Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. fehlende Divergenzrüge. Urteilstenor bei inzidenter Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Beitragssatzung
Leitsatz (amtlich)
Ist eine Rechtsfrage bereits höchstrichterlich entschieden, so gewinnt sie nicht notwendig dadurch wieder grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, daß ein Tatsachengericht von dieser Rechtsprechung abweicht.
Es ist den Verwaltungsgerichten bei Anfechtungsklagen grundsätzlich verwehrt, von der inzidenten Feststellung der Unwirksamkeit einer als rechtswidrig erkannten Satzung oder der daraus resultierenden Aufhebung der auf ihr beruhenden Verwaltungsakte wegen der damit verbundenen Folgen abzusehen (wie Beschluß des 8. Senats vom 26. Januar 1995 – BVerwG 8 B 193.94 – Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 273).
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 47 Abs. 5
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 06.09.1999; Aktenzeichen 9 L 2901/99) |
VG Lüneburg (Entscheidung vom 24.03.1999; Aktenzeichen 3 A 51/97) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. September 1999 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 23 387 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf die Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (rechtsgrundsätzliche Bedeutung) und § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (Divergenz) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Als rechtsgrundsätzlich bedeutsam wirft die Beschwerde die Frage auf,
„ob aufgrund einer gewandelten Rechtsauffassung eines Gerichts eine dagegen verstoßende Beitrags- und Gebührensatzung noch zum Erkenntniszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als wirksame Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden kann”.
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
Sie betrifft zunächst dem irrevisiblen Landesrecht zuzuordnende Normen des kommunalen Satzungsrechts, deren Auslegung und Anwendung vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft werden (§ 137 Abs. 1 VwGO) und deswegen eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht begründen können.
Die aufgeworfene Frage wird auch nicht dadurch zu einer solchen des revisiblen Rechts, daß die Beschwerde sie für „verfassungsrechtlich relevant” hält und meint, die vom Oberverwaltungsgericht zur Anwendbarkeit des kommunalen Satzungsrechts trotz „Rechtsprechungswidrigkeit” vertretene Auffassung decke „sich nicht mit der verfassungsmäßigen Rechtsordnung, also mit der Gesamtheit der Rechtsnormen” und stelle „einen Akt freier, somit auch das Gewaltenteilungsprinzip verletzender Rechtsfindung” dar. Auch wenn es sich bei diesen nicht näher bezeichneten Prüfungsmaßstäben um solche des Bundesrechts handeln sollte, legt die Beschwerde einen Zulassungsgrund nicht in einer den Substantiierungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dar, weil sie sich auf die Behauptung einer bloßen Verletzung dieser Maßstäbe beschränkt, ohne gerade deren Klärungsbedürftigkeit darzutun (vgl. hierzu etwa BVerwG, Beschluß vom 23. März 1992 – BVerwG 5 B 174.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 306 m.w.N.).
Selbst wenn man zugunsten der Beschwerde unterstellt, daß sie ihre Frage auf die Auslegung des bundesverfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) und der bundesrechtlichen Norm des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO bezogen wissen will, vermag dies die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zu begründen, denn eine solche Frage ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt. In seinem Beschluß vom 26. Januar 1995 (BVerwG 8 B 193/94 – Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 273) hat der für das Abgabenrecht seinerzeit zuständige 8. Senat entschieden, daß es den Verwaltungsgerichten bei Anfechtungsklagen grundsätzlich verwehrt ist, von der inzidenten Feststellung der Unwirksamkeit einer als rechtswidrig erkannten Satzung oder der daraus resultierenden Aufhebung der auf ihr beruhenden Verwaltungsakte wegen der damit verbundenen Folgen abzusehen. Diese Entscheidung bezieht sich – wie sich den Entscheidungsgründen unzweifelhaft entnehmen läßt – gleichermaßen auf Gebühren- wie auf Beitragsbescheide. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich damit ausdrücklich gegen eine Anwendung der auf den Vorschriften des § 31 Abs. 2 und § 79 Abs. 1 BVerfGG beruhenden, unterschiedlich abgestuften Praxis des Bundesverfassungsgerichts bei der Verwerfung von Gesetzen auf das Satzungsrecht und seine verwaltungsgerichtliche Kontrolle gewandt, weil die Verwaltungsgerichtsordnung hierfür keinen gesetzlichen Anknüpfungspunkt biete. Diese Grundsätze, von denen abzuweichen der nunmehr für das Abgabenrecht zuständige erkennende Senat keinen Anlaß sieht, stehen auch der vom Oberverwaltungsgericht vertretenen Konstruktion entgegen. Soweit das Oberverwaltungsgericht die Satzung trotz des erkannten Widerspruchs zu seiner Rechtsprechung zur Tiefenbegrenzung im unbeplanten Innenbereich übergangsweise für rechtmäßig hält, geschieht dies ausdrücklich und unter Hinweis auf die erwähnte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deswegen, um die Nichtigkeitsfolgen von der für den angefochtenen Verwaltungsakt als Rechtsgrundlage dienenden Beitragssatzung abzuwenden. Gerade dies ist mit § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich nicht vereinbar. Ist aber eine Rechtsfrage höchstrichterlich entschieden, so gewinnt sie nicht notwendig dadurch wieder grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, daß ein Tatsachengericht von dieser Rechtsprechung abweicht (vgl. BVerwG, Beschluß vom 29. Dezember 1970 – BVerwG 1 B 96.70 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 79).
Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem erwähnten Beschluß vom 26. Januar 1995 allerdings offengelassen, ob von diesem Grundsatz Ausnahmen zugelassen werden können, wenn die Feststellung der Unwirksamkeit einer Satzung und die Aufhebung darauf gestützter Gebühren- und Beitragsbescheide zu unlösbaren und unvertretbaren Schwierigkeiten für die Gemeinde führen müßten. Auch hieraus läßt sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht herleiten. Das Bundesverwaltungsgericht hat nämlich in dieser Entscheidung im Hinblick auf die im Abgabenrecht zugunsten der Gemeinde bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zur Begrenzung der Unwirksamkeitsfolgen ein Bedürfnis für die Annahme eines solchen Ausnahmefalles in diesem Bereich jedenfalls verneint. Der vorliegende Fall gibt schon angesichts hierzu fehlender tatsächlicher Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts keinen Anlaß, diese Rechtsprechung zu vertiefen oder zu modifizieren.
Auch die Rüge der Divergenz greift nicht durch. Sie genügt schon nicht den Anforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Bezeichnung eines solchen Zulassungsgrundes stellt. Danach ist ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz zu benennen, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bzw. (u.a.) des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung dieses Gerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. etwa BVerwG, Beschluß vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 m.w.N.). Die Beschwerde behauptet zwar eine Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 91, 186). Sie macht aber in der Sache lediglich geltend, das Oberverwaltungsgericht habe seine Rechtsauffassung zu Unrecht auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Dabei trägt die Beschwerde selbst – zutreffend – vor, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betreffe nur die vorübergehende Anwendbarkeit von Gesetzen trotz Verfassungsverstoßes; über die Anwendbarkeit dieser Rechtsprechung auf kommunale Satzungen habe das Bundesverfassungsgericht „in Wirklichkeit aber nicht entschieden”. Damit benennt die Beschwerde keine sich in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprechenden Rechtssätze, sondern rügt die Übertragung eines Rechtssatzes auf einen anderen rechtlichen Zusammenhang, zu dem sich die bezeichnete Entscheidung jedoch nicht verhält. Darauf kann eine Divergenzrüge von vornherein nicht gestützt werden.
Eine Divergenz im Hinblick auf die bereits erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 1995 macht die Beschwerde nicht geltend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 2, § 14 GKG.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Prof. Dr. Rubel
Fundstellen
Haufe-Index 567461 |
NVwZ-RR 2000, 457 |
SGb 2001, 73 |
DVBl. 2000, 1461 |
Gk/Bay 2000, 429 |