Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 08.12.2005; Aktenzeichen 3 S 2693/04) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 8. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragstellerin beimisst.
1. Zunächst nötigt die Frage,
ob es die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) und/oder die raumordnungsrechtliche Funktionszuweisung als “zentraler Ort” (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG) und/oder der Grundsatz der umfassenden Sachverhaltsermittlung im Rahmen der Ermessensausübung (§ 40 VwVfG) gebieten, bei der Entscheidung über eine Abweichung gemäß § 23 LPlG BW (richtig: § 24 LPlG BW)/§ 11 ROG von einem Ziel der Raumordnung (hier: Kongruenzgebot bei der Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben) auch und gerade solche Einzelhandelsagglomerationen im Sinne einer Vorbelastung zu berücksichtigen, die im örtlichen Verflechtungsbereich der jeweiligen Antragstellerin bereits vorhanden und darüber hinaus raumordnungswidrig sind,
nicht zur Zulassung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat der höheren Raumordnungsbehörde attestiert, durch das Kongruenzgebot nicht dazu verpflichtet gewesen zu sein, die Umsatzverluste zu berücksichtigen, die durch die raumordnungswidrige großflächige Einzelhandelsagglomeration in Sinzheim in den benachbarten Mittelzentren hervorgerufen worden sind (UA S. 17). An diese rechtliche Würdigung ist der Senat nach § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO gebunden, weil es sich bei dem LEP 2002, dem das Normenkontrollgericht das Kongruenzgebot entnommen hat, um Landesrecht handelt, dessen Auslegung und Anwendung durch die Vorinstanz der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen ist.
Die Zulassung der Revision lässt sich nicht mit der Behauptung erreichen, das Normenkontrollgericht habe bei der Interpretation des Kongruenzgebots gegen Bundesrecht (einschließlich des Bundesverfassungsrechts) verstoßen. Vielmehr muss dargelegt werden, dass der bundesrechtliche Maßstab selbst einen die Zulassung der Revision rechtfertigenden Klärungsbedarf aufweist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Dezember 2005 – BVerwG 4 BN 40.05 – NVwZ 2006, 458 ≪459≫; stRspr). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.
Das Kongruenzgebot wird aus dem Zentrale-Orte-Prinzip abgeleitet (Spannowsky, UPR 2003, 248 ≪250≫; Uechtritz, NVwZ 2004, 1025 ≪1027≫). In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass dieses Prinzip, aus dem Gemeinden und so auch die Antragstellerin ein Abwehrrecht gegen ein Vorhaben im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO in der Nachbargemeinde herleiten, nicht Ausfluss des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ist, sondern dass den Gemeinden diese Rechtsstellung durch einen außergemeindlichen Planungsträger zugewiesen ist (Urteil vom 11. Februar 1993 – BVerwG 4 C 15.92 – NVwZ 1994, 285 ≪288≫). Diese Aussage bedarf nicht deshalb einer erneuten Prüfung in einem Revisionsverfahren, weil sie der Entscheidung des Senats vom 15. Dezember 1989 – BVerwG 4 C 36.86 – (NVwZ 1990, 464 ≪465≫) zuwiderliefe. Der Senat hat seinerzeit zwar erwogen, einer Gemeinde mit Zentrenfunktion das Recht zuzubilligen, sich unter Berufung auf ihr Selbstverwaltungsrecht gegen eine Bebauung in der Nachgemeinde zu Wehr zu setzen. Er hat die Frage aber offen gelassen, da die klagende Gemeinde in jenem Verfahren keine Zentrenfunktion hatte.
Die Revision ist auch nicht zur Klärung des Regelungsinhalts des § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG zuzulassen. Die Vorschrift ordnet in ihrem Satz 2 an, dass die Siedlungstätigkeit auf ein System leistungsfähiger Zentraler Orte auszurichten ist. Als Grundsatz der Raumordnung ist sie auf eine Konkretisierung durch Raumordnungspläne angelegt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 ROG). Nur und erst auf dieser Ebene sind die Maßnahmen angesiedelt, die eine raumstrukturell und -funktionell verträglichen Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe sicherstellen sollen. Ob und mit welchem Inhalt in diesem Zusammenhang ein Kongruenzgebot normiert wird, ist damit allein eine landesrechtliche Frage.
Auch die Frage, ob die höhere Raumordnungsbehörde ihr Ermessen im Einklang mit § 40 LVwVfG ausgeübt hat, entzieht sich der revisionsgerichtlichen Kontrolle. Der Senat hat deshalb hinzunehmen, dass nach Auffassung des Normenkontrollgerichts die Nachteile, die sich aus den umfangreichen, raumordnungswidrig entstandenen Einzelhandelsnutzungen in der Gemeinde Sinzheim für die Antragstellerin ergeben, als nicht schutzwürdig nicht in die Abwägung einzustellen waren (UA S. 21). Diese Ansicht ist nicht deshalb der Grundsatzrevision zugänglich, weil § 40 LVwVfG nach § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO revisibel ist. Zu § 40 LVwVfG ist verallgemeinernd nicht mehr zu sagen, als dass die Behörde alle für die vom Zweck der Ermächtigung her relevanten Tatsachen umfassend ermitteln und bei der Entscheidung alle Ergebnisse dieser Ermittlungen und alle sonst einschlägigen Gesichtspunkte berücksichtigen muss (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl. 2005, § 40 Rn. 62). Welche Gesichtspunkte einschlägig sind und welche nicht, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.
2. Die Zulassung der Revision kommt auch nicht zur Klärung der Frage in Betracht,
ob “nahversorgungsrelevante Sortimente” und/oder das kleinflächig angebotene Sortiment eines SB-Warenhauses ebenfalls zu den “zentrenrelevanten Sortimenten” im Sinne einer solchermaßen bestimmten Nutzungsart nach § 1 Abs. 9 BauNVO gehören.
Das Normenkontrollgericht hat sich mit § 1 Abs. 9 BauNVO nicht befasst; auch in dem angestrebten Revisionsverfahren bestünde dazu kein Anlass, weil der Bebauungsplan “Fachmarktzentrum Cité” der Antragsgegnerin ausschließlich ein Sondergebiet für ein Einkaufszentrum im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO festsetzt und § 1 Abs. 9 BauNVO bei der Festsetzung von Sondergebieten nach § 1 Abs. 3 Satz 3 BauNVO keine Anwendung findet.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab, da sie nicht zur Klärung der Voraussetzungen beitragen könnte, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO und die Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. II Nr. 9.8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327), an dem sich der Senat aus Gründen der Einheitlichkeit und Berechenbarkeit von Streitwertentscheidungen zu orientieren pflegt.
Unterschriften
Dr. Paetow, Gatz, Dr. Jannasch
Fundstellen