Verfahrensgang
VG Greifswald (Urteil vom 12.06.2003; Aktenzeichen 1 A 1925/99) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers zu 2 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 12. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger zu 2 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 21 304 € festgesetzt.
Gründe
Die Kläger begehren in ungeteilter Erbengemeinschaft die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks an die Erbengemeinschaft. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen, weil ihre Mutter als ihre Bevollmächtigte gegenüber dem Funktionsvorgänger des Beklagten an Stelle der Rückgabe des Grundstücks gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 VermG Entschädigung gewählt habe. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers zu 2 ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
Der Kläger hat nicht dargelegt, dass das angefochtene Urteil im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von Entscheidungen eines Gerichts abweicht, das in dieser Vorschrift genannt ist.
a) Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht nicht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juli 1963 – BVerwG VI 91.60 – (BVerwGE 16, 198), vom 26. Oktober 1966 – BVerwG V 10.65 – (BVerwGE 25, 191) und vom 29. Mai 1980 – BVerwG 5 C 65.78 – (Buchholz 436.36 § 15 BAföG Nr. 9 = FamRZ 1981, 208) ab, welche der Kläger in seiner Beschwerde bezeichnet hat. Eine solche Abweichung liegt nur vor, wenn die angefochtene Entscheidung mit einem sie tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen die Entscheidung tragenden Rechtssatz in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht. Eine fehlerhafte oder unterbliebene Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, erfüllt hingegen nicht die Voraussetzungen einer Zulassung wegen Divergenz.
Der Kläger entnimmt den genannten Urteilen den abstrakten Rechtssatz, dass § 133 BGB entsprechend für die Auslegung von Anträgen gilt, die bei einer Behörde gestellt werden, und dass hierbei auf einen objektiven Empfängerhorizont abzustellen ist. Das Verwaltungsgericht legt denselben Rechtssatz zugrunde. Wenn es von objektivierter Betrachtungsweise spricht, ist damit ersichtlich nichts anderes als der objektive Empfängerhorizont gemeint. Mit seinen weiteren Ausführungen legt der Kläger nur dar, dass das Verwaltungsgericht zu einem anderen Auslegungsergebnis gelangt wäre, wenn es die in der Rechtsprechung herausgearbeiteten Auslegungsgrundsätze auf den konkreten Fall richtig angewandt hätte. Damit kann eine Divergenz nicht dargelegt werden.
Soweit der Kläger bei diesen Ausführungen auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs verweist (Urteil vom 23. Februar 1956 – II ZR 207/54 – BGHZ 20, 109; Urteil vom 26. April 1978 – VIII ZR 236/76 – BGHZ 71, 243; Urteil vom 7. Dezember 2001 – V ZR 65/01 – NJW 2002, 1038), kann ein Widerspruch zu ihnen den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von vornherein nicht ergeben. Denn der Bundesgerichtshof gehört nicht zu den Gerichten, die in dieser Vorschrift aufgeführt sind.
Mit der behaupteten Abweichung von den genannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs wirft der Kläger auch nicht sinngemäß eine Frage grundsätzlicher Bedeutung auf. Er entnimmt den Entscheidungen den Rechtssatz, bestehe ein übereinstimmender Wille der Parteien, sei dieser rechtlich auch dann allein maßgeblich, wenn er im Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden habe. Diese Rechtsprechung bezieht sich zum einen nur auf Verträge, für die ein übereinstimmender Wille der Beteiligten erforderlich ist. Der Kläger übersieht zum anderen, dass gerade das Schreiben des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 20. April 1994, das der Kläger in diesem Zusammenhang anspricht, nicht einen übereinstimmenden Willen der Beteiligten ergibt, sondern eine Ungewissheit der Behörde über das Ziel des Antrags.
- Das angefochtene Urteil beruht nicht auf den geltend gemachten Verfahrensfehlern (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Das Verwaltungsgericht hat nicht den Anspruch der Kläger auf den gesetzlichen Richter verletzt (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 138 Nr. 1 VwGO). Der Kläger rügt insoweit, der Rechtsstreit habe nicht auf den Einzelrichter übertragen werden dürfen, denn die Sache habe besondere Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufgewiesen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
Nach § 173 VwGO, § 557 Abs. 2 ZPO unterliegen der Beurteilung des Revisionsgerichts nicht diejenigen Entscheidungen, die nach den prozessualen Vorschriften unanfechtbar sind. Das trifft auf die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter zu (§ 6 Abs. 4). Demgemäß kann die unzutreffende Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter als solche nicht als Verfahrensfehler gerügt werden. Jedoch ist § 557 Abs. 2 ZPO dahin einzuschränken, dass trotz Unanfechtbarkeit der Zwischenentscheidung das Revisionsgericht überprüfen kann, ob wegen deren Fehlerhaftigkeit die anfechtbare Endentscheidung gegen eine verfassungsrechtliche Verfahrensgarantie verstößt, etwa den Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzt (Urteil vom 10. November 1999 – BVerwG 6 C 30.98 – BVerwGE 110, 40 ≪43 f.≫). Das ist dann der Fall, wenn die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des gesetzlichen Richters grundlegend verkennt oder auf einem vergleichbar schweren Mangel des Verfahrens beruht. Nach Verfahren oder Inhalt muss die Entscheidung Ausdruck einer (objektiven) Manipulation der Richterbank sein.
Dafür ist hier nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. Insbesondere weist eine Sache nicht in jedem Fall allein deshalb besondere Schwierigkeiten tatsächlicher Art auf, weil eine Beweisaufnahme notwendig ist. Danach kann hier schon nicht festgestellt werden, dass die Kammer mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter den ihr insoweit zukommenden Beurteilungsspielraum überschritten hat.
b) Soweit der Kläger einen Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO behauptet, ist seine Rüge bereits unzulässig. Er hat den angeblichen Verfahrensfehler nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Das Verwaltungsgericht hat beschlossen, die Verkündung des Urteils durch dessen Zustellung zu ersetzen. Das Urteil war deshalb gemäß § 116 Abs. 2 VwGO binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übergeben. Der Kläger geht zutreffend davon aus, dass es in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO zur Wahrung dieser Frist ausreicht, wenn zunächst die von den Richtern unterschriebene Urteilsformel der Geschäftsstelle übergeben wird. Er hat lediglich mit Nichtwissen bestritten, dass dies innerhalb der Frist des § 116 Abs. 2 VwGO geschehen ist. Das genügt für die Darlegung des behaupteten Verfahrensfehlers nicht. Der Beschwerdeführer muss die Einzeltatsachen angeben, aus denen sich der behauptete Verfahrensfehler ergibt. Soweit es sich dabei um gerichtsinterne Vorgänge handelt, muss er sich um Aufklärung bemühen oder jedenfalls darlegen, dass seine Versuche um Aufklärung der entsprechenden Tatsachen vergeblich waren (vgl. Beschluss vom 27. Juni 1995 – BVerwG 5 B 53.95 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 9).
Abgesehen davon ist die Rüge auch in der Sache unbegründet. Die Frist des § 116 Abs. 2 VwGO ist in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO gewahrt. Die Einzelrichterin hat die von ihr unterschriebene Urteilsformel ausweislich des darauf angebrachten Eingangsvermerks der Geschäftsstelle am 26. Juni 2003 und damit zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung vom 12. Juni 2003 übergeben.
c) Das angefochtene Urteil ist entgegen der Rüge des Klägers im Verständnis von § 138 Nr. 6 VwGO mit Gründen versehen.
Das Verwaltungsgericht hat zwar gesetzwidrig, nämlich unter Verstoß gegen den hier entsprechend anwendbaren § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO das Urteil nicht alsbald nach der Niederlegung der Entscheidungsformel vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch allein noch nicht dazu, dass das Urteil als nicht mit Gründen versehen zu gelten hat. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn aufgrund der verspäteten Absetzung des Urteils nicht mehr gewährleistet ist, dass die schriftlich niedergelegten Gründe das Ergebnis der mündlichen Verhandlung und der auf ihr beruhenden Überzeugungsbildung des Gerichts wiedergeben. Wird – wie hier – die Verkündung des Urteils gemäß § 116 Abs. 2 VwGO durch dessen Zustellung ersetzt, ist eine äußerste Grenze erreicht, wenn das Urteil nicht binnen fünf Monaten nach Niederlegung des Urteilstenors vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (Beschluss vom 3. August 1998 – BVerwG 7 B 236.98 – im Anschluss an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – BVerwGE 92, 367). Diese Frist ist hier noch eingehalten, denn das Verwaltungsgericht hat nach der Niederlegung der Urteilsformel am 26. Juni 2003 das vollständig abgefasste Urteil ausweislich des darauf angebrachten Eingangsvermerks der Geschäftsstelle am 12. November 2003 übergeben. Hierauf, nicht aber auf die Ausfertigung des Urteils durch die Geschäftsstelle oder dessen Zustellung an die Beteiligten kommt es an. Für den Verlust des Erinnerungsvermögens, an den die Frist von fünf Monaten anknüpft, ist die weitere Zeit nicht maßgeblich, die nach der Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle bis zu dessen Zustellung an die Beteiligten vergeht (Beschluss vom 21. Juli 1997 – BVerwG 3 B 146.97 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 31).
Wird ein Urteil noch vor Ablauf von fünf Monaten der Geschäftsstelle übergeben, kann es allerdings gleichwohl im Einzelfall nicht mit Gründen versehen sein, wenn nämlich zu dem Zeitablauf besondere Umstände hinzukommen, die wegen des Zeitablaufs bereits bestehende Zweifel zu der Annahme verdichten, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der Fällung des Urteils und den schriftlich niedergelegten Gründen nicht mehr gewahrt ist. Dass solche Umstände vorgelegen haben könnten, behauptet der Kläger nicht; er rügt lediglich die Überschreitung der Fünfmonatsfrist.
d) Das Verwaltungsgericht hat nicht seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO). Ausgehend von seiner materiellen Rechtsauffassung kam es auf die unter Beweis gestellte Tatsache nicht an, dass das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen die Erklärung der Mutter der Kläger nicht dahin verstanden habe, sie wähle Entschädigung an Stelle einer Rückübertragung des Grundstücks. Nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts kam es darauf an, wie die Erklärung bei objektivierter Betrachtung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte verstanden werden musste, während das subjektive Verständnis des – als Zeugen benannten – Amtswalters nicht maßgeblich war. Welche Tatsachen das Verwaltungsgericht ermitteln muss, bestimmt sich nach seiner materiellen Rechtsauffassung. Unterlässt das Verwaltungsgericht die Ermittlung von Tatsachen, auf die es nach seiner materiellen Rechtsauffassung nicht ankommt, liegt kein Verfahrensfehler vor, und zwar auch dann nicht, wenn die materielle Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts unzutreffend sein sollte.
e) Der Kläger hat keinen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO bezeichnet, soweit er geltend macht, den Klägern hätte im Widerspruchsverfahren von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 32 VwVfG gewährt werden müssen, um ihnen einen nachträglichen Wechsel von der gewählten Entschädigung zur Rückübertragung des Grundstücks zu ermöglichen.
Damit ist ein angeblicher Fehler bei der Anwendung materiellen Rechts geltend gemacht. Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sind nur Mängel des gerichtlichen Verfahrens. Von der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hing ab, ob den Klägern nach Ablauf der materiellen Ausschlussfrist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG trotz vorheriger Wahl der Entschädigung noch ein Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks zustehen konnte oder ob dieser Anspruch erloschen war. Lehnt das Gericht die Möglichkeit einer solchen Wiedereinsetzung zu Unrecht ab, verstößt es nicht gegen das Verfahrensrecht für das gerichtliche Verfahren, sondern wendet das materielle Recht fehlerhaft an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Senat ist für den aktuellen Verkehrswert des streitigen Grundstücks von den Angaben der Kläger ausgegangen, die auch das Verwaltungsgericht seiner Streitwertfestsetzung zugrunde gelegt hat. Der Senat hat jedoch berücksichtigt, dass das Beschwerdeverfahren nur noch durch den Kläger zu 2 betrieben wird. Klagen – wie hier – Mitglieder einer Erbengemeinschaft auf Rückerstattung eines Grundstücks an die Erbengemeinschaft, ist das wirtschaftliche Interesse der einzelnen klagenden Mitglieder der Erbengemeinschaft nach dem auf sie jeweils entfallenden Erbanteil zu bemessen (Beschluss vom 2. August 1999 – BVerwG 8 KSt 12.99 – Buchholz 360 § 13 GKG Nr. 105). Die Kläger sind nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu einem Drittel an der Erbengemeinschaft beteiligt, auf die das Grundstück zurückübertragen werden soll.
Unterschriften
Sailer, Herbert, Neumann
Fundstellen