Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 16.05.2013; Aktenzeichen 29 K 328.11) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 70 605 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Bescheids der Beklagten vom 7. Juni 2011, durch den u.a. festgestellt wurde, dass die Beigeladene wegen der Entziehung der Beteiligung des jüdischen Bankhauses W. OHG an der ehemaligen K. AG Berechtigte im Sinne der § 2 Abs. 1 Satz 3, § 3 Abs. 1 Satz 4 und 5 i.V.m. § 1 Abs. 6 VermG in Höhe von 2 081/10 000 Bruchteilen des Stammkapitals ist (Nr. 1), dass die Rückübertragung des früher im Eigentum der K. AG stehenden Grundstücks B.straße … in B. ausgeschlossen ist (Nr. 2) und die Beigeladene dem Grunde nach einen Anspruch auf Auskehr von 2 081/10 000 Bruchteilen des Erlöses aus dem Verkauf des in Ziffer 2 des Bescheids genannten Grundstücks hat (Nr. 3).
Auf die Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht die Nummern 1 und 3 des Bescheids vom 7. Juni 2011 insoweit aufgehoben, als dort die Erlösauskehrberechtigung der Beigeladenen in Höhe von mehr als 1 569/10 000 Bruchteilen festgestellt wurde, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Revision gegen sein Urteil hat das Verwaltungsgericht nicht zugelassen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin, die sich auf eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft, hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Die von der Klägerin erhobene Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
a) Soweit die Klägerin eine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. April 2009 – BVerwG 8 C 5.08 – (ZOV 2009, 204 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 50) rügt, genügt die Divergenzrüge nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufgeführten Gerichte aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer – tatsächlich oder vermeintlich – fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte oder das Bundesverfassungsgericht in der Rechtsprechung aufgestellt haben, genügt den Anforderungen einer Divergenzrüge nicht (Beschluss vom 9. September 2011 – BVerwG 8 B 15.11 – ZOV 2011, 226). So liegt der Fall hier.
Die Klägerin trägt vor, das Bundesverwaltungsgericht habe in dem Urteil vom 22. April 2009 den die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der räumliche Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG sei bei einer Aktienanteilsschädigung nur dann eröffnet, wenn das die Aktien ausgebende Unternehmen seinen Sitz im Beitrittsgebiet habe, während das Verwaltungsgericht den abstrakten Rechtssatz aufgestellt habe, dass der räumliche Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG bei einer Aktienanteilsschädigung unabhängig vom Sitz des die Aktien ausgebenden Unternehmens im Beitrittsgebiet eröffnet sei, falls der begehrte, früher zum Unternehmensvermögen gehörende Vermögensgegenstand im Beitrittsgebiet belegen sei.
Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich ein derartiger abstrakter Rechtssatz der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht entnehmen. Zwar bejaht das Verwaltungsgericht den Anspruch auf Bruchteilsrestitution unabhängig davon, ob die entzogene Unternehmensbeteiligung an einem Unternehmen mit Sitz im Beitrittsgebiet oder an einem Unternehmen in Westdeutschland bestand. Damit hat es jedoch keine Aussage zur räumlichen Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes auf die Anteilsentziehung selbst getroffen. Vielmehr unterscheidet es zwischen der Anteilsschädigung einerseits und dem daran anknüpfenden Anspruch auf Bruchteilsrestitution „weggeschwommener” Vermögensgegenstände des Unternehmens andererseits. Es versteht die Verweisung des § 3 Abs. 1 Satz 4 Teilsatz 2 VermG auf § 1 Abs. 6 VermG erkennbar dahin, dass die Anteilsentziehung sich als verfolgungsbedingter Vermögensverlust im Sinne dieser Vorschrift darstellen muss (S. 9 UA), ohne zu verlangen, dass das Vermögensgesetz auch auf die Anteilsentziehung selbst anzuwenden und diese nach § 1 Abs. 6 i.V.m. § 3 Abs. 1 VermG restituiert worden oder rückgängig zu machen sein muss. Stattdessen genügt seiner Auffassung nach – wie bei der Bruchteilsrestitution nach Unternehmensentziehungen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 Teilsatz 1 VermG –, dass die entzogenen Anteile nach dem Vermögensgesetz oder nach einem anderen Gesetz zurückgegeben wurden oder zurückzugeben sind. Als anderes Gesetz kommt auch das für Unternehmens- und Anteilsschädigungen in Westdeutschland geltende Rückerstattungsrecht in Betracht. Der Unternehmenssitz in Westdeutschland schloss daher aus der Sicht des Verwaltungsgerichts den Anspruch auf Bruchteilsrestitution des im Beitrittsgebiet belegenen früheren Vermögensgegenstands des Unternehmens nicht aus. Der Anspruch auf Anteilsrestitution, für den es auf die Belegenheit der Unternehmensbeteiligung angekommen wäre, war nicht Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Darüber hinaus muss sich die Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf eine Rechtsfrage beziehen, die sich bei der Anwendung ein und derselben Rechtsvorschrift stellt (Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 132 Rn. 91 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. In dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. April 2009 – BVerwG 8 C 5.08 – (a.a.O.) zugrunde liegenden Fall war über einen Anspruch auf anteilige Entschädigungsberechtigung wegen der Entziehung von Aktien gemäß § 6 Abs. 5b VermG, § 4 EntSchG i.V.m. § 1 Abs. 6 VermG zu befinden; der zu restituierende Vermögenswert war der Anteil an dem Unternehmen selbst. Demgegenüber ist im streitgegenständlichen Verfahren der zu restituierende (bzw. zu entschädigende) Vermögenswert nicht die Aktienbeteiligung der W. OHG an der K. AG, sondern der anteilige Erlös für das Grundstück der K. AG in der B.straße … in dem ehemaligen sowjetischen Sektor von B.. Anspruchsgrundlage ist insoweit § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG i.V.m. § 1 Abs. 6 VermG.
Der von dem Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 22. April 2009 aufgestellte Rechtssatz, der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG setze voraus, dass eine Vermögensentziehung im Beitrittsgebiet vorgelegen habe, bezieht sich dabei nicht auf den im vorliegenden Fall geltend gemachten Anspruch auf ergänzende Einzelrestitution nach § 3 Abs. 1 Satz 4 ff. VermG.
b) Auch soweit die Klägerin eine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. April 2004 – BVerwG 8 C 12.03 – (BVerwGE 120, 362 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 25 = ZOV 2004, 192) rügt, wird den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht Genüge getan.
Die Klägerin trägt vor, das Urteil vom 28. April 2004 (a.a.O.) enthalte den tragenden abstrakten Rechtssatz, dass die geschädigten Gesellschafter im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 5 VermG bei einem sogenannten Mutter-Tochter-Verhältnis, bei dem die Beteiligung der Muttergesellschaft einem schädigenden Ereignis unterlag, die Gesellschafter der Muttergesellschaft seien und nicht die Muttergesellschaft selbst. Demgegenüber werde in dem verwaltungsgerichtlichen Urteil (jedenfalls konkludent) der abstrakte Rechtssatz aufgestellt, geschädigter Gesellschafter im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 5 VermG seien bei einem sogenannten Mutter-Tochter-Verhältnis nicht die Gesellschafter der Muttergesellschaft, sondern die Muttergesellschaft selbst.
Dem verwaltungsgerichtlichen Urteil lässt sich indes ein derartiger abstrakter Rechtssatz nicht entnehmen. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenhang seiner Ausführungen, dass es von einer Berechtigung der Gesellschafter der OHG nach § 3 Abs. 1 Satz 5 VermG (auch) wegen einer Schädigung einer unmittelbaren Beteiligung der OHG an der ehemaligen K. AG durch die Aktienverkäufe ausgeht. Es unterscheidet lediglich diese Anteilsschädigung vom Verlust der Anteile an der OHG-Gesellschaft selbst und verneint einen Gesamtvorsatz, der für die Annahme einer gestreckten Schädigung erforderlich wäre.
Im Übrigen ergibt sich auch aus dem von der Klägerin angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. April 2004 (a.a.O.) kein grundsätzlicher Ausschluss der in ihren Anteilsrechten geschädigten Gesellschafter, die zugleich Unternehmensträger sind, als Berechtigte einer Bruchteilsrestitution (vgl. hierzu: Beschluss vom 29. Juli 2010 – BVerwG 8 B 105.09 – ZOV 2010, 225).
2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden entscheidungserheblichen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist (stRspr, vgl. Beschluss vom 9. September 2011 – BVerwG 8 B 15.11 – (ZOV 2011, 226). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Die Klägerin erachtet die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
„Ist der räumliche Anwendungsbereich von § 3 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 6 VermG auch dann eröffnet, wenn das Unternehmen, an dem eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung entzogen worden ist, seinen Sitz zum Schädigungszeitpunkt nicht im Beitrittsgebiet hatte?”
Diese Frage ist indes nicht mehr klärungsbedürftig, da sie höchstrichterlich bereits entschieden ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 13. Oktober 2005 – BVerwG 7 B 47.05 – (Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 58) ausgeführt, dass § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG auch für Unternehmen im Westen Deutschlands gilt, denen Vermögensgegenstände im Beitrittsgebiet gehörten. In derartigen Fallkonstellationen bezweckt die Vorschrift, die Wiedergutmachungslücke zu schließen, die in Bezug auf das im Beitrittsgebiet gelegene Betriebsvermögen dadurch entstanden ist, dass hierfür seinerzeit keine Rückerstattungsleistungen gewährt worden sind. Dass § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG gerade auch die in diesem Sinne ergänzende Einzelrestitution bei „Westunternehmen” erfasst, ist mit ihrer Neufassung durch das Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz klargestellt worden (vgl. auch zur alten Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG: Urteil vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 53.96 – ZOV 1997, 358 = Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 18). Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist insoweit auch nicht uneinheitlich. Insbesondere ergibt sich aus den von der Klägerin dazu angeführten Entscheidungen nicht, dass der Anspruch auf ergänzende Bruchteilsrestitution wegen einer Anteilsschädigung nach § 3 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 6 VermG nur in Betracht käme, wenn das Unternehmen, an dem die entzogene Beteiligung bestand, im Zeitpunkt der Entziehung im Beitrittsgebiet belegen war. Soweit die Klägerin sich für ihre gegenteilige Auffassung auf das Urteil vom 22. April 2009 (a.a.O.) beruft, kann auf die Darlegungen oben unter 1.a) verwiesen werden. Aus der weiteren Rechtsprechung ergibt sich nichts anderes. Dass ein vermögensrechtlicher Anspruch auf Rückübertragung entzogener Aktien nach § 3 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 6 VermG die räumliche Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes bezüglich der Anteilsschädigung voraussetzt, lässt noch nicht darauf schließen, dass § 3 Abs. 1 Satz 4 Teilsatz 2 VermG auch den Anspruch auf ergänzende Bruchteilsrestitution von der Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes auf die Anteilsrestitution abhängig machen und damit insoweit eine andere Regelung treffen wollte als für die Bruchteilsrestitution nach Unternehmensschädigungen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 Teilsatz 1 VermG. Dieser stellt ausdrücklich klar, dass eine ergänzende Bruchteilsrestitution auch nach Schädigungen in Betracht kommt, die nicht nach dem Vermögensgesetz, sondern nach einem anderen Gesetz rückgängig gemacht wurden oder zu machen waren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert, Dr. Held-Daab, Dr. Rudolph
Fundstellen