Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 01.03.2006; Aktenzeichen 9 C 11015/05) |
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz – Flurbereinigungsgericht für Rheinland-Pfalz und das Saarland – vom 1. März 2006 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der Rechtssache kommt nicht die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,
ob in Flurbereinigungsverfahren entgegen dem Grundsatz des repressiven Verbotes mit Befreiungsvorbehalt nach § 2 WHG ohne zuvor durchzuführendes förmliches wasserrechtliches Erlaubnis- oder Bewilligungsverfahren bzw. Planfeststellungsverfahren nach § 31 WHG bauliche Maßnahmen zur Rückgängigmachung infolge von Flurbereinigungsverfahren entstandener Veränderungen von Fließgewässern oder aber Wasserwegsamkeiten des Grundwassers rechtlich zulässig sind,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil die Frage von tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, die das Flurbereinigungsgericht nicht festgestellt hat. Grundsätzliche Bedeutung kann jedoch nur solchen Fragen zukommen, die sich in einem Revisionsverfahren voraussichtlich stellen würden. Daran fehlt es, wenn die Vorinstanz Tatsachen, die vorliegen müssten, damit sich die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochene Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren stellen würde, nicht festgestellt hat (vgl. etwa Beschluss vom 30. Juni 1992 – BVerwG 5 B 99.92 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 309 S. 43). Das ist hier der Fall, weil die Beschwerde mit ihrer Frage unterstellt, dass die Erosionsrinne, die sich über das Abfindungsflurstück der Klägerin erstreckt, ein Gewässer i.S.v. § 1 WHG darstellt, das den in der Zulassungsfrage angesprochenen Verfahren nach dem WHG unterliegt. Tatsachenfeststellungen zur Gewässereigenschaft dieser Erosionsrinne, namentlich zum Vorliegen eines Gewässerbettes oder einer Quelle (vgl. die Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Nr. 1 WHG), hat das Berufungsgericht aber nicht getroffen.
2. Die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
a) Die Beschwerde rügt, das Urteil des Flurbereinigungsgerichts stelle eine Überraschungsentscheidung dar, die die Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletze (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Ein solcher Verstoß liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher auch ein sorgfältiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 31. Mai 1983 – BVerwG 4 C 20.83 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 135 S. 24 und Beschluss vom 23. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 80.91 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241 S. 91). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
aa) Soweit die Beschwerde es als überraschend ansieht, dass das Flurbereinigungsgericht angenommen hat, die Landabfindung der Klägerin genüge dem Entsprechungsgebot gemäß § 44 Abs. 4 FlurbG, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vor dem Flurbereinigungsgericht die nach einem Hinweis des Gerichts vom Beklagten in dem Termin vorgelegte Berichtigung des Klassenspiegels (vgl. Widerspruchsbescheid S. 6) der Klägerin ausgehändigt wurde und die Klägerin Gelegenheit hatte, im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage dazu Stellung zu nehmen. Dass sie dazu aus anzuerkennenden Sachgründen nicht in der Lage gewesen sei, macht die Beschwerde selbst nicht geltend.
bb) Ohne Erfolg rügt die Beschwerde weiter als überraschend, dass das Flurbereinigungsgericht mit Blick auf die in dem Abfindungsflurstück Gemarkung Niederüttfeld Flur 5 Nr. 1 gelegene Erosionsrinne angenommen hat, dass die Landabfindung der Klägerin unter Berücksichtigung des vom Flurbereinigungsgericht zuerkannten zusätzlichen Geldausgleichs in Höhe von 1 200 € auch dem Gebot gerechter Abwägung gemäß § 44 Abs. 2 FlurbG genüge. Die Beschwerde hält es für unverständlich, dass das Flurbereinigungsgericht mit der Festsetzung dieses weiteren Geldausgleichsbetrags die mit dieser Rinne auf Dauer verursachte Bewirtschaftungserschwernis als ausgeglichen angesehen hat. Vielmehr habe die Klägerin nach dem Gang der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Flurbereinigungsgericht davon ausgehen dürfen, dass das Gericht in dieser Frage zumindest weiteren Aufklärungsbedarf in Gestalt eines Auflagen- und Beweisbeschlusses sehen oder der Klage wegen nicht ausgewogener Landabfindung entsprechen würde.
Auch diese Rüge greift nicht durch. Auszugehen ist von der im Vergleich zum herkömmlichen Verwaltungsprozess erweiterten Änderungs- und Gestaltungsbefugnis des Flurbereinigungsgerichts gemäß § 144 Satz 1 Alt. 1 FlurbG. Danach kann das Flurbereinigungsgericht, soweit es die Klage für begründet hält, den angefochtenen Verwaltungsakt ändern, d.h. das Gericht kann hinsichtlich einzelner von ihm für erforderlich gehaltener Planänderungen selbst eine abschließende Entscheidung treffen (vgl. Urteil vom 6. Dezember 1956 – BVerwG 1 C 75.55 – BVerwGE 4, 191 ≪194≫ = Buchholz 424.01 § 139 ff. FlurbG Nr. 1 S. 4 f. und Beschluss vom 8. Januar 1971 – BVerwG 4 B 105.69 – Buchholz 424.01 § 144 FlurbG Nr. 6 S. 1 f.; Schoof, in: Seehusen/Schwede, FlurbG, 7. Aufl. 1997, § 144 Rn. 1 ff.). Mit der Möglichkeit, dass das Flurbereinigungsgericht von dieser gesetzlich vorgesehenen, dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung dienenden Befugnis – hier: durch Zubilligung eines weiteren Geldausgleichs – Gebrauch machen würde, musste die anwaltlich vertretene Klägerin grundsätzlich rechnen.
Allerdings ist es zur Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs erforderlich, dass das Flurbereinigungsgericht, wenn es von seiner erweiterten Änderungsbefugnis gemäß § 144 Satz 1 Alt. 1 FlurbG Gebrauch macht, die in Erwägung gezogenen Planänderungen vor der endgültigen Entscheidung den Beteiligten mitzuteilen und sie mit ihnen zu erörtern (vgl. Urteil vom 15. Oktober 1974 – BVerwG 5 C 30.72 – BVerwGE 47, 87 ≪89 f.≫ = Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 30 S. 28 f. m.w.N.). Dass das Flurbereinigungsgericht dem nicht in dem gebotenen Umfang nachgekommen sei, vermag der Senat nicht festzustellen. Die Beschwerde stellt selbst nicht in Abrede, dass der von der Klägerin geltend gemachte Mangel der wertgleichen Abfindung in Gestalt der erwähnten Erosionsrinne und dessen Ausgleich durch eine Geldentschädigung Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Flurbereinigungsgericht war. Dies wird auch durch die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils belegt: Darin verweist das Flurbereinigungsgericht – an zwei Stellen – sowohl hinsichtlich seiner Auffassung, dass es über die bereits von der Spruchstelle für Flurbereinigung festgesetzte Entschädigung von 240 € hinaus einen weiteren Ausgleich für erforderlich halte (S. 11 unten), als auch hinsichtlich des mit einem zusätzlichen Geldbetrag zu erzielenden Ausgleichs an Bewirtschaftungserschwernissen (S. 12 oben) jeweils auf Erörterungen in der mündlichen Verhandlung. Danach hat der Senat keinen Zweifel, dass diese Frage Gegenstand des Rechtsgesprächs vor dem Flurbereinigungsgericht war. Dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin sich nicht mehr an einen Vorschlag auf Festsetzung eines Geldausgleichs auf 1 200 € zu erinnern vermag (im Gegensatz zum Vertreter des beklagten Landes und dessen ausführlicher Darstellung des Sitzungsverlaufs), nötigt zu keinen weiteren Ermittlungen in dieser Hinsicht, da das Prozessgeschehen, von dem das Revisionsgericht auszugehen hat, auch durch Ausführungen in den Entscheidungsgründen dokumentiert werden kann und die Klägerin nicht auf deren Berichtigung gemäß § 119 Abs. 1 VwGO gedrungen hat (vgl. Urteil vom 16. Oktober 1984 – BVerwG 9 C 67.83 – Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 25 S. 14). Unerheblich ist schließlich auch, ob die Klägerin aufgrund von Anmerkungen des Vorsitzenden des Flurbereinigungsgerichts zum Ende der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewinnen durfte, es werde zu einer weiteren Sachaufklärung kommen; denn der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt nicht davor, dass das Gericht in der abschließenden Beratung sich von einer zuvor geäußerten vorläufigen Einschätzung löst und anders entscheidet (vgl. Beschluss vom 28. Dezember 1999 – BVerwG 9 B 467.99 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 S. 2 m.w.N.).
b) Die Beschwerde sieht schließlich einen Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) darin, dass das Flurbereinigungsgericht keine weiteren Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob es sich bei der Erosionsrinne um ein Gewässer i.S.v. § 1 WHG handelt und in welchem Umfang diese Rinne die mit der Landabfindung verfolgten Bewirtschaftungsvorteile der Klägerin zunichte gemacht hat. Damit ist der behauptete Verfahrensmangel nicht in der gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dargelegt. Denn dazu gehört, dass die Beschwerde substantiiert dartut, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist, namentlich durch die Stellung eines entsprechenden Beweisantrags, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14 f.). Da die Beschwerde dem nicht genügt, kommt auch ein Verstoß gegen den richterlichen Überzeugungsgrundsatz nicht in Betracht.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO), weil diese im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Unterschriften
Dr. h.c. Hien, Domgörgen, Buchberger
Fundstellen