Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliches Gehör. Überraschungsentscheidung. Divergenz
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; WBO § 22a Abs. 2 Nrn. 3, 2, § 23a Abs. 2, §§ 22b, 6 Abs. 1; VwGO § 108 Abs. 2
Verfahrensgang
TDG Nord (Beschluss vom 06.07.2016; Aktenzeichen N 1 BLa 18/16 und N 1 RL 2/16) |
Gründe
Rz. 1
Die statthafte, fristgerecht eingelegte und rechtzeitig begründete Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO) einer Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) liegt nicht vor.
Rz. 3
a) Der Antragsteller sieht eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör darin, dass ihn das Truppendienstgericht vor der Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nicht auf die Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der Beschwerdefrist hingewiesen und ihm nicht Gelegenheit gegeben habe, sich hierzu zu äußern.
Rz. 4
Mit dieser Rüge wird verkannt, dass Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht verlangt, dass das Gericht vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; dem Gericht obliegt insoweit auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (stRspr, vgl. - auch zum Folgenden - BVerwG, Beschlüsse vom 26. Oktober 2010 - 1 WNB 4.10 - juris Rn. 16 und vom 11. Oktober 2016 - 1 WNB 2.16 - juris Rn. 8, jeweils m.w.N.). Deshalb ist das Gericht nicht gehalten, unter dem Blickwinkel der Gewährung rechtlichen Gehörs seine die Entscheidung tragende Rechtsauffassung schon vor der Beschlussberatung im Einzelnen festzulegen und den Beteiligten zur Erörterung bekanntzugeben.
Rz. 5
Der angefochtene Beschluss ist auch nicht unter dem Blickwinkel einer Überraschungsentscheidung zu beanstanden (vgl. dazu z.B. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2017 - 9 B 57.16 - juris Rn. 20 m.w.N.). Bereits im vorgerichtlichen Beschwerdeverfahren waren die Bescheide vom 12. Januar 2016 und 3. März 2016, mit denen die Beschwerde und die weitere Beschwerde zurückgewiesen wurden, tragend damit begründet, dass der Antragsteller die Beschwerdefrist nicht eingehalten habe. Das Truppendienstgericht hat damit seine Entscheidung nicht auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt, der dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hätte, mit der der Antragsteller nach dem bisherigen Verlauf nicht zu rechnen brauchte.
Rz. 6
b) Der Antragsteller macht als Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör ferner geltend, das Truppendienstgericht habe seinen Vortrag unberücksichtigt gelassen, dass er erst mit der Beauftragung seines Bevollmächtigten Kenntnis von seinem Beschwerderecht erhalten habe, weshalb auch die Beschwerdefrist erst durch die Beauftragung des Bevollmächtigten in Lauf gesetzt worden sei.
Rz. 7
Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das zur Entscheidung berufene Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. - auch zum Folgenden - BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 2015 - 1 WNB 1.15 - juris Rn. 4 m.w.N.). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht dieser Pflicht Rechnung trägt. Es ist nicht gehalten, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen zu befassen; insbesondere begründet Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich auch keine Pflicht eines Gerichts, der von der Partei vertretenen Rechtsauffassung zu folgen.
Rz. 8
Die oben genannte Argumentation, die das Truppendienstgericht nach Auffassung des Antragstellers unberücksichtigt gelassen hat, hat der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren nicht ausdrücklich vorgetragen. Sie ist von ihm lediglich insofern in das gerichtliche Verfahren eingeführt worden, als er in der als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewerteten "weiteren Beschwerde" vom 7. April 2016 pauschal auf seine Ausführungen im bisherigen Beschwerdeverfahren verwiesen hat. Dort wurde dem Antragsteller allerdings bereits mit dem Beschwerdebescheid vom 3. März 2016 entgegengehalten, dass maßgeblich für die Berechnung der Beschwerdefrist der Zeitpunkt sei, in dem der Soldat Kenntnis von den ihn belastenden Tatsachen habe; spätere rechtliche Erkenntnisse sowie mangelnde Rechtskenntnisse seien für die Beschwerdefrist irrelevant.
Rz. 9
Indem das Truppendienstgericht die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestätigte und - wie diese - als maßgeblich für den Beginn der Beschwerdefrist (§ 6 Abs. 1 WBO) die Erlangung der Kenntnis von dem Vorgang, der den Anlass der Beschwerde bildet, erachtete, hat es zugleich (mittelbar) die abweichende Auffassung des Antragstellers zurückgewiesen, wonach die Beschwerdefrist erst mit der Beauftragung seines Bevollmächtigten in Lauf gesetzt worden sei. Dass letzteres nicht nochmals ausdrücklich in den Entscheidungsgründen ausgeführt wurde, ist kein Umstand, der erkennen ließe, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen des Antragstellers überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat. Der Antragsteller legt keine Gehörsverletzung dar, in dem er der Rechtsauffassung des Truppendienstgerichts zum Fristbeginn seine abweichende Rechtsauffassung gegenüberstellt.
Rz. 10
c) Soweit der Antragsteller beanstandet, dass er weder von Hauptmann A. noch von Hauptmann B. über sein Recht zur Einlegung der Beschwerde und über die dabei zu beachtende Monatsfrist belehrt worden sei, begründet dies ebenfalls keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Verfahrensmängel im Sinne von § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO können nur solche des gerichtlichen Verfahrens sein, nicht jedoch solche des Ausgangsverfahrens oder des vorgerichtlichen Beschwerdeverfahrens (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. September 2014 - 1 WNB 3.13 - juris Rn. 23 und vom 22. Dezember 2015 - 1 WNB 2.15 - juris Rn. 6, jeweils m.w.N.).
Rz. 11
Soweit der Antragsteller dem Truppendienstgericht vorhält, es habe im Hinblick auf die fehlende Belehrung durch die Hauptleute A. und B. die Anwendung von § 7 WBO versäumt, stellt dies eine Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung im Einzelfall dar, die die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht rechtfertigen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 2012 - 1 WNB 4.12 - juris Rn. 7 und vom 22. Juli 2014 - 2 WNB 2.14 - Rn. 4).
Rz. 12
2. Die von dem Antragsteller außerdem erhobene Divergenzrüge (§ 22a Abs. 2 Nr. 2 WBO) ist nicht prozessordnungsgemäß dargelegt.
Rz. 13
Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die gemäß § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO erforderliche Bezeichnung des Zulassungsgrunds der Divergenz voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, den angefochtenen Beschluss tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in einer genau bezeichneten Entscheidung eines Wehrdienstgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. Januar 2010 - 1 WNB 7.09 - Buchholz 450.1 § 22a WBO Nr. 3 Rn. 7, vom 26. Oktober 2010 - 1 WNB 4.10 - juris Rn. 2 und vom 24. September 2012 - 1 WNB 5.12 - juris Rn. 2).
Rz. 14
Der Antragsteller macht eine Abweichung des angefochtenen Beschlusses von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. April 2011 - 2 WNB 2.11 - (Buchholz 450.2 § 17 WDO 2002 Nr. 1) geltend. Der 2. Wehrdienstsenat hat dort entschieden, dass die Frist des § 17 Abs. 2 WDO, wonach eine einfache Disziplinarmaßnahme nicht mehr verhängt werden darf, wenn seit dem Dienstvergehen sechs Monate verstrichen sind, bei einem Dauerdelikt erst mit der Beendigung des rechtswidrigen Zustands beginnt. Nach Auffassung des Antragstellers folge hieraus, dass, wenn "die Beschwerdefrist des § 17 Abs. 2 WDO" bei Dauerdelikten erst mit Beendigung des Delikts zu laufen beginne, wegen der fortdauernden Verletzung von Dienstpflichten durch die Hauptleute A. und B. auch die Beschwerdefrist im vorliegenden Fall noch nicht zu laufen begonnen habe.
Rz. 15
Abgesehen davon, dass der Antragsteller den Inhalt der Entscheidung des 2. Wehrdienstsenats unzutreffend wiedergibt, hat er keinen den angefochtenen Beschluss tragenden, sich auf § 17 Abs. 2 WDO beziehenden Rechtssatz benannt, mit dem das Truppendienstgericht der Entscheidung des 2. Wehrdienstsenats widersprochen hätte. Das Truppendienstgericht hatte sich nicht mit dem Verhängungsverbot des § 17 Abs. 2 WDO zu befassen und der Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 7. April 2011 befasst sich nicht mit der Beschwerdefrist des § 6 Abs. 1 WBO.
Rz. 16
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO.
Fundstellen
Haufe-Index 11379953 |
NZWehrr 2017, 216 |