Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Beschluss vom 21.06.2001; Aktenzeichen 11 B 97.34642)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Juni 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO).

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass dem Kläger, einem russischen Staatsangehörigen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unmenschliche Behandlung im Sinne des § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK drohe, falls er nach einer Rückkehr seinen Wehrdienst in Russland ableisten müsse. Das Berufungsgericht hat diese Gefahr allerdings letztlich für unerheblich erachtet. Denn der Kläger habe u.a. wegen lückenhafter Wehrüberwachung „große Chancen”, nicht einberufen zu werden „oder jedenfalls einer Einberufung sanktionslos keine Folge leisten zu können”. So sei es in Russland offenbar weit verbreitet, sich einer Einberufung zum Wehrdienst dadurch zu entziehen, dass man sich vom Wehrdienst „freikaufe”, indem man durch Bestechung erreiche, dass die militärärztlichen Untersuchungsbefunde gefälscht würden und eine Wehruntauglichkeit attestiert werde. Selbst wenn man sich auf den für die Beurteilung der Verfahrensrüge maßgeblichen Standpunkt des Berufungsgerichts stellt und einen „Freikauf” bzw. den Versuch eines „Freikaufs” vom Wehrdienst für zumutbar hält, hat es, worauf die Beschwerde zu Recht hinweist, das Berufungsgericht jedenfalls versäumt, der Frage nachzugehen, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit dem Kläger Haft und daher eine menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne des § 53 AuslG droht, falls sein Versuch des „Freikaufs” aufgedeckt wird. Dem Berufungsgericht hätte sich von Amts wegen aufdrängen müssen, zu dieser Frage ein Sachverständigen-Gutachten einzuholen, beispielsweise durch Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes oder von amnesty international. Nur auf diese Weise hätte sich das Berufungsgericht in die Lage versetzen können, mittels einer wertenden „qualifizierenden” Betrachtungsweise zu einer Beurteilung der Verfolgungsgefahr für den Kläger im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu kommen (vgl. etwa Urteil vom 23. Juli 1991 – BVerwG 9 C 154.90 – BVerwGE 88, 367 ≪377 f.≫). Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurück.

Die von der Beschwerde gleichzeitig geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) steht der Zurückverweisung nach § 133 Abs. 6 VwGO nicht entgegen. Die von der Beschwerde im Zusammenhang mit einen „Freikauf” vom Wehrdienst aufgeworfenen Fragen, insbesondere auch ob der Kläger darauf verwiesen werden kann, strafbare Handlungen wie Bestechung oder mittelbare Falschbeurkundung zu begehen, um sich der Ableistung des Wehrdienstes zu entziehen (zur Frage der Unzumutbarkeit, sich in ein kriminelles Umfeld zu begeben, vgl. z.B. Beschluss vom 9. Januar 1998 – BVerwG 9 B 1130.97 – ≪Juris≫), könnten in dem angestrebten Revisionsverfahren keiner Klärung zugeführt werden. Denn ihre Beantwortung hängt wesentlich auch von der Strafverfolgungspraxis hierzu in Russland ab (zur Maßgeblichkeit der tatsächlichen Strafverfolgungspraxis vgl. etwa Urteil vom 17. Dezember 1996 – BVerwG 9 C 20.96 – InfAuslR 1997, 284), zu der – wie die erfolgreiche Aufklärungsrüge zeigt – die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlen.

 

Unterschriften

Eckertz-Höfer, Richter, Dr. Eichberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI745271

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