Verfahrensgang

VG Leipzig (Aktenzeichen 7 K 1756/00)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 3. Juli 2001 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 16 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf die Abweichungs- (1.) und die Grundsatzrüge (2.) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

1. Entgegen dem Beschwerdevorbringen weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Eine solche Abweichung der tragenden Gründe des Urteils liegt weder in der Bestimmung des rechtlichen Verhältnisses von allgemeiner Härtemilderungsklausel und Sondertatbeständen in § 12 Abs. 4 WPflG (a) noch in der unternommenen Auslegung des Begriffs der besonderen Härte in § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG (b) bei der Zurückstellung vom Wehrdienst.

a) Die Beschwerde weist zutreffend auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts über das Spezialitätsverhältnis der Sondertatbestände in § 12 Abs. 4 WPflG gegenüber der allgemeinen Härtemilderungsklausel hin. Nach § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG soll ein Wehrpflichtiger auf Antrag vom Wehrdienst zurückgestellt werden, wenn die Heranziehung für ihn wegen persönlicher, insbesondere häuslicher, wirtschaftlicher oder beruflicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde. § 12 Abs. 4 Satz 2 WPflG führt einige Fälle auf, in denen eine solche besondere Härte „in der Regel” vorliegt. Soweit ein Lebenssachverhalt, der eine Zurückstellung vom Wehrdienst wegen besonderer Härte begründen soll, in § 12 Abs. 4 Satz 2 WPflG erfasst ist, kommt dieser Regelung hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der besonderen Härte abschließender Charakter zu. Sind die Voraussetzungen einer Zurückstellung des für den Lebenssachverhalt einschlägigen Tatbestandes des Satzes 2 nicht gegeben, sind die an eine besondere Härte zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt. Ein Rückgriff auf die allgemeine Härtemilderungsklausel des Satzes 1 scheidet insoweit aus (vgl. Urteil vom 24. Oktober 1997 – BVerwG 8 C 21.97 – BVerwGE 105, 276).

Zu diesem Rechtssatz steht das Urteil des Verwaltungsgericht weder ausdrücklich noch durch den Gang der Begründung im Widerspruch. In den Entscheidungsgründen wird das vorgenannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wiederholt zitiert (Entscheidungsgründe S. 4 und 5). Im Übrigen wird geprüft, ob einer der Sondertatbestände von § 12 Abs. 4 Satz 2 WPflG vorliegen könnte (Entscheidungsgründe S. 4 ff.), und erst nach der Verneinung dieser Möglichkeit wird auf die allgemeine Härtemilderungsklausel in § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG zurückgegriffen. Diese Vorgehensweise steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

b) Entsprechendes gilt für die Auslegung des Begriffs der „besonderen Härte” in § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG im Urteil des Verwaltungsgerichts. Die Beschwerde rügt insoweit einen Verstoß des angegriffenen Urteils gegen die vorgenannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar sei dort von der vorrangigen Geltung der Sondertatbestände in § 12 Abs. 4 Satz 2 WPflG eine Ausnahme zugelassen worden, wenn außergewöhnliche weitere Umstände hinzu kämen, die keinem der in § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 WPflG umschriebenen Sondertatbestände zuzuordnen seien. Ausgangspunkt dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei jedoch gewesen, dass ein Ausbildungsplatz hätte verloren gehen können, während im vorliegenden Fall nicht von einem Ausbildungsinteresse, sondern nur einem Fortbildungsinteresse im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses die Rede sei. Dafür gebe es aber eine bestimmte Sachnähe zum Soll-Tatbestand des § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 WPflG, die beim Arbeitsverhältnis oder einer bloßen beruflichen Fortbildung fehle. Die berufliche Fortbildung sei ausnahmslos vom Anwendungsbereich des § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG ausgeschlossen.

Die Beschwerde legt die zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu eng aus. Dies trifft insbesondere auf die Erwägung zu, das Bundesverwaltungsgericht habe einen ausnahmsweisen Rückgriff vom Sondertatbestand auf die allgemeine Härtemilderungsklausel auf den Fall des drohenden Verlustes des Ausbildungsplatzes beschränken wollen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem vorgenannten Urteil zunächst darauf hingewiesen, dass bereits in früheren Entscheidungen Ausnahmen von der vorrangigen Geltung der Sondertatbestände gemacht worden seien (Urteil vom 24. Oktober 1997 a.a.O. S. 279). Als Fall, der keinem der in § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 WPflG umschriebenen Sondertatbestände zuzuordnen war, aber dennoch einen Zurückstellungsgrund begründen sollte, wurde danach angesehen, wenn nach der Unterbrechung eines noch nicht weitgehend geförderten Ausbildungsabschnitts die unterbrochene Ausbildung erst nach einem zusätzlichen über die Dauer des Wehrdienstes hinausgehenden erheblichen und unverhältnismäßigen Zeitverlust wieder aufgenommen werden kann (Urteil vom 13. November 1969 – BVerwG 8 C 92.69 – BverwGE 34, 188, 189). Als weiteren Fall, der mangels Zuordnung zu einem der Sondertatbestände als besondere Härte im Sinne der allgemeinen Regelung in § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG angesehen wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht anerkannt, wenn eine bereits erschlossene außergewöhnliche Möglichkeit der beruflichen Ausbildung, die für den Wehrpflichtigen eine besondere Chance bedeutet, endgültig verlorengeht (Urteil vom 30. Mai 1979 – BVerwG 8 C 61.77 – Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 133 S. 133, 137). Soweit das Bundesverwaltungsgericht früher eine besondere Härte nur dann bejaht hat, wenn die berufliche Ausbildung außergewöhnlich ist und dem Wehrpflichtigen eine besondere Chance eröffnet, hat es daran in seinem von der Beschwerde angeführten Urteil vom 24. Oktober 1997 nicht festgehalten. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Wehrpflichtigen auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) durch den wehrdienstbedingten Verlust einer Ausbildungsmöglichkeit liegt vielmehr bereits dann vor, wenn ein bereits zugesagter (gesicherter) Ausbildungsplatz verlorengeht und wenn der Betroffene nach Ableistung des Wehrdienstes die Ausbildung für den gleichen Beruf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit weder an derselben Stelle noch anderweitig nachholen kann oder dies nur mit einem zusätzlichen unverhältnismäßigen Zeitverlust möglich ist (a.a.O. S. 279 ff.).

Dieser Rechtsprechung kann keine Verengung auf Fälle der Ausbildung im Unterschied etwa zur Fortbildung entnommen werden. Der vorliegend zu entscheidende Fall, in welchem der Arbeitgeber den Übergang von einem befristeten zu einem unbefristeten Arbeitsverhältnis von der Teilnahme an einer zweijährigen Weiterbildung abhängig macht, belegt, wie wenig sich Aus- und Fortbildung in ihrer Bedeutung für den Zugang zum Beruf im Einzelfall unterscheiden müssen. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht anhand der gegebenen Fallgestaltung einen allgemeinen Gedanken erläutert, der im Verfassungsrecht wurzelt (a.a.O. S. 280 ff.). Dem verfassungsrechtlichen Grundrechtsschutz im Bereich des Ausbildungswesens, namentlich seiner Schutzfunktion gegenüber Eingriffen der öffentlichen Gewalt, ist auch bei der Auslegung und Handhabung der Zurückstellungsvorschriften zumindest unter dem Blickwinkel der verfassungsverpflichteten Auslegung (vgl. Weyreuther, DVBl 1997, 925 ≪929≫) Rechnung zu tragen. § 12 Abs. 4 WPflG konkretisiert danach das Verhältnismäßigkeitsgebot. Der Wehrpflichtige soll durch die Heranziehung zum Wehrdienst keine erheblichen Nachteile erleiden, die durch eine Einberufung zu einem späteren Zeitpunkt vermieden werden könnten. Eine die befristete Zurückstellung rechtfertigende besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 4 WPflG ist gegeben, „wenn die Heranziehung zum Wehrdienst den Wehrpflichtigen anders trifft, als im allgemeinen Wehrpflichtige davon betroffen werden, und zugleich schwerer, als ihnen üblicherweise zugemutet wird” (Urteil vom 15. November 1972 – BVerwG 8 C 139.71 – BVerwGE 41, 160 ≪165≫).

Innerhalb dieser rechtlichen Vorgaben bewegt sich das Urteil des Verwaltungsgerichts, indem es unter Bezugnahme auf die vom Bundesverwaltungsgericht bereits bejahten Fälle einer besonderen Härte denjenigen einer einmaligen zweijährigen Weiterbildungsmaßnahme durch den Arbeitgeber an die Seite stellt, ohne deren Absolvierung der bislang nur befristete Arbeitsvertrag mit dem Kläger nicht verlängert würde (Entscheidungsgründe S. 2 und 5). Damit weicht das Verwaltungsgericht nicht von der voranstehend angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab.

c) Den vorstehenden Ausführungen ist zugleich zu entnehmen, dass sich die Beklagte mit ihrer Abweichungsrüge nicht mehr auf den Beschluss vom 7. März 1996 – BVerwG 8 C 47.95 – (Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 198) berufen kann. Die dort getroffene Aussage, bei einer beruflichen Fortbildung sei der Rückgriff auf die allgemeine Härteklausel in § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG ausgeschlossen, konnte seit Ergehen des zitierten Urteils vom 24. Oktober 1997 mit Rücksicht auf die dort betonte Ausstrahlung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG keine uneingeschränkte Geltung mehr beanspruchen.

2. Die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bleibt ebenfalls ohne Erfolg, denn die Klärung der für die Beurteilung des Streitfalles maßgeblichen Rechtsfrage hat keine über ihre Bedeutung für den zu entscheidenden konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung oder für die Fortbildung des Rechts.

Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, dass die im Beschwerdeschriftsatz zur Klärung gestellte Frage nicht von zutreffenden tatsächlichen Grundannahmen ausgeht. Für klärungsbedürftig wird gehalten, ob außergewöhnliche Umstände auch in denjenigen Fallkonstellationen berücksichtigungsfähig sind, in denen es sich nicht um ausbildungsverwandte Sachverhalte, sondern um eine Qualifizierung innerhalb eines bestehenden Arbeitsverhältnisses handelt, die nach Sinn und Zweck des § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 WPflG nicht dem öffentlichen Interesse an der Ableistung des Wehrdienstes weichen solle.

Die in der Fragestellung enthaltene Grundannahme einer „Qualifizierung innerhalb eines bestehenden Arbeitsverhältnisses” geht an dem Umstand vorbei, dass nach den Feststellungen im Urteil (Entscheidungsgründe S. 2) dem Kläger nur die Möglichkeit einer Teilnahme an der einmaligen zweijährigen Weiterbildungsmaßnahme bleibt, weil andernfalls sein derzeit befristetes Arbeitsverhältnis nicht verlängert würde. Entgegen dem Beschwerdevorbringen erschöpft die Argumentation, der Gesetzgeber habe sich dafür entschieden, entstehende Nachteile durch das Arbeitsplatzschutzgesetz (ArbPlSchG) auszugleichen, den vorliegenden Fall nicht. Dem Kläger geht es nicht allein um die Befristung des Arbeitsverhältnisses, wogegen § 1 Abs. 4 ArbPlSchG keinen Schutz gewährt.

Daran, dass es sich um einen Einzelfall ohne wesentliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung des Rechts handelt, ändert auch die ergänzende Beschwerdebegründung nichts, durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts würden Fortbildung und Ausbildung gleichgestellt. Diese Gefahr ist dadurch begrenzt, dass im vorliegend zu entscheidenden Fall die zur Zurückstellung führende Weiterbildungsmaßnahme mit dem Übergang von einem befristeten zu einem unbefristeten Arbeitsverhältnis verknüpft war. Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht gerade in der von der Beschwerdeführung angeführten Entscheidung auf den Zusammenhang zwischen der Anhebung der Altersgrenze zur Wehrheranziehung und der Härtemilderungsklausel hingewiesen.

Der Gesetzgeber hat die Altersgrenze für die Einberufung von Wehrpflichtigen, die wegen einer Zurückstellung nach § 12 WPflG nicht vor Vollendung des 25. Lebensjahres einberufen werden konnten, nämlich bis zur Vollendung des 28. Lebens-jahres erhöht (§ 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a WPflG), um bei der Handhabung der Zurückstellung vom Wehrdienst „mehr Bewegungsspielraum” zu schaffen und „auf die jeweilige Lebens- und Berufssituation der Betroffenen Rücksicht nehmen zu können” (vgl. BTDrucks 12/5089, Anlage 1, S. 15 und Anlage 3, S. 30). Dieser Rechtsänderung ist auch bei der Auslegung der allgemeinen Härtemilderungsklausel des § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG Rechnung zu tragen (Urteil vom 24. Oktober 1997 a.a.O. S. 280 ff.).

Eine weitere Begrenzung liegt darin, dass berücksichtigungsfähig bei der Zurückstellung nur solche Nachteile sind, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintreten werden. Die bloße Gefahr im Sinne der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines beruflichen Nachteils reicht noch nicht aus, um eine Zurückstellung nach § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG zu rechtfertigen (a.a.O. S. 281).

Dem Urteil vom 24. Oktober 1997 ist insgesamt zu entnehmen, dass in den dort beschriebenen Grenzen § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG offen dafür ist, atypische berufsbezogene Lebenssachverhalte zugunsten des Wehrpflichtigen zu beurteilen. Die für die Anerkennung derartiger Sachverhalte maßgeblichen Einzelaspekte herauszuarbeiten, ist Sache der Verwaltungsgerichte, ohne dass damit noch Fragen von grundsätzlicher Bedeutung verbunden wären. Dementsprechend hat es der Senat abgelehnt, die Revision der Beklagten in einem Fall zuzulassen, in welchem das Verwaltungsgericht die im Wesentlichen gleichlautende Härteklausel des § 11 Abs. 4 Satz 1 ZDG auf die erfolgreich begonnene Karriere eines Musikers im Bereich des „volkstümlichen Schlagers” angewandt hatte (Beschluss vom 22. April 1999 – BVerwG 6 B 12.99 – Buchholz 448.11 § 11 ZDG Nr. 32).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG in Verbindung mit § 5 ZPO in entsprechender Anwendung.

 

Unterschriften

Hahn, Büge, Graulich

 

Fundstellen

Dokument-Index HI650230

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