Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 29.06.2005; Aktenzeichen 21d A 2943/03.BDG) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die auf die Revisionszulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO, § 69 BDG gestützte Beschwerde ist nicht begründet.
1. Der Beklagte rügt als Verfahrensmangel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, das Berufungsgericht habe nicht beanstandet, dass die Klägerin die Disziplinarklage ausschließlich auf das Ergebnis von Vorermittlungen gemäß § 26 BDO gestützt habe. Aufgrund des In-Kraft-Tretens des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 sei die Klägerin verpflichtet gewesen, vor Erhebung der Disziplinarklage gemäß § 17 BDG ein behördliches Disziplinarverfahren einzuleiten und nach Maßgabe der §§ 20 ff. BDG durchzuführen. Vorermittlungen nach altem Recht könnten das behördliche Disziplinarverfahren nach neuem Recht nicht ersetzen, weil beide Verfahren nicht gleichwertig seien. Nach der Konzeption der Bundesdisziplinarordnung seien Vorermittlungen gemäß § 26 BDO nicht darauf angelegt gewesen, den Sachverhalt erschöpfend aufzuklären. Dies sei der anschließenden Untersuchung gemäß §§ 56 ff. BDO als Teil des förmlichen Disziplinarverfahrens vorbehalten gewesen. Dementsprechend sei die Rechtsstellung des Beamten in den Vorermittlungen erheblich schwächer gewesen als nunmehr im behördlichen Disziplinarverfahren gemäß §§ 20 ff. BDG.
Aus diesem Vorbringen ergibt sich kein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das beanstandete Vorgehen der Klägerin findet seine gesetzliche Grundlage in § 85 Abs. 1 Satz 1 und 2 BDG. Schon aus diesem Grund hat für das Berufungsgericht kein Anlass bestanden, die Disziplinarklage als unzulässig abzuweisen oder der Klägerin entsprechend § 65 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG eine Frist zur Beseitigung eines wesentlichen Mangels des behördlichen Disziplinarverfahrens zu setzen.
Gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 BDG werden die nach bisherigem Recht eingeleiteten Disziplinarverfahren in der Lage, in der sie sich bei In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 befinden, nach diesem Gesetz fortgeführt, soweit in den Absätzen 2 bis 10 nichts Abweichendes bestimmt ist. Gemäß § 85 Abs. 1 Satz 2 BDG bleiben Maßnahmen, die nach bisherigem Recht getroffen worden sind, rechtswirksam.
Der Anwendungsbereich des neuen Rechts ist nach diesen Übergangsbestimmungen auf diejenigen nach bisherigem Recht eingeleiteten Disziplinarverfahren beschränkt, die sich am 1. Januar 2002 im Stadium der Vorermittlungen gemäß § 26 BDO befunden haben. Waren die Vorermittlungen zu diesem Zeitpunkt förmlich abgeschlossen, weil bereits gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2, § 33 BDO das förmliche Disziplinarverfahren eingeleitet oder gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1, § 30 Abs. 2 BDO eine Disziplinarverfügung erlassen worden war, so ordnen die vorrangigen Übergangsbestimmungen gemäß § 85 Abs. 3 und 5 BDG für das weitere Verfahren die Fortgeltung des bisherigen Rechts, d.h. der Bundesdisziplinarordnung an.
Gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 und 2 BDG gehen die am 1. Januar 2002 anhängigen Vorermittlungen gemäß § 26 BDO unmittelbar kraft Gesetzes in ein behördliches Disziplinarverfahren gemäß §§ 20 ff. BDG über. Die Vorermittlungen werden als behördliches Disziplinarverfahren fortgesetzt, ohne dass es einer Einleitung gemäß § 17 BDG bedarf. Die in den Vorermittlungen durchgeführten Beweiserhebungen sind grundsätzlich im behördlichen Disziplinarverfahren verwertbar. Daraus folgt, dass eine Disziplinarklage bereits aufgrund der in den Vorermittlungen gewonnenen Erkenntnisse erhoben werden kann, wenn deren Würdigung durch den Dienstvorgesetzten nach dem 1. Januar 2002 ergibt, dass sie ohne Beeinträchtigung von Verfahrensrechten des Beamten verwertbar sind und eine weitergehende Aufklärung des Sachverhaltes nicht geboten ist.
Dieser Bedeutungsgehalt der Übergangsbestimmungen gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 und 2 BDG ergibt sich aus ihrem eindeutigen Wortlaut:
Bereits der in § 85 Abs. 1 Satz 1 BDG verwendete Begriff des “Fortführens” der Disziplinarverfahren “nach diesem Gesetz”, d.h. nach neuem Recht, lässt nach allgemeinem Sprachgebrauch darauf schließen, dass die Verfahren auf der Grundlage des neuen Rechts nicht von vorne beginnen, sondern weitergeführt werden. Dies macht nur Sinn, wenn die vor dem 1. Januar 2002 nach bisherigem Recht gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich weiterverwendet werden können. Dieser Schluss wird zum einen durch die ergänzende gesetzliche Formulierung bestätigt, wonach die Fortführung der Verfahren “in der Lage, in der sie sich bei In-Kraft-Treten dieses Gesetzes befinden” stattfindet. Zum anderen ordnet § 85 Abs. 1 Satz 2 BDG an, dass die nach bisherigem Recht getroffenen Maßnahmen rechtswirksam bleiben. Diese Aussage kann nur bedeuten, dass alle im Rahmen der Vorermittlungen durchgeführten Beweiserhebungen ihre Wirksamkeit behalten und nicht nach neuem Recht wiederholt werden müssen (vgl. Gansen, Disziplinarrecht, § 85 BDG Rn. 7).
Im vorliegenden Verfahren kann dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen Verfahrensrechte des Beamten der Verwertung einzelner Beweiserhebungen entgegenstehen können. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils, die der Beklagte nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat, hat er die in den Vorermittlungen gewonnenen Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Erhebung der Disziplinarklage vollständig gekannt. Der Beklagte hat weder Einwendungen gegen ihre Verwertung erhoben noch hinreichend substantiiert weiteren Aufklärungsbedarf geltend gemacht. Bei dieser Sachlage würde es sich bei der von ihm verlangten Einleitung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens gemäß § 17, §§ 20 ff. BDG um reinen Formalismus handeln.
2. Anknüpfend an seine Verfahrensrüge hält der Beklagte die Frage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam,
ob eine Disziplinarklage aufgrund von Vorermittlungen zulässig ist, die vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossen worden sind oder ob es für die Zulässigkeit einer solchen Disziplinarklage im Hinblick auf § 85 Abs. 1 BDG eines eingeleiteten und durchgeführten Verfahrens gemäß § 17 BDG bedarf.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts von über diesen Fall hinausgehender Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫; stRspr).
Danach vermag die vom Beklagten aufgeworfene Frage nicht zur Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen, weil sie ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann. Die Antwort ergibt sich ohne weiteres aus § 85 Abs. 1 Satz 1 und 2 BDG. Wie unter 1. dargelegt, kann aufgrund des eindeutigen Wortlauts dieser Übergangsbestimmungen kein Zweifel daran bestehen, dass eine Disziplinarklage ausschließlich auf Erkenntnisse gestützt werden kann, die in ordnungsgemäß durchgeführten und abgeschlossenen Vorermittlungen gemäß § 26 BDO gewonnen worden sind.
3. Weiterhin wirft der Beklagte als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage auf,
ob die Vorteilsannahme durch bares Geld unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Entfernung aus dem Dienst erfordert.
Diese Frage hat keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie durch die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist:
Danach handelt es sich bei Verstößen gegen das Verbot der Vorteilsannahme gemäß § 70 Satz 1 BBG regelmäßig um sehr schwerwiegende Pflichtverletzungen. Denn die uneigennützige, auf keinen privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Ein Beamter, der Vorteile in Bezug auf sein Amt annimmt, erweckt den Eindruck, sich bei seinen Dienstgeschäften nicht an sachlichen Erwägungen zu orientieren, sondern für Amtshandlungen allgemein käuflich zu sein. Ein solcher Beamter verliert regelmäßig endgültig das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in seine pflichtgemäße Amtsführung und ist daher aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn er als Gegenleistung für den gewährten Vorteil eine pflichtwidrige Amtshandlung vorgenommen oder wenn er bares Geld angenommen hat und durchgreifende Milderungsgründe fehlen. Die Annahme von Geldzuwendungen offenbart ein besonders hohes Maß an Pflichtvergessenheit, weil jedem Beamten klar sein muss, dass er durch ein solches Verhalten die Grenze der Sozialadäquanz eindeutig überschreitet. Unter diesen Voraussetzungen erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als geeignet und erforderlich, um den Zwecken des Disziplinarrechts Geltung zu verschaffen, sowie als verhältnismäßig im engeren Sinne (vgl. Urteile vom 24. Juni 1998 – BVerwG 1 D 23.97 – BVerwGE 113, 229 ≪232≫; vom 20. Februar 2002 – BVerwG 1 D 19.01 – DokBer B 2002, 169 und vom 8. Juni 2005 – BVerwG 1 D 3.04 – zitiert nach juris). Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG, der inhaltlich der Vorgängerregelung des § 12 Abs. 2 Satz 1 BDO entspricht, tritt an die Stelle der Entfernung aus dem Dienst die Aberkennung des Ruhegehaltes, wenn sich der Beamte bei Abschluss des Disziplinarverfahrens im Ruhestand befindet.
Der Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 2003 – 2 BvR 1413/01 – NVwZ 2003, 1504 hat diese Rechtsprechung nicht in Frage gestellt. Entgegen dem Vorbringen des Beklagten ergibt sich aus diesem Beschluss nicht, dass die Höchstmaßnahme lediglich dann mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, wenn der Beamte durch den Verstoß gegen das Verbot der Vorteilsannahme gemäß § 70 Satz 1 BBG zugleich den Straftatbestand der Bestechlichkeit gemäß § 332 StGB erfüllt hat. Vielmehr geht aus den Beschlussgründen unmissverständlich hervor, dass das Bundesverfassungsgericht Bestechlichkeit nur beispielhaft als eine von mehreren Deliktsgruppen angeführt hat, bei denen die gefestigte disziplinargerichtliche Rechtsprechung die Verhängung der Höchstmaßnahme für geboten hält. Nach der Aufzählung der Beispiele heißt es in den Beschlussgründen wörtlich, dass außerhalb dieser Deliktsgruppen die Verhängung der Höchstmaßnahme insbesondere in Betracht kommen kann, wenn es sich um ein vorsätzliches schwerwiegendes Versagen im Kernbereich der Pflichten handelt.
Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dies bei der Annahme von Geldzuwendungen in Bezug auf das Amt jedenfalls dann der Fall, wenn die geflossenen Zuwendungen – wie im vorliegenden Fall mit den entgegengenommenen 4 255 DM – in ihrer Gesamtheit die Schwelle der Geringfügigkeit deutlich überschreiten. Eine andere Betrachtungsweise wird der Bedeutung des Verbots, Bargeld in Bezug auf das Amt anzunehmen, für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Berufsbeamtentums nicht gerecht.
Nach alledem liegt auch die vom Beklagten geltend gemachte Divergenz zwischen dem Berufungsurteil, das mit der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts übereinstimmt, und dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 2003, a.a.O., nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Gerichtsgebühren werden gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erhoben.
Unterschriften
Albers, Dr. Müller, Dr. Heitz
Fundstellen