Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 19.05.2005; Aktenzeichen 3 UE 2829/04) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Mai 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr). Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt (stRspr). So liegt es hier.
Die Beschwerde wirft die Frage auf, ob trotz Fehlens der Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB bzw. § 37 Abs. 1 BauGB die Klage gegen eine darauf gestützte Ersetzung des Einvernehmens abgewiesen werden darf, weil eine darüber hinausgehende materielle Verletzung eigener Rechte nicht vorliege und weil Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Verfahrenswahl nicht bestehen. Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Der Verwaltungsgerichtshof ist zu dem Ergebnis gelangt, eine Aufhebung der angefochtenen Ersetzung des Einvernehmens komme nicht in Betracht, da die Klägerin trotz der Wahl eines falschen Verfahrens – baurechtliches Zustimmungsverfahren statt Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren – nicht in ihren Rechten verletzt werde. Er legt eingehend dar, dass durch die beabsichtigte Errichtung eines Winterstützpunkts im inneren Ohr einer Autobahnabfahrt mit der Planungshoheit verknüpfte materielle Rechte der Klägerin nicht verletzt würden. Die Beteiligungsrechte der Klägerin seien ausreichend gewürdigt und einbezogen worden. In einem Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren, in dem der Klägerin nur ein Beteiligungsrecht zustehe und keine materielle Rechtsprüfung erfolge, wie bei der Ersetzung des Einvernehmens, könne die Klägerin in Bezug auf ihre materiellen Rechte nicht besser stehen.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die der Verwaltungsgerichtshof zutreffend verweist, ist Folgendes geklärt: Der Einzelne kann verlangen, dass seine materiellen Rechte gewahrt werden, er hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass dies in einem bestimmten Verfahren geschieht. Das Verfahrensrecht dient zwar insofern dem Schutz potentiell Betroffener, als es gewährleisten soll, dass die materiellrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Einzelne die Beachtung der Verfahrensvorschriften um ihrer selbst willen erzwingen kann, unabhängig davon, ob er in einem materiellen Recht verletzt ist oder nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 5. März 1999 – BVerwG 4 VR 3.98 – NVwZ-RR 1999, 556 m.w.N.). Geklärt ist ferner, dass eine verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung dem durch sie Begünstigten ein subjektives öffentliches Recht einräumen kann. Von solcher Qualität ist eine Verfahrensvorschrift aber nur dann, wenn sie nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde dient, sondern dem betroffenen Dritten in spezifischer Weise und unabhängig vom materiellen Recht eine eigene, nämlich selbständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition gewähren will, sei es im Sinne eines Anspruchs auf die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens überhaupt, sei es im Sinne eines Anspruchs auf die ordnungsgemäße Beteiligung an einem (anderweitig) eingeleiteten Verwaltungsverfahren. Die Frage, ob eine solche verfahrensrechtliche Rechtsposition im Rahmen einer konkreten gesetzlichen Regelung anzunehmen ist, beantwortet sich dabei nicht nach der Art und Beschaffenheit desjenigen materiellen Rechts, auf das sich das vorgeschriebene Verwaltungsverfahren bezieht, sondern allein nach der Zielrichtung und dem Schutzzweck der Verfahrensvorschrift selbst. Aus ihrem Regelungsgehalt muss sich ergeben, dass die Regelung des Verwaltungsverfahrens mit einer eigenen Schutzfunktion zugunsten einzelner ausgestattet ist, und zwar in der Weise, dass der Begünstigte unter Berufung allein auf einen ihn betreffenden Verfahrensmangel, d.h. ohne Rücksicht auf das Entscheidungsergebnis in der Sache, die Aufhebung bzw. den Erlass einer verfahrensrechtlich gebotenen behördlichen Entscheidung gerichtlich soll durchsetzen können (vgl. z.B. Urteil vom 15. Januar 1982 – BVerwG 4 C 26.78 – BVerwGE 64, 325 ≪331 f.≫).
Die Beschwerde meint, diese Rechtsprechung lasse sich nicht auf die vorliegende Situation übertragen, in der eine Gemeinde Adressatin einer Entscheidung geworden sei, durch die das von ihr versagte Einvernehmen ersetzt werde. Auch dieser Hinweis vermag indes nichts daran zu ändern, dass die klagende Gemeinde nur dann mit Erfolg die Aufhebung einer derartigen Entscheidung erreichen kann, wenn sie durch diese in ihren Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Eine derartige Rechtsverletzung hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch mit eingehender Begründung verneint. Die Regelung in § 36 BauGB begründet, wie das Bundesverwaltungsgericht bereits ebenfalls wiederholt entschieden hat, hinsichtlich der materiellen Planungshoheit keine Rechte, sondern setzt sie vielmehr voraus (Urteil vom 19. August 2004 – BVerwG 4 C 16.03 – BVerwGE 121, 339). Wenn eine Verletzung der Planungshoheit einer Gemeinde zu verneinen ist, kann diese sich daher auch nicht mit Erfolg gegen die Ersetzung des Einvernehmens wenden.
Soweit die Klägerin vorträgt, es bestünden entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs “sehr wohl” Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Verfahrenswahl, legt sie keinen der Gründe für eine Zulassung der Revision dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Gatz, Dr. Jannasch
Fundstellen
Haufe-Index 1481580 |
BauR 2006, 815 |
DVP 2008, 475 |
BRS-ID 2006, 18 |
FSt 2006, 733 |
FuBW 2006, 837 |
FuHe 2006, 674 |