen lässt bzw. übersieht, dass die zitierten Entscheidungen nicht dieselbe Rechtsvorschrift betreffen (so die zitierten Urteile vom 14. Januar 1965 – BVerwG 2 C 53.62 – BVerwGE 20, 160 und vom 27. März 1992 – BVerwG 7 C 20.91 – BVerwGE 90, 104). Das Urteil vom 26. Juni 1987 – BVerwG 8 C 21.86 – (BVerwGE 78, 3) scheidet als Divergenz schon deshalb aus, weil das Berufungsurteil nicht abstrakt in Zweifel zieht, dass ein Ausgangsbescheid, der die Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes nicht erfüllt, durch einen Widerspruchsbescheid zum Verwaltungsakt umgestaltet werden könnte. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr lediglich – zu Recht – einem Widerspruchsbescheid, der den Widerspruch in erster Linie als unzulässig verwirft, eine solche Umgestaltungsfunktion nicht beigemessen.

Divergenzentscheidungen im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind auch nicht die Urteile vom 17. August 1982 – BVerwG 1 C 22.81 – (BVerwGE 66, 111) und vom 31. Mai 1990 – BVerwG 2 C 55.88 – (DVBl 1990, 1232); denn sie befassen sich mit der Vorschrift des § 28 VwVfG und dem Problem der Heilung eines Anhörungsmangels. Einen davon abweichenden abstrakten Rechtssatz enthält das Berufungsurteil schon deshalb nicht, weil es mangels Annahme eines Verwaltungsaktes die Heranziehung des § 28 VwVfG von vornherein nicht erörterte (vgl. BU S. 19 f.). Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1976 – 2 BvR 841/73 – (BVerfGE 43, 154) kommt als Abweichungsgrund deshalb nicht in Betracht, weil er sich mit der hier zu beurteilenden Anhörung bei der Abberufung eines kommunalen Wahlbeamten überhaupt nicht befasst, also insbesondere zu den für die Anhörungsproblematik maßgeblichen besonderen gesetzlichen Fristenregelungen des Kommunalverfassungsrechts nicht Stellung bezieht.

3. Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist unbegründet. Schon nach dem eigenen Vorbringen der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht ersichtlich kein unzulässiges Überraschungsurteil erlassen, das den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) verletzt hätte. Zur Begründung ihres Vorwurfs verweist die Beschwerde allein auf die von ihr nicht erwartete Bedeutung eines Urteils des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, dem sich das Berufungsgericht „überraschend” angeschlossen hätte. Die Beschwerde räumt jedoch selbst ein, dass die genannte Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren erörtert worden ist (vgl. hierzu auch S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2000). Entgegen der Auffassung der Beschwerde musste das Oberverwaltungsgericht nicht bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung offenbaren, welcher Rechtsauffassung zu dem streitigen Problem es sich nach Beratung (voraussichtlich) anschließen würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 13, 14 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Müller, Sailer, Krauß

 

Fundstellen

Dokument-Index HI558028

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