Verfahrensgang

Thüringer OVG (Aktenzeichen 3 KO 265/98)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 13. April 2000 aufgehoben, soweit darin über das Vorliegen der Voraussetzungen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG entschieden worden ist.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Kläger und der Beteiligte je zur Hälfte.

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet, soweit sie beanstandet, dass das Berufungsgericht zu Unrecht über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG entschieden hat. Mit den im Übrigen geltend gemachten Zulassungsgründen bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.

1. Zu Recht rügt die Beschwerde, die Entscheidung des Berufungsgerichts über das (Nicht-)Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG sei verfahrensfehlerhaft ergangen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 88, §129 VwGO, § 78 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG). Der Streit hierüber war nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) hatte mit Bescheid vom Oktober 1991 das Asylbegehren des Klägers abgelehnt; die zuständige Ausländerbehörde hatte daraufhin mit Bescheid vom Dezember 1991 nach § 28 AsylVfG in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. April 1991 (BGBl I S. 869) den Kläger zur Ausreise aufgefordert und ihm die Abschiebung angedroht. Auf seine hiergegen im so genannten Verbundverfahren (§ 30 AsylVfG 1991) erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu 1 verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Im Übrigen – im Hinblick auf das Asylbegehren und die Anfechtung der Abschiebungsandrohung – hat es die Klage abgewiesen. Auf den entsprechend eingeschränkten Zulassungsantrag des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat das Berufungsgericht die Berufung zugelassen, „soweit die Beklagte zu 1 verpflichtet wurde, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen”. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens war danach nur noch der asylrechtliche Teil der Verbundklage (gerichtet gegen die beklagte Bundesrepublik), soweit das Verwaltungsgericht Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zugesprochen hatte. In dem angefochtenen Urteil hat das Berufungsgericht indessen die Auffassung vertreten, neben der Klage auf Verpflichtung der Beklagten zu 1, das Vorliegen von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG festzustellen, stehe zwar die Abschiebungsandrohung des Beklagten zu 2 selbst nicht mehr in Streit; insoweit sei die Klage rechtskräftig abgewiesen worden. Der berufungsgerichtlichen Überprüfung unterliege jedoch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts insoweit, als der Beklagte zu 2 das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG – im Rahmen seiner bei Erlass der ausländerbehördlichen Verfügung vorzunehmenden Inzidentprüfung – hätte berücksichtigen müssen. Die Sache sei auch zu diesem Hilfsbegehren im Berufungsverfahren angefallen (UA S. 12 ff.). Diese Auffassung trifft nicht zu.

Das Berufungsgericht sieht im Ausgangspunkt zwar zutreffend, „dass weder der Bundesbeauftragte den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Verfügung der Beklagten zu 2 ausdrücklich angegriffen hat noch eine erstinstanzliche Entscheidung zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ergangen ist, die er hätte anfechten können” (UA S. 13). Gleichwohl nimmt es rechtsirrig an, dem beteiligten Bundesbeauftragten sei es von Rechts wegen verwehrt gewesen, den Zulassungsantrag nur gegen die Beklagte zu 1 zu richten und damit sachlich zu beschränken (UA S. 14).

Zu Unrecht beruft sich das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Senats vom 15. April 1997 – BVerwG 9 C 19.96 – (BVerwGE 104, 260). Danach entspricht es der typischen Interessenlage eines Asylbewerbers, dass sein Rechtsschutzbegehren als Hauptantrag auf die Anerkennung als Asylberechtigter und die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, zugleich aber als Hilfsantrag auch auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG gerichtet ist mit der Folge, dass der Hilfsantrag, falls über ihn die Vorinstanz nicht zu entscheiden brauchte, weil sie dem Hauptantrag entsprochen hat, durch das Rechtsmittel gegen die Verpflichtung nach dem Hauptantrag ohne weiteres in der Rechtsmittelinstanz anfällt, ohne dass dies zur Disposition des Rechtsmittelführers steht. Diese Rechtsprechung hat der Senat ausschließlich zu der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 27. Juli 1993 (BGBl I S. 1361) entwickelt, nach der das Bundesamt im Rahmen seiner Entscheidung über Asylanträge grundsätzlich auch ausdrücklich festzustellen hat, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen (§ 31 Abs. 3 AsylVfG). Eine vergleichbare Verpflichtung kannte das Asylverfahrensgesetz 1991 nicht. Über diese Fragen war in den Altfällen vielmehr, wie der Senat bereits entschieden hat, inzident im Rahmen der Anfechtung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach § 28 AsylVfG 1991 zu befinden, also in dem ausländerrechtlichen Teil der Verbundklage (gerichtet gegen die beklagte Ausländerbehörde oder deren Rechtsträger; vgl. Urteil vom 28. März 1995 – BVerwG 9 C 277.94 – Buchholz 402.25 § 78 AsylVfG Nr. 1; Beschluss vom 4. Juni 1998 – BVerwG 9 B 429.98 – ≪juris≫). Über die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung des Beklagten zu 2 hatte hier aber, wovon auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen ist, das Verwaltungsgericht rechtskräftig entschieden. Insoweit hat der Beteiligte den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts ausweislich seines Antrags auf Zulassung der Berufung nicht angefochten. Mangels eines entsprechenden Hilfsantrags des Klägers im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht konnte die Frage nach dem Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG auch nicht ohne Rechtsmittelantrag in der Berufung anfallen. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht die erforderliche Inzidentprüfung im Rahmen der Anfechtung gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach § 28 AsylVfG 1991 unterlassen hat. Auch die Verpflichtung aus § 30 AsylVfG 1991 (Verbundklage) steht einer rechtskraftfähigen Teilentscheidung im Instanzenzug (hier: hinsichtlich der unangefochten gebliebenen Abweisung des ausländerrechtlichen Teils der Verbundklage) nicht entgegen.

Das Berufungsgericht hat nach dem Tenor seiner Entscheidung lediglich das erstinstanzliche Urteil aufgehoben, soweit es das Bundesamt zur Gewährung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG verpflichtet hat. Damit hat es zwar nicht über den Gegenstand des Berufungsverfahrens hinausgegriffen. Die Ausführungen zum Streitgegenstand (UA S. 12 ff. sowie Leitsätze 1 und 2) zeigen jedoch, dass das Oberverwaltungsgericht mit dem Zusatz, die Klage werde insgesamt abgewiesen, zugleich abschließend darüber entscheiden wollte, dass derzeit kein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG vorliegt. Anders als in den bisher entschiedenen Fällen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. November 1997 – BVerwG 9 B 750.97 – und vom 1. Oktober 1998 – BVerwG 9 B 913.98 – unveröffentlicht) kann daher nicht unterstellt werden, dass es sich lediglich um nicht entscheidungstragende Bemerkungen handelt, auf denen das Berufungsurteil eindeutig nicht beruhen kann. Um Zweifel an dem Umfang der Rechtskraft des Berufungsurteils auszuschließen, macht der Senat von der in § 133 Abs. 6 VwGO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, das Urteil insoweit aufzuheben; einer Zurückverweisung bedarf es nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. April 1996 – BVerwG 7 B 48.96 – Buchholz 310 § 133 VwGO ≪n.F.≫ Nr. 22; Beschluss vom 25. Februar 1999 – BVerwG 7 B 281.98 – Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 42; Beschluss vom 2. Juni 1999 – BVerwG 4 B 30.99 – NVwZ-RR 1999, 694).

Zur Vermeidung von Missvständnissen weist der Senat darauf hin, dass die rechtskräftig bestätigte Abschiebungsandrohung der Beklagten zu 2 vom Dezember 1991 mit der zugleich inzident darin enthaltenen Feststellung, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung beschränkt ist (vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 1994 – BVerwG 9 B 83.94 – DVBl 1995, 568 unter Hinweis insbes. auf BVerwGE 78, 243 ≪245≫).

2. Da das Urteil des Berufungsgerichts hinsichtlich der Entscheidung über das (Nicht-)Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG wegen des festgestellten Verfahrensmangels aufgehoben ist, bedarf es keiner Entscheidung über die weiteren diesen Teil des Streitgegenstands betreffenden Rügen, insbesondere über die Gehörs- und Sachaufklärungsrüge im Zusammenhang mit der Frage, ob der Kläger bei einer Rückkehr von den Lebensmittelzuteilungen ausgeschlossen werden wird und er sich deshalb keine ausreichende Lebensgrundlage wird schaffen können.

3. Die von der Beschwerde im Hinblick auf die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG erhobenen Rügen sind schon nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gemäß dargetan.

Die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht habe dadurch gegen die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen und das rechtliche Gehör des Klägers (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, dass es seinem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag, Auskünfte oder sachverständige Stellungnahmen im Einzelnen genannter Stellen zum Beweis der Tatsachen einzuholen,

„dass ein langjähriges AAPO-Mitglied, das der Nürnberger Sektion angehört, wegen der Spaltung der AAPO anlässlich der Teilnahme der Partei an den Wahlen Äthiopiens im Mai 2000 derzeit sofortiger Verhaftung und menschenrechtswidrigen Verhören für den Fall der Rückkehr ausgesetzt sein würde, und nicht in das Lebensmittelverteilungsprogramm aufgenommen werden wird und kein menschenwürdiges Dasein dort führen” könne (OVG-Akten Bl. 613 ff., 617),

nicht nachgekommen ist (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Berufungsgericht hat diesen Hilfsbeweisantrag in der angefochtenen Entscheidung mit der Begründung abgelehnt, der Kläger habe keinerlei tatsächliche Hinweise für die von ihm unter Beweis gestellten Tatsachen oder auch nur zu erwartenden Entwicklungen geben können. Das Gericht sei nicht verpflichtet, solchen unter formalem Beweisantritt aufgestellten Behauptungen nachzugehen, die nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hätten (UA S. 55 f., 59). Mit diesen Erwägungen des Berufungsgerichts setzt sich die Beschwerde nicht im Einzelnen und substantiiert auseinander. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass die Tatsachengerichte berechtigt sind, Ausforschungsbeweisanträge als unzulässig abzulehnen, die auf Tatsachenbehauptungen gerichtet sind, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000 – BVerwG 9 B 518.99InfAuslR 2000, 412 m.w.N. zur Rechtsprechung). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Berufungsgericht von dieser Ablehnungsmöglichkeit verfahrensfehlerhaft Gebrauch gemacht hat. Insbesondere legt sie nicht dar, woraus sich die vom Berufungsgericht vermissten Anhaltspunkte für das geforderte Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit und Plausibilität der unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen ergeben sollten. Dass sie sich für das Berufungsgericht vor dem Hintergrund der von ihm beigezogenen umfänglichen Erkenntnismittel zur Verfolgungslage in Äthiopien nicht allein aus den Hinweisen im Beweisantrag des Klägers auf seine langjährige Zugehörigkeit zur Nürnberger Sektion als AAPO-Mitglied und der Spaltung der AAPO anlässlich der Teilnahme der Partei an den damals bevorstehenden Wahlen in Äthiopien ergeben haben, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

Die Beschwerde genügt schließlich auch nicht den Darlegungsanforderungen, soweit sie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Hinblick darauf rügt, dass entgegen dem Schreiben des Berufungsgerichts vom 5. Mai 1998 „die Entscheidung des Urkundsbeamten wegen der Kosten der Übersetzung der mit Schriftsatz vom 2.4.98 übersandten englischsprachigen Unterlagen nicht abgewartet wurde und deswegen diese Papiere der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden konnten” (Beschwerdebegründung S. 4). Die Beschwerde zeigt keine Anhaltspunkte dafür auf, inwiefern die angesprochenen englischsprachigen Unterlagen im Hinblick auf die umfänglich die vorhandenen Erkenntnisquellen aufarbeitende Entscheidung des Berufungsgerichts hätten entscheidungserheblich sein können. Die Gehörsrüge kann im Übrigen auch deshalb keinen Erfolg haben, weil es der Kläger versäumt hat, nach den ausführlichen rechtlichen Hinweisen des Berufungsgerichts in dem Schreiben vom 5. Mai 1998 während der verbleibenden rund zwei Jahre bis zur mündlichen Verhandlung beim zuständigen Urkundsbeamten weiter auf die Klärung der Erstattungsfähigkeit der Übersetzungskosten zu drängen, und im Übrigen auch in der mündlichen Verhandlung die fehlende Übersetzung der vorgelegten englischsprachigen Texte offenbar nicht weiter gerügt hat.

Soweit die Beschwerde eine Divergenz zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Januar 1999 – 2 BvR 86/97 – geltend macht, legt sie nicht dar, von welchem tragenden Rechtssatz die berufungsgerichtliche Entscheidung abgewichen sein soll.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.

 

Unterschriften

Dr. Paetow, Hund, Dr. Eichberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI557267

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